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Der Mercedes 190 SL – ein deutscher Stern für Amerika

verfasst am Mon Aug 17 09:55:48 CEST 2009

1954 präsentierte Mercedes-Benz auf der International Motor Sports Show in New York den legendären 300 SL Flügeltürer und gleichzeitig den 190 SL Roadster.

Damit war der 190 SL vom ersten Tag an der kleine Bruder des großen 300 SL und ist es bis heute geblieben. Die Preise für 300 SL, egal ob Roadster oder Flügeltürer sind seit ihrem Erscheinen in Preisregionen angelangt, die nur wenigen Sterblichen erreichbar sind. Der 190 SL hingegen ist je nach Zustand ein Auto, das auch für Durchschnittsverdiener finanzierbar ist. Grund genug, dem 190 SL einmal unters Blech zu schauen und zu erforschen, wo die Stärken und Schwächen des schönen Roadsters liegen.

Zur Historie des Mercedes 190 SL

Was haben ein Porsche 356 Speedster, der BMW 507 und die Mercedes 300 SL Flügeltürer und Roadster mit dem 190 SL gemeinsam? Alle diese Premium-Klassiker entstanden auf Anregung des amerikanischen Auto-Importeurs Max Hoffman. Der führende Auto-Importeur in den USA holte neben VW, Porsche, BMW und Mercedes auch die Automobile von Jaguar und Austin Healey in das, zumindest damals noch, reiche Land USA. Aber auch Exoten war Max Hoffman durchaus zugetan und verkaufte in den Staaten einen beträchtlichen Teil der französischen Facel Vega Gesamtproduktion. null

Geburtsstunde zweier Autoträume: New York, 6. Februar 1954

Das Tempo, in dem der Mercedes 190 SL (Baureihe W 121) entwickelt und auf die Räder gestellt wurde, war ein Paradebeispiel für die Leistungsfähigkeit von Daimler-Benz: Im September 1953 fällte der Vorstand die Entscheidung zur Produktion und ganze 5 Monate(!) später, am 6. Februar 1954 stand ein Prototyp des 190 SL auf der New Yorker

Motorshow neben dem neuen 300 SL Flügeltürer. Bis zum Anlauf der Serienproduktion dauerte es freilich noch etwas:

Die ersten Kundenfahrzeuge wurden im Mai 1955 ausgeliefert, die letzten verließen im Februar 1963 die Sindelfinger Werkshallen. Nach Angaben des Werks wurden insgesamt 25.881 Wagen produziert, 10.368 davon gingen in die USA.null

Der New Yorker Ur-SL noch mit Lufthutze, anderer Motorhaube und betonten Heckkotflügeln

Über die gesamte Produktionszeit gab es nur eine Motorisierung, die mit einer unveränderten Leistung von 105 PS vom ersten bis zum letzten Produktionstag beibehalten wurde. Während der Produktion experimentierte die Mercedes Versuchsabteilung mit einer Benzin-Einspritzung und einem 3 Liter Motor. Mit einer Dieselversion des 190 SL wurden sogar Rekorde aufgestellt. Doch für die Kunden blieb es bei dem Vierzylinderreihenmotor mit 1897 cm³ und 105 PS.

Erhältlich war der 190 SL als Roadster mit Faltverdeck und optionalem Hardtop oder als Coupe, das ein abnehmbares Hardtop hatte, aber kein Faltverdeck hatte. Die gelegentlich auftauchenden Mercedes 190 SL Rennversionen, die gerne als 190 SLS bezeichnet werden, obwohl diese Bezeichnung in keiner 190 SL Werksunterlage auftaucht, sind fast immer nachträgliche Umbauten. Nur 17 Kunden sollen die auf Sonderwunsch erhältlichen, leichteren, fensterlosen und tiefer ausgeschnittenen „Sportwagentüren“ und die kleine „Sport-Windschutzscheibe“ geordert haben. Eine Option, die bereits 1956 wieder aus der Liste der 17 Sonderausstattungen gestrichen wurde. Dies lag in erster Linie daran, dass der 190 SL in der GT-Klasse antreten musste. Mercedes Rennleiter Alfred Neubauer sah hier wortwörtlich „keinerlei Chance“ für den kleinen SL. Die wenigen Kunden, die es dennoch versuchten, scheiterten meist an der Konkurrenz von Porsche.

Mercedes 190 SL in originaler Sportausführung, man beachte die Rechtslenkung Dieser Fahrer gewann mit diesem Wagen 1956 den Macao Grand Prix. Nicht die Motorleistung verhalf zum Sieg sondern Regen und die Straßenlage des 190 SL.

Wenn man den 300 SL Roadster einmal außer Acht lässt, stellt der Mercedes 190 SL den wohl schönsten Nachkriegs-Roadster der Daimler-Benz, bzw. Daimler-Chrysler, bzw. Daimler-Produktion dar. Entsprechend begehrt ist der betörend schöne „Tourensportwagen“ (O-Ton Verkaufsprospekt). Perfekte Proportionen, göttliche Kurven, eine vernünftige Sitzposition und Chrom soweit das Auge reicht. Selbst Ehefrauen lassen sich noch relativ leicht von seiner Notwendigkeit überzeugen. Schließlich ist der Kofferraum durchaus wochenendtauglich und mit dem möglichen dritten Sitz (hinten quer) ist er sogar bedingt familientauglich. Die Ersatzteilversorgung ist fast genauso gut, wie die

Wertbeständigkeit. Was also kann uns vom Kauf abhalten?

Das Manko der Leistung

Die im Prospekt genannte Leistung von 105 PS klingt ja nicht mal schlecht. Allerdings hatte Daimler-Benz schon zu Produktionszeiten immer wieder Beschwerden und Reklamationen von Kunden, deren 190 SL die angegebene Höchstgeschwindigkeit von „ca. 175 km/h“ nicht erreichten. Im ersten Prospekt hatte man sogar 190 km/h versprochen. Konstruktionsabteilung und Versuch hatten ihre liebe Mühe mit der Leistung des neu entwickelten Motors (M 121). Die Leistung dümpelte 1954 bei nur knapp über 90 PS. Obwohl später die versprochenen 105 PS

vorhanden waren, ist der 190 SL leider nicht so schnell, wie er aussieht. Zudem wird der Motor oberhalb von 4.000 U/min ausgesprochen brummig und verbreitet starke Vibrationen. Selbst eingefleischte 190 SL Fans geben nach dem zweiten Bier zu, dass „es halt ein Traktor ist, aber ein verdammt schöner!“ Wer den 190 SL überwiegend als Cruiser einsetzt und damit unter 4.000 U/min bleibt, kann richtig glücklich werden. Alle Leistungshungrigen sollten andere Klassiker ins Auge fassen.

Wie wählt man einen 190 SL aus?

Das Angebot ist groß. Der Marktplatz in Carsablanca listete am 23. Juni 2009 auf das Stichwort 190 SL satte 171 Angebote zwischen € 16.500,-- bis über € 100.000,-- auf. Zunächst sollte man sich über sein Budget und die eigene Erwartung im Klaren sein. Wer mit schlappen € 30.000,-- einen echten Zweier Zustand sucht, der wird nicht fündig werden, denn solche „Schnäppchen“ gibt es nicht.

Es gibt aber sehr viele Autos, die zwischen Note drei und vier liegen, aber als Note zwei angeboten werden. Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass professionelle Händler nie eine Zustandsnote angeben? Das liegt daran, dass man sie darauf festnageln könnte, denn eine genannte Zustandsnote ist eine juzistiable Eigenschaft und für den Verkäufer damit ein möglicher Klagegrund. Blumige Formulierungen wie „sehr gepflegt“, „aufwändig restauriert“ oder „Superzustand“ sind hingegen dehnbar wie ein totes Gummibärchen. Privatanbieter kennen oft selbst den wahren

Zustand ihres Autos nicht, weil die Sachkenntnis fehlt. Deshalb muss man immer genau und gründlich hinschauen. Am besten geht man dabei mit System vor und nimmt sich ausreichend Zeit für die einzelnen Baugruppen. Wenn Sie an einem Werktag oder Samstags vor 12 Uhr besichtigen können tun Sie dies. Klären Sie vorher ab, wo das nächstgelegene Mercedes-Autohaus ist. Dieses können Sie dann bei der Probefahrt ansteuern und nett fragen, ob Sie den 190 SL auf der Hebebühne von unten anschauen können. Abweisen wird man Sie bestimmt nicht. Nehmen Sie auch einen Bierdeckel mit. Was es mit dem auf sich hat, sage ich Ihnen später.null

Titelblatt des Prospekts von 1955

Der erste Eindruck

Besichtigen Sie nach Möglichkeit im Freien und bei sonnigem Tageslicht. Lassen Sie den SL auf sich wirken. Wenn Sie zum Besichtigungstermin kommen und der Besitzer den SL startet, achten Sie darauf wie willig er anspringt, bläut er stark aus dem Auspuff? Wenn der Wagen aus der Garage heraus gefahren ist, werfen Sie mal einen Blick auf den Boden wo er stand. Sehen Sie dort nur ein oder zwei Tropfen am Boden oder gleich ein halbes Dutzend? Sind die Chromstoßstangen dran? Wenn nicht wird es teuer. Die vordere Stoßstange z.B. besteht aus insgesamt 10 Teilen plus Keder, Schrauben und Halterungen. Unter € 4.000,-- kommen Sie da nicht weg. Wenn jetzt noch der Kühlergrill mit Stern und die hintere Stoßstange fehlen- Au Weia!

Die Karosserie

Die Karosserie ist wie bei allen Oldies der Punkt, der die höchste Aufmerksamkeit verdient. Schauen Sie sich den SL ausgiebig von allen Seiten an. Prüfen Sie zuerst den Lack: Charakteristische, ungleichmäßige Blasen und Hubbel unter dem Lack? Die findet man besonders am unteren Rand der Karosserie und an den Radlaufenden, an denen das

Spritzwasser hängen bleibt. Blasen kündigen eine kommende oder bereits bestehende Durchrostung an. Besonders unter den verchromten Steinschlagblenden nistet gerne der Rost. Lassen Sie Ihre Augen an den Spaltmassen von Türen und Motorhaube entlang wandern. Die originale Verarbeitung war legendär und die Spaltmasse der Stolz der

Karosseriewerker. Türen und Hauben haben entsprechend perfekt und bündig geschlossen. Verkäufer betonen gerne, dass schlechtes Schließen an neuen Türgummis liegt oder Einstellungssache sei. Wenn das Auto aber krumm geschweißt wurde, lässt sich da nicht mehr viel einstellen. Deshalb sind gute Spaltmaße wichtig. Als Faustregel gilt:

Wenn sich der Bierdeckel (den Sie hoffentlich mitgenommen haben) durch alle Spalten von Türen und Hauben ziehen lässt, ohne eingeklemmt zu werden, dann ist das Auto nicht krumm. Vergessen Sie nicht den Blick unter die Tür. Die Außenhaut der Türen ist aus Aluminium, der Türrahmen mit Boden aus Stahlblech. Der Türboden ist ein kritischer Bereich. Kurbeln Sie bei der Gelegenheit die Fenster gleich mal ganz rauf und ganz herunter. Abschließend ein prüfender Blick auf die Fensterschachtabdichtung und die Tür-Inspektion ist so gut wie um. Perfektionisten prüfen noch ob sich die Türen auch auf- und zuschließen lassen und zu jedem Schloß am Auto auch ein Schlüssel da ist, Handschuhfach und Tankdeckel nicht vergessen.. Prüfen Sie bei geöffneter Türe die Schweller und vor allem den Übergang von der A-Säule zum Schweller und vom Schweller zu B-Säule. Wenn Sie in der Rundung Poren im Lack finden, ist hier fast immer gespachtelt worden. Ein Qualitätsindiz ist das Einstiegsblech unter der Türe. Es war zwischen zwei hellen Kunststoff-Kedern eingesetzt. Sind die vorhanden, hatte der Restaurator Ahnung. Wenn das Einstiegsblech aber mit dem vorderen und hinteren Kotflügel nahtlos bündig ist und nicht einmal zwei Sicken erkennbar sind, dann ist es kein gutes Auto.null

Indikator für Qualität oder Murks: Keder, Fugen oder zugespachtelt?

Kofferdeckel und Motorhaube waren aus Aluminium gefertigt und bereiten entsprechend selten Probleme. Die Motorhaubeninnenseite und der Motorraum waren ab Werk immer in tiefdunkelgrau (Farbcode DB 164 bzw. DB 7164) lackiert. Optisch ist das ein seidenmattes schwarz. Mattschwarz, Glanzschwarz oder die Karosseriefarbe in diesem Bereich sind also nicht korrekt. Besonders bei insgesamt nur mäßig wirkenden Exemplaren sollte man die Batterie herausnehmen und den Batteriekasten inspizieren. Durch die Säuregase der Batterie und eingedrungenes Wasser ist dieser Bereich besonders gefährdet.

Batteriekasten oder das was davon übrig ist bei einem 190 SL

An der Schottwand gegenüber der Batterie sollte sich möglichst ein Bremskraftverstärker befinden. Bis Mai 1956 war der eine Sonderausstattung und wurde zwar häufig, aber eben nicht immer geordert und hilft den rundum Trommelgebremsten 190 SL mit immerhin 1.400 kg zulässigem Gesamtgewicht besser zu entschleunigen. Ab Mai 1956 war immer ein Bremskraftverstärker drin. Die Mulde darunter ist ein klassischer Schwachpunkt. Auch der Kofferraum war immer in seidenmattem tiefdunkelgrau lackiert. Räumen Sie den Kofferraum aus und schauen Sie sich die Bereiche an, deren Rückseite Regenwasser und ausgesetzt sind bzw. waren. Vor allem die beiden Reserveradmulden. Davon gibt es zwei, weil Mercedes die Tropenausführungen immer mit zwei Reserverädern auslieferte. Bei allen anderen wurde die in Fahrtrichtung linke Reserveradmulde als Ablagefach genutzt und mit einem einfachen, mattschwarzen Holzdeckel versehen. Nehmen Sie also auch das Reserverad heraus und schauen Sie gleich mal ob das mitrestauriert ist und ob der Wagenheber vorhanden ist. Klopfen Sie den Kofferraum mit einem metallischen Werkzeug ab. Zeigen Sie bei der Wahl des Werkzeugs Gefühl und denken Sie an die Nerven des Verkäufers. Die meisten 190 SL Eigner neigen zu Nervosität, wenn sich ein Fremder mit einem Einkilohammer zielgerichtet auf ihr Auto zu bewegt. Notfalls tut es auch ein Schlüssel, denn es geht nicht darum Löcher ins Blech zu dreschen, sondern mit dem Gehör zu arbeiten: Ein heller Klang ist ein befriedigendes Geräusch, ein dumpfer Ton dagegen ein Indiz für angemorschte Stellen. Schauen Sie nach eingeschweißten Blechen. Bei einer guten Restaurierung werden kranke Bleche in Originalform- und Format großflächig ersetzt. Eingebrutzelte Flicken sind immer ein Indiz für ein schlechtes Auto.

Fachgerecht restaurierte Bodengruppe eines 190 SL

Wenn Sie den 190 SL auf der Hebebühne des netten Mercedes-Servicemeisters haben, gehen Sie von vorn nach hinten. Die Vorderradaufhängung verfügt über 14 Schmiernippel, die alle 3.000 km abgepresst werden wollen. Die dürfen also nicht staubtrocken sein, sonst sind ausgeschlagene Gelenke die Folge. Kontrollieren Sie die Gummilager der Vorderachse auf Risse und poröse, brüchige Stellen. Beim Motor sollte es sich nicht um ein Auslaufmodell handeln, doch leichte Ölschwitze ist kein Grund zur Besorgnis. Auf der Hebebühne kann man auch gut nachsehen, ob das Abstützrohr zwischen den Vergasern und dem Motorblock vorhanden ist. Fehlt dieses, senkt sich der Ansaugkrümmer durch das Gewicht der schweren Vergaser- und Saugrohranlage mit der Zeit nach unten ab und zieht oben Falschluft. Ist dies der Fall, kann man die Vergaser einstellen wie man will- der Motor läuft nie sauber. Ein prüfender Blick auf Ölverlust des Getriebes, der Hinterachse sowie der gummierten Hardyscheiben, die an den beiden Enden der

Kardanwelle sitzen und wir können uns dem Blech widmen. Die Bodengruppe des 190 SL stammt von der Mercedes 180 Limousine ab, wurde um 25 cm gekürzt und mit aufgeschweißten Kastenholmen verstärkt. Auch hier gilt abklopfen, auf hässliche Schweißstellen und den Zustand der Wagenheberaufnahmen achten. Die Auspuffanlage ist an den unteren Rundungen der Töpfe auf Löcher kontrollieren. Vergessen Sie nicht, dem netten Servicemeister einen 5 Euroschein in die Hand zu drücken. Möglicherweise hat er Ihnen gerade einen teuren Fehlkauf erspart.null

Das bewährte Fahrgestell des 190 SL: Verkürzte 180er Limousine mit aufgeschweißten Versteifungsholmen. Der Radstand entspricht dem des 300 SL!

Das Interieur

Der Mercedes 190 SL war serienmäßig mit MB-Tex, einem hochwertigen und pflegeleichten Kunstleder gepolstert. Leder gab es nur gegen einen satten Aufpreis von DM 780,--. Heute erwartet jeder 190 SL Interessent ganz automatisch Lederpolsterung. Aber besonders US-Importe haben des Öfteren eine neue Kunstlederpolsterung. Wer sich nicht sicher ist, was er vor sich hat, der kann unten am Sitz den Bezug umstülpen. Kunstleder hat als Trägermaterial und Reißschutz ein Textilgewebe, während die Rückseite von echtem Leder eine leicht raue, wildlederartige Struktur aufweist. Die Teppiche waren anfangs nur Gummimatten, später gab es Haargarnbouclé, eine Schlingenware. Ein hochfloriger Velours ist also fehl am Platz.

von Alexander Köhnlechner

 

Quelle: Carsablanca