EU will WLTP-Zyklus 2017 einführen
Die EU, die Industrie, das CO2 und der Zyklus
Der CO2-Poker zwischen der EU und den Autobauern geht in die nächste Runde: Brüssel will 2017 einen neuen Zyklus (WLTP) einführen, die Hersteller wollen das auf keinen Fall.
Brüssel – Auf dem Papier sind Autos immer sparsamer. Ab 2021 sollen Neuwagen in der EU im Schnitt nur noch 95 Gramm pro Kilometer CO2 emittieren, das hat die EU beschlossen. Das entspricht rund vier Litern Benzin auf 100 Kilometer. Mit viel Lobbyarbeit konnte die Industrie abmildern: Für Kleinhersteller gibt es Ausnahmen, für Luxushersteller großzügigere Grenzwerte. Elektroautos werden mehrfach gezählt.
Jetzt steht die Autoindustrie vor dem nächsten Problem, und das ist hausgemacht: Das Verbrauchs-Messverfahren, mit dem der CO2-Ausstoß ermittelt wird, soll geändert werden. Und zwar möglichst schnell. Schon seit 2009 bastelt eine Arbeitsgruppe der UN in Genf am neuen Messzyklus „Worldwide Harmonized Light Duty Test Procedure“ (WLTP). Er soll den bisherigen „Neuen Europäischen Fahrzyklus“ (NEFZ) ablösen.
Hersteller für neuen Zyklus
Das EU-Parlament verfügte im Februar 2014: Das neue Testverfahren soll „wenn möglich“ am ersten Januar 2017 in Kraft treten, und trifft damit den richtigen Nerv. Denn vom NEFZ sind alle genervt: Die Kunden, deren Superspar-Autos in der Praxis dann doch gern um die sieben Liter auf 100 Kilometer trinken.Die Politik, die sich vorwerfen lassen muss, der Industrie bei der „Verbrauchslüge“ in die Tasche zu spielen: Die Abweichungen zwischen Real- und Normverbrauch betragen im Schnitt 25 Prozent. Auch der Industrie ist permanent schlechte Presse äußerst lästig.
Die Hersteller fühlen sich nicht verantwortlich: Der ACEA verweist darauf, dass die Regeln beim NEFZ gesetzlich festgeschrieben sind – und mit heutigen Fahrgewohnheiten einfach nicht mehr zusammenpassen. Zum geltenden Recht gehört zum Beispiel, dass Nebenverbraucher wie die Klimaanlage abgeschaltet sind.
Das und vieles mehr ändert sich im neuen Zyklus. Er soll, so das erklärte Ziel, "realistische Fahrsituationen abbilden" und basiert auf echten Fahrprofilen aus aller Welt. Außerdem verbilligt der WLTP die Typzulassung neuer Modelle deutlich: Er soll nicht nur in Europa gelten, sondern auch in wichtigen asiatischen Märkten wie Japan, Südkorea und Indien.
Alle wollen also den neuen Zyklus. In die Entwicklung des WLTP ist die Autoindustrie maßgeblich eingebunden. Im Gremium sitzen zum Beispiel der deutsche Verband der Automobilindustrie (VDA) und der europäischen Verband ACEA. Auch Experten der Hersteller nehmen beratend teil.
2017 zu ehrgeizig
Die Hersteller würden also profitieren. Trotzdem, 2017, das geht ihnen zu schnell. Das Zieldatum 2017 sei "unglaublich ehrgeizig", erklärte der Dachverband ACEA in Brüssel. Ein Grund: Die Kommission in Genf wollte eigentlich erst im Frühjahr 2018 fertig sein.
ACEA-Generalsekretär Erik Jonnaert führt die Bedenken aus: Erst müsse die komplette Testprozedur ausdefiniert und für alle Antriebsarten abgestimmt werden. Im gegenwärtigen Status tauge der WLTP als Grundlage für Labortests, aber nicht als Basis für Typzulassungen. So gebe es noch kein beschlussfähiges Reglement für Hybrid-Fahrzeuge.
Außerdem müsse der neue Zyklus an europäische und nationale Gesetze angepasst werden. Dafür müsse unbedingt das Ergebnis von WLTP-Messungen mit den bisherigen NEFZ-Messungen verglichen werden. Die Zustimmung zum 95-Gramm-Ziel sei auf Grundlage des alten Zyklus zustande gekommen.
Autobranche will Verschiebung
Die Kunden fragen sich natürlich: Warum gibt es zu hochmodernen Neuwagen nicht so schnell wie möglich modern ermittelte Verbrauchswerte? Die Antwort: Jetzt, wo die WLTP-Kommission vorzeigbare, wenn auch noch keine finalen Ergebnisse hat – jetzt beginnt das politische Feilschen.
Vorsorglich kündigt der ACEA an: Mehrkosten des neuen Verfahrens werden an die Kunden weitergeben. Dabei geht vordergründig nur um Anpassungskosten ans neue Messverfahren. Aber das ist nur die halbe Wahrheit.
Durch den neuen Messzyklus steigen die Nennverbräuche praktisch aller Autos. Das ist unvermeidlich, denn der WLTP enthält im Vergleich zum NEFZ mehr Beschleunigungsvorgänge und eine höhere Spitzengeschwindigkeit. Und das führt zu höheren CO2-Ausstößen.
Das aktuelle Ziel sind im Flottendurchschnitt 130 Gramm CO2 pro Kilometer bis 2015. Für jedes Gramm Mehrverbrauch müssen die Hersteller bereits seit 2012 Strafe zahlen. Denn die EU-Regularien sehen vor, dass 2012 65 Prozent aller Neuwagen die Quote erfüllen, 2013 75 Prozent und 2014 80 Prozent.
Natürlich kann die Industrie sparsamere Autos bauen und so Strafen umgehen. Das geht aber nicht von heute auf morgen, und ist ebenfalls teuer. Eine Untersuchung der RWTH Aachen geht bis 2020 von 2.700 Euro Mehrkosten für Spritspar-Technik pro gebautem Auto aus.
Pokerregeln im Spiel ändern?
Um die CO2-Ziele zu erreichen, werden Autos im Hinblick auf den realitätsfremden NEFZ-Zyklus entwickelt, und mitunter auch sehr genau darauf abgestimmt. Was für die Ingenieure eine Herausforderung und für die Unternehmen eine Rechenaufgabe ist, ist für viele Politiker aber auch ein Symbol. Strenge CO2-Ziele senden die Botschaft: Wir lassen uns von der Industrie nichts diktieren.
Auch deshalb fürchtet die Autoindustrie im Geheimen, dass die EU mit der WLTP-Einführung die CO2-Ziele durch die Hintertür verschärfen könnte. Denn genau das wäre der Fall, wenn die bisherigen CO2-Ziele zusammen mit dem neuen, verbrauchsintensiveren Zyklus gelten.
WLTP erst 2021?
Ordnungspolitisch und technisch wäre das genauso fragwürdig wie es die aktuellen Verbrauchsangaben aus Verbrauchersicht sind. Und auch Verlautbarungen aus EU-Kreisen lassen vermuten: Die Industrie hat zu Recht Angst, dass sich die Regeln mit der von ihr selbst mitinitiierten WLTP-Einführung drastisch verschärfen.
Deshalb, so berichtete die Financial Times, will die Autoindustrie den WLTP erst 2021 anwenden. Warum so spät? Ganz einfach: Die Autohersteller haben sich mit der Forderung durchgesetzt, CO2-Grenzwerte für die Jahre nach 2021 auch erst dann festzulegen. So könnte der neue Zyklus berücksichtigt werden.
Zwar geht der ACEA davon aus, dass die EU aus Fristgründen in diesem Jahr beginnt, den neuen WLTP-Zyklus in geltendes Recht zu überführen. Aber: noch weiß niemand, wie stark die Normverbräuche durch den neuen Messzyklus steigen. Und das will die Industrie vorher sehr genau wissen. Bis dahin werden wir noch oft diese Gleichung rechnen: vier Liter im Prospekt, sieben auf der Straße.
Das wird dann die nächste Möglichkeit, den Autofahrern noch mehr Geld aus den Taschen zu ziehen, unter dem Deckmantel des Umweltschutzes 😤
Na das sieht doch schon mal deutlich realistischer aus.
Die Abweichungen zwischen Real- und Normverbrauch betragen im Schnitt 25 Prozent.
Bis dahin werden wir noch oft diese Gleichung rechnen: vier Liter im Prospekt, sieben auf der Straße.
12 von 8 Menschen sind mit Mathe total überfordert. 😊
MfG sano
Das könnte der absolute GAU für die Automobilbranche werden, z.B. die gesponnenen Verbrauchswerte für all die neu entwickelten Hybridfahrzeuge als innovatives Zukunftsargument fallen komplett weg. Wer kauft da noch?
Und die aktuell verkauften Autos behalten ja ihren festgeschriebenen CO2-Ausstoß, werden also in Zukunft erst mal besser da stehen, als Fahrzeuge ab vielleicht 2017. Wenn bei den Steuerbestrafungen für hohen CO2-Ausstoß dann die alten Autos billiger sind, fehlt hier auch der bisher so gern gesteuerte Anreiz zum Neukauf eines Autos.
Bei reinen E-Fahrzeugen wird die EU wie schon ersichtlich eine Ausnahmeregelung finden und der Benzin- und Dieselmotor, egal in welcher Kombination mit anderen Antrieben geht endgültig den Bach runter - und die nicht wirklich darauf vorbereitete Automobilindustrie größtenteils mit - gar nicht zu reden von ihren Freunden, den Mineralölkonzernen und den ölexportierenden Staaten............
Vielleicht geht es dann endlich auch den "umweltfreundlichen" Benzin-Direkteinspritzern an den Kragen. Bin das Feindbild "Diesel" langsam sowas von leid.
Ich befürchte da hast du was falsch verstanden. Im Gegenteil, genau der NEFZ schafft dafür ideale Voraussetzungen.
Aber die Industrie wird sich schon wieder etwas einfallen lassen um die Politik zu erpressen und dann den neuen Zyklus ausreichend entschärfen und Hintertürchen einzubauen.
Sollen sie doch messen wie sie wollen ... keine Methode ist besser oder schlechter und keine Methode ist eine Realitätsaussage über den Verbrauch.
Auch eine neue Methode wird also nur für einen tendenziellen Vergleich der Fahrzeuge untereinander liefern.
Was kommt dann raus?
Die Methode ändert sich, die Verbrauchswerte sind allgemein höher als beim NEFZ, der Kunde hat keinen Vorteil (außer, dass die Druckerschwärze im Prospekt anders verteilt ist) und die Grenzwerte der EU werden in gleichem Maße korrigiert.
Wer wissen will was (s)ein Fahrzeugtyp realistisch verbraucheb kann kommt nicht drumherum mal die Bandbreite bei spritmonitor.de zu begutachten oder mit einer geeigneten Software seine Realverbräuche zu ermitteln - das Fahrporofil und der eigene Gasfuß sind halt individuell unterschiedlich.
@Hyperbel
Aber darum geht es doch gar nicht ausschließlich. Es geht doch darum den Schadstoffausstoß unter realistischen Bedingungen zu ermitteln, damit nicht einige Hersteller im NEFZ traumhafte Werte erreichen, die dann in der Praxius um das 10- bis 20-fache überschritten werden. Dabei fällt dann noch auf, dass bei einigen Herstellern die Überschreitung der Grenzwerte um ein vielfaches höher ist als bei anderen, also diese Hersteller ihre Autos ganz besonders auf den NEFZ optimieren. Das ist ein enormer Schaden für die Umwelt, und solche Hersteller müssen an den Pranger gestellt werden.
Von wem genau fühlt ihr euch jetzt verarscht? Von der Politik, oder den Herstellern, die den NEFZ ad absurdum führen? Tut doch nicht immer alles mit "Is doch eh nur ne neue Methode um uns unser Geld aus der Tasche zu ziehen!" ab, und betrachtet sowas mal ein kleines bisschen differenzierter.
Ich, als jemand der Umweltbewusst handeln möchte, muss mich auf solche Angaben verlassen können. Wenn das gegenwärtige Prüfverfahren das nicht gewährleisten kann muss gehandelt werden. Das ist zunächst einmal gut. Was daraus dann im Endeffekt gemacht wird ist das Andere.
Nein, ich habe da nichts falsch verstanden!
Bei uns in Ö ist es nun mal so, das eine zusätzliche Steuer auf den Kaufpreis des Fahrzeuges drauf geschlagen wird, die sich eben nach dem Verbrauch richtet!
Wenn ein Auto dann nach neuem Zyklus eben realistische 6,78L statt der NEFZ absolut unrealistischen 4,99L/100Km verbaucht, würde das nach unserer Regelung einer Steigerung von +6% des Kaufpreises ergeben.
Und wenn jetzt jemand glaubt, diese Berechnungen würden annähernd dem angepasst werden, damit das Fussvolk ungefähr das gleiche bezahlt, der glaubt eben auch an Märchen
😆
Oh, wie wahr........... (und nötig ist das denn?)
Sehr, sehr gute Worte - aber ich meine speziell diesen Absatz, der sämtliche Hersteller betrifft, nicht den mit dem Angriff gegen die Premiumhersteller, also hauptsächlich deutsche. Die will ich ja nicht sterben sehen.......😉
Nein, das glaube ich nicht.
Ich hoffe, dass die Hersteller mehr in eine ernsthafte Verbrauchsoptimierung investieren anstatt nur in die optimierung des Programmcodes der Motorsteuerung im Hinblick auf gute NEFZ-Werte.
Und wenn die Hersteller nicht in der Lage dazu sind den Verbrauch wirklich zu optimieren, dann müssen wir halt in Zukunft einfach eine Fahrzeugklasse niedriger wählen, oder einen höheren Preis bezahlen, der der Umweltbelastung auch tatsächlich entspricht. Ich kann damit Leben. Diejenigen, die es nicht können, werden wohl dazu gezwungen sein.
Sollte sich herausstellen, dass Dieselmotoren Umweltsünder sind, werden die verschwinden müssen. Auch meiner langfristig. Aber ich vermute, da kämen dann ganz andere Ergebnisse raus.
Seriöse Auto-Testberichte offenbares es ja regelmäßig: Nicht selten schneidet der Hersteller mit dem besten NEFZ-Verbrauch in der Praxis am schlechtesten ab, der mit dem schlechtesten NEFZ-Verbrauch in der Praxius am besten. Beim Schadstoffausstoß scheinen die Diskrepanzen noch größer zu sein. Durch diese betrügerischen Maschen einiger Hersteller entstehen anderen enorme Nachteile im Wettbewerb. Die Politik scheint die Lückenhaftigkeit des aktuellen Prüfverfahrens erkannt zu haben und möchte jetzt handeln. Daran alleine ist per se erst mal nichts Schlechtes, oder?
Oder haben einige jetzt Angst davor, dass die Tricksereien ihres deutschen "Premiumproduktes" künftig entlarvt werden, und es dadurch für Käufer weniger attraktiv wird? Ich bin da völlig Ergebnisoffen!
Eigentlich wäre es ja lustig.
Wenn es nur nicht so traurig wäre...
Im Prinzip klingt es ja gut, ist halt nur die Frage, ob es nicht so eine Luftnummer wie mit der Feinstaubplakette wird.
Im Prinzip ist es doch ganz einfach, die meisten neuen Lambdasonden, messen doch ohne hin den CO2-Gehalt, warum also nicht den Laptop ran und eine festgelegte Strecke auf der Straße fahren, und da mit nicht besch... werden kann, wird es vom TÜV durchgeführt.
Weil Autos auf einen Prüfstand stellen ist doch Käse (da wird immer vom Idealfall ausgegangen), wenn dann sollte auch unter reaelen Bedingungen getestet werden, also auf der Straße.
Eigentlich sollten Neuwagenkäufer sofort bei Übergabe zum Anwalt fahren und Klage gegen den Hersteller wegen irreführender weil nicht reproduzierbarer Verbrauchsangaben einreichen lassen. Wenn VW, BMW, MB und Co. mit hundertausenden von Klagen überhäuft würden, bin ich mal gespannt, was passiert.
Ah - ich vergaß - es gibt ja kaum noch private Käufer (siehe OECD Studie im Punkto Einkommen in Deutschland dieser Tage....). Und Fahrern von Firmenfahrzeugen ist ihr Verbrauch i.d.R. egal.