Classic Driving News

Auf der Suche nach dem Richtigen

verfasst am Fri Dec 10 13:33:24 CET 2010

Letzten Herbst flackerte er kurz im Internet auf. Für 1.000 Euro, nur 67.000 km, dritte Hand, Zahnriemen und Reifen neu. Anbieter aus Frankfurt, kein Zweifel möglich. Name und Telefonnummer sind identisch mit den Angaben auf dem abgehefteten Kaufvertrag.

Es ist mein kupferfarbener Audi 80 GLS, Baujahr 1979, vom Unfallschaden des betagten Vorbesitzers gesundgepflegt, drei Jahre gefahren und 2005 infolge einer hubraumstarken Mercedes-Kurzschlusshandlung herzlos abgestoßen.

Audi 80 Zweitürer als Trostpflaster

Genauso impulsiv beschließe ich, den Audi 80 zurückzuholen. Es soll ja durchaus vorkommen, dass besonders hart gesottene Autospinner ihren einstigen Wagen wieder zurückkaufen. Manchmal sogar gegen saftiges Aufgeld. Meine zahlreichen Anrufe laufen ins Leere einer unpersönlichen Mailbox. Nach zwei Wochen gebe ich auf. Aus, Pech gehabt, zu spät - verkauft an einen anderen. Dann tröste ich mich eben mit dem kupfernen Audi 80 Zweitürer, den ich bei Erkrath auf der creme21 gesehen habe.

Es muss wieder ein Audi 80 in die Garage. Aber das hat Zeit. Der steht schon lange, den schnappt mir keiner weg. Außerdem hat der Zweitürer keine so schöne Linie - das dritte Seitenfenster fehlt, jene kleine raffinierte Zutat in der sachlich klaren Linienführung, die Giugiaro von Ital Design zur kantigen Perfektion führte. Eigentlich ist der Audi 80 technisch und stilistisch der kleine, schüchterne Bruder des Urquattro, sehen wir es doch mal so.

Audi 80 - ein spießiges Durchschnittsauto

Vorderachse, Innenraum, Frontpartie - alles gleich. Der Motor um eine Zylindereinheit verlängert, die Hinterachse eine umgekehrt eingebaute Vorderachse. Vorsprung durch genial einfache Technik. Wie kann man einem alten Audi 80 der zweiten Serie hinterhertrauern, wenn wuchtige S-Klassen, ein 6er- und ein 7er-BMW den Weg kreuzen?

Audi 80, dieser Inbegriff des spießigen Durchschnittsautos, die frugale Vernunft auf Rädern, die deutschtümelnde Mittelklasse als logische Vorstufe zum Mercedes 200 D. Dagegen ist schon ein Ford Taunus ein cooles Muscle Car. Für mich ist der Audi 80 ein Stück Heimat, schon die Zeile "Audi NSU Auto Union" im Brief lockt mit purer Nostalgie. Ich fand sie bereits bei meinem ersten Auto, einem NSU 1200 C.

Drei 100 LS und jetzt muss es wieder ein Audi 80 sein

Danach blieb ich lange markentreu, fuhr K 70, der nur aus Versehen ein VW wurde, und drei Audi 100 LS der allerersten Serie bis Baujahr 1972. Also auf geht?s - sehen, was der Markt hergibt, in der üblichen Momentaufnahme. Immerhin wird er bald 30, der Audi 80. Ich will wieder einen haben, jetzt! Der Erste, intern Typ 82, ist mir zu klein, zu schmalbrüstig. Sein Nachfolger von 1978 ist deutlich erwachsener, sein Raumgefühl erinnert an die maßvolle Kompaktheit des ersten 100.

Audi 80 falsch inseriert

Gerade ältere Semester kauften sich acht Jahre später den 81er, schließlich ist der groß genug. Gern als GLS, da hat er mehr Chrom und ist innen fast so behaglich wie der samtige und hölzerne Ur-Hunderter. Erster Kandidat: Typ abgebrochenes Krawall-Projekt. So geschehen bei unserem ersten Kandidaten: 80 GLS, 85 PS, Schiebedach, Automatik. Baujahr 1980, Inarisilber, 128.000 km, 600 Euro.

Hinter der Klappe des Handschuhfachs kommt nicht nur die prallvolle blaue Mappe des V.A.G.-Service-Systems zum Vorschein, sondern auch eine Betriebsanleitung vom 71er Audi 100. Bilal Ntemertzi hat ihn versehentlich als 75-PS-Modell inseriert. Der Drehzahlmesser wäre ein Indiz, der Motor, Kennbuchstabe VP, ist schließlich der Beweis. TÜV gibt es bis Juni 2009.

Audi 80 sollte Showcar werden

Das arme Auto ist vorn tiefer gelegt. "Die Originalfedern liegen hinten im Kofferraum", sagt Bilal. "Tiefer legen ist wie Sonnendach", murmle ich vor mich hin und schüttle den Kopf. Es sieht einfach traurig aus, wirkt mit dem matten Lack auf der Motorhaube und dem Kantenrost wie ein zotteliger Hund aus dem Tierheim. Bilal wollte ein spektakuläres Show Car aus ihm machen - mit dem 20 V-Fünfzylinder aus dem Audi 200 und Achtzoll-OZ-Rädern, aber das Budget reichte nicht. Der Rost an den hinteren Radläufen und an den Türen ist gar nicht so schlimm. Die moosgrünen Polster sind wie neu, im Verbund mit dem hellgrünen Lack und den dunkelgrün abgesetzten Hartplastikteilen entsteht so eine beruhigende zeitgeistige Symphonie in Grün. Nur die Scheiben sind bronzegetönt. Bevor ich das Golde-Dach aufkurble und eine Probefahrt mache, schiebe ich das Original-Radio Emden in den leeren Schacht. Das wirkt gleich viel wohnlicher. Bilal gibt Starthilfe, lässt uns fahren.

70er-Jahre-Revival beim Foto-Shooting

Nach kurzem Zögern springt der Wagen an, der Tassenstößelmotor jammert und winselt im Kaltlauf. Tassenstößel wie ein Rennmotor. Die Tanknadel versteckt sich tief unter dem roten Reservefeld, 68 Liter gehen rein, das ist viel für die Wagenklasse. "Beim Tanken nicht abstellen!", ruft uns Bilal noch hinterher. Der Wagen lenkt sich störrisch und federt vorne kaum, die Bremsen könnten bissiger sein. Aber der Motor tritt kräftig an, und die Automatik schaltet korrekt.

Schnell eingefülltes Super für 20 Euro beruhigt die Nerven. Fotograf Dino Eisele hat seinen Spaß an unserem 70er-Jahre-Revival im schrillgrünen Audi 80. Wir drehen übermütige Kreise im großen, menschenleeren Industriegebiet von Ehingen/Donau. Der Audi 80 fühlt sich ungeheuer leichtfüßig und temperamentvoll an. Ausgelassen sind wir wie Kinder beim Schaukeln. So ein billiges, einfaches altes Auto mit ein bisschen Leistung und ein wenig Behaglichkeit spricht das Kind im Manne an, es kommt einem vor wie ein Spielzeug.

Nummer Zwei bis Vier werden immer teurer

Warm brummt der Motor zufrieden vor sich hin - es entsteht allmählich jene tiefe Vertrautheit, die den Fahrer auf merkwürdige Weise gerade mit diesem Typ verbindet. Es ist eine Art Heimweh, das ohne den schweren Luxus eines Achtzylinders auskommt, und das dieser streunende zerzauste Köter dankbar erwidert. Bevor die Augen endgültig feucht werden, sage ich Bilal schweren Herzens ab. Bei allem Mitleid gibt das coupierte Fahrwerk den Ausschlag, und mein Gebot von 300 Euro für den Audi 80 will der Verkäufer nicht akzeptieren.

Unser nächster Audi 80 Kandidat wartet 60 Kilometer weiter östlich in Burgau an der A 8. Auf dem fein gekiesten, akkurat sortierten Verkaufsplatz von Gebrauchtwagen Oral im Ortsteil Röfingen parken gleich zwei gut erhaltene alte Audi. Ein Fünfzylinder 100 Typ 44 und jener unscheinbare lidogrüne 80 LS, der 3.000 Euro kosten soll - so hoch liegt nach Auskunft des zwar verbindlich, aber auch verschlagen auftretenden Önder Oral das Gebot eines Liebhabers.

Gepflegter Audi 80 in trister Farbe

Der Wagen macht einen sauberen, properen Eindruck - Baujahr 1981, aus erster Hand, 75 PS und erst 94.000 Kilometer gelaufen. Die Schonbezüge auf den Vordersitzen, der Aral-Atlas von 88/89 auf der Hutablage und ein verwitterter Aufkleber von der Segelschule Marx in Utting am Ammersee deuten auf umsichtigen Rentnerbetrieb hin.

Leider finden sich jenseits des tief glänzenden Lacks und der pieksauberen Innenausstattung deutliche Rostansätze im Bereich von Schwellern, Kofferraumboden und Endspitzen. Außerdem ist mir ein LS irgendwie zu mager und die triste Farbe nicht unbedingt mein Fall. Komm Dino, lass uns weiterfahren. Audi 80 in Inarisilber für stolze 5.000 Euro

Horgau ist ein Dorf bei Augsburg im Naturpark Westliche Wälder. Ein stillgelegter alter Bahnhof und das verwitterte Wald-Café schräg vis-à-vis begrüßen den Gast mit heimeliger Tristesse. Die verfliegt jedoch ein paar hundert Meter weiter im blitzsauberen Hochglanz-Showroom des Autohauses Feistle & Vogel. Dort steht neben einem Ferrari 400i und einem Jaguar E-Type Coupé ein Prachtstück von Audi 80 in Inarisilber für stolze 5.000 Euro.

Es ist die sportliche 85-PS-Ausführung mit Nebelscheinwerfern, Radio-Cassette "Puebla", den famosen vorderen Ausstellfenstern und den noch schrilleren gemusterten Velours-Sitzbezügen ab August 1980. Ihre psychedelische Aura ist fast so Pop-Art wie das legendäre Pascha von Porsche. Martin Feistle begrüßt uns herzlich und mit festem Händedruck. "Das ist natürlich auch ein Abschreckungspreis wegen der vielen Schwätzer, die ich mir damit vom Hals halten will. Doch das Auto ist wirklich top. Ihr werdet sehen, es kommt in ein paar Jahren", erklärt Feistle. Bereitwillig lädt er uns zu einer Probefahrt ein. "Der läuft wie eine Eins", strahlt er.

Audi 80 mit neu anmutendem Motorraum

Bis auf ein paar winzige Rostspuren und einer harmlosen Teroson-Malerei im Bereich beider Endspitzen gibt es nichts zu meckern. Zunächst wirkt der Audi 80 durch die längere Standzeit wie zugeschnürt, aber vorsichtig warm gefahren schnurrt er schließlich mit sonorem Brummen. Nicht zuletzt bestimmt dieser Motorklang das ausgeprägte Wohlfühlaroma im Audi 80 der zweiten Generation.

Hinzu kommen die flauschigen Polster, das großzügige, jedoch nicht verlorene Raumgefühl und die typische, dezente Duftnote alter Möbel. Erst 98.039 Kilometer stehen auf dem Zählwerk, der Motorraum sieht aus wie neu. Ein Auto, bei dem mir das Herz aufgeht, so bescheiden und liebenswert, aber der Preis schreckt mich ab. Selbst wenn es am Ende 4.000 Euro sind, kaufe ich dafür einen Jaguar XJ 6 und keinen Audi 80.

Audi 80 - ein Flohmarktauto

Denn irgendwie sind solche nostalgischen Youngtimer ja Flohmarktautos. Man braucht sie nicht, stellt sie sich aber trotzdem hin wie eine alte Klappkamera. Und fährt sie ab und zu, weil einem dabei so warm wird ums Herz wie beim Blättern im Familienalbum. Hörl & Hofmann ganz im Münchener Norden im Stadtteil Feldmoching ist mittlerweile eine Youngtimer-Enklave.

Neben den dominierenden Audi- und VW-Jungwagen haben sich Inhaber Alfred Hörl und Geschäftsführer Michael Riederer Raritäten aus der heilen V.A.G.-Welt verschrieben. Bei Hörl & Hofmann behandelt man mich wie einen alten Freund. Nur weil ich dort mal einen VW K 70 zur Probe gefahren bin, drückt man mir ein paar Schlüssel in die Hand, um den monacoblauen Audi 80 aus der Halle zu rangieren. Dieser parkt kurioserweise hinter dem zweitürigen, resedagrünen Vorgänger. Schwimmbadblau ist keine Farbe für mich Ich staune nicht schlecht, dieser Audi 80 ist eine Offenbarung für 3.555 Euro. 85 PS, erst 55.000 Kilometer auf der Uhr, Nebelscheinwerfer, Kopfstützen im Fond, Radio-Cassette "Puebla", Schiebedach. Sogar der originale Verkaufsprospekt und die Neuwagenrechnung über 19.148 Mark sind dabei, vom komplett ausgefüllten V.A.G-Service-System ganz zu schweigen. Selbstverständlich klebt die Folie mit den Einfahrvorschriften immer noch links unten in der Windschutzscheibe. Wir fackeln nicht lange und starten gleich zu einer ausgiebigen Probefahrt bis Oberschleißheim und zurück. Der Wagen fährt, bremst, lenkt und beschleunigt wie ein junger Gebrauchter. Nur dieses komische Schwimmbadblau kommt etwas seltsam, Metallic wäre mir lieber. Bewusst blicke ich in große Schaufenster, wenn ich vorbeifahre. Dabei fällt mit einmal mehr die harmonische Form gerade dieses Audi 80 auf, die vielen schmalen Chromleisten glitzern in der Sonne.

Der rettende Anruf kommt zum Schluss

Nur Kleinigkeiten schmälern die Begeisterung, etwa der Lack auf den Blechteilen des Motors. Er sieht so hässlich verschrumpelt aus. Immerhin wurde ein Kat nachgerüstet - "Schadstoffarm E, Schlüsselnummer 03". Michael Riederer sieht das Glänzen in meinen Augen, als wir nach einer geschlagenen Stunde zurückkehren. "Nun, das wird wohl ein unruhiges Wochenende", meint er süffisant. "Nehmen Sie auch was in Zahlung?" entgegne ich kleinlaut.

"Ich hab? zu viele Autos." Ein paar Tage später ruft Nils Hofmann aus Frankfurt an. Der Kraftwerks-Ingenieur war lange im Ausland auf Montage. Ob ich noch Interesse an meinem kupfernen Audi 80 hätte? Der stünde bei ihm bloß rum.

 

 

Quelle: Motor Klassik