Nissan Bladeglider: Test, Fahrbericht

So schlägt sich Nissans „Gleiter“ auf der Kartbahn

MOTOR-TALK

verfasst am Wed Aug 17 16:26:12 CEST 2016

Pfeilform, drei Sitze, Technik aus der Formel E – der Nissan Bladeglider hat (oder hätte?) das Zeug zum Kult-E-Sportwagen. Das durfte er jetzt beweisen.

Der Nissan Bladeglider fährt verdammt zügig über den Kurs, und hat sogar eine eingebaute Ideallinie. Was stört ist, dass Nissan nicht sagt, was aus der Studie werden soll
Quelle: Nissan

Von MOTOR-TALK Reporter Ralf Bielefeldt

Rio de Janeiro - Es könnte so schön sein. Ein abgefahrener Sportwagen, fette 707 Newtonmeter Drehmoment im Kreuz, keine 5 Sekunden auf Tempo 100 – und das ohne Emissionen. Nissan hat der Performance-Fraktion ganz schön den Mund wässrig gemacht mit dem dreisitzigen Bladeglider. Pünktlich zum Olympia-Start stand der hippe Elektrorenner Anfang August in Rio im Rampenlicht, als fahrbereiter Prototyp. Wie versprochen. Was fehlte, war jedoch die Festlegung: Den bauen wir!

Knapp zwei Wochen später hat sich daran nichts geändert, aber immerhin: Nissan hat zum ersten Fahrtest geladen. Auf eine – Überraschung – Kartbahn, zwei Busstunden von Rio entfernt. Mindestens einmal im Monat wird auf dem Kartódromo Internacional di Guapimirim ein „Campeonato“ ausgetragen, ein Lauf der Kart-Rennserien Carioca und Serrano. 28 winzige Boxen voller Kart-Teile säumen die Pitlane, verblasste Reifenstapel in Rot, Weiß und Schwarz die raue Piste.

Unser Reporter Ralf Bielefeldt mit dem Nissan Bladeglider: Der fahrfertige Prototyp wird von Nissan zu Werbezwecken bei Olympia in Rio eingesetzt
Quelle: Nissan
In der Auslaufzone, kurz hinter der Start-Ziel-Geraden, wartet der Nissan Bladeglider unter einem Baumarktzelt, zweifarbig lackiert in Weiß und Titan.

Auf den Fotos kam das Teil schon gut, „in echt“ sieht die überarbeitete Studie von 2013 rattenscharf aus. Die hinten angeschlagenen Türen schwingen weit nach oben auf. Wie ein Drache kurz vorm Aufsteigen steht der Bladeglider da. Tiefe Furchen ziehen sich rechts und links die Karosserie entlang. Ein Griff in die Aerodynamik-Trickkiste: Wie beim BMW i8 leiten sie die Luft optimal um und durch die Außenhülle.

Leider ohne selber fahren

Aus den Kotflügeln gucken rechts und links je eine kleine Kameralinse in Richtung Heck. Was sie dort sehen, zeigen sie dem Fahrer auf zwei Bildschirmen im schmalen Cockpit, einer pro Seite. Dazwischen gibt das Borddisplay Auskunft über die wichtigsten Fahrdaten, den Batteriestand, die G-Kräfte in Kurven und die Einstellungen der elektronischen Aufpasser: ABS, ESP und Torque Vectoring. Letzteres kontrolliert laufend das an die Räder geschickte Drehmoment und optimiert so das Handling.

Über Regler und Tasten am kleinen Wildlederlenkrad kann das Zusammenspiel der Dynamikhelfer feinjustiert werden - oder „off“, komplett aus. So macht Darren Cockle das immer, unser Fahrer. Denn Selbstfahren ist leider nicht, klärt uns Nissan-Mann Neil Reeve auf. Außer diesem Exemplar gibt es nur noch einen weiteren fahrbereiten Prototyp. Da will Nissan nichts riskieren.

Der 41-Jährige Cockle ist Testingenieur bei Williams Advanced Engineering, Nissans Partner für Antrieb und Motor des Bladeglider. Die britische Performance-Schmiede steckt auch hinter den Formel-E-Rennwagen, den Boliden der jungen Elektro-Fifa-Serie. Wie der Bladeglider leisten die E-Renner maximal 200 kW. Beim Bladeglider kommen letztlich 268 PS Systemleistung heraus.

Akku im Leaf-Format?

Im Heck treiben zwei E-Motoren die Räder an, jeder eine Seite. Die Lithium-Ionen-Batterie leistet mit ihren fünf Modulen 220 Kilowatt. Wie groß die Kapazität des Hochleistungsakkus ist, verrät Nissan nicht. Indiz: Den Formel-E-Autos reichen 28 kWh. Lediglich vier kWh mehr als bei der Basisversion des braven Nissan Leaf.

Das klingt für den Prototyp eines E-Sportwagens auf den ersten Blick nicht beeindruckend. Die nächste Generation Leaf bringt es ab 2018 auf 40 oder wahlweise 60 kWh (500 km Reichweite). Dafür entfesselt der Hochleistungsakku seine Power, als müsse der E-Renner vor einem Vulkanausbruch flüchten.

Ob er das bauen lässt, dazu hat sich Nissans Chef Carlos Ghosn noch nicht klar geäußert. In jedem Fall klingt er in seinen Statements recht begeistert
Quelle: Nissan
Volles Drehmoment (707 Nm!) ab Leerlaufdrehzahl. Von 0 auf 100 km/h geht es in unter fünf Sekunden. Die Höchstgeschwindigkeit gibt Nissan mit 190 km/h an. Glauben wir unbesehen. Ausfahren ist nicht: Die Start-Ziel-Gerade ist rund 200 Meter lang. Das reicht je nach Fahrtrichtung für 104 bis 120 km/h Spitze.

Eingebaute Ideallinie

Beschleunigung, gefühltes Tempo und Geräuschkulisse kommen im Fond wie erwartet an: atemberaubend, nachhaltig beeindruckend und ruhig wie in einer Fruchtblase. Der typische, pfeifende Surr-Singsang nahezu aller E-Autos begleitet auch die Passagiere im Nissan Bladeglider. Hier nimmt man ihn aber simultan zur Leistungsentfaltung wahr. Und erlebt die Fahrt mit lang ausgestreckten Beinen wie ein aberwitziges Videospiel.

Darren Cockle, Typ Jockey, schwärmt uns vor: „Das Auto lässt sich extrem präzise einlenken, du peilst den Scheitelpunkt durch die mittige Sitzposition ganz anders an, viel genauer“. Die hecklastige Gewichtsverteilung von 80:20 soll entscheidend dazu beitragen, dass sich der Bladeglider sehr leicht anfühlt, trotz immerhin 1.300 Kilo Gewicht.

Über Schaltpaddles kann zweistufig rekuperiert werden – links weniger, rechts stärker. „Das unterstützt den Bremsvorgang, der Wagen zieht sauber ins Kurveninnere“, erklärt Cockle. Quasi eine eingebaute Ideallinie.

So viel ist klar nach den vier Testrunden: Der pfeilförmige Nissan könnte ein echter Knaller sein. Wie Nissan-Renault-Chef Carlos Ghosn so schön sagt: „Wir finden, der Bladeglider demonstriert eindrucksvoll, dass sich Auto-Enthusiasten auf eine Null-Emissions-Zukunft freuen sollten. Er ist ein Elektrofahrzeug für Autoliebhaber.“

Gut gesagt, Herr Ghosn. Dann mal her damit, sonst müssen wir leider sagen: Der WÄRE ein Elektrofahrzeug für Autoliebhaber. Und, bitte noch mal ran an den Wendekreis. 18 Meter ist was für Busse, nichts für den Inbegriff der Nissan-eigenen Konzernvision von „Intelligent Mobility“.

Nissan Bladeglider: Technische Daten

  • 0-100 km/h: Weniger als 5 Sekunden
  • Höchstgeschwindigkeit: 190 km/h
  • Systemleistung: 200 kW (268 PS)
  • Drehmoment: 707 Nm
  • Gewicht: 1.300 kg
  • Länge: 4,30 m
  • Breite: 1,85 m
  • Höhe: 1,30 m
  • Radstand: 2,80 m

Elektro-typisch liegt das komplette Drehmoment ab dem Start an. Das bedeutet bei 707 Newtonmeter: eine Menge Vortrieb
Quelle: Nissan
Von 0 auf 100 km/h geht es in weniger als fünf Sekunden
Quelle: Nissan
Unser Reporter Ralf Bielefeldt mit dem Nissan Bladeglider: Der fahrfertige Prototyp wird von Nissan zu Werbezwecken bei Olympia in Rio eingesetzt
Quelle: Nissan
Die Technik für den Nissan Bladeglider stammt aus der Formel E
Quelle: Nissan
Die Beschleunigung kommt ungefiltert im Innenraum des 1.300 Kilo schweren Strom-Flitzers an
Quelle: Nissan
Der Bladeglider rumpelt über die Kartbahn im Umland von Rio
Quelle: Nissan
Ob er das bauen lässt, dazu hat sich Nissans Chef Carlos Ghosn noch nicht klar geäußert. In jedem Fall klingt er in seinen Statements recht begeistert
Quelle: Nissan
Wie ein lauernder Drache: Nissan Bladeglider mit ausgeklappten Türen
Quelle: Nissan
Das Layout: Vorn sitzt der Fahrer mittig, dahinter strecken sich zwei Passagiere lang aus
Quelle: Nissan
Motorsport-Sitze müssen schon sein im Bladeglider
Quelle: Nissan
Prototypen erkennt man am großen, roten Not-Knopf. So auch diesen
Quelle: Nissan
Nissan Bladeglider: Detail
Quelle: Nissan