Wohnen im Oldtimer-Bus: Reportage
Sie wollen alle nach Portugal
Mit Campen hat das Leben in einem Wohnbus nichts zu tun, mit Wagenburg-Mentalität auch nicht. Wir haben zwei „Wägler“ getroffen: Einer ist Aussteiger, der andere Student.
Text: Lydia Hibbeln
Berlin - Aus einem Seitenfenster steigen Rauchwolken empor. Jakob raucht eine selbstgedrehte Zigarette und bläst den Qualm aus dem geöffneten Klappfenster seines silbernen Busses. Hinten an seinem Transporter aus den 60er Jahren hängt ein kleiner, schwarzer Beerdigungswagen aus den 50ern, mit weißen Vorhängen und eingraviertem Lorbeer in den Scheiben. Gerade groß genug für den Körper eines normal großen ausgewachsenen Mannes, heute vollgestapelt mit Holz und Kohlen.
Jakob öffnet die Tür. Es ist warm und riecht nach Feuerholz. Der selbstgebaute Schornstein oben auf dem Wagen qualmt. Anders als auf den Berliner Wagenburgplätzen, auf denen linke Aussteiger als Kommune leben, sind „Wägler“, wie Jakob Bus- und LKW-Bewohner nennt, erklärte Individualisten. „Es gibt kein W i r. Bei manchen der Wagen weiß man auch überhaupt nicht, wer dort lebt. Kein Plenum, nur parken. Und mehr soll es eigentlich auch nicht sein.“
Mal parkt man gemeinsam, dann wieder nicht. Von ein oder zwei Nächten bis hin zu über 30 Jahren. Aussteiger sind sie schon, die Bewohner der Busse auf dem kleinen Parkplatz. „Nur weil die Leute länger da sind, haben sie trotzdem nicht das Recht, zu bestimmen“, meint der 40jährige Jörg, der in einem grünen LKW Mercedes Kurzhaube von 1967 lebt.
Jörg hat Geburtstag
Für Wagenburg-Mentalität bleibt in einer modernen Großstadt wenig Raum. Die Wahrscheinlichkeit, wegen Beschwerden von Passanten und Anwohnern verjagt zu werden steigt, wenn zu viele Wagen an einem Ort stehen. Dabei ist es in Deutschland nicht verboten, im Wagen zu leben. Nur die öffentliche Ordnung und Sicherheit dürfen nicht gestört werden. Solange sich niemand beschwert, können Wägler ihre fahrbaren Paläste abstellen, wo sie wollen.
Jörg hat Geburtstag und ist gut drauf, als er seine Tür öffnet. Sein großer schwarzer Hund Buldragur verzieht sich angesichts der Eindringlinge sofort in die Bettkoje. Jörg hat drei kleine Fenster in den Wagenkoffer geschnitten, den er auf das Fahrgestell eines alten Mercedes Kurzhaube gesetzt hat. Neben einem Ofen und der Spüle gibt es noch das Bett und ein Sofa, das wie der Boden mit Schaffellen ausgelegt ist.
Das wirkt gemütlich und freundlich, aber der Geruch ist gewöhnungsbedürftig. Der Ruß des Ofens, das Aroma von Zwiebeln, Schaffelle und ein wenig Schweiss. Outdoor und Winter hängen in der Luft. Das geht leider nicht anders, sagt Jörg: beim Lüften geht Wärme verloren. Eine Dusche gibt es genauso wenig wie eine Toilette im Wagen. Jörg wäscht sich mit einer Waschschüssel oder duscht bei Freunden.
Seinen Job wollte er nur noch loswerden
Wie ein Trapper lebt der ehemalige IT-ler nicht. Er hat einen Apple-Rechner, Solarzellen auf dem Dach liefern Energie. Seit sechs Jahren wohnt er im Wagen und hat sich bestens eingerichtet. Auch sein Bruder lebt im Bus. Zuvor waren die beiden aus Jena stammenden Brüder nie mit alternativen Lebensmodellen in Berührung gekommen. „Meine Eltern fragen sich bestimmt, was haben wir nur gemacht, dass die beiden im LKW leben.“
Vor diesem Schritt arbeitete Jörg bei einer großen Bank in Frankfurt. „Der Bus hat mein Leben verändert“, sagt er Gekauft hat er das Gefährt vor sieben Jahren mit 10.000 Kilometern auf dem Tacho. Extrem wenig, der ehemalige Polizeiwagen ist in 30 Jahren Dienstzeit kaum gefahren.Sein Einstieg in dieses Leben kam über den LKW, mit dem er seine damalige Freundin an Wochenenden besucht hat. 80 Kilometer hin und zurück. Der Rahmen des Wagens wurde verlängert, der Koffer von 1958 war mal ein Anhänger, Ofen und Fenster kamen rein. „Da hatten wir eine praktische Zweitwohnung.“, erinnert er sich. Aber die Arbeit in der Bank gefiel ihm irgendwann nicht mehr. „Als kleines Sandkorn im Getriebe hält man so ein großes Getriebe auch nicht auf“, meint er. Irgendwann wollte er seinen Job nur noch loswerden, „auch aus moralischen Gründen“.
Also kündigte Jörg und fuhr einfach los Richtung Portugal. Die Fahrt wird lang, bei 100 PS auf 7,5 Tonnen. Mit maximal 90 km/h ging es durch Europa, am Berg wurde er schon mal von Radfahrern überholt. „Der Weg war das Ziel, ich habe mir allein für die Reise dorthin drei Monate Zeit gelassen. Aber in Portugal bin ich ein bisschen hängengeblieben. Da war ich drei Jahre, da vergeht die Zeit und jeder Tag ist schön.“ Gelebt hat Jörg in dieser Zeit von seinem Ersparten. Das ist nun seit ein paar Monaten alle, „ein Scheißgefühl.“
Alles soll seine Ordnung haben
Vom Wagenleben verabschieden will er sich trotzdem nicht, die „Steinhöhlen“, die die Menschen ins „Hamsterrad der Schulden“ zwingen, sind für ihn keine Option mehr. Im Bus leben ist billig, und er braucht nicht viel. „Seit ich nicht mehr arbeite, bin ich nicht mehr krank.“ Wenn er kein Geld hat, fährt er einfach nicht viel und spart sich den Sprit. „In den ersten Jahren war ich viel unterwegs, aber insgesamt bin ich in den sieben Jahren nur 60.000 km gefahren.“ Anfallende Reparaturen macht er selbst, er googelt oder fragt andere Wägler um Rat.
Ein bisschen Sicherheitsdenken steckt dennoch in Jörg. Neben dem Geld für 15 bis 20 Liter Sprit pro 100 Kilometer hält ihn vor allem die jährliche HU-Prüfung von langen Reisen ab. Auch, wenn das im Ausland nicht so stark kontrolliert wird. „Eigentlich müsste man sich sogar jedes Mal ummelden, wenn man irgendwo länger steht.“
Die Behörden haben ein Leben im Wagen nicht vorgesehen. Doch Jörg will alles richtigmachen, alles soll seine Ordnung haben. Er will vor allem nicht vertrieben werden können. Verstehen kann er nicht so ganz, warum manche Menschen ein Problem mit ihm als Nachbar haben: „Wir nehmen doch nun wirklich niemandem den Platz weg.“ Lange irgendwo bleiben will er auch gar nicht. „Manchmal muss ich nur ein paar hundert Meter weiterfahren und dann sieht die Welt schon wieder ganz anders aus und fühlt sich anders an.“Der Student träumt von Portugal
Jörgs Nachbar Jakob träumt auch von Portugal. Aber bevor er die Reise in den Süden antreten kann, muss er noch einiges umbauen. Vor sechs Jahren kaufte er den Mercedes, für 600 Euro. Den Innenausbau hat er selbst gemacht, im ersten Winter hatte er noch keinen Ofen – das war kalt. Der Sammler, Tüftler und Bastler studiert in Berlin die Restauration von historischem Kulturgut.
Kulturgut umgibt ihn ohnehin. Sein alter Bus Bus Emma ist voller Dinge aus der Zeit um die Jahrhundertwende: Geräte wie die im Tisch versenkbare Nähmaschine, die er noch von seiner Uroma hat und an der er selbst näht. Vor allem mag Jakob Autos und Busse. Sein erstes Auto hat er sich mit 15 gekauft, es fuhr nicht, ein Oldtimer, Baujahr 1955, ein AWZ P70. Sein Vater hat ihn zum Schrauben mitgenommen und Jakob hat solange an dem Auto gebastelt, bis es wieder fuhr.
Im Bus leben wollte er, seit er mit sechs Jahren das erste Mal auf einem Wagenplatz war und gesehen hat, dass es so etwas gibt. „Ich bin in einer umfunktionierten Gartenlaube aufgewachsen, da gab es fließendes Wasser und ein Aussenklo.“ Luxussehnsüchte hat er nicht. Ihm gefallen die alten Sachen, was sie erzählen und was man mit ihnen noch machen kann.
Ein neuer Bus muss her
Mit zehn ist Jakob aufs Internat gegangen, im Harz. Nach Abitur und Praktikum ist er mit seinem Bus zurück nach Berlin gezogen. Direkt neben die Uni, genauer gesagt: neben die Mensa. „Aber auf Dauer war mir das doch zu nah.“ Seither steht Jakob in dieser Straße, vier Jahre schon. Auch, wenn er im Sommer mal ein paar Tage am See verbringt, ist er doch sesshaft geworden.
Er fühlt sich wohl im Kiez, alle seine Bekannten wohnen hier. Anders als Jörg muss er nicht immer im Bus sein. Wenn er wegfährt, lässt er den Bus stehen und fliegt oder fährt mit dem Zug. Einsam findet er das Busleben nicht. Eine Weile hat seine Freundin mit ihm im Bus gewohnt, „das war für uns beide super, nicht zu eng. Es kommt immer drauf an, mit wem man sich den Raum teilt.“
Sobald Jakob seinen Bachelor hat, will er auf große Fahrt gehen. Sein jetziger Bus sei allerdings „schon etwas runter“. An ihm zu arbeiten lohne nicht mehr. Zwei Jahre hat er gebraucht, um einem alten Wägler dessen Bus abzukaufen. „Eine echte Rarität“, ein alter Kulissenwagen, der direkt nach der Wende auf dem ersten Berliner Wagenplatz am Potsdamer Platz gestanden hatte. „Der Motor ist schon seit den 80ern kaputt. Die Reifen musste ich aus dem Schlamm graben.“ Jakobs Augen leuchten, wenn er von seinem neuen Projekt erzählt. Er schätzt, dass es zwei Jahre dauern wird, bis der Bus die lange Fahrt schaffen kann. Aber dann: geht es los!
Tausend Mal spannender zu lesen als irgendwelche SUV Vergleiche.
Jedem das seine. Interessant wäre zu erfahren, wie die Jungs die für Sprit/Reparaturen/Essen/etc... benötigte Kohle verdienen?!
Für mich wäre diese Art zu Leben jedenfalls nichts. Ich brauche Stress um mich lebendig zu fühlen. Und ich will mein Leben schon auch planen können, zumindest ein wenig. Dazu gehört dann für mich auch eine gewisse finanzielle Sicherheit und eine totale Abneigung, auf finanzielle Unterstützung durch andere angewiesen zu sein.
Mal mit Familie für 2-3 Wochen mit so nem alten Koffer durch die Gegend fahren ist sicher eine geile Sache, auch weil man sich dann wirklich auf das Wesentliche beschränken muss, aber eben nicht auf Dauer. Wobei ich das damals als Student mit meinem T3 ja durchaus auch oft gemacht habe und es somit schon einschätzen kann.
Ich drücke den Jungs aber in jedem Fall die Daumen, dass sie ihre Wahl nicht eines Tages bereuen und auf ein erfülltes Leben zurückblicken können.
Wenn beide keienn Job haben und keine finanziellen Reserven, bekommen sie sicherlich ALG II aka Hartz IV... So unabhängig sind sie dann nicht vom Kollektiv...
Folgendes Zitat fasst den gesamten Artikel gut zusammen: "an den Geruch muss man sich gewöhnen" (Bild 20). 😊 😊 😊
Na ja, soll ja jeder leben wie er/sie/es mag, für mich wäre das nichts. Wie mein Vorschreiber schon kund getan hat, ein gewisses Maß an finanzieller Sicherheit und die Tatsache nicht vom Gutwill anderer leben zu müssen, bedingt halt im Regelfall auch ein Maß an persönlicher Eingeschränktheit.
Zweitgenannten Student schätze ich aber mal so ein, dass nach einer entsprechenden Phase seines Lebens, ein gewisses Maß an Normalität einziehen wird. Der gesellschaftliche Zwang im beruflichen wie privaten Bereich ist da sicher nicht ganz zu verachten, aber irgendwann wird der Gute nach dem abgeschlossenem Studium auch einen Job haben wollen, Familie gründen wollen - und am Ende sesshaft werden, wie immer das dann auch aussehen mag. Im Moment, als Student, sehe ich nichts Negatives an der selbstgewählten Lebensweise, zuweilen sich das Alles ja scheinbar doch in überschaubarem Rahmen abzuspielen scheint. Was nach dem Studienabschluss kommt, abwarten... 😜
Bei Erstgenanntem bin ich dagegen etwas hin und her gerissen. Klingt für mich eher nach gescheiterter Existenz, nicht arbeiten wollen, aber durchaus auch mal die Vorteile eines relativ gut ausgebauten Sozialstaates in Anspruch nehmen wollen. Nichts gegen Aussteiger, also jene die auf eigenen Wunsch das genormte und manchmal anstrengende Leben aufgeben, aber dann auch bitte nicht auf unsere Kosten. Wobei ich das dem hier genannten Herren gar nicht unterstellen möchte, wurde ja nichts darüber geschrieben. Aber ja, ich denke durchaus, dass hier einerseits über den Staat und das System geschimpft, aber andererseits auch regelmäßig der Hartz IV Scheck eingelöst wird. So unabhängig wäre der Gute dann also doch nicht - wenn es denn tatsächlich so ist...
Mit Lifestyle hat das meines Erachtens aber wenig zu tun. Sicher besser als Obdachlos, aber ein erstrebenswertes Leben? Na ja, kann man wohl geteilter Meinung drüber sein...
Gute Maßnahme, daß die Jungs ihre schlechte Luft (deutsche Uralt-Lkw, Ofenheizung und selbstgedrehte Fluppen!) vom politisch korrekten Deutschland mit seinen hysterischen Emissionsproblemen (CO2, Feinstaub und jetzt auch noch hochgiftige NOx mit seinen zigtausenden Todesopfern!) zu unseren so genannten EU-Partnern verlagern wollen, meinen Segen haben sie! 😆
Ist doch schön,das es noch Leute gibt, denen das (für uns) normale Leben
nichts bedeutet. Selbst wenn Sie (wie hier schon vorgeworfen) "HARTZ IV"
beanspruchen sollten, würde Ihnen des eher zustehen,als den sog. "Berufs-
Harzern" die schon in Ihrer Jugend wußten, daß Sie Dasselbe werden wollen,
wie bereits Ihre Eltern.
Während meiner "Arbeitszeit" hatte ich mir mal "erträumt", als Rentner mit
einem "AMI-PICK UP und einem großen Sattelanhänger die "WELT" zu erkun-
den. Natürlich,so spartanisch wie diese Beiden, sollte es denn doch nicht sein.
Was ist draus geworden, Das was ich wollte, hätte mehr als eine viertel Million
gekostet, darum Leben wir weiter in unserer Wohnung. Nach zwei Jahren im
"Ruhestand" eröffnete man mir, das meine Zukunft aus "rein in die Klinik und
raus aus der Klinik" bestehen wird. ( Gut das mir mein Traum zu teuer war)
Er würde hier nur herumstehen und keiner meiner Freunde dürfte Ihn,
"zusammengehängt" fahren. (KLASSE CE)
Man sollte den Beiden, alles Glück der Welt wünschen, damit Sie recht lange,
Ihr selbst gewähltes Leben, LEBEN können............
Eine Reise mit dem Wohnmobil ist sicher eine geile Sache, aber da sind dann auch sanitäre Anlagen vorhanden.
Das was die beiden Jungs machen finde ich da schon eher merkwürdig, für mich ist es mehr Streß kein eigenen Lokus zu haben anstatt 8 Stunden zu arbeiten.
Ich hatte mir schon überlegt, mir ein Wohnmobil anzuschaffen, falls der nächste Job noch weiter von zu Hause weg sein sollte als der jetzige Job.
Also Mo-Fr z.B. auf dem nächstgelegenen Campingplatz zu wohnen und am WE nach Hause fahren.
Jedenfalls werde ich nicht nochmal nur für einen Job umziehen oder eine 2. Wohnung anmieten.
Allerdings würde ich mir etwas "vernünftiges" besorgen (mit eigenem Klo und Dusche) und nicht so einen Seelenverkäufer.
Mein Vater arbeitete im Strassenbau (Autobahnen) und hat fast 20 Jahre so gelebt. Wobei er einen Wohnanhänger hatte, den er auf der Baustelle lassen konnte, und mit dem Auto heimwärts fuhr.
Klasse interpretiert 😆 daumen hoch! Hätte es nicht besser umschreiben können 😆
Das ist das Traurigste, was ich seit langem gelesen habe.
Aller möglichen vorhandenen Motive zum Trotz könnte ich persönlich nicht derart - entschuldigung - versifft leben. Klar, vieles (auch Ungewöhnliches) hat seinen Reiz, aber das hier... nuja...
Also der Aussteiger lebte wohl laut Bericht bis vor kurzem von Ersparnissen. Also kein Hartz IV 😉
Was mir ein wenig schleierhaft ist, wie macht man das mit den Toilettengängen? 😕 Schlägt man sich da bei Wind und Wetter in die Büsche? 😕🙄
Man nimmt kein Nadelholz als Brennholz
Das ist Kiefer, das versottet den Ofen