Visio.M: Elektroauto der TU München

Das winzige Elektro-Großprojekt

Constantin Bergander

verfasst am Fri Jun 20 14:06:01 CEST 2014

Die Technische Universität München tüftelt an einem Elektro-Auto, das alles besser macht: Der „Visio.M“ soll sparsam, sportlich und günstig sein. Erste Details.

Flink, günstig und praktisch soll der Visio.M sein. Das fertige Auto soll ohne Batterie 450 Kilogramm wiegen und weniger als 20.000 Euro kosten
Quelle: MOTOR-TALK

Neubiberg – Die Forscher der TU München können die Lücke zwischen Theorie und Praxis genau beziffern: vier Monate ist sie groß. So lange dauert es noch, dann fährt ihr Elektroauto-Projekt „Visio.M“ so, wie es der Computer berechnet hat. Ein sparsames, günstiges Elektroauto, dem die Entwickler sogar Sportliches nachsagen. Außerdem soll er mehr Kofferraum bieten als ein Mittelklassewagen. Ein stromsparendes Wollmilchauto.

Elf Millionen Euro hat das Projekt insgesamt gekostet. Die eine Hälfte kommt vom Staat, die andere von Partnern. Unter ihnen sind bekannte Namen wie BMW, Daimler, Continental, Siemens und Webasto. Der Visio.M sei trotzdem ohne Einfluss von Serienmodellen entstanden – er basiere lediglich auf der Vorgänger-Studie „Mute“.

Visio.M: Elektro-Flitzer mit 20 PS

Die TU München hat den Vorläufer MUTE zu Visio.M-Prototyp bereits auf der IAA 2011 in Frankfurt gezeigt
Quelle: MOTOR-TALK
„Zulassungsfähig wäre er wahrscheinlich jetzt schon“, schätzt Prof. Dr.-Ing. Markus Lienkamp. Der Prototyp wirkt noch sehr provisorisch: Lenkrad, Lichtschalter und Kühlmittel-Ausgleichsbehälter stammen von verschiedenen Audi-Modellen. Im Beifahrer-Fußraum liegen diverse Anschlüsse für den Datenbus, ein Steuergerät klebt mit Panzerband am Mitteltunnel.

„Motor und Batterie entsprechen noch nicht dem endgültigen Stand“, erklärt Dipl.-Ing. Patrick Stenner. Außerdem befinden sich unter dem bunten Lack noch rund 30 Kilogramm Spachtelmasse, ergänzt Lienkamp schmunzelnd. Auf einer Messe zählt ein hübsches Kleid mehr als das Idealgewicht.

Das beträgt laut Datenblatt 450 Kilogramm. Ohne Batterie, Fahrer, Flüssigkeiten und Zusatzausstattung, aber mit Motor, Eingang-Getriebe und Leistungselektronik. Damit gehört der Visio.M zur gleichen Zulassungsklasse wie ein Renault Twizy. Hier und heute fährt der Flitzer noch etwa 150 Kilogramm Übergewicht spazieren.

Elektroauto zum Neupreis eines VW Golf

Auf den Datenblättern der Entwickler hat der Visio.M aber längst abgespeckt. Das fahrbereite Auto soll inklusive Fahrer künftig etwa 625 Kilogramm auf die Waage bringen. Aluminium-Rahmen, Carbon-Monocoque und Motorrad-Bremse stecken bereits im Prototyp. Servolenkung oder einen Bremskraftverstärker gibt es nicht, dafür aber ABS und ein programmierbares ESP.

Sitzprobe im Visio.M: MOTOR-TALK-Redakteur Constantin Bergander im Elektro-Projekt der TU München
Quelle: MOTOR-TALK
Trotzdem soll der Elektro-Zweisitzer nicht teurer werden als ein Kleinwagen mit Verbrennungsmotor. Der Preis wird irgendwo zwischen 15.000 und 20.000 Euro liegen. Die Mehrkosten zum Sprit-Säufer oder Erdgas-Verdichter amortisieren sich nach etwa vier bis fünf Jahren über die Stromkosten von 2,50 Euro pro 100 Kilometer. Voraussetzung für die ganze Rechnung sei eine Mindestproduktion von 50.000 Exemplaren pro Jahr.

Kompromisse für einen hohen Nutzwert

Wer alles können will, der muss viele Kompromisse eingehen. Der sportliche Gedanke des Visio.M versteht sich deshalb nicht auf dem Niveau eines Porsche 911. Das verhindern schon die Reifen, die an Fahrrad-Pneus erinnern: Auf den selbstgebauten Felgen stecken die Hinterreifen eines VW XL1 in der Dimension 115/70 R16.

Ohnehin soll der Visio.M eher pragmatisch sein. Zwei Personen sollen mit etwas Gepäck (500 Liter) bis zu 100 Kilometer weit durch Mitteleuropa fahren können. Das ergibt Maße, die sich irgendwo zwischen einem japanischen Kei-Car und einem VW Up einordnen.

Die Sitze sind selbst gebaut, das Lenkrad stammt von einem Audi
Quelle: MOTOR-TALK
Lienkamp betont, dass der Visio.M die angepeilte Reichweite im Alltag schaffen wird. „Nach NEFZ-Vorgaben liegt er wahrscheinlich irgendwo bei 160 Kilometern“, denkt er laut. Dabei helfen eine winzige Stirnfläche (1,69 m²), ein guter cW-Wert (derzeit bei 0,24) und der Widerstands-optimierte Antrieb.

TUM Visio.M: Kleiner Sport mit großer Technik

Zurück zum Sport: Das Universitäts-Projekt darf auf keinen Fall eine müde Elektro-Möhre werden. Eine optimistische Aufgabe bei einer Motorleistung von 15 Kilowatt (etwa 20 PS, kurzzeitig 30 kW), 80 Newtonmeter Drehmoment und Fahrradreifen an den Achsen. Flinke Beschleunigung steht nicht zur Debatte – Tempo 100 erreicht der Visio.M erst nach knapp 13 Sekunden. Trotzdem, das versprechen alle Entwickler, fühlt er sich unglaublich sportlich und agil an.

Eine erste Sitzprobe bestätigt den sportlichen Eindruck – im Innenraum gibt es schließlich nur das Nötigste. Auf einem Handling-Parcours demonstrieren die Techniker dann ihre Lösung für das Leistungsdefizit: Mit einem tiefen Schwerpunkt (45 Zentimeter), wenig ungefederter Masse und Torque Vectoring an der Antriebsachse wedelt der Flitzer flink und flott um die Pylonen. Eigene Fahreindrücke dürfen wir aber erst im Oktober sammeln.

Die Industrie bestimmt die Serienfertigung

Ob aus der Studie bald ein cooles Single-Mobil oder Muttis Einkaufswagen wird, das entscheiden die Partner. Eine Serienumsetzung ohne Änderungen scheint quasi ausgeschlossen, da sind sich alle einig. Aber vielleicht schafft es ja zumindest die Idee des praxistauglichen, günstigen Elektro-Autos auf den Fahrzeug-Markt.

Visio.M: Technische Daten

  • Motor: Asynchron E-Maschine mit Flüssigkeitskühlung
  • Akku: 380 Volt, 13,5 kWh
  • Leistung: 15 kW, 30 kW Peak-Leistung
  • Max. Drehmoment: 80 Nm
  • Verbrauch: 57 Wh/ km (etwa 0,6 l/100 km Super)
  • Reichweite: Mindestens 100 km, bei normalen Bedingungen ca. 160 km
  • 0 - 100 km/h: 12,8 s
  • Höchstgeschwindigkeit: 120 km/h
  • Leergewicht: 450 kg, zzgl. Batterie (92 kg), Fahrer und Zusatzausstattung
  • Preis: ca. 15 bis 20.000 Euro
  • Länge x Breite x Höhe in m: 3,55 x 1,55 x 1,61
  • Kofferraum: 500 l

 

Quelle: MOTOR-TALK

Der Prototyp wurde vor allem für Fahrdynamik-Tests genutzt
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Hinter Eigenbau-Felgen steckt eine Motorrad-Bremse
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Eine frühe Studie zeigt den Alu-Rahmen und die Raumverhältnisse
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Die TU München hat den Vorläufer MUTE zu Visio.M-Prototyp bereits auf der IAA 2011 in Frankfurt gezeigt
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Mit einer vierstündigen Akkuladung soll der Visio.M 100 Kilometer weit fahren
Quelle: MOTOR-TALK
Bei der Kreisfahrt hängt der Visio.M problemlos einen VW Up ab
Quelle: MOTOR-TALK
Sportlichkeit durch geschickte Tricks: Trotz magerer Leistung und schmalen Reifen soll der Visio.M flink und agil fahren
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Sitzprobe im Visio.M: MOTOR-TALK-Redakteur Constantin Bergander im Elektro-Projekt der TU München
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Die Sitze sind selbst gebaut, das Lenkrad stammt von einem Audi
Quelle: MOTOR-TALK
Steckersammlung im Beifahrerfußraum: Hier haben die Entwickler Zugriff auf die Fahrzeugdaten
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Im Innenraum herrscht noch Unordnung. Einige Teile sind mit Spax-Schrauben oder Panzer-Band fixiert
Quelle: MOTOR-TALK
Provisorium unter der Heckklappe: Hier soll es später einen 500 Liter großen Kofferraum geben
Quelle: MOTOR-TALK