24 Jahre deutsche Einheit und 50 Jahre Trabant 601

Dieses Trabi-Jubiläum feiern wir ohne Reng-teng-teng

Philipp

verfasst am Fri Oct 03 05:00:41 CEST 2014

Deutschland feiert die Einheit. Wir feiern das Auto dazu. MOTOR-TALK-Redakteur Philipp Monse fuhr im E-Trabi durch Berlin. Eine Geschichte über freudige Blicke und irritierte Nasen.

Mit dem Trabant an der Mauer entlang: MOTOR-TALK-Redakteur Philipp fuhr mit einem E-Trabi durch Berlin
Quelle: MOTOR-TALK

Berlin – Mittwoch der 1. Oktober in Berlin. Die Hauptstadt bereitet sich auf die Wiedervereinigungs-Feierlichkeiten vor. Wenn die Straße des 17. Juni abgesperrt und zur Fanmeile umfunktioniert wird, versinkt Mitte im Verkehrschaos. In zwei Tagen sollen die Deutschen wieder vor dem Brandenburger Tor feiern. Nicht ihre Fußballer, sondern sich selbst. Ihr Land, ihre Einheit.

Eine Blechkarawane quält sich am Reichstag vorbei. Mittendrin fahren wir. In einem Auto, dessen Haut aus alten Baumwollresten und Phenolharz besteht. Und das in unserem Fall doch moderner ist, als die meisten um uns herum. Denn unser Trabant 601 S von 1989 fährt ohne Reng-teng-teng und blaue Wolken. Dafür mit einem nachgerüsteten Elektroantrieb.

Ein Trabant, der nicht stinkt: Das weckt Neugier
Quelle: MOTOR-TALK

Der Trabi öffnet Türen und Herzen

2014 feiert Deutschland nicht nur 24 Jahre Einheit und 25 Jahre Mauerfall, sondern auch sein bekanntestes Auto neben dem Käfer: der Trabant (P) 601 wird 50 Jahre alt. 2.818.547 Exemplare (inklusive Trabant 1.1) baute die VEB Sachsenring zwischen 1964 und 1991.

Auf alle warteten ihre Besitzer sehnsüchtig, auf viele zehn Jahre lang. Autofahren, das war ein Stück Freiheit, und wenn sie noch so kurz reichte. Zu Beginn seines Geburtsjahres hätte sich unser Trabi nicht auf die Westseite des Brandenburger Tors verirrt. Wie seine ersten Besitzer war er gefangen im eigenen Land.

Heute öffnet er alle Türen und Herzen. Die Arbeiter auf der Fanmeile lassen unsere quietschgrüne Plastikwanne durch die Absperrung und direkt vor das steinerne Symbol der Wiedervereinigung.

Berlin West: Von hier kam man leichter "rüber"
Quelle: MOTOR-TALK

„Kann ick mal die Batterie sehn?“

Touristen und Berliner umringen den Trabi, zeigen mit den Fingern und machen Fotos. Besonders Deutsche schauen verdutzt, wenn der Trabi geräuschlos rangiert. Begeisterung und Neugier liegen in der Luft. Veränderung in unserem Auto, weil das die Luft nicht mehr verschmutzt.

Einen Trabant, der nicht stinkt, der keinen Lärm macht, da schauen sogar alte Ostberliner ganz genau hin. „Kann ick mal die Batterie sehn?“ Klar, befindet sich im Kofferraum.

Der 18-PS-Elektromotor (nominal, 13,6 kW, asynchroner Drehstrommotor von Linde) dagegen sitzt genau da, wo früher ein 0,6-Liter-Zweizylinder Öl und Benzin zu 26 Pferdestärken verbrannte. Mit einer Adapter-Platte ist er an das Original-Getriebe des Zweitakters angeflascht Bereits seit einigen Jahren baut der Hamburger Fiat-Händler diesen E-Motor in Kleinwagen und Transporter.

Vor der Wende undenkbar: Der Trabant überquert die Oberbaumbrücke. Hier war Grenzgebiet
Quelle: MOTOR-TALK

Erste Fahrt im Karabag-E-Trabant

Lärm und Geruch sind nicht das einzige, was bei der Fahrt in unserem Trabi fehlt. Den typischen Trabi-Schalthebel neben dem Lenkrad gibt es nicht mehr. Das Getriebe ist auf den dritten Gang festgelegt. So wandert die Hand beim ersten Start ins Leere.

Der E-Motor schafft das Anfahren im dritten Gang problemlos. Das Drehmoment von 148 Newtonmetern muss dabei sogar heruntergeregelt werden. Deswegen fehlt die kräftige E-Auto-Beschleunigung. Getriebe und Motoraufhängung würden ihr nicht lange standhalten. Auf so viel Bums waren sie nie ausgelegt.

Langsam schiebt sich unser Trabi auf den ersten Metern nach vorn. Und wenn er dann auf Touren kommt, vernimmt der Fahrer ein vertrautes Geräusch: das laute Surren stammt nicht vom E-Motor. Es ist das typische Geheul eines betagten Trabant-Getriebes, das da erklingt und Erinnerungen weckt.

Am Fahrverhalten ändert sich wenig: Etwas flotter beschleunigt der E-Trabant aber
Quelle: MOTOR-TALK

10.000 Ostmark für etwas Freiheit

Um die 10.000 Ostmark mussten DDR-Bürger für einen Trabant bezahlen. Dafür bekamen sie ein 3,55 Meter langes und rund 620 Kilogramm schweres Fortbewegungsmittel. Mit zwei Türen, zwei Sitzen, einer Rückbank und dem typischen Zweitakter-Schieberuckeln im Teillastbereich.

Das entfällt bei unserem E-Trabi. Genauso wie das Anrühren des Zweitakt-Gemischs aus Öl und Benzin (1:50 laut Werksangabe). Unser Treibstoff kommt aus der Haushaltssteckdose. Aufgetankt wird in 5,5 Stunden. Bis zu 130 Kilometer soll man dann mit dem E-Trabi schaffen – genug, um eine ganzen Tag vielen Menschen in Berlin ein Lächeln auf das Gesicht zu zaubern.

Im Eco-Modus mit maximal 60 km/h schont unser Trabant den Akku. Im normalen Modus liegt die Höchstgeschwindigkeit bei 100 km/h und damit fast auf Augenhöhe mit dem rund 110 km/h schnellen Original. Das könnte unser Elektroflitzer sogar überholen, wenn er den vierten Gang zur Verfügung hätte. Doch der hat einen Freilauf. Die Lithium-Polymer-Batterie könnte dann im Schubbetrieb nicht geladen werden.

Fehlt der Geruch?

Um Geschwindigkeit ging es beim Trabifahren sowieso nie. Nicht in der DDR, nicht heute und nicht mit Elektroantrieb. Von 0 auf 100 km/h braucht ein Original-601 etwa 20 Sekunden. Der Karabag-Trabi fühlt sich etwas flotter an. Aber er schiebt ein wenig über die Vorderachse, weil der Vorderwagen jetzt schwerer ist. Dafür könnte man sich selbst bei Tempo 100 noch angenehm unterhalten.

In Berlin noch öfter zu sehen: Das Original mit Zweitakt-Geruch
Die Herzensfrage bleibt: Geht es überhaupt ohne die blauen Wölkchen, ohne das Klingeln des Zweitakters? Wir treffen auf eine Truppe der Trabi-Safari, die geführte Touren durch Berlin in alten Trabant anbietet. Die Teilnehmer schauen begeistert in den Motorraum. Dann steigen sie in ihre Originale und hüllen uns in blauen Dunst. Für sie wäre es sicher nicht dasselbe.

Kultiger als der Käfer

Nach der Wende interessierte sich niemand für den Trabi, heute ist er kultiger als der Käfer. Im Januar 2014 waren laut Kraftfahrt-Bundesamt nur noch 32.311 Trabi zugelassen. Gute Exemplare kosten mittlerweile um die 4.000 Euro.

Oft weckt bei Käufern der Geruch die (N)ostalgie. Viele Trabi-Fans würden den E-Trabant daher vielleicht belächeln. Aber eines ist sicher, damals in der DDR, hätten sich viele des Geruchs wegen mehr von diesen E-Trabi gewünscht. Oder überhaupt einen Trabi.

Mehr zum Elektro-Trabant und seinem Umbausatz lest Ihr in diesem Artikel.

Vor der Wende undenkbar: Der Trabant überquert die Oberbaumbrücke. Hier war Grenzgebiet
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Mit dem Elektro-Trabant vorm Brandenburger Tor
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Der Anschluss für das Ladekabel befindet sich am Heck des 601
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MOTOR-TALK-Redakteur Philipp Monse und der Elektro-Trabant vor dem Brandenburger Tor
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Berlin West: Von hier kam man leichter "rüber"
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Ein Trabant, der nicht stinkt: Das weckt Neugier
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Wir treffen auf eine Gruppe der Trabi-Safari: Der Elektromotor wird interessiert inspiziert
Quelle: MOTOR-TALK
In Berlin noch öfter zu sehen: Das Original mit Zweitakt-Geruch
Treibstoff aus der Steckdose: In 5,5 Stunden ist der Akku voll, er reicht für bis zu 130 Kilometer
Karabag Elektro-Trabant - Innenraum
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Der Innenraum bleibt, wie man ihn kennt
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Karabag Elektro-Trabant - Lenkrad und Anzeige für den Ladezustand
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Karabag Elektro-Trabant - Innenraum
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Der Motor geht, das Getriebe bleibt: Motorraum des E-Trabant
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Am Fahrverhalten ändert sich wenig: Etwas flotter beschleunigt der E-Trabant aber
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