Beim Mercedes W124-Experten: Reportage

Und täglich grüßt das T-Modell

MOTOR-TALK

verfasst am Sat Feb 04 07:22:17 CET 2017

Eigentlich will Peter Müller nur in Ruhe an alten W124 herumschrauben. Aber alte Daimler sind so populär, dass sich der Rentner kaum vor Aufträgen retten kann. Wir haben den T-Modell-Retter besucht.

Peter Müller fährt natürlich auch selbst einen S124. Diesen 220 TE überführte er aus Sachsen-Anhalt. Zustand: naja. „Das Beste war, dass er Dreiviertel vollgetankt war“
Quelle: Ausblenden | Marlene Gawrisch

Von Haiko Prengel

Berlin - Wenn man die E-Klassen-Klinik von Peter Müller finden will, muss man zuerst den Hof eines Bestattungsunternehmens überqueren. Den Fuhrbetrieb Gustav Schöne am Richardplatz in Berlin-Rixdorf gibt es seit über 120 Jahren. In den alten Stallanlagen standen früher Pferde und Kutschen, heute sind es schwarze Mercedes Vito, Sprinter und andere Leichenfahrzeuge.

Die Kulisse passt. Die ausgezehrten Vehikel, die bei Peter Müller auf die Hebebühne rollen, sind eigentlich eher etwas für den Autofriedhof. Gerade muss sich der 68-Jährige wieder mit einem völlig heruntergekommenen T-Modell aus Daimlers viel gelobter Baureihe W124 herumplagen.

Vorderachse, Hinterachse, Wagenheberaufnahmen, Radhäuser, Getriebe – an dem 21 Jahre alten Mercedes ist so ziemlich alles marode. Wie diese blauschwarze Ruine (Farbcode 199) noch vor wenigen Monaten eine frische HU-Plakette bekommen konnte, darüber kann 124er-Schrauber Müller nur rätseln. „Das ist Ulk“, sagt er. Und nicht lustig, da dieser Wagen weit davon entfernt ist, verkehrssicher zu sein. „Wenn Sie die Summe der Mängel nehmen: Dann hat der HU-Prüfer das Auto gar nicht gesehen“, sagt Müller. „Anders kann ich mir das nicht erklären.“

Wegen der massiven Rostschäden wurde das Getriebeproblem erst einmal hintenangestellt. Dass die Automatik ihren Geist aufgibt, sei aber absehbar, sagt Peter Müller
Quelle: Ausblenden | Marlene Gawrisch
Aber der Endsechziger wird diesen Wagen wieder verkehrssicher machen, wie unzählige Wracks zuvor. Er wird ihn sogar zu einem einigermaßen ansehnlichen Youngtimer restaurieren. Denn das ist die Spezialität des angegrauten Hinterhof-Mechanikers. Ruhestand nicht die Sache von Peter Müller. Lieber schraubt er an alten Autos. Auch wenn man ihm die Freude nicht unbedingt ansieht, denn der Mann ist ein ziemlich mürrischer Kauz.

In keinem Branchendienst, trotzdem ausgebucht

Um sich die Rente aufzubessern, bastelt Peter Müller abgerockte 124er Mercedes wieder zusammen, am liebsten T-Modelle (S124). Und das macht er so gut, dass er es auf diesem Spezialgebiet zu einiger Bekanntheit gebracht hat. Manche sagen schon Koryphäe zu ihm.

Dabei ist sein „Autodienst Peter's“ in keinem Branchendienst zu finden, und es existiert kein Firmenauftritt im Internet. Trotzdem finden die Leute zu ihm in den Berliner Hinterhof, wo Müller seine Schrauberhalle unterhält. Oder sie bekommen irgendwie seine Telefonnummer heraus. „Inzwischen gibt es Anfragen europaweit“, sagt Müller. Er sagt das ohne großen Stolz, sein guter Ruf ist eher eine Bürde. Denn Müller hat nur eine Hebebühne und kommt bei so vielen Anfragen kaum hinterher.

Mercedes W124. Für viele ist die Baureihe (1984 bis 1997) so etwas wie ein Wunderauto. Als „letzter echter Benz“ wird der Begründer der E-Klasse gerne gefeiert. Dem Mittelklassewagen wird eine technische Langlebigkeit und Solidität in der Verarbeitung nachgesagt, wie sie Daimler bei den Nachfolge-Modellen angeblich nicht mehr produzierte.

Peter Müller hat einen anderen Blick. Auf seiner Hebebühne steht regelmäßig das wahre Grauen. Vor allem Rost: Alle, Besitzer, Fans, Motorjournalisten, schlugen auf den W210 ein, der angeblich schon im Katalog gammelte. Ohne Frage hatten viele 90er-Jahre-E-Klassen gravierende Probleme mit Korrosion. Aber das heißt nicht, dass ihre Vorgänger, die 124er, weniger schlimm gammeln.

"Das ist Betrug"

„Frühe 124er rosten ehrlicher“, sagen Kenner. Mit der Modellpflege bekam der Wagen seine Saccobretter - darunter gammelt es oft jahrelang unbemerkt
Quelle: Ausblenden | Marlene Gawrisch

Bei dem blauschwarzen 220 TE in Müllers kalter Hinterhofwerkstatt sind große Teile des rechten Kotflügels nicht mehr existent. Der Rost hat das Blech zerfressen, erstaunlich, wie das Saccobrett an dieser Stelle überhaupt noch halten konnte. Durchgefaulte Kotflügel vorne: ein typisches Problem. Welcher 124er hat es nicht?

Weitaus ernster sind die Schäden an bekannten Schwachstellen wie den Hinterachsaufnahmen. Weil die Achse ausgebaut werden muss, sind Instandsetzungen in diesem Bereich aufwändig und teuer. Bei dem 220 TE auf Müllers Bühne wählte jemand eine einfachere Methode: Anstatt zu schweißen, wurden die maroden Aufnahmen mit Glasfaserspachtel zugeschmiert. „Das ist nicht nur idiotisch“, sagt Müller und zündet sich eine Zigarette an. „Das ist Betrug.“

In Müllers kleiner Schrauberhalle qualmt die Atemluft auch ohne Kippe im Mund, so kalt ist es hier. Der Ofen läuft im Dauerbetrieb, ist aber überfordert. Statt Blaumann trägt Müller Winterfunktionskleidung. Der Wasserhahn funktioniere auch schon seit Langem nicht mehr, sagt er.

1.000 Euro hat der Besitzer des 220 TE für die Instandsetzung seines Wagens angezahlt. Aber da war der katastrophale Zustand seines Autos noch nicht klar. Viele Schäden entdeckt man eben erst später, auch als Profi. Dann, wenn die Saccobretter abmontiert oder die Sitzbänke ausgebaut sind. Aus den anfangs veranschlagten 4.000 Euro Reparaturkosten sind inzwischen 6.200 Euro geworden. „Und das ist immer noch nicht das Ende“, sagt Müller.

Die Preise steigen

In den nächsten Tagen will der Besitzer vorbeikommen und neues Geld bringen. Eigentlich hat Müller dem Mann abgeraten, so viel Geld in den Wagen zu versenken, weil die Summe den Zeitwert bei Weitem übersteigt. Aber der Kunde, ein Selbstständiger aus der Consulting-Branche, schwört auf seinen alten 124er, auch wenn der eine Grotte ist. So wie viele andere auch.

Woher kommt sie, die 124er-Verklärung? Er könne es auch nicht ganz nachvollziehen, sagt Müller. "Vielleicht mögen die Leute dieses Wohnzimmergefühl beim Fahren?“ Andererseits: Vergleichbare Autos aus den späten 80er- und frühen 90er-Jahren – ob von Ford, Opel oder VW - seien von den Straßen verschwunden. 124er prägen dagegen weiter das Straßenbild, mit 300.000, 400.000 Kilometer auf der Uhr. Exemplare mit unter 200.000 Kilometer sind kaum noch zu finden, jedenfalls keine T-Modelle.

Die Hinterachsaufnahmen waren mit Glasfaserspachtel zugeschmiert, um Schäden zu vertuschen. „So etwas habe ich noch nicht erlebt“, meint Peter Müller
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So kommt es, dass die Marktpreise für gut erhaltene Wagen enorm gestiegen sind. „Vor zwei, drei Jahren hat man für 2.000 bis 3.000 Euro noch saubere 124er bekommen, auch Kombis“, sagt Peter Müller. „Heute fangen die Preise bei 5.000 Euro an – aber dann mit zerschlissenen Sitzen, angerosteten Kotflügeln und so weiter.“

Vermeintliche Schnäppchen

Der Autodienst Peter’s war einmal ein gut laufendes Unternehmen. Müller beschäftigte einen Lackierer und einen Karosseriebauer. Da befand sich der Betrieb noch in der Wederstraße im Stadtteil Britz. Doch dann wurde die Berliner Stadtautobahn 100 verlängert, und Müllers Kfz-Betrieb sollte Platz machen. Viele Nachbarn gingen und nahmen die Entschädigung. Doch Müller weigerte sich, bis vom Finanzamt ein Brief kam. Darin wurde ihm eine Steuernachzahlung von über 100.000 Mark aufgebrummt. Sein Kfz-Betrieb musste Insolvenz anmelden, seine drei Lebensversicherungen wurden gepfändet.

Heute bekommt Peter Müller eine kleine Rente, doch die reicht nicht zum Leben. Schon vor einigen Jahren fand er die kleine Halle am Richardplatz, seitdem schraubt er als Ein-Mann-Betrieb an alten Mercedes-Kombis herum. Wie lange noch? „So lange es geht“, sagt Müller. Wenn er all seine Arbeitsstunden aufschreiben würde, wäre er ein wohlhabender Mann. Aber wer bezahlt solche Rechnungen schon? Speziell 124er-Liebhaber sind oft nicht einfach. So ein 220 TE kostete 1995 fast 65.000 D-Mark, allerdings vollkommen nackt. Mit ein paar Extras war man schnell bei 80.000 DM.

Heute schmachten die Leute nach den Oberklasse-Mercedes mit Klassikerstatus und garantiertem Wertzuwachs, die als Kombis auch noch unglaublich praktisch und familientauglich sind. Viel Geld möchten sie dafür aber nicht ausgeben. Und dann wundern sie sich, wenn sich ein vermeintliches Schnäppchen für 2.000 Euro als Ruine entpuppt. „Die Leute vergessen oft, dass diese Autos über 20 Jahre alt sind“, sagt Müller. Ein Gutes hat der Hype um die alten W124 aber: Peter Müller wird weiter Arbeit haben. Sehr viel Arbeit.

 

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Das Objekt des Grauens: Ursprünglich war der Besitzer dieses T-Modells nur in Müllers Werkstatt gekommen, weil der Rückwärtsgang nicht mehr richtig funktionierte
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Eine Vorgänger-Werkstatt hatte an den Kombi falsche Federn montiert. Müller holte sie raus und setzte passende ein
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Auf der Hebebühne zeigte sich dann weit mehr als ein Getriebeproblem. Die Auflistung der Mängel und der durchgeführten Reparaturarbeiten umfasst mehrere DIN-A4-Seiten
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Wegen der massiven Rostschäden wurde das Getriebeproblem erst einmal hintenangestellt. Dass die Automatik ihren Geist aufgibt, sei aber absehbar, sagt Peter Müller
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Solche Dellen gehören bei dem 220 TE auf Müllers Bühne noch zu den harmloseren Mängeln
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Diese morsche Hinterachse wieder in Schuss zu bringen, lohnt sich nicht. Zum Glück hat Peter Müller ein großes Teilelager aus Schlachtautos
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Auch die Bremsleitungen waren völlig im Eimer. Müller war entsetzt: „Einmal Pedal durchgedrückt, dann ist Ende"
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Angefressene Radhäuser findet man bei fast jedem W124. Original-Kotflügel von Daimler sind teuer, Teile aus dem Zubehörhandel gelten als minderwertig
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„Der Benzinfilter war nicht mehr erkennbar“, sagt Peter Müller. Offenbar hatte das T-Modell jahrelang keine Inspektion gesehen
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Inzwischen hat Müller den Spritfilter gewechselt
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Die Hinterachsaufnahmen waren mit Glasfaserspachtel zugeschmiert, um Schäden zu vertuschen. „So etwas habe ich noch nicht erlebt“, meint Peter Müller
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Bei Familien, aber auch bei Handwerkern sind die geräumigen T-Modelle sehr gefragt
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Vor allem aber ihr Nimbus der Unzerstörbarkeit hat die Marktpreise in den vergangenen Jahren stark steigen lassen
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„Frühe 124er rosten ehrlicher“, sagen Kenner. Mit der Modellpflege bekam der Wagen seine Saccobretter - darunter gammelt es oft jahrelang unbemerkt
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Auch die Ausstattung ist eher karg bei diesem 220er. Stoffsitze, kein Tempomat, keine Sitzheizung. Klimaanlage hat er, aber die funktioniert schon lange nicht mehr
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