Fahrtraining für Blinde
Eine Fahrt mit geborgten Augen
Wer nur Schwarz sieht, kann kein Auto steuern. Für blinde Menschen ist das Führen eines Pkw eigentlich unmöglich. Nur was bedeutet schon unmöglich?
Templin – Die kleine, leichte Maske wiegt schwer. Sie schiebt sich zwischen mich und den Rest der Welt und verwandelt eine Alltäglichkeit in eine Mutprobe. Ich sitze in einem Auto, am Steuer, starte den Motor und neben mir sagt jemand: "Los, fahr." Obwohl ich nichts sehen kann, absolut gar nichts. Mein gesamtes Ich sträubt sich, in das dunkle Nichts zu fahren.
Die ersten Meter sind die schwersten. Meine Hände drehen das Lenkrad. Aber drehen sie weit genug? Schritttempo wird mir zu schnell. Mein linker Fuß tritt die Kupplung, mein rechter die Bremse, meine Hände landen im Schoss. Meine erste und einzige Kapitulation im Auto.
Vom Beifahrersitz aus steuert Fahrlehrer Bernd P. die A-Klasse vom Parkplatz auf das Testgelände. Vorbei an all den blinden und sehbehinderten Menschen, die nach Groß-Dölln gereist sind, um einmal selbst das Steuer eines Autos in die Hände zu nehmen.
Auf der abgesperrten Teststrecke lasse ich mich bereitwilliger auf die Blindfahrt ein und gebe Gas. „Rechts, noch ein Stück, jetzt die Lenkung wieder öffnen.“ Nach zwei, drei Minuten sind Bernd und ich ein Team. Ich vertraue dem Mann blind, und beschleunige das Auto unter seinen Augen auf Tempo 90 km/h.Mit 190 km/h über das Flugfeld
Bernd scherzt und greift nur gelegentlich ein. Wenn ich sein Lachen höre, dann erinnere ich mich an sein freundliches Gesicht. Bevor die Maske das drückende Grau über mich gelegt hat, konnte ich ihm in die Augen schauen, seine Mimik, seine Körpersprache sehen. Auch die Strecke kenne ich.
Heiko Kuhlmann hat weder seinen Fahrlehrer noch die Groß-Döllner Kurven jemals gesehen. Er ist blind und trotzdem leidenschaftlicher Autofahrer. „Vor drei Jahren bin ich einmal 190 km/h gefahren“, erzählt er stolz. Am liebsten würde er das hier und heute wiederholen, doch das hängt von der Strecke und dem Fahrlehrer ab.
Heiko kam mit minimaler Sehkraft zur Welt, weil seine Mutter in der Schwangerschaft an Röteln erkrankte. Als sich 2008 seine Netzhaut ablöste, verschlechterte sich der Zustand nochmals. Heute erkennt der 48-Jährige nur noch Bewegungen und kann hell von dunkel unterscheiden. Er gilt als blind, aber er sieht, dass heute die Sonne scheint.
Autofahren verlernt man nicht
Mandy Herrmann spürt die grellen Lichtstrahlen nur auf ihrer Haut. Sie lebt in völliger Dunkelheit, seit sie ihr Augenlicht bei einem Autounfall vor zwölf Jahren verlor. Heute sitzt sie zum ersten Mal seit ihrer Erblindung hinter dem Steuer eines Autos. Vorsichtig streifen die Finger mit den langen, grau lackierten Nägeln die Türöffnung entlang, dann tastet sie sich auf den Fahrersitz.Sie ist nervös. Die Anweisungen des Fahrlehrers sind für Mandy nicht immer eindeutig. Mehr als einmal steuert sie den Zafira beherzt über Curbs und in die Wiese. Spaß macht ihr das trotzdem. Sie lacht und ist stolz, wie gut sie den Schleifpunkt findet und wie sanft ihr das Schalten gelingt. „Es ist wie Fahrradfahren, das verlernt man nicht“, sagt Mandy.
Vor zwölf Jahren war Autofahren für die damals 20-jährige Frau das Normalste der Welt. Bis zu jenem Tag im Juni, an dem ein Mercedes-Fahrer einen Kleintransporter überholen wollte und ihren kleinen Suzuki übersieht. Die beiden Autos krachen frontal ineinander, Mandy kommt mit lebensbedrohlichen Verletzungen ins Krankenhaus, liegt sechs Wochen im Koma. Als sie ihre Augen wieder öffnet, bleibt die Welt schwarz. Beide Sehnerven wurden stark gequetscht, sie wird nie wieder sehen. Sie erkennt nicht mal, ob es Tag oder Nacht ist.
Trotz des Schicksalsschlags lacht Mandy viel und herzlich. Sie hat schöne, strahlende Augen. Ihre Augäpfel sind verheilt, doch ihr Blick fällt ins Leere. Dazwischen streckt sich eine Narbe über ihre von
Sommersprossen übersäte Stupsnase und lässt erahnen, was die junge Frau erlitten hat. Die Drähte unter der Haut und die Narben in der Seele sieht keiner. Mandy ist eine selbstbewusste Frau und arbeitet als Telefonistin. Die Wut auf den anderen, sie ist mit den Jahren verblasst.Heimliche Übungsrunden
Warum möchten Blinde Auto fahren? „Dinge, die man nicht tun kann, haben einen großen Reiz“, sagt Heiko Kuhlmann. Als seine Freunde mit 18 Jahren ihren Führerschein machen, bleiben ihm nur ein paar heimliche Übungsrunden auf dem Hof. Heute darf er mit einem Seat Alhambra über die abgesperrte Teststrecke fahren. Heiko ist nicht zu bremsen. Auf der Geraden erreicht er 100-km/h, der Fahrlehrer muss mehr als einmal eingreifen, um den furchtlosen 1,90-Meter-Mann zu zügeln.
Der erste Fahrevent für Blinde fand 1993 auf dem Berliner Flughafen Gatow statt. Initiiert wurde es vom stellvertretenden Vorsitzenden des Allgemeinen Blinden- und Sehbehindertenvereins Berlin (ABSV). Von den drei Dutzend Fahrschulen, die Detlef Friedebold spontan anrief, sagten fast alle zu.
Wie viel ist zwei Fingerbreit?
„Es war das blanke Chaos“, erzählt Fahrlehrer Dieter Hoppe. Alle Fahrlehrer sollten zunächst mit verbundenen Augen über das Gelände des ehemaligen Militärflughafens fahren. Eine schwere Aufgabe. Wie viel ist zwei Fingerbreit? Wie schnell fahre ich? Wann sind 180 Grad zu Ende? Die Augenbinde machte aus Profis Orientierungslose.Und sie öffnete so manchem die Augen. „Ich habe meine Erfahrungen an meine Fahrschüler weitergegeben“, sagt der mittlerweile in Rente befindliche Hoppe. Ich wollte sie für die Probleme von Blinden im Straßenverkehr sensibilisieren. Zum Beispiel das Verkehrszeichen "Grüner Pfeil" könne für Blinde tödlich sein, sagt er. Der Event in Groß-Dölln ist in seinen Augen hingegen absolut harmlos. „Mit Fahranfänger durch Berlin zu fahren ist viel gefährlicher“.
Aus ganz Deutschland nach Groß-Dölln
In Deutschland gibt es 500.000 Sehbehinderte und 150.000 Blinde. Alle zwei bis drei Jahre organisiert der ABSV eine Fahrveranstaltung. In diesem Jahr haben sich 250 Blinde, Sehbehinderte und deren Angehörige angemeldet. Für sie alle ist die Fahrt über das Testgelände kostenlos. Nur für das Mittagessen, für Kaffee und Kuchen bezahlt jeder zehn Euro.
Die Teilnehmer werden von circa 60 Fahrlehrern betreut. Sie alle steuern Benzin, ihre Autos und ihre Zeit bei. Einer von ihnen reiste sogar aus Heidelberg an
. Als Gegenleistung erhalten sie ein kostenloses Mittagessen und das Wissen, viele Menschen glücklich gemacht zu haben.Auch die Blinden und Sehbehinderten sind von weit her gekommen. Sie haben eine teils sehr beschwerliche Reise auf sich genommen, um einmal selbst Gas geben, um einmal selbst lenken zu können, in einem Leben, das meist von anderen gesteuert wird.
Als ich Mandy und Heiko zum Bahnhof in Berlin bringe, lenke ich vorsichtig wie lange nicht mehr. Ich achte auf Unebenheiten, beschleunige und bremse sanft. Blinde müssen oft auf andere Menschen vertrauen, im Moment mir, und ich frage mich, woher sie dafür tagtäglich neue Kraft nehmen. Viele Sehende vertrauen nicht mal ihrem Nachbarn. Diese Menschen vertrauen Wildfremden, jeden Tag.
Blinde gehören genauso wenig an das Steuer eines Autos wie Senioren, die keinen Überblick mehr über das Verkehrsgeschehen haben und durch die Gegend schleichen, sondern sollten sich besser fahren lassen.
finde ich schön, dass so etwas organisiert wird. ich denke alle beteiligten hatten ihren spass daran.
Selten so einen unqualifizierten Kommentar gelesen wie diesen.
Lass denen doch ihren Spaß am Autofahren, sie machen das ja immerhin auf einen abgesperrten Platz außerhalb der Öffentlichkeit. Da darf jeder machen was er will mit seinem Fahrzeug.
Und Senioren haben mit dieser Aktion nichts zu tun.
Wie kann man Dir denn helfen? Heute registriert und schon soviel Müll rausgehauen. Respekt......
Link
Verdammt wo ist der Bus????
Mit den Leuten denen das Interressiert
Ich würde mal vermuten: APRIL - APRIL!
Ich finde das eine ganz tolle Aktion. 😊
Klar ist es so, dass Blinde im normalen Straßenverkehr auf jeden Fall Schwierigkeiten hätten, Beifahrer hin oder her. Trotzdem finde ich es super, wenn Ihnen die Erfahrung auf einer abgesperrten Strecke ermöglicht wird. 😉
Ich finde die Aktion auch phantastisch. Viele der Ignoranten können sich vermutlich nicht mal ansatzweise vorstellen, wie toll das sein muss, dass man als Blinder mal - wenn auch "nur" auf abgesperrter Strecke und mit Anweisungen - Auto fahren kann. Auch ist es eine grosse Kommunikationsleistung, dass allein anhand von Manöveranweisungen gefahren werden kann.
Ich als Sehender würde mir da sicher vor Angst in die Hose machen und auch nicht schneller als Schritttempo fahren.
Eine gute Sache, wie ich finde!
Und unter den geschilderten Bedingungen auch gut organisiert.
Es gehört schon einen Menge Mut und Vertrauen ein Auto blind zu fahren, wenn man sich nur auf die Anweisungen des Beifahrers verlassen kann bzw. muss.
Und wenn es den Teilnehmern Spass gemacht hat, ist der Zweck erfüllt.
@sabine_ST
Wie hoch war der Puls beim Fahren? 😆
Ich hätte mich das ganz ehrlich trotz des abgesperrten Platzes nicht getraut.
Schön, dass soetwas ermöglicht wird. Auf solch völlig unüberlegte und unreife Äußerungen wie von Pajero möchte ich jetzt garnicht weiter eingehen.
Ich habe unendlichen Respekt vor Menschen, die sich trotz eines solchen Schicksales noch ihren Lebensmut und ihre Freude und ihren Humor behalten können, ich möchte in eine solche Situation niemals geraten und wünsche das auch keinem anderen.
Dass man ein solches Event organisiert und für die Beteiligten kostenlos macht finde ich super. Den Helfern dieses Projektes gebührt großer Dank.
Hallo RalphM,
das Gute war, dass ich zuerst Beifahrer war und die Strecke kannte. Ich wusste also, dass die Fahrlehrer gut aufpassen und jederzeit eingreifen können. Deshalb war ich nach einer kurzen Eingewöhnung vergleichsweise entspannt.
Ein komisches Gefühl war es trotzdem.
Viele Grüße aus der Werkstatt
Sabine
Wir "Sehende" können auch mit Augenbinde wohl nicht ansatzweise nachvollziehen, wie Blinde ihre Umwelt wahrnehmen. Ich habe allergrößten Respekt vor den Fähigkeiten die Blinde, aber auch Menschen mit anderen Behinderungen, entwickeln, um das Manko wenn nicht auszugleichen, dann doch oft in erstaunlich großem Umfang zu kompensieren. Da sind zum einen Fähigkeiten in uns angelegt, die wir "Normale" entweder nicht entwickeln oder nicht spüren, aber da steckt eben auch unglaublich viel Arbeit und Fleiß dahinter. Ich finde diese Sache einfach großartig.
Grüße vom Ostelch
Ich finde das auch Geil, auf abgesperrten Strassen, aber bitte nicht im Verkehr.
Ich habe auch eine Sehschwäche und muss alle 2 Jahre nen Sehtest machen, finde ich auch richtig so.
Auf Anweisung Autofahren : Bin vor 20 Jahren Rally gefahren , da fährt man auch ( fast nur ) auf Anweisung des Copiloten. Also machbar ist das schon.