Zum 70. Geburtstag von Ex-VW-Chef Martin Winterkorn

Hoch gestiegen und tief gefallen

MOTOR-TALK

verfasst am Wed May 24 15:48:53 CEST 2017

Martin Winterkorns VW-Ära war von großen Erfolgen und tiefen Rückschlägen geprägt. Der Manager stolperte über den Abgas-Skandal. Heute wird der Ex-VW-Chef 70 Jahre alt.

"Volkswagen war, ist und bleibt mein Leben." - Winterkorns Abschiedsbotschaft an die Belegschaft

Wolfsburg - Kaum ein Top-Manager ist binnen so kurzer Zeit so tief gestürzt wie er. Vor zwei Jahren sonnte sich Martin Winterkorn noch in den Erfolgen einer Rekordjagd nach der Nummer eins in der Autowelt. Doch schon wenige Wochen nach seinem Rücktritt wegen der Abgas-Affäre im September 2015 war für "Mr. Volkswagen" nichts mehr wie vorher. Und auch zum 70. Geburtstag am heutigen 24. Mai dürfte dem Ex-VW-Chef nicht nur nach Feiern zumute sein.

"Wie konnte so etwas passieren?", haderte Winterkorn im Januar halb trotzig, halb demütig im Diesel-Untersuchungsausschuss des Bundestags. Es war ein Spießrutenlauf: Abgeordnete löcherten ihn mit Fragen zum Ursprung des millionenfachen Stickoxid-Betrugs. Winterkorn beteuerte, vor dem Bekanntwerden des Skandals nichts von illegalem Tun gewusst zu haben. Am Ende musste er seine fast neunjährige Amtszeit an der Spitze des größten deutschen Industriekonzerns rechtfertigen: Er habe zu akzeptieren, dass sein "Name verbunden ist mit der sogenannten Diesel-Affäre".

Der Schatten, der infolge zwischenzeitlicher Milliardenverluste, immenser Strafgelder und Risiken für den Ruf der gesamten Autobranche nun auf der Ära Winterkorn liegt, ist nicht wegzudiskutieren. Dass es zu solch einem Erdrutsch kommen würde, hätten sich selbst Kritiker vor eineinhalb Jahren nicht vorstellen können. Aus dem Konzern heißt es, die Leistungen des einstigen Chefs dürften nicht vergessen werden: Unter ihm seien beispielsweise mehr als 140.000 neue Jobs entstanden, Umsatz und Ergebnis hätten sich verdoppelt.

Erfolgsmensch Winterkorn

"Wiko" - wie er intern vom Bandarbeiter bis zum Vorstandskollegen locker-ehrfürchtig genannt wurde - war ein gefeierter Star der deutschen Wirtschaft und lange der mit Abstand am besten verdienende Manager aller Dax-Konzerne. Jahresgehälter von bis zu 17 Millionen Euro und eine Rente von üppigen 3.100 Euro pro Tag entfachten die Debatte um raffgierige Führungskräfte neu.

Martin Winterkorn war lange der mit Abstand am besten verdienende Manager aller Dax-Konzerne
Quelle: Picture Alliance
Die Belegschaft ließ allerdings meist nichts auf ihren Chef kommen. Winterkorn pflegte einen engen Draht zum Betriebsrat und ungeachtet des Zitterns vieler Ingenieure und Designer vor seinem Urteil war er insgesamt hoch anerkannt. Das hatte auch mit seiner Begeisterung für "sein" Unternehmen VW zu tun. Der Workaholic stand um 5.00 Uhr auf, dann jede Menge Briefings, nach zig Besprechungen grünes Licht für ein neues Modell, mittags zum Test nach Schweden, abends ins Flugzeug zum nächsten US- oder China-Termin - so sahen Winterkorns Arbeitstage oft aus.

Wer wollte es ihm da missgönnen, nach stressigen Messeauftritten Zigarre schmauchend zu entspannen oder überhaupt: viel Geld zu verdienen? Jahr für Jahr sorgten er und sein Team schließlich für Gewinne bei VW. Bis die Maschine heiß lief. Und im Nachhinein der Eindruck entstand, der Fokus auf Wachstum könnte mit ein Grund dafür gewesen sein, dass man die US-Dieseloffensive nur mit Lug und Trug umsetzen konnte.

Nachfolger Matthias Müller kündigt Veränderungen im Konzern an

Die Kehrseite der bei VW prakktizierten Befehl-und-Gehorsam-Mentalität wurde unter dem Brennglas von "Dieselgate" deutlich. Winterkorns Nachfolger Matthias Müller predigt mehr Transparenz, weniger Zentralismus und eine offene Kritikkultur: Niemand müsse vor dem Chef kuschen. Der Vorgänger entgegnet, es habe "kein Schreckensregime" bei ihm gegeben.

Dennch: Im Reich des Technik-Freaks Winterkorn gedieh offenbar ein Netzwerk von Tricksern und Täuschern. Die bisherigen US-Ermittlungen ergaben, dass dies wohl unterhalb der höchsten Leitungsebene ablief. Dennoch ist der Schaden enorm. "Dass ein Einsatz verbotener Software ausgerechnet in unseren Motoren passiert, muss in Ihren Ohren wie Hohn klingen", sagte Winterkorn im Bundestag. "Das geht mir genauso."

In schwierigen Verhältnissen gestartet und in schwierigen Verhältnissen geendet

Der Hobby-Fußballer und FC-Bayern-Aufseher stammt aus einfachen Verhältnissen. Als Sohn eines Arbeiters und einer Hausfrau wurde Winterkorn 1947 in Leonberg bei Stuttgart geboren. Nach einem Studium der Metallphysik und Promotion begann seine Laufbahn 1977 bei Bosch. Vier Jahre darauf folgte der Wechsel zu Audi, wo er früh im Dunstkreis des späteren VW-Vorstands- und -Aufsichtsratschefs Ferdinand Piëch arbeitete, ab 1988 als Leiter der Qualitätssicherung. 2002 wurde Winterkorn Audi-Chef, 2007 gelangte er an die VW-Spitze.

In Wolfsburg blieb der zweifache Vater erfolgreich, baute den Konzern zu einer Zwölf-Marken-Gruppe aus. Manche Aktionen waren legendär. "Da scheppert nix", befand Winterkorn 2011 auf der Automesse IAA über die Lenkradverstellung eines Hyundai, an der er am Stand der Südkoreaner heimlich rüttelte - die Szene wurde durch ein Youtube-Video berühmt. Sie sagt einiges aus über den detailversessenen Mann. Seinen Traum, die VW-Gruppe zum Absatz-Weltmeister zu machen, erlebte er nicht mehr im Dienst: Erst 2016 überholte der Volkswagen-Konzern Toyota.

Persönliche und justizielle Rückschläge

Schon 1981 arbeitete Winterkorn bei Audi im Dunstkreis des späteren VW-Vorstands- und -Aufsichtsratschefs Ferdinand Piëch
Quelle: Picture Alliance
Mehr noch dürfte Winterkorn aber das Zerwürfnis mit Ferdinand Piëch wurmen. Der Oberkontrolleur und sein Vorstandschef galten lange als Traumduo der Autoindustrie. Wegen der Rückendeckung Piëchs war "Wiko" unantastbar, allenfalls die maue Rendite der VW-Kernmarke stieß auf etwas Kritik. Piëch habe die Visionen, "und ich garantiere, dass die Autos dann auch funktionieren", beschrieb Winterkorn selbst einst die Rollenverteilung.

Doch im Frühjahr 2015 kam es nach einer Interview-Äußerung des Ziehvaters ("Ich bin auf Distanz zu Winterkorn") zum Bruch. Zunächst entschied Winterkorn das Kräftemessen für sich. Es halten sich Gerüchte, Probleme in den USA seien schon damals Ursache für den Affront des Mentors gewesen.

Diese könnten den Jubilar womöglich einholen. Im Winter weitete die Staatsanwaltschaft Braunschweig die Ermittlungen gegen Winterkorn vom Verdacht der Marktmanipulation auf den des Betrugs aus. Sein Haus und Büro wurden nach dpa-Informationen durchsucht. Es gebe Indizien dafür, dass er "früher als von ihm öffentlich behauptet Kenntnis von der manipulierenden Software und deren Wirkung gehabt haben könnte". Auch Stuttgarter Staatsanwälte ermitteln nun wegen Marktmanipulation.

"Volkswagen war, ist und bleibt mein Leben." Den Satz aus Winterkorns Abschiedsbotschaft an die Mitarbeiter mag man durchaus glauben. Ob er sich wirklich "keines Fehlverhaltens bewusst" war - das wird sich zeigen.

 

Quelle: dpa

Schon 1981 arbeitete Winterkorn bei Audi im Dunstkreis des späteren VW-Vorstands- und -Aufsichtsratschefs Ferdinand Piëch
Quelle: Picture Alliance
Martin Winterkorn war lange der mit Abstand am besten verdienende Manager aller Dax-Konzerne
Quelle: Picture Alliance