Gutachten beim Gebrauchtwagenkauf: Ratgeber und Reportage
Und dann waren da noch die Hydrostößel
Beim Gebrauchtwagenkauf lauern Fallstricke. Viele Defekte sind für Laien nicht erkennbar. Ein Gutachten kann helfen. MOTOR-TALK hat einen Profi-Prüfer begleitet.
Von Haiko Prengel
Berlin - „Das ist bestes Autoverkäufer-Wetter”, lacht der Autohändler auf dem Hinterhof im Berliner Stadtteil Neukölln. Niemand hat an diesem nasskalten Herbstnachmittag Lust, sich in Ruhe einen Gebrauchtwagen anzusehen – oder sich gar darunter zu legen. Rainer Goletz kniet sich trotzdem auf den nassen Betonboden, um den Unterboden der Mercedes E-Klasse zu inspizieren. „Dafür sollte man sich nicht zu fein sein”, sagt er und lugt unter das massige Heck des T-Modells. „Das Hinterachs-Differenzial schwitzt ein wenig”, diagnostiziert der Kfz-Meister.
Goletz ist Gutachter der Hüsges-Gruppe. Die Sachverständigen-Organisation mit Sitz im rheinischen Willich prüft im Kundenauftrag bundesweit Gebrauchtwagen, Oldtimer und Unfallwagen auf deren Zustand. Rund 190 festangestellte Kfz-Gutachter sind zwischen Flensburg und Garmisch-Partenkirchen für Hüsges unterwegs. Die Gutachter sind offizieller Partner von mobile.de.
Rainer Goletz guckt sich einen Mercedes 420 T an, der bei mobile.de für verlockende 5.500 Euro zum Verkauf steht. Nur ein Bruchteil dessen, was der Super-Kombi mit 279 PS aus acht Zylindern im Jahr 1996 gekostet hat. Der 420er war vor 20 Jahren das Topmodell der E-Klasse.
Ist er auch heute noch sein Geld wert? Auf den ersten Blick schon. Der Benz mit Avantgarde-Ausstattungslinie ist weitgehend scheckheftgepflegt, die Historie nachvollziehbar. Die letzte Hauptuntersuchung bestand der Wagen vor ein paar Monaten ohne Mängel. Und rostfrei soll er laut Händler auch sein.Für das Alter: "Guter Eindruck"
Da hat Goletz schon ganz andere W210 gesehen: „Rost ohne Ende”, berichtet der Kfz-Gutachter.
Türunterkanten, Schweller, Radläufe, Kotflügel – an einem 210er können praktisch alle Blechteile gammeln. Daimler hatte damals enorme Probleme beim Korrosionsschutz, die Karosserieteile fingen mitunter schon bei Jahreswagen an zu blühen. Entsprechend schlecht ist der Ruf der Baureihe.
Bei diesem 420 T scheint alles in Ordnung: Bis auf kleine Stellen an Heckklappe und rechter Tür hat der Wagen keine sichtbaren Rostschäden. Auch sonst wirkt der Kombi gepflegt: Der Regen perlt am polierten Lack ab. Der Innenraum wirkt nicht verwohnt mit seinen edlen Ledersitzen (Sonderausstattung „Designo”). Auf dem Tacho stehen erst 178.000 Kilometer, der Motor springt prompt an.
„Das Auto macht für sein Alter einen sehr guten Eindruck”, konstatiert Fachmann Goletz. Eine genauere Untersuchung des Motors und eine Probefahrt stehen allerdings noch aus. Danach wird Goletz seine Meinung ändern.
Gutachter: Wozu eigentlich?
Warum sollte man einen Kfz-Gutachter mitnehmen zum Gebrauchtwagenkauf? Dafür gebe es mehrere Argumente, erklärt Christian Rassat, bei der Hüsges-Gruppe zuständig für den Bereich Controlling. Zum einen kennt sich nicht jeder mit Autos aus. Rostige Radläufe oder abgefahrene Reifen mag ein Laie zwar sehen.
„Aber viele andere Defekte sind nicht so einfach zu erkennen, dafür braucht es einen neutralen Fachmann”, erklärt Rassat. Eine mangelhafte Bremsanlage zum Beispiel: Beim 420 T entdeckt der Gutachter, dass die vorderen Bremsen mehr als fällig sind. Oder Unfallschäden: Wenn Spachtel- und Lackierarbeiten gut gemacht sind, dann sieht man Vorschäden nicht auf Anhieb. Dafür braucht es schon Fachwissen und Ausrüstung.Wie bei dem Sportwagen, den sich Rainer Goletz an diesem kalten Herbstnachmittag in Berlin-Wedding ansieht. Noch ein Mercedes: Der SL 350 mit 272 PS starkem Sechszylinder von 2008 wirkt optisch wie aus dem Ei gepellt. Doch als Goletz sein Lackschichtmessgerät an die Karosserie des Cabriolets hält, kommt die überlackierte Vergangenheit ans Licht.
Rechter Kotflügel, linke Tür, beide Seitenwände und die Heckklappe: Der SL wurde an mehreren Stellen großflächig nachlackiert. In den Unterlagen zu dem Wagen ist von diesen Schäden nichts zu lesen.
Auch der ADAC rät Gebrauchtwagen-Interessenten, einen neutralen Fachmann zu einer Fahrzeugbesichtigung mitzunehmen. Das Risiko, bei fehlender Fachkenntnis ein "schlechtes Exemplar zu erwischen", könne man grundsätzlich nur durch die Einbeziehung eines Kfz-Experten reduzieren, erklärt Deutschlands größter Automobilclub.
Der ADAC bietet selbst ebenfalls Gebrauchtwagenuntersuchungen an, Adressen gibt es unter www.adac.de. Auch andere Sachverständigen-Organisationen wie TÜV, Dekra oder GTÜ sind mögliche Anlaufstellen. Die Preise variieren je nach Prüfumfang und bewegen sich meist zwischen 80 und 100 Euro.
Grundlage für Verhandlungen
Diesmal sind die Prüfbedingungen ideal. Gutachter Goletz kann den 350 SL in einer beheizten Halle auf die Hebebühne stellen. Bremsleitungen, Achsgeometrie, Hardyscheibe, Katalysatoren und Auspuffanlage - unten herum ist alles in Ordnung. Auch der Motor (auf dem Digitaltacho stehen knapp 125.000 Kilometer) ist trocken.
Die 285er-Breitreifen haben genug Profil und sind von Dunlop. Für Goletz ein gutes Zeichen, denn bei Reifen wird gern gespart. „Die Leute wollen gerne ein tolles Auto fahren, aber dann fehlt manchmal das Geld, um es auch zu unterhalten.”
Goletz wird dem Mercedes SL am Ende einen guten Zustand bescheinigen. Technisch ist der Wagen gut in Schuss. Die Lackierarbeiten wurden fachmännisch gemacht und sehen eher nach Kosmetik als nach Vertuschung aus. Für den Gutachter gibt es keine Indizien auf einen schweren Unfallschaden.
Die Hydrostößel trüben das Bild
Der Kaufinteressent ist dennoch skeptisch. „Vier Hauptteile am Fahrzeug nachlackiert – das wirft doch Fragen auf”, sagt der mobile.de-Nutzer aus Hessen. Immerhin hat er durch das Experten-Gutachten Spielraum zum Handeln. Knapp 27.000 Euro soll der Benz kosten, aber der Kaufinteressent geht davon aus, dass der Händler heruntergehen wird. Dann wären die 99 Euro für das Gutachten gut investiert.
Und der „rostfreie” E 420 T in Neukölln? Als sich der Achtzylinder warmgelaufen hat, zeigt sich doch ein Riss im hübschen Bild, das der Autohändler gezeichnet hat. Im Motorlauf macht sich ein helles Klappern bemerkbar. Bei höheren Drehzahlen wird es schneller, man hört es sogar durch die gut gedämmte Außenhaut des Daimlers.Kfz-Gutachter Goletz hat die Hydrostößel im Verdacht. Die Überbrückungsstücke für den Ölfluss sind aus Plastik und können im Alter kaputtgehen. Oder die Verschlussstopfen fallen ab. Dadurch bekommt der Hydrostößel kein Öl und schlägt ungeschmiert auf der Nockenwelle auf – daher das metallische Klackern.
„Da sollte man schnellstmöglich etwas machen”, rät Goletz und beendet seine Probefahrt. Andernfalls könne der Defekt Folgeschäden für die Nockenwelle nach sich ziehen. Lohnen würde sich die Reparatur, denn Goletz bescheinigt dem 420er ansonsten einen ordentlichen Zustand. Noch ein, zwei Jahre - dann werden die Top-Modelle der lange verschmähten 210er-Baureihe begehrte Youngtimer sein. Sofern sie keine Rostlauben mit Wartungsstau sind.
Ratgeber: Fallstricke beim Gebrauchtwagenkauf
Wir haben den Gutachter gefragt: Worauf kann auch der Laie beim Autokauf achten? Hier die elf Tipps des Prüf-Profis:
- Fahrzeughistorie prüfen. Gebrauchtwagen ohne dokumentierte Vergangenheit können böse Überraschungen bergen. Also die Eintragungen im Serviceheft überprüfen: Sind sie mit verschiedenen Stiften/Schriften gemacht? Oder gibt es Hinweise auf ein „nachträglich“ ausgefülltes Serviceheft?
- Wer hat repariert und gewartet? Wenn die Arbeiten in einer Vertragswerkstatt durchgeführt wurden, erhöht das den Fahrzeugwert. Sind entsprechende Stempel vorhanden?
- Tachobetrug: Der Zählerstand wird oft manipuliert, Scheckhefte gibt es gefälscht auf dem Schwarzmarkt. Passt das Verschleißbild an Lenkrad, Pedalerie und Schaltknauf/Wählhebel zur Laufleistung?
- Reifenzustand: Seitlich abgefahrene Reifen können, wenn der Luftdruck korrekt eingestellt ist, ein Hinweis auf einen Achsschaden sein. Das Gleiche gilt für angefahrene Reifen und Felgen.
- Reifenmarke: Gerade bei höherwertigen Fahrzeugen können die Pneus eine Menge über den Vorbesitzer verraten. Sind Markenreifen montiert? Dies ist ein Hinweis darauf, ob der Fahrzeugunterhalt bezahlt werden konnte, oder ob möglicherweise am falschen Ende gespart wurde.
- Warnleuchten: Gehen nach dem Einschalten der Zündung alle Kontrollleuchten an und anschließend wieder aus? Bei einem Fehler (zum Beispiel bei der Beleuchtung oder bei elektronischen Assistenzsystemen) bleibt die jeweilige Kontrolllampe aktiv.
- Rost: Je älter ein Auto, desto wahrscheinlicher sind Probleme. Auch moderne Fahrzeuge können gammeln, etwa nach Unfallschäden. Beim Karosseriecheck auch im Innenraum nachsehen und den Kofferraumboden anheben: Sind hier Reparaturspuren zu sehen?
- Kleine Macken, hoher Preis: Gibt es Steinschlagschäden oder Risse in der Windschutzscheibe und Verglasung? Das kann schnell teuer werden, wenn moderne Assistenzsysteme verbaut sind.
- Blick in den Motorraum: Sind irgendwo Ölaustritte erkennbar? Sind am Peilstab und/oder am Öleinfüllstutzen Ablagerungen erkennbar, tritt Ölschleim aus?
- Elektrik überprüfen ist mühsam, aber lohnt sich: Die Überprüfung aller elektrischen Funktionen (Licht, Gebläse, Fensterheber, elektrische Sitze etc.).
- Wie sieht der Lack aus? Farbunterschiede in der Lackierung können auf Vorschäden hinweisen. Deshalb sieht man sich einen Gebrauchtwagen gewaschen und im Freien bei guten Lichtbedingungen an.
Toller Service, 99 Euro sind fast etwas wenig, da muss er schon Masse machen um Gewinn zu erwirtschaften.
Aber so ein geschulter und erfahrener Prüfer kann innerhalb einiger Minuten sagen ob ein Wagen zum kauf lohnt oder ein Fass ohne Boden ist, der Rest danach ist nur zur erweiterung des Prüfergebnises.
Meist geht es ja auch nur darum selbst nicht stundenlang anzureisen um dann ein Auto vorzufinden dessen kauf sich auf den zweiten Blick nicht lohnt.
meiner Erfahrung nach wird bei gebrauchten Automobilen betrogen, vertuscht und beschi**en wie in kaum einer anderen Branche. Daher ist dieser Service mit 99€ in meinen Augen durchaus sein Geld wert!
Für ca. 100 € würde ich mir auf jeden Fall diesen Service gönnen.
Die Kohle holt man sich dann in der Preisverhandlung locker wieder rein 😆.
Man kann aber auch mit den infestierten 100Euro die Erkenntnis erlangen das es keine Preisverhandlung gibt weil das Ding ne Grotte ist.
Am besten man kennt sich selber aus und ein Schichtdickenmesser gibts auch schon für kleines.
Sofern der Händler dann überhaupt noch Lust hat dir den Wagen zu verkaufen oder lieber 1 Woche wartet und den nächsten Käufer nimmt 😉
so ein check lohnt sich defintiv.
->99€ sind nicht viel geld und eben wirklich schnell nachverhandelt. man darf natürlich nicht davon ausgehen, dass der händler selbst bei großen mängeln plötzlich 1000 oder 1500 nachläßt. der wartet dann halt lieben auf einen anderen dummen.
->und die 99€ bewahren einen halt mitunter davor so richtig übers ohr gehauen zu werden.
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und was den mercedes angeht:
was gebrauchtkäufern solcher fahrzeuge klar sein sollte: die karre hatte mal einen neupreis von ca 70t€ (glaub ca 55000€ und ein paar extras summieren sich dann auch schnell).
kauft man sowas nun für ein zehntel oder ein zwanzigstel des neupreises ist das eigentlich sehr wenig geld. die karre ist 15 oder fast 20 jahre alt. würde heute vermutlich liste 90 oder 95t€ kosten.
->die ersatzteilpreise klettern ja über die jahre auch ein wenig
->will man sowas als old oder youngtimer erhalten lohnt es sich immer nach den bestmöglichen exemplaren zu schauen auch wenn sie doppelt oder dreimal soviel kosten. sie werden bei guter pflege auch immer mehr wert sein als der schlechte. auch investitionen in den schlechten sind langfristig betrachtet ein 'tod auf raten' wären investitionen in den guten eben nachhaltig den wert des fahrzeugs erhalten (mit glück steigt er sogar irgendwann). spätestens bei widerverkauf gibts auch die differenz von damals oder wenigsgtens einen großteil davon mehr zurück. sprich das bessere fahrzeug ist oft der bessere kauf und unterm strich kaum teurer.
->ob der 420er wirklich ein gesuchter youngtimer wird wage ich auch zu bezweifeln. immerhin hat er einen v8. aber es gab vom w210 halt auch amg modelle.
insbesondere der seltene e60 amg mit 6 litern hubraum und 381ps dürfte interessant sein. wenn ich mir einen youngtimer suche und bereit bin einen v8 zu betanken ist es mir dann fast egal ob der mit 11-15 litern fährt oder ob es eher 13-18 liter sind.
aber auch die 55amg modelle mit und ohne 4matic.
Grad beim W210 lohnt es sich in Richtung E55 AMG zu gehen und nicht auf die noch selteneren Modelle zu schielen. Die richtig seltenen (E60, E50) kosten gegenüber dem E55 einen saftigen Aufpreis, der gepaart mit dem Rost des W210 irgendwann zusammenfließen wird...
zwar teile ich die meinung meienr vorredner und auch ich habe schon diverse autos checken lassen (nicht von hüsges). ein negativer beigeschmackt verbleibt, das ausgerechnet MT Werbung für das hauseigene SV-Büro macht.
Ist der Artikel objektiv oder doch eine hübsch aufbereitete Story der Marketingabteilung von mobile.de?
Gestern auf RTLII GRIP gesehen: Bei amerikanischen Reimporten immer schon die Finger von lassen!
Die Kisten werden in den USA gecrasht, in Litauen mit gestohlenen Teilen wieder optisch hübsch gemacht und dann natürlich mit verschwiegenen Unfallschäden verkauft.
Möchte nicht wissen wie Viele sich den Traum vom US- Musclecar oder PickUp erfüllen und mit so einer lebensgefährlichen Gurke teuer betrogen werden....
http://www.mobile.de/.../...rash-gebrauchtwagen_aus_amerika_10397.html
"Hauseigen", weil sie zusammenarbeiten?
Außerdem wird erwähnt, dass es auch andere gibt.
Durch das Carfax System ist es eigentlich nicht so wahnsinnig kompliziert die Blender rauszufiltern.
Manchmal ist die Gier aber größer
Definitiv. Für in Deutschland zugelassene Fahrzeuge vermisse ich ein solches System.
Zuerst informieren, dann kritisieren:
Nein, hauseigen, weil Mobile.de Motortalk gehört. MT ist für Mobile.de nichts Weiteres als eine Werbeplattform.
War da nicht vor längerer Zeit eine MT-News, dass solche Gutachten oft nix taugen, weil die Prüfer nicht so genau hinschauen oder das gar machen ohne das Auto je gesehen zu haben? Sprich da fehlen noch die Tipp, wie man einen guten Prüfer findet...
notting