Mark Gutjahr: Auf der Suche nach der Autofarbe von morgen

Der Lackdesigner setzt die Farbtrends

verfasst am Thu Dec 20 10:33:11 CET 2018

Autofarben halten ein Autoleben lang – und werden ein paar Jahre vorher festgelegt. Lackdesigner wie Mark Gutjahr von BASF schauen in die Zukunft und setzt die Trends.

Gemeinsam mit seinem Team sucht Mark Gutjahr nach den Autofarben von morgen. Denn bis die fertige Farbe aufs Blech kommt, ist "morgen" bereits heute
Quelle: Fabian Hoberg für MOTOR-TALK

Münster – Mark Gutjahr hat ein Gespür für Farben. Nicht nur bei seinen Kleidungsstücken, sondern auch bei Autolacken. Mark Gutjahr ist Trenddetektiv und Farbdesigner. Es ist ein wesentlicher Bestandteil seines Jobs, ein Gespür dafür zu entwickeln, welchen Farben bei den Autokäufern der Zukunft besonders gut ankommen werden.

Zur Inspiration sammelt Mark Gutjahr farblich passende Objekte aus aller Welt
Quelle: Fabian Hoberg für MOTOR-TALK
Auf dem Schreibtisch von Mark Gutjahr liegt ein Tablett, auf dem verschiedene Utensilien in den unterschiedlichsten Blautönen ausgebreitet sind: dunkelblaues Paketband, hellblaue Schleifen und ein grünblauer Bucheinband. Ein in Kunststoff gegossener Spielzeug-Käfer schimmert bläulich-violett und scheint die Farbe zu wechseln, wenn man ihn dreht und wendet. Ein Effekt, den man von Autos kennt: "Moderne Lacke schimmern je nach Sonneneinstrahlung unterschiedlich und verändern die Farbe mit dem Winkel, aus dem man draufschaut."

Das so genannte Stimmungstablett zählt dabei zu seinen wichtigsten Werkzeugen. Wenn er bei seinen Reisen auf einen interessanten Farbton oder eine besondere Oberfläche stößt, landet das entsprechende Objekt auf einem dieser Moodboards – sortiert nach Farben. Gutjahr sammelt seine Mitbringsel ein Jahr lang auf verschiedenen Tabletts und parkt sie im Flur seines Arbeitsbereichs, so dass er sie immer im Blick hat. Der Mittvierziger arbeitet seit 15 Jahren bei BASF Coatings, seit acht Jahren ist er Chefdesigner für den europäischen Markt. Seine Firma gehört zu den führenden Herstellern von Lacken und beliefert fast alle relevanten Autobauer mit ihren Produkten – somit fahren die meisten Autos mit seinen Farbenideen. Gutjahr entschiedet oft schon fünf Jahre im Voraus, was auf unsere Autos gesprüht wird.

Nach Wahl der Marke, kommt die Farbe

Beim Autokauf kommt es zunächst auf die Äußerlichkeiten an. Mehrere Studien haben gezeigt, dass die Käufer nach der Marke und dem Modell zunächst die Farbe ihres neuen Wagens auswählen. Erst danach folgen der Motor und die Innenausstattung. Die Lackierung ist zwar kaum dicker als ein Haar, doch sie schützt die Karosserie vor Rost, Schmutz und UV-Licht – und sie kleidet nicht nur das Auto, sondern auch seinen Besitzer. Ihre Zusammensetzung ist eine Wissenschaft für sich. Ihre Farbgebung erst recht.

"Die Farbe eines Autos muss zur Marke und zum Modell passen", sagt Gutjahr. "Zusammen mit dem Design ist sie das wichtigste Alleinstellungsmerkmal der Autobauer." Sein Studio ist in der alten Villa Kaven in Münster untergebracht, einem Anwesen mit weiß verputzten Wänden und schicken Designermöbeln. Die neuen Farbkreationen entstehen auf einer Fläche von etwa 300 Quadratmetern. Von der Decke scheinen helle Leuchten, an den Wänden hängen lackierte Kunststoff-Schalen in unzähligen Schattierungen. Da Farbwahrnehmung in hohem Maße von der Intensität des Lichts abhängt, verfügt das Studio über eine spezielle Kabine, in der man die verschiedensten Lichtsituationen simulieren kann.

Apple hat unsere Autos weiß gemacht

Um neue Trends aufzuspüren, sind Gutjahr und seine Mitarbeiter viel unterwegs. Sie schauen sich auf Messen um, nehmen an Konferenzen teil und treffen Designer aus anderen Industriezweigen. "Wir suchen in Magazinen, bei Kongressen und in Kaufhäusern", sagt Gutjahr. "Wir horten Nagellacke, Modellautos und Paketbänder. Wir fotografieren Objekte, sammeln Informationen und nehmen gesellschaftliche Trends auf."

Meistens kommt nach der Wahl der Marke, die Farbe direkt an zweiter Stelle
Quelle: Fabian Hoberg für MOTOR-TALK
So wie sich die Technik und das Design von Autos mit der Zeit weiterentwickeln, verändern sich auch die Farben – und die Bedeutung, die ihnen zugeschrieben wird. Während Weiß noch vor zehn Jahren als langweilig galt, impliziert ein weißer Lack heute Technologieführerschaft – eine Eigenschaft, die zuvor eher silberfarbenen Oberflächen zugesprochen wurde. "Handys und Stereoanlagen waren früher oft silberfarben, das hatte etwas technisch Anspruchsvolles", erklärt Gutjahr. Doch mit dem Erfolg von iPod und iPhone ist puristisches Weiß wieder schick: Seit 2007 steigt der Anteil weiß lackierter Fahrzeuge auf Europas Straßen kontinuierlich, inzwischen liegt er bei etwa 30 Prozent. So viele weiße Autos gab es zuletzt Mitte der Achtzigerjahre.

Im Laufe der Jahre sind immer neue visuelle Effekte hinzugekommen. Die Lacke glänzen und glitzern, sie enthalten spezielle Glimmerpartikel oder sind von einer feinen Struktur durchzogen. Manchmal scheinen sie sogar von innen zu leuchten. "Es gibt aber auch Farben und Effekte, die wir noch nicht aufs Autos bringen können", sagt Gutjahr. Dazu zählt zum Beispiel Vantablack aus gerichteten Kohlenstoffnanoröhren, das schwärzeste Schwarz, das es überhaupt gibt.

Die Entwicklung eines Farbtons dauert zwischen 3 und 7 Jahren

Um herauszufinden, ob ein Farbkonzept, das im Color Design Studio von BASF entwickelt wurde, auch umsetzbar ist, geht der Designer mit Fotos, Ideen und seinem prallgefüllten Stimmungstablett voller farbiger Objekte zum Lacklaboranten. Der entwickelt gemeinsam mit ihm und den Ingenieuren einen widerstandsfähigen Industrielack – und gemeinsam mit den Farbspezialisten der Autohersteller die Farbtöne für die Produktion. Es folgen Kurzzeit- und Langzeittests mit Steinschlag, Regen und Schnee, mit Salz und Sonne. Zum Schluss kommt die technische Abnahme.

In Langzeittests werden die Lacke Steinschlägen, Regen und Schnee, Salz und Sonne ausgesetzt
Quelle: Fabian Hoberg für MOTOR-TALK
Die Außenhaut des Fahrzeugs wird mit bis zu fünf hauchdünnen Schichten überzogen. Auf eine Vorbehandlung der Karosse erfolgt die kathodische Tauchlackierung, die vor Korrosion schützen soll. Daraufhin werden eine Füllschicht, ein oder zwei Schichten vom farbgebenden Basislack und schließlich der Klarlack aufgetragen. Nur wenn die einzelnen Schichten Schritt für Schritt unter stabilen Bedingungen angebracht werden, erhält der Lack die gewünschte Qualität.

Für einen neuen Farbton benötigt Gutjahr deshalb mindestens drei Jahre, für spezielle Effekte brauchen sie sogar bis zu sieben Jahre. Alleine die Langzeitversuche dauern über ein Jahr, dazu kommen die Abstimmungen in den Entscheidungsgremien und das komplizierte Mischen des gewünschten Farbtons.

Pink und Rosa sind schwierig

Für alle Farben gilt dabei der Grundsatz: Sie müssen beständig sein und sowohl die Beanspruchung durch Wind und Wetter überdauern als auch saisonale Modeerscheinungen. Im Gegensatz zu Textilien, deren Farbtrends alle halbe Jahre wechseln, müssen Autolacke lange aktuell bleiben, nämlich bis zu neun Jahre. "Wir können deshalb keinen kurzlebigen Trends hinterherlaufen", sagt Gutjahr.

Es komme aber vor, dass die Farbpalette einer Marke im Laufe der Jahre ihren Charakter verändere. Als BMW im Jahr 2001 den neuen Mini vorstellte, passten bunte und flippige Farben zum Image des Cityflitzers. Mittlerweile sind die kleinen Autos für Großstadtsingles zu regelrechten Familienkutschen herangewachsen – und das macht sich auch bei den Farben bemerkbar. Gedeckte Töne wie Weinrot sollen stilvoll und gesetzt wirken, passend zu jungen Familien.

Die Entwicklung eines Farbtons dauert, je nach Komplexität, zwischen drei und sieben Jahren
Quelle: Fabian Hoberg für MOTOR-TALK
Doch nicht nur die Farbtöne entwickeln sich, sondern auch das Farbempfinden. Die Mode von vor zehn Jahren funktioniert auf neuen Modellen nicht mehr. Grundsätzlich schwierig seien Pink und Rosa, sagt Mark Gutjahr. Auf großen Oberflächen sehen diese Farbtöne künstlich aus, sie wirkten billig und man sehe sich schnell daran satt. Eigenartigerweise stimme die Lackierung, für die sich ein Autokäufer entscheide, oft nicht mit seiner persönlichen Lieblingsfarbe überein: "Sonst wären bei uns hauptsächlich blau lackierte Autos unterwegs."

Gutjahrs aktuelle Favoriten sind das Karmesinrot von Porsche, das Mediterranblau von BMW und das Solarbeamgelb vom Mercedes-AMG GT – leuchtende Farben, die eine intensive Wirkung haben, ohne zu schreien. "Mit diesen Farben geben die Besitzer ein klares Statement ab", sagt Gutjahr. Oft seien die Farbpräferenzen abhängig vom Alter: "Als junger Mensch will man auffallen und als sportlich gelten. Das funktioniert am besten mit bunten Farben." Mit fortschreitendem Alter verlören die meisten Menschen jedoch das Interesse an knalligen Farben und bevorzugten stattdessen zurückhaltende und gedeckte Töne. Nur bei Sportwagen sei das anders, durch die Verbindung zum Rennsport haben knallige Farben in diesem Segment eine lange Tradition.

Die Farbtonwahl als Gesellschaftsbild

Mit beinahe ebenso großem Eifer wie an der Zusammensetzung der Farbtöne feilen die Designer an den Namen für ihre Kreationen: Die Blautöne aus dem Designstudio von BASF Coating heißen ASMR Blue, Deep Dive oder Raingarden. Um möglichst hochwertig und exklusiv zu klingen, legen die Marketingabteilungen der Automobilhersteller oft noch einen drauf. Mercedes zum Beispiel bezieht sich bei der Namensgebung vorwiegend auf Mineralien oder Edelsteine und kreiert Wortschöpfungen wie Iridiumsilber, Kallaitgrün, Elbaitgrün oder Obsidianschwarz.

In einem speziellen Raum testet Gutjahr verschiedene Lichtverhältnisse
Quelle: Fabian Hoberg für MOTOR-TALK
In den nächsten Jahren werden verstärkt dunkle Farben auf den Straßen zu sehen sein, darauf deuten die gesellschaftlichen Entwicklungen Mark Gutjahr zufolge hin. In unsicheren Zeiten suchten die Menschen nach Schutz und Sicherheit, das spiegele sich auch in der Farbwahl beim Autokauf. Wieder im Kommen sei zudem Blau in allen Abstufungen.

Das Spektrum reiche dabei von leichten Blautönen, die Silberlacke durchziehen und eher zu erahnen als zu sehen sind, bis hin zu ganz dunklen Schattierungen, die fast schon schwarz wirken. "Blau ist eine Hightech-Farbe und schlägt eine Brücke in die digitale Welt, die im Cockpit immer stärker präsent ist", sagt Gutjahr. In seinem Moodboard finden sich dazu verschiedenfarbige Nähgarne, Nagellacke und Modellautos.

Sein erstes eigenes Autos war ein weißer Lancia Y, den ihm seine Mutter überlassen hatte. "Die Farbe war mir damals egal", erinnert sich der Designer. "Ich war froh, dass ich überhaupt ein Auto besaß." Inzwischen fährt er einen braunen Porsche 924 S, der schon 30 Jahre auf dem Buckel hat. Drei Jahre lang durchforstete er die Inserate in den Oldtimer-Zeitschriften nach einem Modell mit der passenden Lackierung, bis er seinen Traumwagen in Nougatbraun-Metallic fand. "Die Farbe sieht toll aus und passt wunderbar zu diesem Auto und seiner Geschichte", sagt Gutjahr.

Der 924 war einst ein ungeliebtes Kind von VW, bis Porsche die Produktion übernahm und das Modell international erfolgreich machte. "Er liegt satt auf der Straße und lässt sich auch im Winter gut fahren. Und für so ein altes Auto wird die Heizung schnell warm." Der alte Porsche ist für ihn ein gutes Alltagsauto mit ausreichend Platz – und der perfekten Farbe.

In einem speziellen Raum testet Gutjahr verschiedene Lichtverhältnisse
Quelle: Fabian Hoberg für MOTOR-TALK
In den kommenden Jahren werden vermehrt dunkel-lackierte Autos auf den Straßen unterwegs sein, so Gutjahr
Quelle: Fabian Hoberg für MOTOR-TALK
In Langzeittests werden die Lacke Steinschlägen, Regen und Schnee, Salz und Sonne ausgesetzt
Quelle: Fabian Hoberg für MOTOR-TALK
Meistens kommt nach der Wahl der Marke, die Farbe direkt an zweiter Stelle
Quelle: Fabian Hoberg für MOTOR-TALK
Durch die lange Entwicklungsdauer muss Gutjahr schon heute die Trendfarben von morgen kennen
Quelle: Fabian Hoberg für MOTOR-TALK
Zur Inspiration sammelt Mark Gutjahr farblich passende Objekte aus aller Welt
Quelle: Fabian Hoberg für MOTOR-TALK
Die Entwicklung eines Farbtons dauert, je nach Komplexität, zwischen drei und sieben Jahren
Quelle: Fabian Hoberg für MOTOR-TALK