"Raser"-Paragraph 315c: Debatte um Verschärfung
Grüne fordern Knast für Raser? Nicht ganz
Wollen die Grünen fünf Jahre Gefängnis für Autofahrer, die auf leerer Autobahn zu schnell fahren? Das behaupten Medien und Politiker. Wir haben einen Verkehrsrechtler gefragt.
Berlin – Die Bundestagsfraktion der Grünen will Raser härter bestrafen. Sie fordert eine Änderung des Paragrafen 315c des Strafgesetzbuches (StGB), in dem es um die „Gefährdung des Straßenverkehrs“ geht. Ende Mai wurde der entsprechende Antrag eingereicht, am 21. Juni soll der Bundestag darüber beraten.
Viele Medien haben in den vergangenen Tagen darüber berichtet. Der „Tagesspiegel“ etwa zitierte Renate Künast (Grüne), Chefin des Rechtsausschusses im Bundestag, mit den Worten: „Es geht uns nicht nur um illegale Rennen, es geht um die alltägliche Raserei.“ Focus Online und Welt Online schrieben kurz darauf fast gleichlautend, dass auch Autofahrern, die auf einer „schnurgeraden Autobahn“ zu schnell fahren, fünf Jahre Haft drohen.
Kurz danach stieg der AfD-Politiker Jörg Meuthen ins Thema ein und schrieb auf Facebook: „Egal wann und wo ein Autofahrer mal deutlich schneller fährt, als ein starres Verkehrszeichen erlaubt, es sollen ihm fünf Jahre Haft drohen.“ Theoretisch auch nachts, wenn auf „schnurgerader, dreispuriger Autobahn“ „kein Fahrzeug weit und breit“ zu sehen sei. Der Familienvater, der schnell nach Hause wolle und ein Schild übersehe, könne seine „Familie nun schonend darauf vorbereiten, dass sie die nächsten fünf Jahre womöglich ohne sie verbringen muss.“
Fünf Jahre Haft für Vati, der das Gaspedal etwas zu stark durchgetreten hat? Was fordert die Grüne Fraktion wirklich? In Paragraf 315c geht es um die „Gefährdung des Straßenverkehrs“. Laut Nummer 2. d) kann aktuell mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden, wer „an unübersichtlichen Stellen, an Straßenkreuzungen, Straßeneinmündungen oder Bahnübergängen zu schnell fährt“. Laut dem Antrag soll alles vor „zu schnell fährt“ gestrichen werden.
Was bedeutet „grob verkehrswidrig und rücksichtslos“?
Fünf Jahre Haft für jeden, der zu schnell fährt? Nicht ganz. Der Paragraf 315c StGB stellt nicht die bloße Geschwindigkeitsüberschreitung unter solch eine drakonische Strafe. Der Autofahrer muss „grob verkehrswidrig und rücksichtslos“ zu schnell fahren.
Was heißt das genau? Christian Janeczek, Mitglied im Ausschuss Verkehrsrecht im Deutschen Anwaltverein (DAV) führt auf Nachfrage von MOTOR-TALK aus: "Grob verkehrswidrig und rücksichtslos wird beim Thema Geschwindigkeit im Allgemeinen angenommen, wenn die zulässige Höchstgeschwindigkeit um das Doppelte überschritten wird."
Aber allein das reiche nicht aus, eine Gefährdung für Leib und Leben oder bedeutender Sachwerte (ab 750 Euro) sei ebenfalls nötig. Dann reiche auch ein Beinahe-Unfall, damit nach dem Paragraphen bestraft werden könne. Diese Voraussetzungen lässt der Gesetzentwurf der Grünen unangetastet. Nach dem Entwurf muss der Delinquent weiterhin „Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert“ durch das zu schnelle Fahren gefährden.
Wie hoch sind die Strafen beim 315c in der Regel?
Obwohl fünf Jahre Haft als Höchststrafe möglich sind, werden sie kaum einmal verhängt – schon gar nicht an harmlos etwas zu schnell fahrende Familienväter. Christian Janeczek erläutert das übliche Strafmaß: Handelt es sich um einen Ersttäter und entsteht dabei „nur“ Blechschaden, spiele sich meist alles im Geldstrafenbereich ab.
Komme jemand ums Leben, befinde man sich immer im Freiheitsstrafenbereich, wenn Paragraph 315 c zur Anwendung komme. Üblicherweise werde die Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Ausnahmen seien Extremfälle sowie Fälle, in denen der Beschuldigte unter Alkohol oder Drogen stehe.
Wie sollen die Strafen verschärft werden?
Also alles Panikmache, Wahlkampfgetöse? Jein. Wegen eines reinen Tempoverstoßes müsste zwar niemand ins Gefängnis, sollte sich der Entwurf der Grünen durchsetzen. Kommt es dabei jedoch zu einem Beinahe-Unfall oder einem Unfall, fallen die Strafen unter Umständen deutlich drakonischer aus als heute. Denn der für schwere Verkehrsvergehen vorgesehene Strafrechtsparagraph 315c wäre auch in Fällen anzuwenden, in denen er heute außen vor bleibt.
Janeczek nennt ein Beispiel: An einer „einsamen Ausfallstraße" im Ortsgebiet fährt ein Autofahrer mit 100km/h statt 50km/h. Eventuell hat er das Ortsschild übersehen. Ein anderer Fahrer nimmt ihm die Vorfahrt. Die folgende Kollision hätte der „Raser“ vermeiden können, wäre er 50 km/h gefahren.
Auch wenn nur Blechschaden entstehe, sei damit künftig Paragraph 315c StGB erfüllt. „Dadurch wäre beim Ersttäter ohne Eintragung in Flensburg eine Geldstrafe zwischen einem und zwei Monatsnettogehältern verwirklicht“, sagt Janeczek. Der Fahrer müsste außerdem den Führerschein für mindestens 6 Monate abgeben. „Das halte ich für viel zu hart, wenn man bedenkt, dass es dafür bislang eine Geldbuße im unteren dreistelligen Bereich und ein Fahrverbot von einem Monat gibt“, so der Verkehrsanwalt.
Grüne: Fahrverbote bis zu 12 Monaten
Die Grünen begründen ihren Antrag mit der hohen Zahl an Verkehrstoten wegen unangepasster Geschwindigkeit. Im Jahr 2015 seien das 34 Prozent der Fälle gewesen. Im Jahr 2016 starben in Deutschland 3.214 Menschen im Straßenverkehr. Fast 400.000 Menschen wurden verletzt.
Die Bundesregierung, so die Oppositionspartei, plane lediglich, illegale Autorennen unter Strafe zu stellen. Deren Organisation lasse sich aber oft nicht beweisen, so die Grünen-Politikerin Renate Künast im Berliner „Tagesspiegel“. Demgegenüber wollen die Grünen auch „riskante Einzelfahrten“ bestrafen.
Wer fahrlässig oder leichtfertig den Tod eines anderen Menschen in Kauf nehme, müsse strenger bestraft werden als nach aktueller Rechtsprechung. Fahrverbote sollten deshalb bis zu 12 Monate dauern und die Möglichkeit geschaffen werden, Tatfahrzeuge einzuziehen. (bmt/hd)
Es ist sehr wohltuend zu lesen, dass dieser Vorschlag der Grünen (und mehr ist es nicht) zur Abwechslung mal sachlich und differenziert betrachtet wird. Klar, einfacher ist es natürlich, sich inhaltlich nicht näher damit zu fassen und reflexartig erstmal dagegen zu sein, weil es ja von den Grünen kommt.
Ich persönlich halte eine Erweiterung des 15c für durchaus diskussionswürdig. Warum soll eine Gefährdung an einer Einmündung härter bestraft werden als die gleiche Gefährdung auf gerader Strecke?
Langsam wird es affig das manche vergehen sehr lasch geahndet werden ja gut. Aber solche aussagen mit 5 Jahren Knast wegen zu schnellen fahrens ,sorry wer so redet hat einen riss im Plätzchen.
So hat doch niemand geredet. 😉
Och, schon wieder 🙄 Das hatten wir doch erst vor ein paar Tagen...
Jetzt kommen wieder die ganzen Raser und heulen rum wie ungerecht die Welt ist 😮
Motiv: Tempo macht Spass.
Abhilfe: Erhöhung der Bußgelder und Führerscheinentzug bis zur Schmerzgrenze, Knast für unbelehrbare Wiederholungstäter
Geldstrafen abhängig vom Einkommen: immer gut. Mit den Einnahmen die Kontrollen finanzieren.
Fahrverbote mit 1 Monat wirken bereits in der Autofahrerseele.
Beinahe-Unfälle hoch bestrafen? 😕
Bei zu hohen Geschwindigkeiten müsste endlich eine praxisorientierte Fahrelektronik her, man "darf" dann noch versehentlich zu schnell fahren, würde aber unübersehbar im Innenraum gewarnt und ggf. wie bei einem City Bremsassistent runtergebremst.
Freiheit für Raser gibt es auf Autobahnen, leider immer noch. Habe früher schon für ein Tempolimit von 160 km/h argumentiert, bleibe dabei, die großen Differenzen an Geschwindigkeitsunterschieden müssen genommen werden.
Knast für Raser - plakativ, aber im Kern begründbar, Raser sind per Definition weniger die Einmal-Ausreißer, sondern jene mit Vorsatz. Und denen muss man zunächst das Spielzeug wegnehmen: Fahrzeug + Führerschein. Im Wiederholungsfalle mit Bewährungsfrist - also irgendein Flensburg System 😊 - müssen nachhaltige Strafen gesetzt werden.
Du solltest den Artikel, den du kommentierst, auch lesen... 😉
wieder ein Grund mehr, die Grünen nicht zu wählen.
Was findest du denn so schlimm an dem Vorschlag?
allein Grüne in Verbindung mit Verkehr finde ich schlimm
Oh, doch so differenziert, Respekt! Meine Güte...
Grundsätzlich würde ich es tatsächlich begrüßen, wenn man bei Bagatellverstößen kulanter wird, bei völlig rücksichtsloser Raserei aber endlich hart durchgegriffen wird.
So hat der Strich-60-Fahrer seine Ruhe und Rowdys bekommen ihre Quittung.