Berlins ältester Taxifahrer
Seit 50 Jahren folgt er dem Ruf "Taxi"
Helmut Seidler ist einer der ältesten Taxifahrer Berlins, er kutschiert seit fünf Jahrzehnten Gäste durch die Hauptstadt. Früher war er beim Spezialeinsatzkommando, Trainer in der 2. Fußballbundesliga und einer der besten Boxer Europas. Sagt er.
Von Anne Klesse
Berlin – Wie immer hat Helmut Seidler nichts gegessen. Wie immer ist er nach dem Mittagsschlaf aufgestanden, hat sich angezogen – weißes Hemd, helle Jeans, bequeme Turnschuhe – hat sich in sein Taxi gesetzt und ist direkt losgefahren. So macht er es seit 50 Jahren. „Ich brauche den Kaltstart“, sagt er.
Rund 7.840 Taxen sind auf Berlins Straßen unterwegs, etwa 3.000 Taxiunternehmer gibt es laut Innung des Berliner Taxigewerbes. Studenten sitzen am Steuer, Schauspieler, die sich etwas dazu verdienen müssen, Rentner. Sten Nadolny, Autor von „Die Entdeckung der Langsamkeit“, ist der wohl bekannteste ehemalige Taxifahrer Berlins, er fuhr in den 70er-Jahren seine Gäste durch die Hauptstadt. Helmut Seidler hat 1965 seinen Taxischein gemacht. Am 18. Oktober feiert er sein 50-jähriges Dienstjubiläum. Mit 74 Jahren ist er einer der ältesten Taxifahrer Berlins.
Prius Hybrid statt Mercedes
Am Taxistand Bahnhof Alt-Tegel steht er heute mit seinem Toyota Prius Hybrid, der vorn schon ein paar Blessuren hat, an dritter Stelle. Sicherheitshalber prüft er nochmal die umliegenden Taxihaltestellen auf seiner Handy-App. „Vier, fünf, vier,...“, er geht die Liste durch; an den anderen Ständen warten schon mehr Kollegen. „Nee, ich bleib hier.“ Er lehnt sich nach hinten und fährt sich durch das schneeweiße Stoppelhaar. Jetzt heißt es Warten. Einen Großteil der Dienstzeit verbringen Taxifahrer damit. Viel Zeit zum Grübeln.
Helmut Seidler, geboren in Pommern, in Berlin-Reinickendorf aufgewachsen. 1945 war seine Mutter mit ihren Kindern nach Berlin geflohen, „zu Fuß, von Stettin hierher“, 130 Kilometer Luftlinie. Als 15-Jähriger zog er nach Bad Pyrmont in Niedersachsen, um eine Bäckerlehre zu machen. Dann sollte er zur Bundeswehr. Seidler ging zurück nach Berlin, denn in der damaligen Ex-Bundeshauptstadt gab es ein Schlupfloch: Gemäß einer Anordnung der Alliierten wurde hier niemand zum Militärdienst eingezogen.
Dafür war die Polizei in West-Berlin vergleichsweise hochgerüstet, und dort wollte er hin. „Ich dachte, das wäre ein sicherer und gut bezahlter Job.“ Helmut Seidler sitzt jetzt plötzlich wieder sehr gerade, drückt den Rücken durch: „Dritte Abteilung, elfte Bereitschaft!“ Stolz schiebt er nach: „Spezialausbildung, vergleichbar mit dem SEK heute. Eliteeinheit!“
Ein guter Geschichtenerzähler
Während er auf seinen ersten Fahrgast für heute wartet, redet sich Helmut Seidler warm. Bäcker, Spezialeinsatzkommando, auch Profisportler sei er mal beinahe geworden, Polizeisport-Vizeeuropameister im Boxen, jüngster Trainer in der Zweiten Fußballbundesliga. Helmut Seidler erzählt gerne. Und ist ein guter Geschichtenerzähler. So ganz sicher kann man bei ihm allerdings nie sein, was davon stimmt und was er im Nachhinein ein wenig ausschmückt. Belegbar sind seine Geschichten nicht. Fotos? „Hat man ja damals nicht so gemacht.“ Unterlagen? Ach, er winkt ab.
Auch Geschichten aus dem Taxi hat er viele parat: In ihnen spielen sich die Dramen des Lebens auf seinem Rücksitz ab. Liebe, Eifersucht, Streit, Verzweiflung, Affären. Auch Sex? „Eine Stewardess und ein Pilot haben sich mal während der Fahrt miteinander vergnügt.“ So genau habe er natürlich nicht hingesehen. Helmut Seidler grinst verschmitzt. Seine Augen sind hellwach. „Als die Amerikaner noch in Berlin stationiert waren, ich sag Ihnen, da ging es ab, die hatten oft Mädels dabei.“ Er selbst habe ebenfalls „Angebote“ bekommen. Wenn eine nicht zahlen konnte etwa. Und einfach so. „Ich war ein sehr gutaussehender Typ!“ Er lacht. Angenommen habe er natürlich nie. Natürlich nicht.
Einmal stieg eine Hochschwangere zu ihm ins Taxi. Weil ihre Wehen immer stärker wurden, fuhr Seidler so schnell in Richtung Krankenhaus, dass die Polizei ihn stoppte. „Als die gesehen haben, was los ist, haben die uns mit Blaulicht zum Ziel begleitet“, erinnert er sich. Manchmal ist der Fahrer nicht bloß Fahrer, sondern auch Vertrauensperson, einziger Zuhörer. Eine ältere Dame habe er mal stundenlang durch die Stadt gefahren, während die ihm ihr Herz ausschüttete. „Sie hatte gar kein Fahrziel, sie wollte einfach nur mit jemandem sprechen.“
Von Opel über Mercedes zu Toyota
Sein erstes Taxi 1965 war ein Opel Kapitän, das Zweite ein 180er Mercedes. In den zurückliegenden Jahrzehnten sei er nacheinander praktisch alle Mercedes-Klassen gefahren. Dann kaufte er den Toyota und will nun der japanischen Marke treu bleiben: „Ist bequemer und wesentlich wirtschaftlicher“, findet er. Durchschnittlich 4,5 bis fünf Liter verbrauche er im Stadtverkehr.
Während seine Automodelle wechselten, blieb sein Lebens- und Arbeitsmotto immer dasselbe: „Sei fleißig, dann wirst du auch Erfolg haben.“ Korrekt und verantwortungsbewusst müsse man als Taxifahrer sein – „schließlich steigen da Wildfremde zu einem ins Auto! Die verlassen sich darauf, dass sie heil ankommen.“
Früher fuhr er meist nachts, da gibt es mehr zu verdienen, denn die Müden, die Betrunkenen wollen alle irgendwann so schnell und bequem wie möglich nach Hause, und dann sitzt das Geld locker. Goldene Zeiten waren vor allem die 60er. „Bunte Jahre, wir haben Geld wie Heu verdient“, sagt Seidler. Das Geld war auch der Grund dafür, dass er nach sechs Jahren bei der Polizei gekündigt hatte. Als Taxifahrer könne er das Vierfache verdienen, hatte er gehört, bis zu 2.000 D-Mark im Monat. So war es dann auch.
478 Mark Trinkgeld waren der Rekord
Und so wurde das Auto sein Arbeitsplatz. Er vorne links, die Gäste auf der Rückbank. Von A nach B und von B nach A. Normalos, Geschäftsleute, Reiche, Berühmte – „Promis waren reichlich dabei.“ Er überlegt. Dann zählt er auf. Harald Juhnke - „mit 18-jähriger Freundin“, Musikbands und US-Schauspieler. Die Jacob Sisters, „die machten das Schiebedach auf und jubelten da raus“ – und Franz Beckenbauer. Fußballfan Seidler gerät noch heute ins Schwärmen. „Der Kaiser“, er nickt verträumt, „tolles Auftreten, sehr korrekter Mann“. Und großzügig sei er gewesen. Glanzvoller Höhepunkt arbeitsreicher Jahre.
Das höchste Trinkgeld: 478 D-Mark, als einer eine Fahrt für 22 D-Mark mit einem 500er-Schein bezahlte und Seidler nicht rausgeben konnte. „Der meinte nur: Behalt's!, und stieg aus.“ Die längste Fahrt: Berlin – Seefeld in Tirol, „1.200 D-Mark Festpreis“, eine ältere Dame.
Viel geblieben ist Helmut Seidler nicht. Während andere in seinem Alter ihre Rente genießen, muss er weiter arbeiten, „so lange es geht“. Grund ist eine große Pleite in der Vergangenheit: 1988 hatte er einen hohen Kredit aufgenommen, um vier Großraumtaxen zu kaufen. Der Berliner Senat gab damals Coupons für Taxifreifahrten an Menschen mit Behinderung aus. Helmut Seidler witterte das Riesengeschäft und kaufte Großraumtaxen. Doch nach dem Fall der Mauer ein Jahr darauf wurde die Couponausgabe eingestellt. „Da war meine Altersvorsorge futsch.“
Nach der Insolvenz wieder aufgerappelt
Er stellt das Radio an, nicht laut, nur als Hintergrundmusik. Schlager, wie immer. Die Musik läuft auch, wenn er Fahrgäste hat. Denn dann redet Helmut Seidler nicht unbedingt mehr als nötig. Nur, wenn man ihn fragt, erzählt er seine Geschichten. Und wenn er zu Hause ist. Mit seiner Frau, seinem 53-jährigen Sohn und seiner Schwester lebt er in einem Haus in Heiligensee.
Mittlerweile ist er wieder selbständig, hat vier Wagen und neun Angestellte. Alle Kennzeichen tragen sein Kürzel, HS, und die 28 in der Zahlenkombination. „28 ist meine Glückszahl beim Roulette.“ Sein Sohn arbeitet als Croupier.
Helmut Seidler hat sich nach der Insolvenz wieder aufgerappelt. „Mich kriegt man nicht tot! Das können Sie ruhig schreiben.“ Vor einiger Zeit sei bei ihm Leukämie diagnostiziert worden, erzählt er. Im Krankenhaus habe er regelmäßig Besuch von seiner Mannschaft bekommen. Seine „Mannschaft“, so nennt er seine Angestellten, sei sehr „sehr zuverlässig“. Deshalb möchte er sein Berufsjubiläum vor allem mit ihnen feiern, er hat Buffet und einen DJ organisiert, „ich halte ein paar Reden und dann wird getanzt! Wollen Sie auch kommen?“
Helmut Seidler umgibt sich gern mit Menschen. Vielleicht liebt er deshalb seinen Beruf so, bis heute. Auch wenn sich einiges verändert hat. „Autofahren ist nicht einfach nur noch Autofahren – viele Modelle haben so viele Funktionen – das ist mir zu kompliziert, deshalb bin ich froh über meinen Wagen, der ist einfach zu bedienen.“ Auf der Straße wird der Verkehr immer dichter und aggressiver, die Kollegialität unter den Fahrern habe abgenommen. Die goldenen Zeiten sind lange vorbei und die Konkurrenz, auch durch Chauffeurdienste, ist mittlerweile groß.
Seidler ist nicht mehr der Jüngste und als Taxifahrer hat man es auch immer wieder mit Betrunkenen zu tun, die sich nicht mehr im Griff haben. Aber abgesehen von ein paar kleineren Unfällen sei ihm noch nie etwas passiert, auch übergeben habe sich bei ihm im Wagen noch nie jemand.Menschenkenntnis gehört zum Job
„Ich weiß, wie ich mit Menschen umzugehen habe“, ist er überzeugt. Und meint damit auch: wie er sich im Fall der Fälle verteidigen könnte. Alter Elitepolizist eben. Zweimal habe man ihm in den 50 Jahren „auf die Nase hauen“ wollen. Beide Male habe er die Schläge abgewehrt. Mittlerweile fährt er nur noch tagsüber, „da ist es bisschen ruhiger“. „Elite-Fahrer“ ist Helmut Seidler, so steht es auf seinem Taxifahrerausweis an der Frontscheibe seines Toyotas. Dafür wurde er extra geschult bezüglich der Kundenfreundlichkeit.
Helmut Seidler scheint mit wenig glücklich zu sein. Zum Dienst nimmt er nichts mit außer seinem Mobiltelefon, Wechselgeld – „und die Hoffnung auf ein gutes Geschäft“. Er lacht. Wenn er Hunger hat, holt er sich ein belegtes Brötchen oder einen Döner. Im Auto essen ist allerdings tabu. Auch Fahrgäste dürfen Essen oder Bier nicht mit rein nehmen. „Ich lege Wert auf ein sauberes Auto“, sagt Seidler. Korrekt, durch und durch. „Meine Hemden falte ich zu Hause immer noch auf DIN A4, wie damals in der Polizei-Kaserne!“
Dann begrüßt er den ersten Fahrgast des Tages: „Guten Tach“, er guckt in den Rückspiegel. „Wohin geht's denn?“ Helmut Seidler fährt los. Bereit, neue Geschichten zu sammeln.
Toller Artikel, nett geschrieben.
In der Überschrift ist leider ein Tippfehler : " Früher war er beim Spezialeinsatzkommando" sollte es heißen.
Das ist kein "Prius Hybrid" sondern ein Prius+ 😉
Ja Toyota bestückt da zumindest das Berliner Taxigewerbe gewaltig.😆
Dieses Gerücht vom Studenten als Taxifahrer kann ich mir echt nicht vorstellen. Mit dem P Schein+Ortskenntnisse, also ich kannte keinen Kommilitonen der das gemacht hat....😕😆
Zumindest in Berlin ist das eher ein typischer Job für Leute mit Migrationshintergrund, so mein persönlicher Eindruck.
Super Story und scheint n echt symphatischer Kerl zu sein. Neugierig wär ich auch natürlich auf seine Taxe. Wie viel gelaufen, Wartung, Ausfälle. Von Taxifahrern kann man da viel lernen 😊 Wünsch dem Mann noch viele sichre Kilometer und allzeit beulenfreie Fahrt.
PS: Könntet ihr auch mal n Artikel über Post, Kurier und LKW-Fahrer stricken?
Steht aber auf dem obersten Foto am Auto, auch bei 1/10
Und wenn fett auf dem Kotflügel Hybrid steht wird es wohl auch einer sein + oder - was auch immer ist doch egal.
Und warum müssen sich bei Motor-Talk die Redakteure immer in so viele Fotos mit reinquetschen, das wirkt finde ich immer so unpassend, ist mir schön öfters aufgefallen, hauptsache die eigene Fratze immer im Fokus😕. Da fehlen eigentlich immer noch 1-2 Selfi Fotos mit dem Selfistick...😆😆😆
Ein jeder Prius ist ein hiernixcarfactoHybrid, das ist der "Witz" an der Sache. Ein + ist es deshalb, weil´s der "Kombi" ist. Aber egal. Man könnte noch anmerken, dass man sich drauf einigen sollte, ob er nun der älteste oder doch "nur" einer der ältesten ist, aber auch egal. Tatsächlich recht informativ, wenn man nicht aus der Branche ist. So ein Beitrag ist eben mal wirklich "Motor-Talk". 😊
Einer der Dienstältesten ja, aber nicht der Älteste. Kenne da welche die mehr Lebensjahre auf dem Buckel haben. Bin selbst in Berlin fast 30 Jahre unterwegs in dem Gewerbe. Wir sind so die letzten "Kutscher" in der Branche.
Was den Toyota angeht: Der Prius ist ein Hybridfahrzeug, auch der +. Der hat nur noch zwei "Notsitze" in der 3. Sitzreihe, welche ich keinem Erwachsenen zumuten würde.
Der wagen ist als 7 Sitz´er eine Fehlkonstruktion.´
Taxis und Sprinter - die Pestilenz im Straßenverkehr.
...und Leute die dumme Kommentare abgeben.
Bestimmt nicht alle, aber viele scheinen zu denken, dass die Straße ihnen gehören würde.
Na ja, er ist ein Schwätzer.
Und Berlin gibt es genung CNG-Tankstellen, was preiswerter wäre.
Lieber eine Redakteurin auf dem Bild als so ein dummer Post wie deiner.
An sich ist er ein symphatischer Kerl, aber die Tatsache das er einen Prius fährt macht das ganze wieder zunichte. Ein Taxi muss ein Benz sein. Oder ein VW. Aber bestimmt kein Japaner oder Koreaner. Für das was eine Taxifahrt kostet muss das einfach drin sein. Oder die Fahrt dürfte nur die hälfte kosten. Wenn ich alle paar Monate mal Taxi fahre und die Wahl habe steige ich nicht in sowas ein. Aus Prinzip.