Classic Driving News
Der weiße Fiese mit Riesenflügel
Ford Sierra RS Cosworth - die Antwort auf die Frage, was passiert, wenn man einer biederen Mittelklasse-Limousine einen Turbo sowie einen Heckflügel im Formel-1-Format verpasst.
Das klappern im Ford Sierra RS Cosworth wird lauter. Dass die Heckklappe nicht verriegelt ist, wissen wir jedoch längst, weil es dafür eine Warnlampe im Cockpit gibt. Doch ab Tempo 30 macht sich dieser Umstand auf den holprigen Straßen in der Nürnberger Innenstadt nun auch akustisch bemerkbar. Man hätte kurz anhalten und den Deckel da hinten schließen können. "Nicht nötig", erklärt Frank Strattner, dessen Ford Sierra RS Cosworth von mir nun in Richtung Autobahn manövriert wird. Er hat einen anderen, viel besseren Vorschlag auf Lager. "Gas geben. Und zwar richtig!" Dann würde sich das Problem mit der Klappe von selbst erledigen. Na gut, der Mann wird wissen, wovon er redet.
In 6,8 Sekunden auf 100: Schneller als M3 und 190E 2.3-16
Kickdown. Ab 3.500 Umdrehungen steht das Turbo-Aggregat des Ford Sierra RS Cosworth unter maximalem Ladedruck. Auch dafür findet sich eine Anzeige im Cockpit, die im oberen Rand des Drehzahlmessers integriert wurde. Doch dorthin zu schauen fällt schwer, wenn die Straße mit einem Mal verdammt schmal wird. Und die Gänge im eng gestuften Getriebe quasi im Akkord ausgetauscht werden müssen, weil der Motor nach jedem Schalten im Nu wieder kurz vor dem Begrenzer rotiert.
Im nächsten Moment stehen 180, 200 Sachen an - im Ernstfall wäre erst bei Tempo 240 Schluss. In Sachen Beschleunigung und V-Max ist der Ford Sierra RS Cosworth eben eine Ansage. Von null auf hundert in 6,8 Sekunden - Mitte der Achtziger war man auf dem Dragstrip selbst in einem BMW M3 oder einem Mercedes-Benz 190 E 2.3-16 chancenlos gegen dieses Auto mit dem monströsen Flügel am Heck. Ein Leitwerk von der Größe eines Picknicktisches hatte bisher nicht einmal die Zubehörszene auf Lager. Schon gar nicht für eine biedere Großserienlimousine.
Die klebt nun wie ein Saugnapf auf der Straße, zieht wie hingedübelt ihre Spur. So, wie sich das anfühlt, lasten Tonnen auf der Hinterradachse. Netter Nebeneffekt: Die Heckklappe des Ford Sierra RS Cosworth hat unter so viel Druck von oben bereits bei Tempo 130 klein beigegeben und sich selbst verriegelt. Dafür nimmt man gern in Kauf, dass der Blick nach hinten stark eingeschränkt ist.
Ford hatte diesen Flügelstürmer 1985 zur IAA in Frankfurt präsentiert. Ein Sierra, der mit tief heruntergezogenem Frontspoiler, Kotflügelverbreiterungen, massiven Türschwellern und dem eindrucksvollen Aerodynamik-Beiwerk am Heck auf dicke Hose macht - man hatte mit allem gerechnet, nur damit nicht. Tatsächlich kam der Ford Sierra RS Cosworth genau so auf die Straße - als Homologationsauto für die Gruppe-A-Tourenwagen. Dazu mussten innerhalb eines Jahres 5.000 Exemplare dieses Prototyps produziert werden. Die ersten der knapp 50.000 Mark teuren Autos rollten noch im Dezember vom Band.
Der rote Kopf macht alles anders
Den Job, den biederen Ford Sierra mal so richtig in Schwung zu bringen, erledigte für Ford einer der erfolgreichsten Rennmotorenbauer überhaupt: Cosworth-Engineering. Die Truppe aus dem englischen Northhampton spendierte dem braven 2,0-Liter-OHC-Serienmotor des Sierra einen neu entwickelten (und in rotem Schrumpflack gehaltenen) 16-Ventil-Zylinderkopf mit zwei Nockenwellen, die von einem glasfaserverstärkten Zahnriemen angetrieben werden. Dazu kamen eine elektronische Steuerung für Zündung und Einspritzung sowie ein Garrett-Abgasturbolader mit Ladeluftkühlung. Macht bei einem Ladedruck von maximal 0,7 bar unterm Strich 204 PS. Hinten ersetzten im Ford Sierra RS Cosworth endlich Scheiben- die laschen Trommelbremsen des Sierra, und ein ABS gab es obendrein. Mit diesen Paket konnte man sich durchaus sehen lassen. Auf der Rennstrecke wie im Alltag.
Trotz des Tunings verhält sich das Triebwerk des stärksten Serien-Ford Sierra zuerst einmal lammfromm. Tadelloser Leerlauf und keine Spur von Nervosität. Stadtverkehr erledigt dieses Kraftwerk ohne Murren und Zuckeln selbst im Drehzahlkeller. Kraft ist im Ford Sierra RS Cosworth offensichtlich immer vorhanden, andere Turbos geben sich da bis zum Erreichen des vollen Ladedrucks viel zahnloser. Um dann umso heftiger zuzuschlagen, als es beim Motor des Ford Sierra RS Cosworth der Fall ist. Er rückt gleichmäßig statt ruckartig mit der Power heraus, wenn auch ein wenig zeitverzögert. Doch daran gewöhnt man sich rasch. Einfach in der Kurve etwas früher als sonst aufs Gas - schon steht am Anfang der Geraden die volle Leistung zur Verfügung.
Damit die Kraft möglichst gleichmäßig auf den Boden kommt, spendierte Ford diesem Über-Sierra eine Visco-Sperre im Hinterachs- Differenzial. Das Fahrwerk erledigt dann mit recht straffen Federn und Gasdruck-Stoßdämpfern den Rest. Zumindest bis zu einem bestimmten Punkt, denn der Ford Sierra RS Cosworth schiebt schon mal gern (aber leicht korrigierbar) quer aus dem Eck heraus. Man sieht es ihm förmlich an, warum: die Reifen.
Aus heutiger Sicht rührige 205er auf 15-Zoll-Felgen, die nur ansatzweise die verbreiterten Radhäuser ausfüllen - für viele Ford Sierra Cosworth-Besitzer ein unerträglicher Zustand. Gottlob hält Originalitäts- und Ford-Fan Frank Strattner nichts davon, seinen Cossie in irgendeiner Form zu verändern.
Kaltfahren schont den Geldbeutel
Die Unterhaltung im Cossie fällt leicht, selbst bei hohem Tempo. Das Triebwerk des Ford Sierra RS Cosworth klingt kernig, jedoch niemals lästig. Allenfalls ein Brummen im oberen Drehzahlbereich. Fast scheinen sogar Ansaug- und Auspuffgeräusch lauter als der Sound des Vierzylinders. Eben ein typischer Turbo.
Der - wie alle Turbos - für Spritsparer nicht einmal ein höhnisches Lächeln übrig hat. Wenn der Kessel richtig unter Druck steht, fließen schon mal 16 Liter pro 100 Kilometer durch die Brennräume. "Zurückhaltung mit dem Gaspedal kann den Verbrauch bis auf etwa zwölf Liter pro 100 Kilometer sinken lassen", schrieb Götz Leyrer in auto motor und sport (18/1986). Doch für solche Experimente ist dieser Ford Sierra RS Cosworth gefühlsmäßig so ungeeignet wie ein Formel-1- Auto für den Familienausflug.
Letzteres beherrscht ein Ford Sierra RS Cosworth natürlich auch. Mit Frau und Kindern nach dem Renntraining rasch noch zum Einkaufen brezeln? Oder mal eben ein Wochenende im Harz? Nicht wirklich ein Problem. Der Ford Sierra hatte sich bis zum Erscheinen des scharfen Cosworth längst zum Mittelklasse-Marktführer in Europa gemausert - nicht zuletzt wegen des guten Platzangebots. Beim Dreitürer fällt nur der Einstig nach hinten bauartbedingt umständlicher aus als bei der fünftürigen Limousine.
Tatsächlich wirkt ein Ford Sierra heute jedoch viel zierlicher, als man ihn in Erinnerung hat. Ein moderner Ford Focus kommt zwar knapp kürzer daher, misst allerdings elf Zentimeter mehr in der Breite und sieben mehr in der Höhe. Im Vergleich zum Sierra erscheint der Nachfahre nicht nur optisch übergewichtig: 1.240 Kilo wiegt der Cossie, 1.392 der Focus.
Zurück in Nürnbergs Innenstadt. Eine Weile noch im dritten und vierten Gang bei 50, 60 Sachen. Dem heißen Turbo des Ford Sierra RS Cosworth zuliebe, der der Haltbarkeit wegen "kaltgefahren" werden möchte. Dem Ford Sierra-Fahrer kommt das gelegen: Einfach so aus einem Cossie aussteigen geht nicht.
Quelle: Motor Klassik
Sehr sehr schöner Wagen!
Damals DIE Rennmaschiene,aber auch heutzutage muss er sich nicht vor aktuellen Kompatsportlern fürchten😊
Ein Traumwagen^^
So eine hätte ich gerne! Der Wagen gehört nach wie vor zu meinen Traumwagen. Gute Exemplare sind mittlerweile schon ziemlich selten und auch teuer, mit Tendenz nach oben.
bei unserem Autohändler hier nebenan steht neben einem Hundeknochen Escort in Renntrimm, Caterhams und diversen anderen auffälligen Autos auch genau so ein Sierra. Autohaus Peters in Mettingen/Laggenbeck😉 Also kaufen, marschmarsch😆
😎
Ford, die tun(en) was!
Wenn auch erst in den 90zigern als Marketingspruch geschaffen, fand und finde ich den Sierra Cosworth immer (noch) bärenstark.
Er hat für mich das positve Image eines "Performance Car", wo Motor und Karosserie(anbauten) zu einer Leistungseinheit verschmolzen sind.
Ein anderer Vertreter, der dieses für mich genauso sinnbildhaft vertritt, ist der Lotus Omega.
Schöner Bericht von einem kultigen Wagen 😎
3 Jahre hatte ich so ein Gefährt. Erfüllung eines Lebenstraumes, und verkaufen musste ich ihn aus Geldnot als ich damals unverschuldet arbeitslos wurde und gezwungen war, kürzer zu treten. Ein unvergessliches Auto mit Spassgarantie. Mit mir angelegt hat sich keiner, jeder wusste, was es mit diesem "ollen Sierra" auf sich hatte. Schön war's *träum*
Tolles Auto, würd ich auch wohl nehmen!
Joa, den habe ich von Ende 96 bis Anfang 2000 gefahren. Dann hat er Langfingern zu gut gefallen. Die Bedienungsanleitung in dem grünen Schutzumschlag, den Bildband, die Fotos im Großformat und den Schlüsselanhänger habe ich sogar noch irgendwo. Nach der Zeit sah mein linkes Bein aus wie der linke Arm von Popeye; dermaßen Kraft erforderte das Treten der Kupplung. Und der Lack, das Empire Green, hat dermaßen gut zu dem Fz gepasst. Die Goodyear Eagle Reifen hat man nur bekommen, wenn der Reifendealer den Fz Schein an Goodyear D gefaxt hat. 1080 DM hat damals EIN Hinterreifen gekostet. Eine Tankfüllung hat für keine 400km bei moderater Fahrweise gereicht, Durchschnittsverbrauch 18 - 20 Liter. Ja, ich denke mit ein bisschen Wehmut an diese Geldvernichtungsmaschine zurück... Aber den Sierra Cosworth fand ich auch genial, um mal wieder zum Thema retour zu kommen.
Das schöne am Cossie ist, dass du nie weißt, ob du es mit 204, 220, 450 oder auch 750 PS usw. zu tun hast. 😆
Damals der Renner, heute ist er Serie natürlich etwas "schwach", aber dank Tuningpotenzial kann sich ein Cossie auch heute noch locker mit Supersportlern messen und das auch noch in ferner Zukunft. Ein wahrer Traum dieses Auto. 😊
Zwar nicht weiß und ohne riesen Flügel aber trotzdem ein Hammerauto.
Und mit ein bisschen Glück hat man noch einen von 700 Cossi Limited 😉
Wahnsinn, ein drei Jahre alter Artikel.
und damit genauso zeitlos wie der wagen.
Zeitlos ist der Wagen sicher nicht, eigentlich sehr modisch. Aber er gefällt noch heute.