Pistenbully 600

Der Herr der Piste

MOTOR-TALK

verfasst am Sat Dec 29 13:42:14 CET 2012

In einem Pistenbully die Welt zu erkunden, davon träumen viele Jungen. Gefahren wird dieses Gefährt dagegen nur von sehr wenigen Männern. Einen haben wir dabei begleitet.

400 PS und 1900 Nm Drehmoment. So einen Pistenbully hält so schnell nichts auf
Quelle: Pistenbully

Von Motor-Talk-Reporter Fabian Hoberg

Alpbachtal, Tirol - Man muss kein cooler Typ sein, um einen Pistenbully zu steuern. Aber Kälte sollte einem nichts ausmachen. Höhe sowieso nicht. Und auch nicht der Blick von oben steil - also fast senkrecht - nach unten.

Dieser Blick lässt mich gerade vergessen, dass mir ein Gurt die Luft abdrückt, mein Herz schneller schlägt und das Blut sich in meinen Armen staut.

Den Nylonriemen jetzt zu lösen würde bedeuten, die eisige Frontscheibe brutal zu küssen. Denn die Pistenraupe, die hochoffiziell Pistenbully heißt, fährt gerade steil bergab.

Bergab mit mehr als 100 % Gefälle

Wobei fahren hier eher krabbeln, kriechen, rattern und ruckeln bedeutet. Das klingt kraftvoll. Und sehr langsam, wobei es mir gar nicht langsam genug gehen kann. Denn das Gefälle, über das dieser Pistenbully gerade rackert, hat deutlich mehr als 100 Prozent Gefälle.

Kraftwerk mit 12,8-Liter-Sechszylinder
Quelle: Fabian Hoberg

Der Mann, der uns diesen Hang hinuntermanövriert, heißt Hansjörg Lederer und hat einen Ruhepuls, bei dem Actionhelden neidisch werden. „Du brauchst keine Angst zu haben, wir hängen am Haken. Da kann nichts passieren“, sagt er.

Welcher Haken hält 8 Tonnen

Ich denke: „Verdammt, welcher Haken kann ein 8-Tonnen-Gerät halten, wenn es bergab rutscht oder fällt?

Es ist in jedem Fall ein sehr großer Haken, wie so ziemlich alles an diesem Gefährt sehr groß ist.

Der Lederer Hansjörg bei der Arbeit
Quelle: Fabian Hoberg

9,13 Meter misst der Pistenbully 600 in der Länge, mit Schneeketten 4,20 Meter in der Breite. Das Top-Modell der Kässbohrer Geländefahrzeug AG braucht eine Stellfläche wie ein kleines Reihenhaus. 12,8 Liter Hubraum hat der 400 PS starke Reihensechszylinder. Bei maximal 2000 Umdrehungen schluckt er 32 Liter – pro Stunde.

Mit diesem Arbeitsgerät pflügt und pflegt der Lederer Hans jeden Abend einen Teil der Skipisten im Tiroler Alpbachtal.

Der Job erfordert Ruhe, Routine und genaue Kenntnisse über die vielen Formen des Schnees. Jeden Abend sieht der Belag anders aus, aber jeden Morgen soll er in etwa gleich aussehen. Das bedarf mehr Könnens als einfach ein paar Mal darüber zu fräsen.

Die Ketten sind mit vielen Stahlschwertern bestückt
Quelle: Fabian Hoberg

Ein Pistenbully kostet 350 000 Euro

Besonders bei warmen Wetter oder Nebel müssen Hans Lederer und seine Kollegen den Boden konzentriert bearbeiten. „An die Dunkelheit kannst du dich gewöhnen, dafür haben wir unsere Scheinwerferbatterie auf dem Dach. Aber bei Nebel wird es gefährlich. Vor fünf Jahren bin ich in so einer dichten Suppe beinahe mit dem Fahrzeug abgerutscht.“

Für den 350 000 Euro teuren Pistenbully 600 gibt es mittlerweile ein GPS. Das zeigt neben der Lage auch die Stärke der Schneedecke an. Bei Lederer ist noch alles Erfahrungssache.

Der 46-Jährige hält den Steuerknüppel mit den vielen Tasten und Rädchen fest in der Hand und variiert ständig Höhe und Neigung der Fräsen. Ein Monitor zeigt alle möglichen Daten zu Schaufel und Fräsen an. Mit unvorstellbarer Kraft schiebt die Schaufel kleine Schneeberge weg.

Fast wie ein Rennfahrerlenkrad. Das Volant des Pistenbullys muss sicher in der Hand liegen
Quelle: Fabian Hoberg

Die breiten Ketten zermalmen dicke, eisige Brocken, hinten frisst die Fräse die Überreste klein und verdichtet alles zu einer festen, weißen Decke. Das alles geschieht während der Abendstunden; nachts sorgt der einsetzende Frost für die Vollendung des Werkes.

Skipisten zu präparieren hat etwas Urwüchsiges

Dieser Vorgang hat etwas Urwüchsiges, Erdverbundenes. Der Mensch und die Maschine im Kampf, aber auch im Verbund mit den Naturkräften. Lamellen, die sich tonnenschwer in den frostigen Untergrund beißen.

All das geschieht nur, damit am nächsten Tag bunte Kleckse über die Pisten flitzen können. Die Geschwindigkeit der Ketten steuert Lederer über ein Rad. Die Raupe ist zwar kein Renner, bewegt sich aber mit bis zu 23 km/h über die weißen Wege.

Der Tank des Pistenbully fasst 220 Liter Diesel. Genug für eine Nacht
Quelle: Pistenbully

Rundum-Leuchten erhellen die Umgebung taghell, das Mercedes-Triebwerk OM 460 LA schnauft und das Horn der Raupe jault. Es soll Skifahrer verschrecken, die dem Blechungetüm immer wieder zu nahe kommen. Das ist gefährlich, denn diese Schneeräumer werden manchmal von einem Stahlseil gesichert.

19 000 Pistenbullys wurden bislang verkauft

Seit 1969 wurden rund 19 000 Pistenbullys verkauft. In Skigebiete und zu Forschungszwecken in die Polarregionen. Seit 17 Jahren präpariert Hansjörg Lederer Pisten, je nach Schneelage von Dezember bis Ostern. Manchmal hört er Radio in seiner Raupe. Aber meist lauscht er der Musik des Pistenbullys. Wenn Schnee und Eis knirschen und brechen, der Winter unter der Last seines Kolosses stöhnt. An diesem Sound kann sich Lederer kaum satt hören, auch nach rund 900 Stunden pro Saison nicht.

 

Technische Daten: Kässbohrer Pistenbully 600

  • Länge mit All-Way-Blade und AlpinFlex-Fräse: 9,13 Meter
  • Breite ohne/mit Ketten: 2,50 Meter/4,20 Meter
  • Höhe: 2,88 Meter
  • Bodenfreiheit: 0,35 Meter
  • Gewicht: 8045 Kilogramm
  • Zul. Gesamtgewicht: 12 500 Kilogramm
  • Motor: Mercedes-Benz OM 460 LA
  • 12,8 Liter Hubraum, 6-Zylinder, 400 PS
  • Max Drehmoment 1900 Nm bei 1300 U/min
  • Verbrauch: min. 20 Liter pro Stunde, im Schnitt rund 32 Liter pro Stunde
  • Tankinhalt 220 Liter/ Zusatztank 80 Liter
  • Geschwindigkeit: stufenlos zwischen 0 und 23 km/h
  • Bremsen: verschleißfrei über hydrostatischen Fahrantrieb, Zwei-Lamellenbremse als Haltebremse
  • Windenzugkraft: 45 kN
  • Seillänge: 1050 Meter
  • Nutzbare Seillänge: 1000 Meter
  • Antriebsleistung bei 45 kN Zugkraft: 150 PS
  • Preis: ca. 350 000 Euro

 

Quelle: MOTOR-TALK

Nachts, auf dem Berg, sieht die Pistenraupe wie ein Urzeitvieh aus
Quelle: Fabian Hoberg
Kraftwerk mit 12,8-Liter-Sechszylinder
Quelle: Fabian Hoberg
Hinten sieht man das Stahlseil. Es hält den Pistenbully bei gefährlichen Passagen
Quelle: Fabian Hoberg
Die Ketten sind mit vielen Stahlschwertern bestückt
Quelle: Fabian Hoberg
Der Pistenbully 600 ist mehr als 9 Meter lang, hat aber nur zwei Sitzplätze
Quelle: Fabian Hoberg
Der Lederer Hansjörg bei der Arbeit
Quelle: Fabian Hoberg
Im Cockpit gibt es wirklich viele Schalter und Knöpfe
Quelle: Fabian Hoberg
Fast wie ein Rennfahrerlenkrad. Das Volant des Pistenbullys muss sicher in der Hand liegen
Quelle: Fabian Hoberg
Der gewaltige Sechszylinder soll nicht über 2.000 Umdrehungen drehen
Quelle: Fabian Hoberg
Wie soll der Schnee bearbeitet werden, wohin scheinen die Leuchtquellen. Hier wird es ausgewählt
Quelle: Fabian Hoberg
So ein Pistenbully lockt doch jedes Kind im Manne hervor
Quelle: Fabian Hoberg
Die Schwerter werden versetzt geführt, das gibt mehr Grip
Quelle: Fabian Hoberg
Hier sind die Metallkanten noch mit einem speziellen Beschlag versehen
Quelle: Pistenbully
pistenraupe-kaessbohrer041
Quelle: Pistenbully
Die Schaufel im Einsatz
Quelle: Pistenbully
Mit enormer Kraft zieht die Raupe den Schnee glatt
Quelle: Pistenbully
Der Pistenbully 600 ist das Top-Modell der Baureihe
Quelle: Pistenbully
Seit Anfang Dezember zieht in St.Moritz der erste dieselelektrische Pistenbully den Schnee glatt
Quelle: Pistenbully
Der Tank des Pistenbully fasst 220 Liter Diesel. Genug für eine Nacht
Quelle: Pistenbully