Berlins ungewöhnlichste Taxis: Mercedes W110 Heckflosse 190d
Mit der Heckflosse zum Berghain
Manchmal steht ein besonderes Taxi am Stand. Diese Autos und ihre Fahrer stellt MOTOR-TALK vor. Diesmal: ein Mercedes 190d von 1964 und sein schriller Fahrer Ralf Werner.
Von Haiko Prengel
Berlin – Autos sind zum Fahren da. Ein Auto, das diese Schrauberweisheit eindrucksvoll verkörpert, ist der Mercedes 190d von Ralf Werner. Seit mehr als einem halben Jahrhundert ist seine elfenbeinfarbene Heckflosse, Baujahr 1964, auf den Straßen unterwegs. Die Laufleistung: eine Million und achttausend Kilometer. Das entspricht rund 25 Erdumrundungen. Ein Relikt, das längst im Museum stehen könnte, als Hommage an die Solidität alter Vorkammer-Diesel.
Ralf Werner fährt lieber mit seinem Auto, und das (fast) jeden Tag. „Weil's mir Spaß macht“, sagt der Berliner lapidar. Werner ist Taxifahrer in der Hauptstadt, aber nicht irgendeiner. Er sei bekannt wie „ein bunter Hund“, sagt er über sich selbst, und das hat zwei Gründe. Erstens ist der 79-Jährige mit seinem Irokesenschnitt und den Sandalen für sich schon ein Original. Werner fährt stets barfuß, auch im Winter. Aber erst durch „Nepomuk“, wie er die betagte Heckflosse liebevoll nennt, ist das Chauffeurs-Duo aus dem Stadtteil Reinickendorf komplett.
Wenn die beiden aufkreuzen, recken wildfremde Passanten plötzlich den Daumen hoch und zücken ihr Smartphone, um ein paar Erinnerungsfotos zu schießen. Noch glücklicher sind die, die Werner für eine Mitfahrt an den Straßenrand winken und in den Uralt-Benz einsteigen dürfen.
Ralf Werner chauffiert die Gäste zum Normaltarif
„Meine Fahrgäste sind alle happy“, meint Werner. Wer hat sonst schon die Gelegenheit, in einem alten Mercedes aus der Wirtschaftswunderzeit durch Berlin kutschiert zu werden. Klar, in der Hauptstadt kann man Oldtimer mieten, aber das ist teuer. Ralf Werner bietet dagegen Fahrten zum „Normal-Tarif“ an, wie ein Aufkleber über den Seitenschwellern seines alten Daimlers verspricht. Davor steht mit der Hand gemalt: „Nepomuk und Ralf“.
Das klingt nach einer echten Romanze – bestätigt auch Werners Ehefrau Anette. Der Wagen sei wie ein Familienmitglied. Werner und Anette sind seit 35 Jahren verheiratet, die Heckflosse kam 1990 ins Haus beziehungsweise auf den Parkplatz davor.
Damals war gerade die Mauer gefallen und für West-Berliner Taxifahrer eröffnete sich ein riesiges neues Arbeitsgebiet. „Erst hatte ich Schiss, im Osten zu fahren, ich kannte die Straßen ja nicht“, gesteht Werner. „Das war Niemandsland für uns.“ Doch es gab ja Stadtpläne. Und nette Fahrgäste, die einem weiterhalfen.
Am liebsten ins Berghain
Heute kennt Werner auch Ost-Berlin wie seine Westentasche. „Ja, der ehemalige sowjetische Sektor ist mein Hauptkampfgebiet“, sagt Werner. Der 79-Jährige fährt am liebsten spätabends und nachts, weil die Straßen da schön frei sind. Und das Nachtleben pulsiert vor allem im Ostteil der Stadt. Dort gibt es die meisten Clubs - zum Beispiel das berühmt-berüchtigte Berghain. Den weltbekannten Elektrotempel steuert Ralf Werner besonders gerne an. Dann setzen sich verschwitzte Feierleute zu ihm in den Wagen und lassen sich nach Hause oder zur Afterhour bringen. Werner mag die jungen Leute: „Die sagen: Bei dir sitzt man ja wie auf einer alten Couch!“
Tatsächlich strahlen die weichen Sofasitze im Mercedes W110 einen ganz besonderen Komfort aus. Sie erinnern an die Gemütlichkeit der Adenauerzeit: 1961 brachte Daimler die Baureihe heraus. Die Fahrzeuge waren in der oberen Mittelklasse angesiedelt und ersetzten die „Ponton“-Baureihe.
Werners 190d hieß im Volksmund auch „Wanderdüne“. Bevor es losgeht, muss man das Aggregat erst einmal gemächlich vorglühen. Dabei war der zwei Liter große Selbstzünder einmal der schnellste Diesel der Welt und mit seinen 133 km/h Spitze deutlich schneller als ein VW Käfer. „Besonders Landwirte fuhren auf den Nagel-Benz ab“, erinnerte „Auto Bild Klassik“. Und böse Zungen hätten den 190 D in 190 H umgetauft: „Weil nicht selten steuerfreies Heizöl im Tank schwappte.“
Mercedes 190d Heckflosse: 8,5 Liter Diesel
Ralf Werner tankt Diesel an der Zapfsäule, und davon gar nicht mal besonders viel. Sein Taxi verbrauche nur etwa 8,5 Liter, berichtet er. Viel weniger schaffen moderne Pkw auch nicht. Bei deutlich mehr Leistung natürlich. „Die Autos haben heutzutage doch viel zu viel PS“, findet Heckflossen-Fahrer Werner. Sein Sohn habe einen Firmenwagen mit 240 PS. „Das ist doch Wahnsinn!“
Dann lieber Wanderdüne. Als Kind wollte Werner eigentlich Lokomotivführer werden. Doch der Einstieg ins Taxigeschäft war vorgezeichnet. Der Urgroßvater arbeitete in Reinickendorf als Droschkenkutscher, der Großvater übernahm den Betrieb. Ein Foto in Werners Wohnung zeigt den Opa auf einem Pferdefuhrwerk. Damals waren die Taxis noch richtig umweltfreundlich, getankt wurde mit Hafer, erzählt Ralf Werner schmunzelnd.
Der Vater war dann schon mit richtigen Automobilen unterwegs, bis auch Sohn Ralf 1969 ins Taxi-Geschäft einstieg, zunächst als Angestellter bei seinem Vater. 1973 machte er sich dann selbständig mit seinem ersten eigenen Taxi: einer Mercedes Heckflosse.
„Ich fahre seit 1973 Heckflosse, weil ich alles selber machen kann“, sagt der gelernte Maschinenschlosser. Alle notwendigen Reparaturen erledigt er selbst, die Ersatzteile besorgt er sich bei einem Spezialisten für alte Daimler im Stadtteil Neukölln. „Den Fahrgästen sage ich immer: Mein Auto hat noch nie eine Werkstatt gesehen. Und eine Waschhalle auch noch nicht.“ Nein, Werner wäscht seinen Wagen klassisch mit Eimer und Lappen. Handwash only.
Ein paar geschweißte Bleche und Patina
Und der Unterboden? Der müsste doch längst von Schnee und Salz zerfressen sein. Natürlich sei der Wagen schon an der ein oder anderen Stelle mal geschweißt worden, räumt Ralf Werner ein.
Ein halbes Jahrhundert geht eben nicht spurlos an einem Wagen vorüber, auch wenn es eine grundsolide Heckflosse ist. Ein paar geschweißte Bleche hier, ein paar Rostnester dort: Ein bisschen Patina hat der betagte Daimler schon. „Na klar, das muss er ja auch“, sagt der Kult-Taxifahrer und lacht: „Ich habe ja auch Patina.“
Demnächst will Ralf Werner auch endlich mal das Berghain von innen kennen lernen. Bislang kennt der Taxifahrer die Berliner Clubs nur von außen. Ehefrau Annette ist noch etwas skeptisch, ob die Türsteher das junggebliebene Senioren-Pärchen auch hineinlassen werden. „Na klar kommen wir da rein“, ruft Ehegatte Werner und lacht. „Wir stylen uns uff!“ Ihr Taxi wird nach der Clubnacht schon draußen warten – die alte Heckflosse von 1964.
Hier weiterlesen: Peugeot 404 von 1963 als Taxi
Technische Daten: Mercedes-Benz 190d (1961-1965)
- Motor: Vierzylinder-Diesel
- Hubraum: 1.988 cm³
- Leistung: 50 PS (40 kW)
- Getriebe: Viergang-Lenkradschaltung
- 0-100 km/h: 28 s
- Höchstgeschwindigkeit: 133 km/h
- Verbrauch: ca. 8,5 l/100 km
- Leergewicht: 1.350 Kilogramm
- Länge: 4,730 m
- Breite: 1,795 m
- Höhe: 1,495 m
- Radstand:2,700 m
Die Heckflosse ist einer der schönsten Mercedes Limousinen überhaupt.
Ein bisschen Patina ist ja OK, aber dieses Taxi schaut innen eher grausig aus. Und die nackten Füße in Sandalen gehen gar nicht, einfach unhygienisch.
Das bunte Blümchen in einer tiefgrauen Welt.
Natürlich ist ein über 50 Jahre altes Taxi nicht mehr zeitgemäß, unsicher, unhygienisch,... Aber dieses Auto und sein Fahrer haben einen herrlichen Charme der für ein bisschen Abwechslung in der stressigen Großstadt sorgt. Dem ein oder anderen Tourist hat er den Besuch in der Hauptstadt sicherlich um eine tolle Zeitreise in/durch Berlin bereichert.
ööh nein Danke ich warte lieber auf das nächste Taxi ich will mir im dem Seuchenherd ja nix holen.
Schon etwas makaber, "neuere Diesel" dürfen nicht in die Großstädte, aber diese "Dreckschleuder" 😊
Dafür war das H-Kennzeichen und dessen Befreiung in den Umweltzonen bestimmt nicht gedacht 😊
@Armbrust
Das wird man ziemlich sicher auch noch in absehbarer Zeit korrigieren.
Zumal die H-Fahrzeuge immer mehr werden.
Warum ist die Karre so gammelig, wenn der Kutscher prahlt, er könne alles selbst machen? Ein paar anständige Bezüge für den Innenraum wären ein erster Schritt. Ich fahre gern in einem alten Benz Taxi, aber nicht in so einer Läuseschleuder.
in den hobel würde ich nur im größten notfall einsteigen. also nachts, alle bahnen weg, kein telefon am mann und der190er ist das einzige taxi weit und breit.
wenn er das auto wenigstens tip-top gepflegt hätte, aber so...🙁
Du meine Güte, da sehen ja die meisten Oldtimer Taxis in Kuba besser aus als dieser Benz. Und die sind nochmal 10 Jahre älter und das mit den Ersatzteilen war/ist nicht so einfach...
😱
Unhygienisch? 😆
Dessen Füssen geht es besser als den ganzen Tag in Schuhen eingepackt rumzumüffeln.
*ich fahre auch, außer im Winter, barfuß. 😆
Wann?
Wenn der km-Zähler mal wieder nullt?😕
Ich dachte, dass H-Kennzeichen darf nicht für gewerbliche Zwecke eingesetzt werden? Oder habe ich da eine Gesetzesänderung verpasst?
Logisch! Taxis fahren zum Taxitarif, Aufschläge sind geregelt.
Erste Maschine? Überholt oder Original? Die späteren VK-Diesel waren oft haltbarer als die in Flosse und /8.
Moin! Ungefähr 20 Jahre gepennt.
Danke! Hab mich bisher nie ernsthafter mit der Materie auseinandergesetzt, hatte jedoch sowas im Hinterkopf. Wieder etwas gelernt heute.