Alfa Romeo Giulia: Erster Test
Giulia will einfach nicht vernünftig sein
Wer braucht schon Platz, wenn 510 PS die Hinterreifen quälen? Die neue Giulia wurde als Sportlerin inszeniert, dabei ist in ihrem Segment Vernunft gefragt. Oder doch nicht?
Balocco – Schön. Vor allem schön muss bei Alfa alles sein. Und schnell. Und sportlich. Seit der ersten Präsentation der neuen Giulia im Juni 2015 steht deshalb die Topversion „Quadrifoglio“ mit 2,9-Liter-Biturbo-V6 im Vordergrund. Heute steht sie das erste Mal vor uns. 510 PS, 600 Newtonmeter Drehmoment, Handschaltung und Hinterradantrieb. Grazie a Dio, Gott sei Dank, was ist das für ein Alfa geworden.
Der Asphalt auf dem Fiat-Testgelände in Balocco ist noch etwas feucht vom morgendlichen Regen. Widrige Bedingungen könnte man meinen, doch für die Giulia sind sie perfekt. Nicht eine Runde kann man sich in diesem Auto zusammenreißen. Nach ein paar Kurven steht der Drehregler in der Mittelkonsole auf „Race“, das ESP schaut weg und der kurze Schalhebel mit der schicken Kugel klickt in den zweiten Gang. Vollgas und die Giulia stellt sich quer. Wörtlich.
510 PS und ein Funken Vernunft
Von Bockigkeit kann dagegen keine Rede sein. Die Lenkung arbeitet sehr präzise und direkt. Als M3-Fighter wurde die Giulia direkt nach der Vorstellung gehandelt. Im Fernvergleich fühlt sie sich im Grenzbereich zwar etwas ruppiger an als der Bayer, lässt sich aber super kontrollieren. Lediglich die Handschaltung könnte noch genauer sein.
Das adaptive Fahrwerk arbeitet gefühlt etwas weicher, aber nicht weniger präzise als im BMW. Das Gewicht lastet zu je 50 Prozent auf Vorder- und Hinterachse. Hinten gibt es zudem eine mechanische, elektronisch gesteuerte Sperre. Sie verteilt die Leistung per Torque-Vectoring zwischen den Hinterrädern. Zwischen 100 und 250 km/h fährt sich außerdem der Frontsplitter aus, um mit mehr Abtrieb auf der Vorderachse das Handling in Kurven zu verbessern.
In 3,9 Sekunden beschleunigt die schnellste Giulia auf 100 km/h. Auf dem Testkurs stehen nach wenigen Augenblicken eine Zwei und zwei Nullen im Display. Verdammt schnell fühlt sich das an. Aber nur etwas schneller als in einem „bloß“ 431 PS starken M3. Der Grund: Die Giulia wiegt trotz Carbon-Haube, -Türen und –Kardanwelle noch 1.655 Kilogramm. Rechnerisch macht das immerhin ein 0,5 Kilogramm besseres Leistungsgewicht als beim BMW.
Egal, die Carbon-Keramik-Bremsen fangen die Giulia sauber ein. Vor allem, weil die elektronischen Assistenzsysteme mit der mechanischen Bremskraftunterstützung vernetzt sind, verzögert die Giulia überragend. Aus Tempo 100 steht sie nach nur 32 Metern. Abseits der Rennstrecke soll eine Zylinderabschaltung den Verbrauch zumindest halbwegs im Zaum halten. Einen Funken Vernunft gibt es auch in der 510-PS-Giulia.Eine Plattform für alle Alfa
Und den braucht es. Denn nur Image bringt selbst Alfa nicht weiter. Die Vernunft versteckt sich tief unterm Blech der Giulia. Die ist Alfas erstes Modell auf der neuen variablen Architektur, die bis 2020 alle Alfa tragen wird. Darunter das kommende SUV und die nächste Giulietta. Richtig gelesen: Der kompakte Alfa bekommt Hinterradantrieb. Ungefähr dann, wenn der neue BMW 1er mit den Vorderrädern scharrt.
Für die Giulia gibt es auch erschwingliche Motoren. Neben dem mindestens 71.800 Euro teuren V6 gibt es zum Marktstart einen 2,2-Liter-Diesel mit 150 (ab 34.100 Euro) oder 180 PS (ab 37.400 Euro). Alle drei Motoren können mit Sechsgang-Getriebe oder der sauber und weich schaltenden Achtgang-Automatik kombiniert werden. Ende Mai folgt in ausgewählten Märkten, darunter Deutschland, ein Einstiegsmodell mit 136 PS und Handschaltung für 33.100 Euro. Im Herbst kommen ein 2,0-Liter-Benziner mit 200 oder 280 PS und Allrad-Versionen dazu.
Ein bisschen Ferrari
Einen biederen ersten Eindruck machen auch die Diesel nicht. Der Startknopf befindet sich auf dem Lenkrad – wie bei Ferrari. Dahinter ragen riesige Schaltwippen aus Aluminium aus der Lenksäule. Noch ein bisschen Ferrari. Sonst bleibt das Cockpit klar und aufgeräumt. Einziges Manko: Der schön integrierte Bildschirm für das Infotainment und die Navigation ist zu pixelig.
Auf den vorderen Stühlen aus Stoff und Leder sitzt man bequem und mit viel Platz und Halt. Hinten wird es dagegen enger: Das Kofferraumvolumen liegt mit 480 Litern zwar gleichauf mit C-Klasse, BMW 3er, und Audi A4. Doch die hinteren Türen öffnen nicht sehr weit, die Sitzbank liegt tief und bequem ist es nur auf den äußeren Sitzen.
Erste Fahrt mit der Diesel-Giulia
Wieder egal. In der schönen Giulia wird irgendwie Vieles egal. Der Diesel knurrt bei mehr als 3.000 Touren - in der Giulia sieht man das sportlich. Bis 140 km/h bleibt es angenehm leise, danach nehmen die Windgeräusche stark zu. Ist halt so beim Schnellfahren. Auch das konventionelle Fahrwerk im Diesel ist straff ausgelegt und die Lenkung direkt. Wer sich daran stört, soll halt zu Mercedes gehen.
Fast unwichtig ist den Italienern der Stand bei den Assistenzsystemen. Die Giulia hat einen Spurverlassenswarner. Der piept, greift aber nicht ein. Und einen Totwinkelassistenten. Dazu gibt es eine automatische Notbremse mit Fußgängererkennung. Das reicht.
Am Ende unserer Fahrt stehen 6,2 Liter im Display. Das ist ok, auch wenn es nur 4,2 sein sollten. Dieser NEFZ-Wert gilt kurioserweise für alle Dieselmodelle, auch die deutlich schwächeren. Erst später wird Alfa ein Diesel-Sparmodell mit einem CO2-Ausstoß von 99 Gramm pro Kilometer, also voraussichtlich ca. 3,8 Liter Verbrauch, anbieten. Erst damit steht die Giulia beim Verbrauch auf dem neuesten Stand. Der Audi 2.0 TDI ultra soll im besten Fall nur 3,7 Liter brauchen. Jaguars XE E-Performance, BMW 320d Efficient Dynamics Edition und Mercedes C-Klasse 180 BlueTec schaffen einen Verbrauch von 3,8 Litern auf 100 Kilometern.Giulia, bleib so
Die Giulia hat kleine Makel, aber das stört ihr Gesamtbild nicht. In Deutschland wird sie wohl eine schöne Alternative bleiben. Wenn hier pro Jahr 3.000 Autos verkauft werden, wäre das schon viel (und mehr als beim Jaguar XE).
Den Italienern ist das anscheinend sowieso völlig egal. Die Giulia wird in Italien als emotionales Weltauto gesehen, als wahre Wiederbelebung der Marke, nach dem Luxusobjekt 4C. Und das muss eben vor allem sportlich, schnell und schön sein.
Alfa Romeo Giulia – Technische Daten
- Modell: Giulia Quadrifoglio
- Motor: 2,9-Liter-V6-Biturbo
- Getriebe: manuelles Sechsganggetriebe
- Leistung: 510 PS; 375 kW
- Drehmoment: 600 Nm
- Vmax: 307 km/h
- 0 – 100 km/h: 3,9 s
- Verbrauch: 8,5 l/100 km
- CO2: 198 g/km
- Länge: 4,64 m
- Breite: 2,02 m
- Höhe: 1,43 m
- Gewicht: 1.655 kg
- Kofferraum: 480 l
- Preis: ab 71.800 Euro
- Modell: Giulia Super 2.2 Diesel AT8
- Motor: 2,2-Liter-Vierzylinder-Turbo-Diesel
- Getriebe: Achtgang-Automatik
- Leistung: 180 PS; 132 kW
- Drehmoment: 450 Nm
- Vmax: 230 km/h
- 0 – 100 km/h: 6,8 s
- Verbrauch: 4,2 l/100 km
- CO2: 109 g/km
- Länge: 4,64 m
- Breite: 2,02 m
- Höhe: 1,44 m
- Gewicht: 1.520 kg
- Kofferraum: 480 l
- Preis: 39.650 Euro
- Modell: Giulia 2.2 Diesel
- Motor: 2,2-Liter-Vierzylinder-Turbo-Diesel
- Getriebe: Sechsgang-Handschaltung
- Leistung: 150 PS; 110 kW
- Drehmoment: 380 Nm
- Vmax: 220 km/h
- 0 – 100 km/h: 8,4 s
- Verbrauch: 4,2 l/100 km
- CO2: 109 g/km
- Gewicht: 1.449 kg
- Preis: ab 34.100 Euro
Kein Wunder. Schließlich waren u.a. Ferrari-Inschenöre bei der Entwicklung am Werk. 😉
Der Innenraum hat viel von Ferrari übernommen. 😊
Ich wünsche Alfa viel Erfolg. Das ist (auch für mich) der Neustart. Back to the roots. Alfa wird so künftig interessant für mich. Der Standardantrieb ist für mich ein Muss. Falls die bei BMW tatsächlich so ingnorant sind und den 1er auf eine Frontantriebsbasis stecken, dann ist die kommende Giuletta eine passende Alternative. 😉 😎
Bei so viel Leistung ist Allrad und Automatik Pflicht.
😕
Nope. Es sei denn man ist nur auf Ampelrennen aus.
Erstaunlich was dem Autor bei der Giulia alles egal ist. Sogar ein um über 50% höherer Normverbrauch ist egal.
Das kommt also dabei raus, wenn Liebe blind macht. Jedes andere Auto würde ob der Unzulänglichkeiten in der Luft zerrissen.
Aaaaber - schön ist sie schon, die Giulia
Eindeutig nein! 😜
In Zwei Wochen kann ich mich auch in Balocco austoben, anscheinend sollten dann auch ein paar Giulias bereitstehen - ich hoffe, dass ich die dann auch bewegen darf 😎
Ich habe gestern bereits die erste Giulia auf der Straße gesehen. Trotz Tarnkleid sehr schick anzusehen gewesen! 😊
Details, die mir am Cockpit sehr gut gefallen:
Die Mittelkonsole sieht auf den ersten Blick aus, als gäbe es keine Cupholder, dabei ist das vorm Schaltknauf ein großer Schiebedeckel, der die damit unsichtbar macht, so muss das sein, sieht beim (A4 B9) bzw. sah (3er F30) furchtbar aus.
Starknopf am Lenkrad, genau da gehört das Teil hin, geil!
Und hier auf Bildern nicht zu sehen, die Automatik hat zwei feststehende ziemlich große Oschis von Alu-Schaltpadels, wirkt auch wie in einem Ferrari.
Und wenn man das zur kommenden Giulietta liest, also wenn da bei BMW in Sachen 1er jetzt nicht alle Alarmglocken schrillen, weiß ich auch nicht mehr weiter 🙄
Schön finde ich auch, dass der Bildschirm des Navis - entgegen des aktuellen Trends bei deutschen Großserienherstellern - schön in das Armaturenbrett integriert ist. Es sieht furchtbar aus, wenn da plötzlich so ein nicht einfahrbarer Bildschirm oben draufgesetzt wird.
Noch ein Passender Beitrag zum Artikel 😊
Shmee Testet die Giulia
Tritt die Gulia nicht gegen den 3er an? Und der ist doch weiterhin heck getrieben.
Der 1er als Kompakter macht für BMW aus Kostensicht (und auch für die meisten Käufer) am meisten Sinn. Meine Freundin hat sich damals gegen den 1er entschieden, weil sie einen Fronttriebler wollte. Und da gibts bestimmt noch einige Mädels (und auch n paar Jungs) mehr, die das so sehen. Hauptsache 3er, 4er usw. wackeln weiter mit dem Hintern. 😊
Die Giulia ja - sie nimmt den Dreier aufs Korn. Aber auch in der Kompaktklasse stellt Alfa die Giulietta auf die Heckantriebs-Plattform. 😉
@Gurkengraeber Die Giulietta bekommt eben auch RWD und tritt somit gegen den 1er an 😉.
Na ja. Der Satz "Am Ende unserer Fahrt stehen 6,2 Liter im Display" besagt doch gar nix.
Ein längs eingebauter Motor verursacht auch eine längere Haube. Das ist für die Geräumigkeit völlig behämmert, gerade bei Kleinwagen wie dem 1er. Aber es macht auch schöne Proportionen: Lange Haube, kurzes Heck, so muss ein Auto aussehen. Auch der durch den Hinterradantrieb notwendige Kardantunnel ist platzraubend.
Diese Proportionen und der Hinterradantrieb sind jedoch Alleinstellungsmerkmal des 1er. Sicherlich, vielen ist egal, sie wollen einfach nur einen BMW fahren, total egal, was da für Technik drinsteckt. Sieht man ja bei der A-Klasse. Ich finde diesen Hauch Unvernunft toll.
Ich würde mich freuen, wenn Alfa in diese Nische stoßen würde.