Classic Driving News

Bayerischer Generationenvergleich

verfasst am Fri Jan 07 10:22:17 CET 2011

Zwischen BMW 335i und BMW 2000 tii liegen vier Dekaden - im Automobilbau eine Welt. 1969 trugen selbst ausgewiesen sportliche Limousinen wie der dank einst brandneuer Einspritztechnik von 120 auf 130 PS erstarkte BMW 2000 tii hinten noch Trommelbremsen. Beim Generationenvergleich in der Eifel trifft der Oldie den aktuellen Twinturbo-Sportler 335i.

Keine Frage - er hat es verdient: Die nahezu unberührte, einsam daliegende Rennstrecke ebenso wie das goldene Oktoberwetter, das in der Eifel zu dieser Jahreszeit alles andere als selbstverständlich ist. So wie er da steht in seinem schönen mit viel Chrom verzierten roten Kleid, unschuldig dreinblickend aus Lidstrich-losen Rechteck-Augen und mit den überaus filigran geratenen Scheibenwischerchen, denen die Hektik der Neuzeit so gänzlich fremd ist - wer würde ihm da Regen, Sturm und Hagel wünschen?

Seinem aus runden Xenon-Tagfahrlichtern finster drohenden schwarzen Pendant der Jetzt-Zeit vielleicht. Wer so schaut kann das ab, muss laufen können - bei jedem Wetter. Aber ein vierzig Jahre alter Oldtimer, prächtig herausgeputzt wie der ältere Herr, der bei einem romantischen Tanztee auf die Dame seines Herzens hofft, den will man doch von jedweder Unbill verschont wissen - oder etwa nicht? Dabei sehen die Begleiter des mit exakt 40 Lenzen recht betagten BMW 2000tii die Sache recht pragmatisch. "Hier ist der Schlüssel. Die Sitzverstellung findest du da unten links. An die Bremse musst du dich gewöhnen - die tut nicht so wie bei modernen Autos. Ach ja - und pass beim Einlegen des ersten Gangs auf. Da erwischt man schnell den Rückwärtsgang. Ansonsten ist alles wie gehabt."

Nordschleife mal anders im BMW 2000tii

Manfred Grunert, seines Zeichens Pressesprecher BMW Historie, geht mit seiner 1969er Preziose sehr gelassen um. Die Frage, ob man den Oldie denn bis zum Äußersten fordern, sprich: bis knapp 6.000 Touren drehen darf, quittiert er mit einem Achselzucken. "Na ja, wär schon gut, wenn du ein bisschen drunter bleibst. Aber prinzipiell ist das Auto komplett fahrfertig. Einen Ölwechsel haben wir noch gemacht."

Na dann - rein in die stählerne Hülle und Platz genommen. Erfreulich ist: Der dank moderner Einspritz- statt herkömmlicher Vergasertechnik von 120 auf 130 PS erstarkte BMW hat Kopfstützen. Als Auto fahrendes Weichei des 21. Jahrhunderts interessiert einen das schon. Euro NCAP-Sterne, Crash-Tests und aktive und passive Sicherheitssysteme haben halt doch Spuren hinterlassen. Wo ist nur der bekennende Gurtmuffel der 1980er Jahre geblieben? Also - mit Kopfstützen, Gurt und erstaunlich vertrauter Sitzposition, aber ohne Seitenhalt in den Sitzen und rechten Außenspiegel geht es hinaus auf die Nordschleife. Die warnenden Worte des BMW-Sprechers bezüglich der Bremse im Ohr ist die Gangart verhalten.

Mein Gott, wie sich das anfühlt: diese Lenkwinkel, das riesige, spindeldürre Lenkrad und so gut wie nichts unterm Fuß - weder rechts noch in der Mitte. Vielleicht trügt ja die Erinnerung - aber irgendwie hatte ich angenommen, dass eine 130 PS starke BMW-Limousine meinem im Lauf von 25 Jahren sicherlich verklärten 50 PS starken VW 1303 LS um die Ohren fahren würde. Drei Jahre Altersunterschied zu Ungunsten des Bajuwaren hin oder her. Aber im Moment fühlt sich das nicht wirklich so an. " Verdammt lang her, verdammt lang her " - der Kopf intoniert unwillkürlich den passenden kölschen Song zum bayerischen Fahrgefühl. Nordschleife mal anders. Wenngleich: Das Einlenkverhalten des BMW ist erstaunlich zielgenau. 

Die Reifen flehen um Hilfe

Das überdimensionierte Holzvolant ließ anderes vermuten. Allein - die Reifen flehen schon bei niedrigen Kurvengeschwindigkeiten erbärmlich um Hilfe. Und ich habe tatsächlich nicht die geringste Ahnung, wo die Haftgrenze dieses Methusalems liegen könnte. Also: gemach, gemach! Denk an die Simplex-Gleitbacken-Trommelbremse an der Hinterachse. Nomen könnte ja Omen sein. Deshalb also hat mich die Einladung zu historischen Rennen stets skeptisch gestimmt. Was in der Jugend auf der Festplatte nicht gespeichert wurde, lässt sich später eben auch nicht abrufen.

Und meine automobile Erinnerung beginnt, abgesehen von den ersten Gehversuchen mit bewusstem 50-PS-Deluxe-Käfer, eben erst bei den Autos der frühen achtziger Jahre. Und zwischen jener Ära und den spätern Sechzigern scheinen ganz offensichtlich Welten zu liegen. Oder ist es bloß der tägliche Umgang mit den neuesten Hightech-Derivaten des Automobilbaus, der den eigenen Erwartungshorizont so weit nach oben verschoben hat?

Der 2000er greift auf vier, der 335er auf sechs Fahrstufen zu

Dem lässt sich auf den Grund gehen. Erst einmal ganz nüchtern mit der Betrachtung von Daten und Fakten. Zum Vergleich mit dem anno 1969 hoch modernen Fünfer-Vorgänger 2000tii wird mit dem BMW 335i eine mit Preisen überschüttete Hochleistungslimousine der Jetztzeit mit ähnlichen Abmessungen herangezogen. Beide Autos sind rund 4,50 Meter lang und übertragen die Kraft mittels manueller Schaltgetriebe an die Hinterräder. Der 2000er greift auf vier, der 335er auf sechs Fahrstufen zu.

Der optisch deutlich muskulösere Auftritt des aktuellen Dreier-BMW findet sowohl im Gewicht als auch in der Leistung seine Entsprechung. Mit 1.626 Kilo Lebendgewicht ist der 2009er Viertürer fast eine halbe Tonne schwerer als der Familiensportler des Jahres 1969 (1.160 kg), mit 306 PS allerdings auch exakt 176 PS stärker. Damit liegt der Youngster trotz des Umstandes, dass er über die Jahre feist geworden ist, beim Leistungsgewicht deutlich vorn: Die Gegenüberstellung der Daten ergibt 5,3 zu 8,9 kg/PS. Gleichzeitig ist das Drehmoment des aktuellen BMW mehr als doppelt so hoch wie das des alten. Und es liegt nicht nur zwischen 4.500 und 4.700/min, sondern zwischen 1.300 und 4.000 Touren an: Eiger trifft Tafelberg.

Der Umstieg vom BMW 2000tii in den BMW 335i ist der von einer Dampflok in den ICE

All das muss Spuren hinterlassen, und tut es auch. Ergo gleicht der Umstieg vom BMW 2000tii in den BMW 335i dem von einer Dampflok in den ICE. Sind einem die Kurven auf der Nordschleife tatsächlich schon immer so schnell entgegengeflogen? Und ist das wirklich das mit Biturbo-R6 befeuerte Dreier-Topmodell der Mutter oder nicht vielleicht doch der 420 PS starke V8-Sportler der M GmbH? Warum sonst würden sich die ersten Meter von der T13 bis hinunter in den Hatzenbach im direkten Vergleich anfühlen, als habe man bei einer Rakete den Nachbrenner gezündet? Keine Frage - die eigene Sensorik ist klar auf das 21. Jahrhundert geeicht.

Auch wenn wir den finalen Abgleich mangels Messfahrten mit dem 2000tii an dieser Stelle schuldig bleiben müssen: Dass sich der Unterschied, der sich zwischen der Werksangabe des 0-100-Sprints für die 69er Limo (10,4 Sekunden) und dem mit dem viertürigen 335i in Hockenheim im Rahmen eines Tests ermittelten Wert von 5,8 Sekunden auftut, nur die Spitze des Eisbergs ist, liegt auf der Hand. Bei der Bremsprüfung und in den fahrdynamischen Disziplinen sähe die Sache nicht anders aus. Da wären schon die ehedem verwandten Gürtelreifen im schmächtigen Format 175 HR 14 auf 5,5-Zoll-Felgen vor. In der Reifenindustrie hat sich in den vergangenen vier Jahrzehnten nämlich beileibe nicht weniger getan als im Automobilbau. Auch hier lassen sich dank neuer Fertigungsverfahren inzwischen wahre Alleskönner backen. Das zeigen nicht zuletzt die zuweilen fabulösen Zeiten minimal profilierter Hochleistungsreifen im Nasshandling des Supertests. 

Über die Jahrzehnte verschwand, was früher Standard war

Die Kehrseite der Medaille ist, dass gleichermaßen sport- wie alltagstaugliche Allrounder heutzutage auf so manches liebenswerte Detail verzichten müssen. Das Fahrgefühl an sich lässt sich längst nicht mehr so ungefiltert und unmittelbar wie ehedem erleben. Sportlicher Sound? Ja, aber bitte in Maßen. Ungestörte Konversation sollte schon drin sein. Und karge Kompromisslosigkeit, wie wir sie anno 1969 bei nahezu jedem sportlichen Auto erfahren durften, mit Ausnahme des Lamborghini Miura SV  (für den seinerzeit bereits der optionale Einbau einer Klimaanlage angedacht war), hat inzwischen selbst in Hardcore-Sportlern vom Schlage eines Porsche 911 GT3 ausgedient. Ohne Klima, Radio und elektronisches Stabilitätsprogramm geht heute allenfalls beim Renault Clio Cup noch was. Von ABS und Servolenkung ganz zu schweigen.

So verschwand über die Jahrzehnte, was anno 1969 zum liebenswerten Standard gehörte. Die auf mannigfaltige Arten zu öffnenden Dreieck-Seitenscheiben vorn zum Beispiel (der BMW 2002tii wartete mit einem pfiffigen Drehknopf auf) oder die an moderne Zahnspangen erinnernden verchromten Stoßstangen-Bügel. Dafür wurde der zweite Außenspiegel Pflicht. Zudem warten aktuelle Autos mit deutlich größeren Ohrwascheln auf als ihre betagten Pendants. Dies und die immer strenger werdenden Auflagen zum Fußgängerschutz haben die Sache für die Designer nicht leichter gemacht. Auch das erklärt die bleibende Begeisterung für ältere Autos.

 

Quelle: Motor Klassik