Classic Driving News

Kleinwagen wieder zum Leben erweckt

verfasst am Thu Jan 13 10:22:05 CET 2011

Es gibt sie noch, die großen Zufallsfunde in der Provinzgarage: Ein Lloyd-Fan entdeckte einen Lloyd 400 Kombi mit originalen 4.500 Kilometern auf dem Tacho - und folgte den Spuren eines ungewöhnlichen Autolebens.

Wilhelm W., so viel steht fest, war ein sorgfältiger Mensch. Das Wasserabziehbild seiner Rechtsschutzversicherung brachte er gleich zwei Mal an seinem nilgrünen Lloyd 400 Kombi an, an der Front- und der Heckscheibe.

Mit dem Erstbesitzer seines Lloyd 400 hat Rainer Kaun-Mikolajewicz nicht allzu viel gemeinsam. Der Mann mit dem aufwändigen Nachnamen kam fast 60 Jahre nach Wilhelm W. zur Welt. Er verlässt seinen Heimat-Landkreis ganz gerne und legt in einem halben Jahr mehr Kilometer zurück als Wilhelm W. im ganzen Leben. Aber auch Rainer Kaun-Mikolajewicz bewegt seinen Lloyd 400 nur äußerst selten, um dessen Jahreswagen-Aura nicht zu verbrauchen. Und einen Hang zur Gewissenhaftigkeit hat auch der 36-jährige Automobilkaufmann aus Wermelskirchen: Deshalb hat er die Geschichte seines Lloyd erforscht, bis der Lebenslauf des Borgward-Kleinwagens kaum noch Lücken aufwies.

"Das schönere Leben mit Lloyd"

Rechtsstreitigkeiten mit ihm, das sollte jeder sehen können, würden unerbaulich sein. Dabei hatte Wilhelm W. nicht allzu viele Möglichkeiten, sich mit anderen Verkehrsteilnehmern zu streiten. Als er den Lloyd 400 im Dezember 1954 kaufte, gab es in seinem Heimatstädtchen Bad Meinberg nur zwei andere Automobilbesitzer. Und den Landkreis Detmold hat er sein Leben lang kein einziges Mal verlassen. "Das schönere Leben mit Lloyd", wie es die Werbetexter des Carl F. W. Borgward in ihren -Prospekten versprachen, dauerte ohnehin nur 4.539 Kilometer lang und spielte sich auf ostwestfälischen Landstraßen ab.

Es hat sich gelohnt, denn wahrscheinlich besitzt Rainer Kaun-Mikolajewicz den besten originalen Lloyd 400, den es weltweit gibt. Und er kann beweisen, dass die Zahl auf dem kleinen Tacho stimmt, weil Wilhelm W. jedes Stück Papier sorgfältig aufbewahrt und abgeheftet hat. So erzählen die Akten, dass der Kombi nur 22 Monate seines Daseins angemeldet war, meist für genau drei Monate, bis Wilhelm W. seine Kennzeichen wieder entstempeln ließ - zum letzten Mal am 28. Dezember 1961. Danach stellte er den Lloyd 400 in die eigens für ihn gebaute Garage, breitete Betttücher über die Karosserie und lagerte Kartoffeln im Kofferraum.

Jahrzehntelanger Dornröschenschlaf

Einmal in der Woche, so erinnern sich Nachbarn, ließ er den Motor laufen, aber gefahren ist Wilhelm W. mit seinem Lloyd 400 nie wieder. Vermutlich wusste der selbständige Schuhmachermeister nicht recht, wohin. Wenn Rainer Kaun-Mikolajewicz dem grünen Kombi heute die roten 07-Kennzeichen anlegt und ihn behutsam über die Hügel seiner Heimat lenkt, dann hustet er seine blauen Abgaswolken aus jenem Auspuff, den ihm die Lloyd-Werker vor 50 Jahren mit auf den Weg gaben. Vor allem erzählt der Lloyd 400 im erregten Sopran seines Motorlüfters, wie ernst es Carl F. W. Borgward nicht nur mit den Autos meinte, die seinen Namen im Rhombus trugen, sondern auch mit den Lloyd-Kleinwagen.

Sperrholz und Kunstleder

Ein Lloyd 400 kostete 1954 ziemlich genau halb so viel wie die reizende Isabella, aber er gab sich alle Mühe, ein anständiges Automobil zu sein und kein Behelf wie die vielen Rollermobile jener frühen Wirtschaftswundertage. Das war für Borgward, der mit seinen Kleinsten in jener Zeit bis zu 16 Millionen Mark pro Jahr verdiente, der Schlüssel zum ganz großen Erfolg, und er durfte sich von auto motor und sport-Tester Werner Oswald bestätigen lassen. "Die meisten Käufer so kleiner Wagen sind eher bereit, auf höhere Geschwindigkeiten zu verzichten, wollen aber ein Auto, das gut aussieht und sich äußerlich nicht zu sehr von einem größeren Automobil unterscheidet", schrieb Oswald nach längerer Fahrerprobung des Lloyd 400 Kombi im Frühjahr 1953. 

Wilhelm W. kann in seinem nilgrünen Lloyd 400 also nicht viel vermisst haben - auch deshalb, weil sein Lloyd 400 mit der Fahrgestellnummer 64 006 zu den ersten Exemplaren mit Ganzstahlkarosserie zählte. Noch als der Mann aus Bad Meinberg am 15. Oktober 1954 den Kaufvertrag unterzeichnete, bestanden Motorhaube, Dach und Heck aus Sperrholz, mit Filz gedämmt und einem genarbten Kunstleder namens Rulon überzogen. Und auch die blechernen Türen und Kotflügel gab es erst ab März 1953. Zuvor hatten Borgwards Schreiner und Stellmacher das gesamte Lloyd 400-Gehäuse aus Holz gezimmert, weil der Natur-Werkstoff billiger war als Stahl. Am Raumgefühl kann es jedenfalls nicht gelegen haben, dass Wilhelm W. so wenig fuhr: Selbst groß gewachsene Lloyd-Leute sitzen aufrecht hinter dem weißen Lenkrad des Lloyd 400, wenn die Sitzlehne auch unter ihren Schulterblättern endet.

Von allem ein kleines bisschen

Die bauchige Lloyd 400-Karosserie gibt ihnen das Gefühl, nicht schlechter untergebracht zu sein als in einem gleich alten Käfer. Und die Schottenkaro-Sitzbezüge im Kunstlederrand berichten vom Stolz auf den ersten Wohlstand: Die Kargheit des Wir-hatten-ja-nichts muss im Blech-Kokon des Lloyd 400 schon eine leicht verblasste Erinnerung gewesen sein. Stattdessen bietet der Lloyd 400 bereits von allem ein kleines bisschen, fast genug, aber nie zu viel, doch immer appetitlich serviert und in einem Finish, das sich von einer Isabella nicht allzu weit entfernt. Als einer von wenigen Fronttrieblern seiner Zeit und mit nur 13 PS ist er so weit vom Grenzbereich schneller Kurven entfernt wie einst Carl F. W. Borgward vom Nichtrauchen. 

Der Lloyd 400 verzögert sogar schon mit Öldruckbremsen und hat eine richtige Heizung, und die Leichtigkeit seiner Schaltung nimmt noch heutigen Hobbyeinsteigern die Angst vor der fernen Welt des Doppelkuppelns. Wilhelm W. muss nicht nur gewissenhaft gewesen sein, sondern auch willensstark, um nicht doch den Koffer zu packen, sich das Ortsschild von Bad Meinberg im kleinen Rückspiegel zu betrachten und den Lüfter so lange heulen zu lassen, bis der Zweitakter salzige Meerluft durch seinen Luftfilter saugt. Rainer Kaun-Mikolajewicz, der die Verkaufsofferte des Lloyd 400 in einem Internet-Forum fand, hat Wilhelm W. nicht kennen gelernt. Als seine Kinder den Lloyd 400 verkauften, war er in ein Altersheim gezogen. Dort wollte er auf keinen Fall erfahren, wohin es das einzige Auto seines Lebens verschlagen würde.  

 

Quelle: Motor Klassik