54. Verkehrsgerichtstag 2016 in Goslar
Experten fordern: MPU schon bei 1,1 Promille
Marode Straßen, Dashcams, Idiotentest und Alkohol: Das sind die Schwerpunkte der jährlichen Tagung für Verkehrssicherheit in Goslar. Ihre Empfehlungen werden oft Politik.
Goslar - Beim Verkehrsgerichtstag in Goslar befassten sich rund 2.000 Experten mit aktuellen Verkehrsthemen. Oftmals folgte die Politik in der Vergangenheit ihren Vorschlägen. Auch in diesem Fall? „Wir müssen ernsthaft über eine Infrastruktur-Behörde für den Bau und den Betrieb von Fernstraßen nachdenken“, sagte Ex-Generalbundesanwalt Kay Nehm am Donnerstag bei der offiziellen Eröffnung des 54. Deutschen Verkehrsgerichtstages (VGT) im niedersächsischen Goslar.
Die maroden Straßen in Deutschland Nehm ein Dorn im Auge, die Bemühungen der Bundesregierung reichen aus seiner Sicht nicht aus. Neubau und Sanierung hinkten weit hinter dem Bedarf her. Eine bundesweit zuständige Infrastruktur-Behörde sieht Nehm dagegen als probates Mittel gegen „marode Straßen und Brücken, kilometerlanger Baustellen mit Ewigkeits-Charakter und stetig wachsende Staus“.
Die Behörde soll für Planung, Bau und Instandhaltung der Straßen zuständig sein. Dabei könne sich Deutschland die österreichische Infrastruktur-Gesellschaft ASFINAG zum Vorbild nehmen, die auch die Maut erhebe, sagte Nehm der Deutschen Presse-Agentur am Rande des Kongresses: „Da hat sich gezeigt, dass eine Behörde den Überblick hat und schlagkräftig ist.“
Dashcams als Beweismittel
Nach einer aktuellen Studie des Automobilclubs ACV würde fast die Hälfte der Befragten eine Minikamera im Auto anbringen, wenn die Nutzung gesetzlich eindeutig geregelt und legal wäre. Sie hoffen, sich damit vor falschen Anschuldigungen im Schadenfall schützen und einen Unfallhergang rekonstruieren zu können.
Forderung des Verkehrsgerichtstags: Aufnahmen mit Minikameras (Dashcams) sollen "anlassbezogen" zulässig sein, etwa bei einem drohenden Unfall. Ansonsten sollen sie nach kurzer Zeit automatisch überschrieben werden. Der Missbrauch der Aufzeichnungen, etwa durch eine Veröffentlichung im Internet, soll bestraft werden.
„Idiotentest“ schon bei 1,1 Promille?
Wer betrunken im Straßenverkehr unterwegs ist, verliert den Führerschein und muss zur Medizinisch-Psychologischen Untersuchung (MPU), dem sogenannten Idiotentest. Nach einem jahrelangen Rückgang der MPU-Zahlen rechnen Fachleute jetzt mit einer deutlichen Zunahme. Der Grund: Die Grenze, ab der erstmals erwischte Kraftfahrer zur MPU müssen, könnte von 1,6 auf 1,1 Promille sinken.
Da in einigen Ländern schon jetzt die niedrigere Promille-Grenze gilt, herrsche in Deutschland Rechtsungleichheit, beklagt Nehm. Die Experten fordern daher: Alkoholsünder sollen den Idiotentest schon ab einem Promillewert von 1,1 absolvieren müssen. Die aktuelle Grenze liegt in den meisten Bundesländern bei 1,6 Promille, in anderen wird die 1,1-Promille-Grenze bereits angewendet.
Pusten statt Blutprobe?
Ein Schwerpunkt des Verkehrssicherheitstages: Alkohol am Steuer. Polizeigewerkschafter wollen die zeitaufwändigen Blutproben für Alkoholsünder abschaffen. Sie halten die Atemalkoholanalyse für ausreichend. Der Verkehrsgerichtstag spricht eine andere Empfehlung aus: Entgegen den Forderungen der Polizei soll es bei der Blutprobe für Alkoholsünder im Straßenverkehr bleiben. Jenseits von 1,1 Promille sei der Atemalkoholtest zu unsicher und kein ausreichendes Beweismittel.
Alkohol- statt Blitzmarathon?
Der DAV rät der Polizei, künftig statt sogenannter Blitz-Marathons auf der Jagd nach Temposündern lieber Puste-Marathons zu veranstalten, um Alkoholsünder zu erwischen. Denn die Hauptursache für Verkehrsunfälle sei nicht die Überschreitung der vorgeschriebenen Geschwindigkeit, sondern Alkohol am Steuer, sagte der Vorsitzende der DAV-Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht, Jörg Elsner.
Bessere Lehrer, schnellere Prozesse, Schadensersatz
Fahrlehrer sollen nach dem Willen des Kongresses künftig in ihrer Ausbildung mehr pädagogische Kompetenzen erwerben. Kandidaten müssen statt wie bisher einen Hauptschulabschluss mindestens einen mittleren Bildungsabschluss haben. Die Fahrlehrerlaubnis sollen sie dafür aber schon mit 21 Jahren bekommen können.
Weil Zivil-Verkehrsprozesse oft langwierig sind, sollen sich Richter und Anwälte nach Vorstellung des Verkehrsgerichtstags spezialisieren. Bei einzelnen Gerichten sollen zudem besondere Kammern für Verkehrsrecht eingerichtet werden, die dann auch überörtlich tätig sein sollen.
Die Berechnung des Verdienstausfalles für Verkehrsopfer ist komplex und oft fehlerhaft. Fachanwälte sollen deshalb in der Ausbildung darauf vorbereitet werden. Die Gerichte sollen bei Schäden ab einer bestimmten Größenordnung spezialisierte Kammern einsetzen.
Ich finde die Meinungen zu den "Dashcams" interessant. - Anders als bei den Datenschützern werden die hier nicht pauschal verteufelt.
Es müsste nun ein Rahmen festgelegt werden, ab wann die Aufnahmen als Beweismittel herangezogen werden können. - Etwa auch bei durch Kurvenschneiden verursachte Ausweichmanöver/Notbremsungen, Ausbremsen/Abdrängen anderer Verkehrsteilnehmer.
Zitat:
Der Missbrauch der Aufzeichnungen, etwa durch eine Veröffentlichung im Internet, soll bestraft werden.
Wenn man danach geht, müssten erst recht z.B. alle Rad und Mopedfahrer belangt werden, die mit "ActionCam", "GoPro" (und wie sie alle heißen) am Lenker herum gurken und die Videos ihrer Ausritte dann ins Netz packen.
Kleiner Hinweis an die Werkstatt: In der ersten Bildunterschrift muss es "Verkehrsgerichtstag" heißen und nicht "Verkehrssicherheitsrat" - auch wenn der Verkehrsgerichtstag wieder Rat zur Verkehrssicherheit erteilt. 😉
Grüße vom Ostelch
Wenn es so ein strafbewehrtes Verbot gäbe, würde das sicher alle Arten solcher Filmaufnahmen betreffen.
Das "anlassbezogen" ist ein Problem, weil ich, wenn der Anlass da ist, keine Zeit haben werde, schnell noch die Kamera zu aktivieren. Da sich Unfälle aber nicht über Stunden vorbereiten, würde eine kurze Aufnahmezeit mit anschließendem echtem Löschen automatisch dafür sorgen, dass nur für einen kurzen Zeitraum eigentlich nicht "anlaßbezogen" gefilmt würde. Mehr als drei Minuten müsste die Sequenz jeweils nicht dauern, schätze ich. Ich bin mir aber sicher, dass die Beliebtheit der Kameras dann bei denen schlagartig abnehmen würde, die damit vor allem auch ihre fahrerischen Heldentaten dokumentieren wollen.
Gut finde ich den Vorschlag "Pustemarathons" zu machen, aber bitte regelmäßig!
Grüße vom Ostelch
0,0 promille so wie in der ehemaligen DDR, Alk hatt nichts im Straßenverkehr zu suchen, auch nicht in geringen Mengen.
Wer Kohle für Fusel hatt kann sich auch ne Taxe leisten oder mal ganz Altmodisch auf Schusters Rappen.
Was denn Jetzt??
Viele Politiker ergötzen sich mit Forderungen nach mehr Radarkontrollen, mehr Polizei und lückenlose Geschwindigkeitsüberwachungen.
Plötzlich behaupten Fachleute, die Geschwindigkeitsüberschreitungen (häufig nur gering) seien oft gar nicht das Problem, sondern Alkohol. Also doch nur Abzocke und Panikmache.
Der gemachte Vorschlag scheint mir doch sehr vernünftig, denn er würde das datenschützerisch zweifellos ernstzunehmende Problem einer Dauerüberwachung eigentlich lösen.
Zum Thema GoPro, Actioncam etc.: Das ist selbstverständlich erlaubt, so lange damit nicht primär der Zweck einer "Verkehrsüberwachung" verfolgt wird. Ich bin natürlich berechtigt, mit dem Mountainbike durch den Wald oder mit den Skis über die Piste zu fahren und dabei zu filmen, so lange darauf keine anderen erkennbar sind (außer, sie wären damit einverstanden). Und selbst dann würde es erst so richtig kritisch, wenn ich die Aufnahmen dann eben auch noch öffentlich zugänglich mache...
@Rufus24
Gemeint ist das Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit im alkoholisierten Zustand. Wenn es dabei kracht, ist i. d. R. der Alkoholgenuß der entscheidende Faktor dafür, daß der Fahrer die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren hat.
Unfallursachen
Wir müssen Kurven und Kreuzungen verbieten, dann haben wir weniger Unfälle. Oder lese ich die Statistik falsch?
Dann hoffe ich, dass Du an einer Geraden wohnst und auch all Deine Ziele stets an einer solchen liegen. Alkohol und Tempo kann jeder ganz leicht selber beeinflussen, Kurven und Kreuzungen hingegen nicht, die wird es wohl oder übel brauchen.
Von mir aus...ich trinke eh seit Jahren keinen Alkohol (mehr).
Eher gefährdet fühle ich mich aber von den Smartphone Junkies...eine echte Seuche.
Vor einigen Tagen las Ich eine Meldung das die Zahl der MPUs auf nur noch 45000 zurückgegangen sei.
Lobbyarbeit der Firmen die mit der MPU ihr Geld verdienen?
Was die Kameras angeht. Gestern oder Vorgestern kam ein Bericht im Fernsehen dazu. Nur weil Einer die Kamera ständig mitlaufen lies konnte eine Geisterfahrerin ermittelt werden, bzw war durch das kurze Video der Fahndungsdruck so hoch das Sie sich stellte. Anlassbezogen hätte die Dame nicht ermittelt werden können da es kein Video gegeben hätte.
Darüber das solche Videos nicht so ohne Weiteres veröffentlicht werden dürfen ist ja eh schon Gesetz, deswegen spricht doch nichts dagegen wenn Einer die Kamera mitlaufen lässt, mehr als ca 2 Stunden passen eh nicht auf die Karte. Wobei es sicher auch bei Ermittlungen hilfreich sein könnte wenn man einen Fahrer aufreiben könnte Der zufällig zur fraglichen Zeit auf einem bestimmten Abschnitt unterwegs war und möglicherweise mit seinen Aufnahmen zur Aufklärung beitragen könnte.
Man stelle sich vor zu Turbo-Rolfs Zeiten hätte es diese Kameras gegeben und Jemand der zeitlich passend unterwegs gewesen wäre hätte mitgefilmt, die Behörden hätten dann viel einfacher die fraglichen Fahrzeuge rausfiltern können und nicht mühsam über mehr oder weniger genaue Fahrzeugbeschreibungen.
@ monza3cdti
Laut Kollegen die bei der Feuerwehr sind schauen die Polizisten Bei einem Unfall mittlerweile eher nach einem Smartphone im Fußraum als das Sie einen Alktest machen.
Laut deren Auskunft sei Alk mittlerweile kein gro0es Problem mehr, eher die Sucht nach dem Smartphone oder illegale Drogen oder Medikamentenmissbrauch.
Naja, Übermüdung z.B. ist gefährlicher als niedrige Promillewerte. Die echten Alkis bekommste damit eh nicht in den Griff, denen ist ziemlich egal, wo der "Start" ist, wenn sie mit weit jenseits von 1 Promille unterwegs sind...
Es geht nicht um irgendwelche Geschwindigkeiten, sondern überhaupt unter dem Einfluß von Alkohol.
Man kann auch einen Unfall verursachen obwohl man die erlaubte Höchstgeschwindigkeit nicht überschritten hat.