Schwere Zeiten für Designstudios und Karosseriebauer
Das Ende der scharfen Kurven
Mit Pininfarina verliert eines der letzten unabhängigen Designstudios die Selbständigkeit. Eine ganze Branche droht zu verschwinden. Schuld daran ist der Fortschritt.
Von MOTOR-TALK-Reporter Carl Christian Jancke
Berlin - Und wieder geht einer. Pininfarina, das legendäre Designstudio aus Cambiano bei Turin, verliert seine Selbständigkeit. Der indische Nutzfahrzeughersteller Mahindra hat die Manufaktur gekauft. Damit scheint die Epoche der unabhängigen Designstudios und Auftragsfertiger vorbei zu sein.
Das Ende droht nicht zum ersten Mal. Schon Anfang des 20. Jahrhunderts sah es so aus, als würde der Fortschritt den ehemaligen Kutschenherstellern, aus denen mit dem Automobil Karossiers geworden waren, den Garaus machen. Die Erfindung des Fließbands und der selbsttragenden Karosserie war eine Gefahr für eine Industrie, die vornehmlich Träume schuf. Manufakturen, die maßgeschneiderte Aufbauten formten, die exklusive Blechhäute auf Leiterrahmen zogen, für Fahrgestelle von Rolls-Royce, Bentley oder Horch. In den USA fing der Niedergang der Individualisierung mit dem T-Modell von Ford an. In Deutschland hätte der VW Käfer das Ende sein können.
Die Autohersteller besetzen jede Nische
War er aber nicht. Schon 1949 schnitt Karmann den Käfer auf und machte ein viersitziges Cabrio aus dem automobilen Symbol der klassenlosen Gesellschaft. Das Käfer-Cabrio bot die Chance, seinen Individualismus in Zeiten der Uniformität sozialverträglich auf dem Firmenparkplatz unter Beweis zu stellen.Und Karmann war längst nicht die einzige Firma, die aus Großserientechnik und Massenware schicke Kleinserien herstellte. Steyr oder Baur fertigten ähnliche Nischenmodelle, und es entstanden Designstudios wie Bertone und Pininfarina, die immer auch einen Teil ihres Geschäfts mit Auftragsfertigung bestritten. Manche im großen Stil.
Die meisten davon gibt es nicht mehr oder sie sind nicht mehr selbständig. Wieder ist es der technische Fortschritt, der sie obsolet macht. Aber anders: Flexible Fertigungslinien, auf denen im Handumdrehen Karosserieformen, Ausstattungsvarianten und Motorisierungen variiert werden können, erlauben es den Autoherstellern, selbst jede Nische zu besetzen. Und sei sie noch so klein.
BMW macht den Hoflieferanten Baur überflüssig
Eines der ersten Opfer dieser Entwicklung war Baur aus Stuttgart. Dabei erhielt die Firma 1912 das erste Patent für „ein umlegbares Verdeck für Luxuskraftwagen“. Später fertigte sie das „Maybach-Cabrio“ und kleidete reihenweise Fahrgestelle von Horch, Maybach, Mercedes oder Wanderer elegant ein. In neuerer Zeit am bekanntesten und erfolgreichsten ist wohl das Baur TC Cabrio, eine offene Version des 3er BMW der Baureihe E21. Wie heute beispielsweise beim Smart Cabrio ließ sich beim 3er der Mittelteil des Dachs herausnehmen und ein Textilverdeck hinter der C-Säule herunterklappen.Doch als BMW 1986 die ersten eigenen Cabrios des Nachfolgers E30 auslieferte, brach die Nachfrage nach dem E30-TC-Cabrio von Baur ein. Und auch die letzte Eigenkreation, ein viertüriges Cabrio des E36, fand nicht genügend Käufer. Baur musste 1999 Konkurs anmelden. Dabei war die Stuttgarter Firma einst Hoflieferant für BMW. Sie war eng in die Entwicklung des Barockengels BMW 501/502 einbezogen und baute später sogar den legendären M1.
Karmann und Bertone schaffen es ins neue Jahrtausend
Karmann hielt 21 Jahre länger durch. Berühmt wurde der Karmann Ghia, der sechs Jahre nach dem offenen VW Käfer ungeahnte Eleganz auf dieselbe Plattform brachte. Später wurde das Golf Cabrio hier gebaut und die ersten beiden Generationen des Scirocco oder der Porsche 914. Audi ließ das A4 Cabrio fertigen, BMW seit den Sechzigern alle Coupés bis zum 1989 ausgelaufenen Sechser zumindest vormontieren. Zuletzt baute Karmann für Mercedes das CLK Cabrio.Im Jahr 2010 war es vorbei mit der Selbständigkeit. Aus Karmann wurde die Volkswagen Osnabrück GmbH, die wie eh und je das aktuelle Golf Cabrio baut. Aber auch die Porsche-Modelle Cayman und Boxster, die neuerdings unter der Zahlenkombination 718 firmieren, werden heute in Osnabrück gebaut.
Kurz vor dem 100. Geburtstag musste auch Bertone die Segel streichen. Die Fabrik in Grugliasco wurde schon 2009 an Fiat verkauft, das verbliebene Design-Studio hielt bis 2014 durch, bevor es Insolvenz anmelden musste. Es befindet sich in Abwicklung.
Der Durchbruch war Nuccio Bertone, dessen vielleicht berühmtester Entwurf der Lamborghini Miura war, in den späten 1960ern mit einem Kleinwagen gelungen: dem originellen Fiat 850 Spider. Weitere Bertone-Kreationen waren: Alfa Romeo Giulia Sprint GT, Fiat X 1/9, die Karosserie des BMW 3200 CS, der Volvo 262 C oder dessen Nachfolger 780. Auch das Fiat Punto Cabrio, die diversen Cabrios des Opel Astra und das Astra Coupé (2004-2007) kamen von Bertone. Mit der Versteigerung des „Tafelsilbers“, darunter beispielsweise der Prototyp des Stratos Zero, konnte Bertone sich ab 2011 nochmal für zwei Jahre retten. Heute produziert Fiat in Grugliasco die Viertürer Maserati Ghibli und Quattroporte.Die Rückkehr des Fiat 124 Spider steht bevor
Den Vorgänger jenes Quattroporto war einer der letzten Entwürfe des anderen Grandsegnieurs italienischen Designs: Sergio Pininfarina. Der hatte nicht nur zahlreiche Ferrari entworfen, sondern ähnlich wie Bertone auch Großserientechnik elegant eingekleidet. Das Cabrio des Peugeot 504 und der Fiat 124 Spider wurden in seinen Werkshallen montiert.
Dass der bildschöne 124 Spider auf dem eckigen Fiat Polski basierte, der auch als Lada noch bis in dieses Jahrtausend gebaut wurde, mag man angesichts der eleganten Formen kaum glauben. Er war so erfolgreich, dass er nach der Einstellung durch Fiat sogar noch als Pininfarina Europaspider weiterverkauft wurde. Und wenn Fiat 2016 den Namen neu belebt, steckt unter dem Blech zwar die Technik des Mazda MX-5. Aber die Form nimmt unverkennbar Bezug auf Pininfarinas Kreation.
Neue Chance für Pininfarina mit Mahindra
Weniger Erfolg hatte der Peugeot Break Riviera, ein zweitüriges Kombi-Coupé auf Basis des 504. Nur rund 22.000 wurden produziert. Richtig schlimm traf es den Lancia Aurelia B Spider, von dem Pininfarina 250 produzierte – 50 davon gingen 1958 auf dem Weg in die USA mit der Andrea Doria unter.2010 lief mit dem Ford Focus CC der letzte bei Pininfarina gebaute Wagen vom Band. Nur zwei Jahre zuvor war Andrea Pininfarina, der um die Jahrtausendwende die Firma von seinem Vater übernahm, gestorben. Fast schon stilecht, könnte man sagen, auf seiner Vespa im Turiner Stadtverkehr. Sergio, der auch lange Jahre Präsident des italienischen Industrieverband und Mitglied des Europäischen Parlaments gewesen war, starb 2012.
Das Unternehmen stirbt noch nicht, aber es verliert seine Selbständigkeit. Dass der Käufer Mahindra in erster Linie für die Produktion von Nutzfahrzeugen und Pick-ups bekannt ist, muss dabei noch gar nichts Schlimmes bedeuten. Wer weiß, vielleicht steigt Pininfarina als Designstudio ja ganz im Gegenteil wieder zu neuem Glanz auf. Die gesamte Branche könnte das gut gebrauchen.
*Räusper* wenn ich kurz anmerken darf ihr habt bei Karmann einen der schönsten VW vergessen -> Der Corrado wurde auch bei Karmann gebaut !
Für mich damals ein Hingucker. Allerdings bei weitem nicht so zeitlos wie der Ghia.
@Redaktion: Der Spider basierte keinesfalls auf dem "Fiat Polski". Dieser war eine Lizenzfertigung des Fiat 125.
Die Basis für den Spider lieferte, wie im Namen auch ersichtlich, der Fiat 124. Dieser widerrum wurde als Lada 2101 in der ehem. UdSSR in Lizenz produziert.
Der Fiat 125p dagegen bei FSO in Polen. (Daher auch das "P" neben der Typzahl am Heck.) Zuletzt ohne den Namen Fiat, nur noch als FSO 125 benannt.
Ford Focus CC,.....brrrr - das sie sowas mit sich in Verbindung brachten 🙄🙁
..liegen ja auch nur ein paar Jahre dazwischen..??
Aber den Corrado hier nicht einmal zu erwähnen ist schon schwach...
Hatte damals den G60, einfach ein tolles Auto!!
Der grosse Karmann , da passt aber kein Fahrrad rein-
und die Grossen sind fasst aussgerottet..../ T1 Bus und Fridolin
… und der AMC Javelin, der Chrysler Crossfire, der BMW 635 CSI, das Opel Diplomat A Coupe, der Triumph TR6 und noch etliche andere interessante Modelle.
Leider geht Herr Jancke nur auf die „Standard“ Karosseriebauer ein und lässt großartige, aber kleinere Unternehmen völlig unbeachtet. Weshalb werden weder die Karl Deutsch GmbH (Ford, Opel), noch die Karosseriebauer Autenrieth (BMW, Borgward, Citroën, Opel) und Hebmüller (Borgward, DKW, Ford, Opel, VW – das Hebmüller Käfer Cabriolet ist wesentlich eleganter als sein Pendant aus Osnabrück) mit keinem Wort erwähnt?
Die Feststellung ist praktisch 1:1 auf das Verhältnis Audi TT zu VW Golf anzuwenden - wie einige Kritiker nicht müde werden, es immer wieder zu erwähnen. Naja, an dem Wort "elegant" mag man sich stoßen, der TT ist nicht elegant. Nichts Schlimmes oder Abwertendes dabei: "Gute Gene eleganter verpackt" hat sich, wie der Artikel zeigt, auch schon in der Vergangenheit schon bewährt bei "VAG" und einen Klassiker geschaffen.
Lieber Kurven als spiessige kanntige Nasen
Der schönste Wagen von Pininfarina war das Peugot 406 Coupe. Einfach zeitlos schön!
Und was heißt das alles im Ergebnis ? Das in Zukunft nur noch Geschmacksverwirrte wie Chris Bangle am Start sind - Gute Nacht 😤
Gutes Markantes Design gibt es doch heute kaum noch. Entweder hat man Geschmacksverirrte Designer
die in ihrer eigenen kleinen Welt leben und jede Sicke als Geniestreich feiern *Audi Wink* oder es kommt noch das durch Geschichten wie "WELT-Autos" also ein Design Weltweit -> Es dem Asiaten, Chinesen, Australier, Ami, Europäer und Russen gefallen muss. ( Die einzigen merkbefreiten sind da wohl die Jungs von Toyota... jedes mal wenn ich einen Prius sehe möchte ich weglaufen egal ob alt oder neu)
Dann in Europa bzw Deutschland Geschichten wie Fussgängerschutz etc was alleine auf die Frontgestaltung schon großen Einfluss hatte die letzten 15 Jahre. Die Kisten sehen von vorne doch alle gleich aus.
Und die Hersteller trauen sich das doch einfach nich mehr... Bloss kein Risiko eingehen.
Unerwähnt blieb zur Firma Baur im Text, das dort auch die halboffene Opel Kadett C Variante namens Aero gefertigt wurde....mit Faltverdeck und Hardtop.
Gruß aus dem Sauerland
Hallo Herr Jancke,
zu den Bildbeschriftungen: Unterm Blech des Fiat 124 Spider steckt der spätere Lada. Polski-Fiat war der kantige Nachfolger des Fiat 500.