PTScientist Audi Lunar Quattro: Mission zum Mond

Das nächste Mondauto kommt aus Berlin

verfasst am Sat Jan 06 07:16:09 CET 2018

2019 sollen zwei Autos aus Berlin zum Mond fliegen. Nur: Warum sollen die dort alte Autos untersuchen, wieso tragen sie das Audi-Logo und was hat Elon Musk damit zu tun?

Das Mondauto "ALQ" des Berliner Weltraum-Start-ups: Google ist inzwischen nicht mehr an Bord, Audi unterstützt vor allem mit Leichtbaukompetenz
Quelle: Audi

Berlin – Wenn Robert Böhme erzählt, dass er zwei ferngesteuerte Autos auf den Mond schicken will, schütteln die meisten Zuhörer den Kopf. Doch Böhme ist kein Spinner. Ein Nerd vielleicht, ja. Aber die Pläne des Berliners sind weit gediehen. Schon 2019 soll die Mission starten: Eine Rakete soll seine beiden Rover auf einer speziellen Landekapsel zum Mond bringen.

Dabei war Böhmes Mondauto schon mal weiter weg, zumindest virtuell. Der Rover hat die Besatzung eines Kolonieschiffs bei der Erforschung eines unberührten Planeten unterstützt, und zwar im Hollywoodfilm „Alien: Covenant“. Der Planet war eigentlich Neuseeland. Versuchsrunden haben die Fahrzeuge von Böhmes Firma PTScientist außerdem auf Teneriffa und in Berlin gedreht.

Nächste Station: Mond. Bisher haben es nur sechs Fahrzeuge dorthin geschafft. Böhme und seine Mitarbeiter sind keine Weltraumwissenschaftler oder Luft- und Raumfahrtingenieure. Sie sind Enthusiasten, die an eine Idee glauben. Das tun sie so überzeugend, dass sie mittlerweile Unterstützung von Raumfahrtbehörden, Unis und Unternehmen erfahren.

Ideengeber Google

"PT-Scientist" Karsten Becker steuert den ALQ: Demnächst wollen die Forscher den Rover über eine große Distanz fernsteuern
Quelle: Audi

Der Weg bis dahin war weit: Vor rund neun Jahren erfuhr Robert Böhme von einem Freund, dass die Google-Gründer einen Wettberwerb ausgeschrieben hatten. Wer zuerst mit privaten Mitteln ein Fahrzeug auf den Mond bringt, dort 500 Meter fährt und Livebilder in hoher Qualität zur Erde sendet, sackt bis zu 20 Millionen Dollar ein. „Mich begeistert die Raumfahrt schon seit meiner Kindheit“, sagt Böhme. Spontan trommelte der heute 31-Jährige ein paar Freunde zusammen, erstellte ein Konzept und meldete sich für den Wettbewerb an – ohne zu wissen, worauf er sich da überhaupt einlässt.

Bis dahin verbanden Böhme allenfalls Science-Fiction-Filme mit der Raumfahrt. Der in Berlin geborene IT-Experte beriet unter anderem die Bundesregierung in Sicherheitsfragen. „Dass es so schwierig werden wird, habe ich nicht geahnt. Als Laien in der Raumfahrt mussten wir uns mit Astronomie und Raumfahrttechnik auseinandersetzen“, sagt er. Aus dem Google-Wettbewerb, der Ende 2017 auslief, haben sich PTScientist mittlerweile verabschiedet. Mit dem Start ihrer Rakete 2019 würden sie ihn wahrscheinlich trotzdem gewinnen.

Apollo-Pionier tüftelt an Flugbahn

Das Team PTScientist bestand anfangs nur aus Ehrenamtlichen. Aus Freunden, die die Mondmission als Hobby sahen. Daher auch der Name, das "PT" in "PTScientists" stand für "Part-Time", Teilzeit. Mittlerweile beschäftigt Böhme 18 Angestellte in Berlin und etwa 20 freie Mitarbeiter. Darunter ehrenamtliche Ingenieure, Programmierer, Mathematiker und Physiker aus der ganzen Welt. Mit Jack Crenshaw ist sogar ein Raumfahrtpionier aus dem Apollo-Programm dabei. Er berechnete Flugbahnen für die NASA.

Die Landefähre haben die Berliner ebenfalls entwickelt. Sie soll gegen Bezahlung Fracht zum Mond bringen
Quelle: Audi
Jetzt tüftelt Crenshaw an der perfekten Flugbahn der Mondlandefähre ALINA. Auf dem „Autonomous Landing and Navigation Module“ stehen die beiden Rover. „Mit den Jahren sind wir professioneller geworden und arbeiten mit einem festen Team, das sich ausschließlich der Mission widmet. Deshalb nennen wir uns jetzt nur noch PTScientists“, sagt Böhme. Aus dem Hobby wurde ein Vollzeitjob. Einer, dem alles untergeordnet wird.

Der Zeitplan ist stramm. ALINA soll 2019 mit den beiden Mondfahrzeugen von Cape Canaveral aus in die Erdumlaufbahn starten. Zum Einsatz kommt eine kommerzielle Trägerrakete Falcon 9 von Elon Musks Firma SpaceX. Etwa fünf Tage braucht sie für die knapp 400.000 Kilometer bis zum Mond. Dann landet sie automatisch, mit großem Sicherheitsabstand zur Apollo-17-Landestelle. Das Ziel: Die Rover sollen an die Landestelle der letzten bemannten Mission von vor 45 Jahren zurückkehren. Dort sollen sie eine Reihe von Experimenten durchführen, die die NASA und mehrere europäische Universitäten in Auftrag gegeben haben.

Mission: Alten Rover untersuchen

Rund fünf Kilometer müssen die Rover zurücklegen, über Stock, Stein und sehr viel weichen Sand. Sie sollen den damals zurückgelassenen Rover von Apollo 17 mit Spektralkameras untersuchen. „Wir wollen wissen, was nach über 45 Jahren Weltraumwetter mit den teils verrückten Materialmischungen aus Plastik, Leder, Klaviersaiten, Nylon und Klebeband passiert ist. Das hilft uns und der Europäischen Agentur für Luft- und Raumfahrt (ESA) zu verstehen, welche Materialen für zukünftige Installationen auf dem Mond wie das ESA Monddorf geeignet sind“, sagt Böhme. Denn auf dem Mond gibt es zwar weder Atmosphäre noch Wind, aber große Temperaturschwankungen und aggressiven Mondstaub.

Damit die Rover aus Berlin nicht steckenbleiben, testen und experimentieren die PTScientists in einer mit Sand vollgeschütteten Halle. Im obersten Stock eines schmucklosen Zweckbaus im Berliner Osten basteln Mitarbeiter in einem Reinraum an der empfindlichen Elektronik, eine Tür weiter surren ein paar Elektromotoren. Es riecht nach Lötzinn und nach Zukunft.

Bei Leichtbau kommt Audi ins Spiel

Gut einen Meter lang, 75 Zentimeter breit und etwa 30 Kilogramm schwer sind die Rover. Das muss reichen. Jedes Kilogramm, das ins All geschossen wird, kostet Geld. 85 Prozent der Fahrzeuge besteht aus Alu. Und deshalb heißen die Mondautos "ALQ", für "Audi Lunar Quattro". Der Autobauer aus Ingolstadt unterstützt die Berliner beim Thema Leichtbau. Die Räder etwa entstanden im Alu-3-D-Drucker bei Audi: Nur der kann die extrem dünnen und sehr stabilen Räder drucken. Dafür darf Audi sein Logo auf der Rovernase mit ins All schicken.

Robert Böhme (2. v. l.) hatte eigentlich nichts mit Raumfahrt zu tun, bis er von einem Google-Wettbewerb erfuhr. Beim ehemaligen Apollo-Ingenieur Jack Crenshaw sieht das anders aus
Quelle: Audi
Auf dem Mond orientiert sich der Rover mit Hilfe von vier Kameras. Die Elektromotoren an den frei beweglichen Rädern leisten 80 Watt. Bei etlichen Tests im Sand der Vulkankrater auf Teneriffa oder in der Wüste von Katar rutschte er mit bis zu 3,6 km/h durch die Gegend. Ganz flott für ein Mondfahrzeug und eine Herausforderung für die Steuerung.

Anfang 2018 sollen die Rover wieder in die Wüste. Das Neue: Diesmal werden die Fahrzeuge aus Berlin ferngesteuert. „Entscheidend wird sein, dass der Rover nicht steckenbleibt. Er muss immer ausreichend Bodenfreiheit besitzen, alle Räder müssen stets lenkbar und mit genügend Energie versorgt sein“, sagt Böhme.

Der Tag hat 700 Stunden

Für die Stromversorgung der Elektromotoren sorgen Solarpanels, die bis zu 90 Watt produzieren. Auch sie lassen sich frei schwenken und so stets optimal zur Sonne ausrichten. „Wir wollen so lange wie möglich auf dem Mond aktiv sein, deshalb landen wir direkt zu Anfang eines Mondtages. Tagsüber herrschen dort rund 120 Grad Celsius, nachts geht es runter auf minus 180 Grad Celsius. Zum Glück dauert ein Mondtag etwa 700 Stunden“, sagt Böhme.

Die eigentliche Reise zum Mond erwartet er eher entspannt. Je nach Starttag dauert es zwischen drei und fünf Tagen bis zur Landung, eventuell länger. „Die schwierigste Aufgabe ist die Landung selbst. Wenn ALINA zu schnell auf der Mondoberfläche aufsetzt, könnten die ALQ Rover beschädigt werden“, sagt er.

Klappt alles nach Plan, soll die Mondlandefähre viele Jahre auf dem Mond funktionieren und als Außenposten und LTE-Basisstation dienen - neben Audi zählt auch Vodafone zu den beteiligten Unternehmen. Auch die beiden Rover bleiben auf dem Mond, denn eine Reise zurück zur Erde wäre zu teuer. Da die Internationale Raumstation ISS bald geschlossen wird, glaubt Böhme, dass die Fahrzeuge nicht lange allein bleiben. „Der Mond ist ein Sprungbrett ins All. Von hier aus gelangen wir als Menschheit überall hin“, sagt er.

So wollen die Forscher Geld verdienen

Die Kosten für dieses Sprungbrett ins All sollen schon bald deutlich sinken. Im Vergleich zu bisherigen Missionen, die mindestens 250 Millionen Euro kosteten, will PTScientist mit weniger als 50 Millionen auskommen - und dabei Geld verdienen.

Und zwar so: Das Raumschiff ALINA haben sie ebenfalls selbst entwickelt. Es kann knapp 100 Kilogramm Ladung zum Mond transportieren. PTScientist bietet den Transport von einem Kilo Fracht für 750.000 Euro an. Damit sich das lohnt, sollen die Rover noch weiter abspecken. „Das ist eigentlich günstig, wenn man sich überlegt, dass man als Universität, Agentur oder Unternehmen seine Technologie, seine Experimente und Forschung auf den Mond bringen kann“, sagt Böhme. Und meint das völlig ernst.

Die leichten, stabilen Aluräder stammen aus dem Ingolstädter 3-D-Drucker. Mit dem Allradantrieb des Rovers hat Audis "Quattro" aber nichts zu tun
Quelle: Audi
"PT-Scientist" Karsten Becker steuert den ALQ: Demnächst wollen die Forscher den Rover über eine große Distanz fernsteuern
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Knapp 400.000 Kilometer sind es bis zum Mond. Spannender als der Flug sei die Landung - und die Frage, ob die Steuerung über diese Distanz funktioniert
Quelle: Audi
Auf dem Mond soll der ALQ den zurückgelassenen Rover von Apollo 17 untersuchen
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Für die Energieversorgung sind die Solarmodule des Rover zuständig
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Fahreigenschaften testen die Forscher auf einer nachgestellten Mondoberfläche - in einer Halle im Berliner Osten
Quelle: Audi
"quattro" steht drauf - aber den Allradantrieb haben die Berliner selbst entwickelt. Audi hilft vor allem mit Kompetenz und Ressourcen im Aluminiumbau
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Die Landefähre haben die Berliner ebenfalls entwickelt. Sie soll gegen Bezahlung Fracht zum Mond bringen
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Die Forscher experimentieren mit unterschiedlichen "Reifen"-Profilen
Quelle: Audi
Die Räder aus Aluminium kann so in Deutschland nur Audi drucken
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Bis zum Start sollen die Mondautos noch etwas leichter werden
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PTScientist Audi Lunar Quattro
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PTScientist Audi Lunar Quattro
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Robert Böhme (2. v. l.) hatte eigentlich nichts mit Raumfahrt zu tun, bis er von einem Google-Wettbewerb erfuhr. Beim ehemaligen Apollo-Ingenieur Jack Crenshaw sieht das anders aus
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PTScientist Audi Lunar Quattro
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