Ein Tag beim Reifenhändler
Unsere MOTOR-TALKerin Jule gibt am Reifen Gummi
Nie wird es beim Reifenhändler heißer als im Herbst. Unsere Kollegin Jule schraubte sich einen Tag mit den Profis schon mal warm.
Berlin - Manche Erfindungen sind so wertvoll, dass sie zweimal gemacht werden müssen. Der Luftreifen z. B. wurde 1846 von Robert William Thomson zum Patent angemeldet, setzte sich aber nicht durch. 42 Jahre später hatte John Boyd Dunlop dann mehr Erfolg. Sein Fahrrad-Luftreifen war wegweisend für den Erfolg der Automobile. 124 Jahre später stehe ich in der Reifenwerkstatt von Reifen-Müller in Halensee. Zum ersten Mal nicht als Kundin.
Reifenhändler erwarten besonders gute Umsätze
In der Filiale klingelt es, ständig. Das gute, alte Telefon. Dabei scheint draußen noch die Septembersonne. „Von O bis O‘ haben die Leute im Kopf“, sagt David Wilke, der Filialleiter.
Die heiße Phase des Reifenwechselns beginnt, wenn es draußen empfindlich kalt wird. Mit Sonderaktionen versuchen viele Händler, den Zeitraum zum Wechsel zu entzerren. Üblicherweise kommen alle Autofahrer gleichzeitig.
Dabei dürfte es in diesem Jahr noch schwerer werden. Für die Jungs am Rad, und für die Kunden. „Statistisch gesehen, ist alle 4-5 Jahre ein neuer Reifensatz fällig“, sagt Wilke. 2009, im Jahr der Abwrackprämie, tauschten knapp zwei Millionen Menschen ihre alten Karren gegen Neuwagen. 2010 kam die Winterreifenpflicht. Dieser Winter wird also Reifenwechselwinter.
Keine Lounge-Atmosphäre gewünscht
Reifenhändler haben ein anderes Image als Autohäuser. Beim Reifenhändler geht es um Reifen, sonst nichts. Stehtische, Deko, alles aus alten Gummis gemacht. Hier geht alles schneller, direkter, ohne SchiSchi und Trara. Der Automat spuckt Kaffee in „groß“, „mittel“ und „klein“ aus. Soja-Latte-Macchiato-Brühe kommt hier nicht in die Tasse.
Pausenraum. Umziehen. Blaumann und Sicherheitsschuhe statt Laptop und Jeans. Mit Blick auf die Stahlkappen steigt Wehmut auf. Damals, als Studentin, waren meine blauen DocMartens tägliche Begleiter.
Meine Begleiter für heute heißen Adrian, Rene und Andreas. Das Trio mit den extrem kraftvollen Unterarmen ist anfangs ein bisschen schüchtern. Frauen, so höre ich später, verirren sich allenfalls mal in die Werkstatt. Mit denen habe ich eines gemeinsam: Trotz passendem Outfit stehe ich oft hilfreich im Weg.
Wenn man es kann, geht es fix
Um 10 Uhr sind zwei Kundenfahrzeuge auf den Hebebühnen, dazu Rene und Andreas. Das Duo arbeitet zusammengerechnet seit 23 Jahren an der Bühne. Ein Super-Team. Zack, zack, hat der Benz neue Winterräder. Unendlich viel langsamer ziehe abschließend die Muttern mit dem Drehmomentschlüssel fest. Es knackt. Rene nickt.
Die Arbeit ist nicht schwierig, aber schwer. Ein Reifen wiegt mit Stahlfelge um die 30 Kilo. Viel Herausforderung bietet ein Reifenwechsel nicht, es sei denn, es werden Runflat- oder UHP-Reifen montiert.
Zur Hochsaison rollen 40 Autos pro Tag über die Bühnen. Macht 160 Reifen. Um das zu wuppen, werden zeitweilig zusätzliche Mechaniker eingestellt. Nur mit zwei Männern pro Bühne läuft das Geschäft.
Rene erklärt mir, wie ich den Reifen des Mercedes auf Felge ziehe. Mit Druckluft schiebt sich der Reifen über den Felgenrand, es knallt extrem. Das ist normal, aber mein Gesichtsausdruck rettet Rene vermutlich den Tag.
Reifendruckkontrollsystem wird Pflicht
Spannend und teuer wird der Besuch beim Reifenhändler mit der ECE-Regelung Nr. 64. Alle nach dem 1. November 2014 zugelassenen Neuwagen müssen ein Reifendruckkontrollsystem (RDKS) haben. Das misst – entweder mit direktem oder indirektem System – den Reifendruck.
Ab Werk gibt es die neuen Reifen mit meist direktem System, dann muss der jeweils andere Reifensatz nachgerüstet werden. Kosten dafür: ca. 200 Euro.
„Der TÜV wertet das Fehlen des Systems als geringen Mangel, der aber als sicherheitsrelevant sofort behoben werden muss“, sagt David Wilke.
Der älteste Reifen war volljährig
Die Lebensdauer von Reifen schwankt zwischen 7 und 10 Jahren, abhängig davon, welchen Experten man fragt. Dann härtet die Gummimischung so aus, dass die Gummis porös werden. Der älteste Reifen, der in die Werkstatt gefahren kam, war 18 Jahre alt. „Der war noch aus den 90ern“, lächelt Wilke. „Manche Kunden sind halt beratungsresistent. Wenn die Gummimischung derart ausgehärtet ist, fährt sich das Profil nicht mehr ab.“
Die meisten Kunden haben aber eher mehr als weniger Geld, das macht die Nähe zum Grunewald. „Wir haben sogar ein bisschen Prominenz hier.“ Aus alten Sat1-Serien, Kriminalkommissare. Detaillierter wird Wilke nicht.
Alufelgen für den Anhänger
Die „besonderen“ Wünsche sind weniger skurril als erwartet und zeugen von echter Zuneigung zum Fahrzeug. „Einer wollte für seinen Anhänger Alufelgen haben. Dabei war das Ding 20 Jahre alt.“ Das musste Wilke ihm abschlagen. Die Radnabe war so dicht am Anhängeraufbau, da passten keine Alufelgen. Die hatten alle eine zu große Einpresstiefe. Und Distanzscheiben am Anhänger wären etwas viel des Guten.
Nach sechs Stunden und viel Kleinarbeit (bei der schweren haben mich die Profis gar nicht erst ans Rad gelassen, den Rädern zuliebe) schmeiße ich Blaumann und Stahlkappenschuhe in den Spind. Was nehme ich mit? Räderwechseln, das ist definitiv kein Job für mich.
Wann wechselt Ihr? Macht bei unserer Umfrage mit.
Ohweia. Von jemanden bei der 17 % die Mehrheit sind, die Räder montieren lassen? Nee danke!
Ich halte hier einen Motz-Kommentar für äußerst unangebracht. Der Artikel war gut und sympathisch geschrieben. Dass die Dame kein Profi im Reifenwechseln werden wird hat sie ja auch so geschrieben, was sie in meinen Augen noch sympathischer macht. 😉
Ich hätte gerne mehr Artikel dieser Art. Besser als nur irgendwelche VW-Konzept-Ankündigungen. Das dürfte dir doch auch gut gefallen, Hefti. 😉
Jetzt wäre mal interessant zu wissen, ob die "Jule" selber die Reifen ihres Autos wechseln kann und sich dieser Tag somit gelohnt hat oder nicht.
Außerdem wäre auch mal interessant, wie viel denn dabei wirklich gearbeitet und gelernt wurde. Nach 6 h sollte ja genug Wissen vorhanden sein um selbstständig ein Auto auf Winterreifen umzurüsten (inkl. neue Reifen auf die Felgen aufziehen + auswuchten).
Und eines noch zu einer Bildunterschrift: Da brauchen 2 Monteure echt 30 Minuten um neue Räder aufzuziehen oder ist das inkl. alter WR von den Felgen runter und neue drauf gemeint? Denn sonst wären 2 Mann und 30 Minuten ja extrem viel. Da bin ich daheim ohne Bühne und Schlagschrauber nicht wirklich langsamer. Und da muss ich bei jedem Rad den Wagen einzeln aufbocken.
Eben. Die Antwort hast du dir selbst gegeben.
Ich stand letztens daneben. 2 Mann, die routiniert und ohne Hektik arbeiten, die brauchen schon eine Weile, um neue Reifen zu montieren und zu wuchten (und was sonst so zu tun ist)...
Ich denke mal, das ist mit Reifen runter ziehen von der Felge und auswuchten.
Weil sonst sind 2 Mann nicht plausibel an einem Auto.
Und das ist schon ein guter Wert, wenn alles richtig erledigt werden soll.
Schließlich kloppen die dir nicht nur die Reifen runter, wenn du zum Wechseln kommst.
Da ist einiges anderes noch dabei, weil die Werkstatt auch haftbar dafür ist.
Sprich der Monteur wird vor und nachher noch eine Prüfung machen.
Und z.B. erstmal die passenden Reifen aus dem Lager holen usw.
Das kann man mit einer Zuhause Montage keinesfalls vergleichen.
Was soll der Monteur denn da bitte großartig prüfen?
Probefahrt wird keine gemacht und optisch begutachtet man auch bei der Montage zu Hause die Bremsen usw. Und die Auflageflächen säubert man zu Hause ja auch.
Aber klar, wenn es mit neuen Reifen auf die Felgen aufziehen ist, dann ist das gut. Aber so wie es bei der Bildunterschrift steht ist das eben nicht eindeutig, daher meine Nachfrage 😉
Öh..was sind das für Räder die 30kg/Stück wiegen?
Hab vor kurzem meine Winterräder gewogen, Alufelge in 7,5x17 inkl Reifen 225/45R17-> knappe 19kg.
Ein 285er mit gleichem Querschnitt in 19 Zoll kommt da schon hin. So überschlagen.
19 kg / (8, 5^2 * 9, 5^2 / 225 * 285) Reifen
Habe ich mich auch gefragt. Habe erst gestern alleine und nur mit Wagenheber exakt 30min gebraucht, um vier 17 Zoll Räder zu wechseln.
Nuja..das wird dann aber doch eher eine Ausnahmegröße sein.
Ich gehe davon aus, daß die meisten doch eher in den Dimensionen 14-17 Zoll sind.
Ein Komplettrad auf einem Mittelklassefahrzeug hat eine Masse von 30 kg?
Das dient der Fahrsicherheit keinesfalls. Nicht ohne Grund fahre ich Leichtbauräder, die mit Reifen eine Masse von nur 16,3 kg (Sommer) und 15,4 kg (Winter) haben. Bei der Serienausstattung waren es auch nicht mehr als ca. 18 kg, für mich aber zuviel.
Eigentlich sollten sich die Kosten für den Reifenwechsel nach dem Gewicht der Räder richten bzw. ein satter Zuschlag für 18/19/+ Zoll anfallen.
Schonmal überlegt wie eine kleine Werkstatt (Familienunternehmen) mit einem Meister und evtl. Lehrling/Ehefrau da an den SUV-Rädern hängt?
Mag für einen 25-Jährigen eine Sache von 30 Minuten sein, an seinem Wagen die Räder zu wechseln, aber ein 50-Jähriger, der noch eben 15 Jahre in der Werkstatt stehen darf, der hebt sich krumm mit den Dingern, wenn er das den ganzen Oktober macht.
Aber gut, solange es schön macht.
18 und 19 Zoll auf Klein(st)wagen. 🙄
also beim einleitenden Satz hab ich den sympatischen Charles Goodyear vermisst [ Am 15. Juni 1844 wurde ihm vom United States Patent Office das Patent Nummer 3633 zum Vulkanisieren von Gummi erteilt. ]
Das Poster im Pausenraum wurde versehentlich verpixelt.