Innovationen bei Autozulieferer ZF

Google und Apple statt BMW und Daimler

MOTOR-TALK

verfasst am Mon Jun 20 13:28:24 CEST 2016

Wenn alle Teile vom Zulieferer kommen, was machen dann noch die Hersteller? Diese Frage stellt sich nach einem Besuch bei ZF. Ein Blick auf die neuesten Entwicklungen.

Auf Testfahrt mit dem ZF-Golf: Die Hinterachse lenkt mit. Außerdem kann sie von einem 150-kW-Elektromotor angetrieben werden
Quelle: ZF

Hockenheim - Wir fahren mit 60 km/h ungebremst auf ein stehendes Fahrzeug zu. Ein Alptraum. Gleich werden wir den Aufschlag hören und danach einfach aufwachen. Doch dazu kommt es nicht. Plötzlich wird das Lenkrad von allein herumgerissen. Die Kameras am Fahrzeug erkennen den drohenden Horror-Crash, prüfen per Seitenradar, ob dort noch Platz ist - und das Auto schießt links am Hindernis vorbei.

Das automatische Notbremsen wird ab 2018 gesetzlich für Neuwagen vorgeschrieben. Aber Autozulieferer ZF will bis dahin bereits das automatische Notausweichen etabliert haben. „Sehen, denken, handeln” - nennt Manfred Meyer, Top-Manager bei ZF die Kernkompetenzen seines Konzerns. Darum investieren die ZF-Macher massiv in solche vorausschauenden Assistenzsysteme.

Einparken per Smartwatch

Dabei fangen die Innovationen schon bei Geringerem an. Meyer zeigt auf einen betagten Suzuki Splash am Rand der Rennstrecke in Hockenheim. Er schwärmt von einem „Traum-Wendekreis“ von etwa 2,50 Meter. Regulär braucht der Suzuki 9,40 Meter.

Der Wagen wendet mit der neuesten Achsinnovation der Friedrichshafener fast auf der Stelle. „An der Hinterachse arbeiten zwei je 40 kW (55 PS) starke Elektromotoren - darum brauchen wir vorn keinen Motor”, sagt Meyer. Der schöne „Nebeneffekt“ der sogenannten „Electric Twist Beam“: Die Vorderräder lassen sich nun um bis zu 75 Prozent einschlagen.

Die Achse ist ein für ZF typisches Ausstellungsstück. Der drittgrößte Automobilzulieferer der Welt glaubt, dass auch Kleinwagen vor einem Innovationsschub stehen. Der Prototyp kann auch einparken, wenn der Fahrer es ihm per Smartwatch befiehlt. Kameras und Sensoren sorgen dafür, dass es tatsächlich reibungslos in die Parklücke geht.

ZF-Hinterachse: Das Forschungsmodell bietet Elektroantrieb und Hinterachslenkung auf dem Platz einer normalen Achse. In Zukunft will der Hersteller fast alle wichtigen Autokomponenten aus einer Hand liefern
Quelle: ZF

Vor allem Kleinwagen müssen sicherer werden

„Software, Antriebstechnik, Bremssysteme oder Sensorik - das integrieren wir immer stärker”, so Meyer. Der Vorteil: Die früher einzelnen Komponenten werden preiswerter - und können auch in kleineren Modellen eingebaut werden. Das müssen sie auch: Denn die kommenden gesetzlichen Anforderungen an Umweltschutz und Sicherheit sind für die Hersteller nur einzuhalten, wenn sie deutlich mehr sparsame und sichere Kleinwagen auf den Markt bringen.

Wenn die Hersteller pauschal Radar, Ultraschall und Kameraaugen in die Autos bringen, werden diese nicht nur dem Ziel „Unfallfreiheit” näher kommen. Sie können dann auch vorausschauend den richtigen Gang wählen oder entscheiden, im Leerlauf bis zur nächsten Ampel zu „segeln“. Sie könnten auch per autonomer Bremse die Batterie eines Elektroantriebs wieder laden.

Alles aus einer Zuliefererhand

Große Zulieferer wie ZF, Bosch oder Magna wollen die nötigen Komponenten für diese neue Autowelt am liebsten aus einer Hand anbieten. Zum Beispiel mit einer neuen Hinterachse, die ZF testweise in einen normalen Golf eingebaut hat. Die Hinterräder des Volkswagens lenken – zusätzlich sitzt auf der Achse ein 150 kW (204 PS) starker Elektromotor. Er kann das Auto wahlweise allein antreiben oder im Verbund mit einem Verbrennungsmotor und Frontantrieb einen Allradantrieb herstellen.

Achse, Antrieb, Getriebe, Assistenten, Software, Bremssysteme - alles vom Zulieferer entwickelt und ans Band geliefert. Da könnte man sich fragen, was die großen Automarken in Zukunft noch aus eigener Kompetenz entwickeln? Manager Meyer bleibt diplomatisch: „Die klassischen Hersteller haben natürlich ihre eigenen konzeptionellen Vorstellungen“.

Manche neuen Wettbewerber aber nicht: „Google oder Apple haben wahrscheinlich weniger Ehrgeiz, Bremssysteme oder Antriebskonzepte selbst zu entwickeln.” Für die IT-Riesen ist das Auto nur Hardware - und dessen Komponenten werden künftig vielleicht bei großen Zulieferern zugekauft.