Motorkultur

Ode an ein Lemon-Car: Oder wie ich lernte, eine untermotorisierte Versagermühle zu lieben

verfasst am Fri Oct 31 09:26:41 CET 2008

Von Deutschlands Sonneninsel Mallorca erreichte uns eine Email von Sammy. Sammy liest regelmäßig unseren Motoraver-Blog und fühlte sich von Marcs Delorean-Artikel an seine eigene Auto-Geschichte erinnert. Hauptdarsteller dieser Geschichte ist ein "tuntenbrombeer-metallic"-farbener Chrysler Le Baron namens "Diva" - laut Sammy ein echtes Lemon Car (zu deutsch: Montagsauto). Und die Geschichte, die geht so...

Vor ca. vier Jahren war ich mit einem Auge auf der Suche nach einem Cabrio. So als Zweitwagen - ein „vernünftiges“ Auto war ja vorhanden. Aber hier im 17. Bundesland (Mallorca) gibt es keinen Markt für gebrauchte Autos, wie man ihn in Deutschland kennt. Hier ruft jeder auf, was er meint. Nichts, an dem man sich realistisch orientieren könnte.

Aufgrund meiner Behinderung musste es ein Cabrio mit Automatik UND elektrischem Verdeck sein, was die ohnehin kleine Auswahl noch weiter einschränkte. Ein topgeflegter 318i-e30 der allerletzten Baureihe wurde mir regelrecht vor der Nase weggeschnappt...

Kurz darauf erfuhr ich im Bekanntenkreis von einem Le Baron, der zum Verkauf stand: Automatik, elektrisches Verdeck, Klimaautomatik (sehr wichtig, nur Touris fahren im Sommer offen*g) und spanisches Kennzeichen, habe erst gar nicht nach dem Preis gefragt, sondern gleich gesagt „Geh fort mit dieser Kiste“. Der schlechte Ruf dieser Lemon-Cars war mir bekannt. Obwohl ich gestehen muss, die Form der alten Version mit Klappscheinwerfern hat mir schon immer irgendwie gefallen.

Wochen später, als ich darüber jammerte, kein brauchbares Cabrio zu finden, wurde ich noch einmal gefragt, ob ich nicht doch Interesse hätte und so fragte ich nach dem Preis. „3000,-Euros“ war die Antwort, natürlich Verhandlungsbasis. Grund genug, ihn mir doch näher anzuschauen...

Ich wurde dann positiv überrascht, zwar tuntenbrombeer-metallic wie mein Van, doch viel Chrom, dunkelrote, damals aufpreispflichtige Kunstlederausstattung (Welche bei kurzberockten Beifahrerinnen schon mal zu Verbrennungen 1. Grades führen kann), sowie einem digitalen Cockpit mit 135Tkm auf der Uhr, umrahmt von echtem Wurzelholzimitat aus Plastik. 1989 der letzte Schrei in „Amerikanien“ und wie die vier Scheibenbremsen (ein Ami der bremst *g) Bestandteil der Premium-Version des Barons. Der dunkelrote Innenhimmel aus Velours vervollständigte dann das Puff-Ambiente.

Ein Blick unter die Motorhaube offenbarte nach kurzem Suchen, gut versteckt unter dem Luftfiltergehäuse, einen quer eingebauten 2,5ltr-4 Zylinder mit 97 bis 101PS (je nach Eintrag) und einer 3-Gang-Automatik, also „Gott sei Dank“ kein Turbo oder der auch verbaute 3,0ltr-V6 von Mitsubishi. Bei einem generellen Tempolimit von 120km/h und 90km/h in Spanien war mir das auch ziemlich wurscht.

Nach zwei Tagen Bedenkzeit (der Ruf ist ja so was von schlecht) habe ich ihn dann auf 2500,-Euros heruntergehandelt, ein Handgas eingebaut und mitgenommen. Die erste Fahrt im ersten eigenen Cabrio fand natürlich, wir sind ja auf einer Sonneninsel, im strömenden Regen statt.

Zuhause habe ich mich erstmal vor’s Internet gesetzt und stieß unter anderem auf ein sehr kompetentes Baron-Forum, durch welches ich nicht nur etliche Tipps und Anleitungen bekam, sondern ich auch herausfand, dass außer der „Premium-Line“ mein Baron noch eine Besonderheit aufzeigte, die mir bis heute zeitweise einigen Ärger bereitet:

er wurde für Kalifornien gebaut, äußerlich zu erkennen an diesen komischen Lampen unter den vorderen Sidemarkern, diesem Abbiegelicht, was zeitweise dort Vorschrift war (viele, aber nicht alle Corvettes und Cadillacs haben die auch). Eine Abfrage des VIN-Codes bestätigte dies.

Das Abbiegelicht habe ich reaktiviert. Natürlich nur, um unbedarfte Fußgänger an der Ampel zu erschrecken, wenn sie beim Abbiegen sehen, wie dreckig ihre Schuhe sind. Die Sidemarker und seine originalen US-Rückleuchten habe ich ihm auch wieder verpasst inklusive der Beleuchtung in der Kofferraumblende. Leider hat der spanische TÜV (ja, sowas gibt es hier und die können richtig pissig sein *g) was gegen rote Blinker und so mussten dann zusätzliche kleine, gelbe Motorrad-Verkleidungsblinker mit E-Zeichen verbaut werden.

Mittlerweile fahre ich den Baron seit 40Tkm und muss sagen, mechanisch ist er (viel) robuster als erwartet, selbst ein Zahnriemenriss bei 136Tkm, verursacht durch den Wartungsstau der 2 (blonden *g) Vorbesitzerinnen, konnte keinen Schaden anrichten, da der Motor ein sogenannter Freiläufer ist (8,5:1 verdichtet). Welch Glück, auch das alte A424-Getriebe schaltet seine drei Gänge immer noch butterweich, was nicht nur dem Charakter des Autos, sondern auch seinem Fahrwerk (trotz neuer Monroes rundum) zu Gute kommt.

Aber die Elektrik! Chrysler hat damals versucht, mittels elektronischem Motormanagement, den verschärften Abgasgesetzen Rechnung zu tragen. Und das speziell auch bei meiner California-Ausführung, wo nicht nur die Abgasrückführung elektronisch „gemanagt“ wird oder die Kurbelgehäuseentlüftung einen Aktivkohlefilter besitzt. Nein, dieser ist auch noch an das Steuergerät gekoppelt, also wenn schon Mist, dann richtig.

Im Allgemeinen birgt die Bordelektrik jede Menge Fehlermöglichkeiten, die wahrscheinlich zu dem schlechten Ruf führten. Angefangen bei Steckverbindungen, die im Laufe der Jahre den Weichmacher verlieren und dann beim demontieren zu Staub zerfallen, wie es mir nicht nur beim Ausbau des Leerlauf-Stellmotors (AIS) passierte. Oder die hinteren Fensterhebermotoren, die bei jedem größeren Regen absaufen und schon im Mercedes W124 für Ärger sorgten. Doch Chrysler scheint es geahnt zu haben und lässt ein Auslesen des Fehlerspeichers per Zündschlüssel zu.

Vier mal Zündung an und aus und die Blinkintervalle der „Check-engine“-Leuchte mitzählen.

Dann den Code anhand (der mittlerweile im Handschuhfach mitgeführten) Codeliste erkennen und schon hat man zumindest einen Anhaltspunkt, wo der Fehler liegen könnte. Und glaubt mir, so was ist Gold wert, wenn man z.B. in Sa Calobra auf 700m Höhe liegen bleibt, weil das ASD-Relais (AutomaticShutDown) den Dienst quittiert hat. Woher soll man sonst wissen, dass dieser Zwei-Euro-Artikel die Zündung und die Benzinpumpe lahm legt, wenn nach 15 Sekunden doch nicht gestartet wird??? eine Haarklammer ließ uns dann doch noch weiterfahren. ;)

Mittlerweile liebe ich diesen Wagen und nenne ihn wegen seiner ganzen Unzulänglichkeiten „Diva“. Er ist fast perfekt für die Insel (eine Tour durch Spanien oder Deutschland traue ich ihm nicht zu *g) und selbst die arabischen „Kronprinzen“, die in der Woche vor Monaco-F1 mit ihren Lambos und Astons den Passeo-Maritimo in Palma unsicher machen, behandeln ihn mit so was wie Respekt. Wahrscheinlich weil sie ihn nicht einordnen können, oder wissen sie gar, dass mich jeder 45PS-Polo an der Ampel naßmachen würde???

Wie auch immer... ;)

Muchas gracias an Sammy für seine Auto-Geschichte!

Sammy betreibt übrigens die Info-Seite für rollstuhlfahrende Mallorca-Urlauber www.mallorca-rollstuhl.de. Dort bietet er seine "Diva" auch zur Miete für andere Rollstuhlfahrer an.

 

 

Quelle: Motoraver Magazin