Reboard-Kindersitze und i-Size – Teil 1
Warum Kinder besser rückwärts fahren
Seit Juli 2013 gilt eine neue EU-Verordnung zur Kinder-Sicherheit im Auto. Sie besagt, dass Kinder künftig bis zu einem Alter von 15 Monaten entgegen der Fahrtrichtung sitzen sollen. Wir erklären, was Eltern dazu wissen sollten.
Berlin - Die Suche nach dem richtigen, dem passenden Kindersitz ist schon ohne neue EU-Verordnung schwer. Eltern lesen, bewerten und diskutieren Tests vom ADAC, Stiftung Warentest und manchmal auch noch anderen Organisationen, damit dem eigenen Kind möglichst nichts passiert.
Und trotzdem bleiben ein paar Fragen, auf die wir Antworten gesucht haben. Zum Beispiel die, warum die meisten Kleinstkinder (1 bis 2 Jahre) nach vorn gerichtet fahren, obwohl rückwärts fahren viel, viel sicherer wäre. Teil 1 unserer Kindersitz-Story versucht, das zu erklären. Teil 2 beschäftigt sich mit der neuen Kindersitznorm i-Size.
Vor welcher Situation stehen die Eltern?
Die aktuelle ECE-Regelung Nr. 44 besagt: Ein Kind darf ab einem Gewicht von 9 Kilogramm aus der Babyschale in einen vorwärtsgerichteten Sitz der Gruppe 1 (9 bis 18 kg) wechseln. 9 Kilo erreichen viele Kleinkinder schon vor dem ersten Geburtstag. Eltern nehmen das häufig zum Anlass, die Babyschale auszusortieren. Dabei sind diese bis 13 Kilo zugelassen.
Zur Wahl stehen dann die Sitze der Gruppe 1 oder ein übergreifender Sitz für die Gruppen 1/2/3 (9 bis 36 kg). In Deutschland entscheiden sich viele Eltern für einen in Fahrtrichtung gewandten Sitz. Der erste große Fehler. Denn weitaus sicherer ist für ein Kind in diesem Alter/mit diesem Gewicht ein rückwärtsgerichteter Sitz.
Sind vorwärtsgerichtete Kindersitze gefährlich?
Der Grund ist einfach und logisch. Die mit Abstand meisten Unfälle (71 Prozent) passieren frontal. In einem solchen Fall wird der Körper des Kindes stark nach vorn beschleunigt, während das Fahrzeug maximal verzögert. Gurte oder ein Fangtisch fangen zwar den Körper des Kindes auf. Aber der bei kleinen Kindern noch überproportional große Kopf wird ungebremst vor und zurück geschleudert.
Was bei einem erwachsenen, trainierten Menschen meist nur zu einem Schleudertrauma führt, kann für ein Kind schlimme Folgen haben. Denn die Wirbelsäule und Nackenmuskulatur sind noch nicht voll entwickelt.Bei einem Frontalcrash mit 50 km/h kann eine Streckkraft von 300 Kilogramm auf den Nacken des Kindes wirken. Bereits die Hälfte der Kraft kann zu Rückenmarksverletzungen, Querschnittslähmungen oder sogar zum Tod führen.
Die Lösung: Reboarder. Was ist das?
In einem sogenannten Reboard-Kindersitz wird der Körper bei einem Frontalaufprall in die Rückenlehne des Sitzes gepresst. Der Kopf wirbelt nicht umher, die einwirkenden Kräfte verteilen sich auf den Rücken des Kindes. Auf den Nacken wirkt eine Streckkraft von rund 60 Kilogramm.
Darum sind in Schweden rückwärtsgerichtete Kindersitze Standard. Und darum sterben in Schweden nahezu überhaupt keine Kleinkinder bei einem Autounfall. Die Forscher der schwedischen Versicherungsgesellschaft Folksam sind sich sicher: Ein Reboard-Kindersitz bietet eine bis zu 5 Mal höhere Sicherheit als die bei uns bekannten Fahrtrichtungskindersitze.
Erik Salters, Entwickler für Maxi Cosi, erklärt im Gespräch mit MOTOR-TALK: „Für jede Person, auch Erwachsene, wäre es sicherer, rückwärtsgerichtet zu fahren. Bei abruptem Abbremsen, z. B. bei einem Unfall ist das für jeden sicherer. Also sollten auch Kinder rückwärtsgerichtet transportiert werden.“
Bei welcher Art Unfall ist ein Reboarder vielleicht im Nachteil?
Zu den Schwächen erklärt Salters: „Zur Zeit sind keine Nachteile der Reboard-Sitze bei Crashs bekannt. Ich selbst transportiere meine Kinder bis zu einem Alter von zwei Jahren in einem Reboarder. Und das in einem Kleinwagen.“
Auch der ADAC bestätigt, dass ein Reboard-Sitz im Falle eines Frontalcrashs sicherer ist, als ein Sitz, in dem das Kind vorwärts fährt. Bei einem Seitencrash sind beide ähnlich gut.
Problematisch könnte höchstens ein Heckunfall werden. Doch statistisch gesehen handelt es sich beim schweren Heckunfall um eine Seltenheit. Laut der Unfallforschung der Versicherer (UDV) betreffen nur ca. drei Prozent der schweren oder tödlichen Unfälle das Heck eines Wagens.Haben Reboarder andere Nachteile?
Die Sicherheit hat ihren Preis und sie hat Gewicht. Reboard-Sitze sind teuer und aufgrund ihrer Konstruktion größer und benötigen mehr Platz. Teilweise müssen Vordersitze zum Einbau weit nach vorn geschoben werden. Trotzdem passen sie in der Regel auch in kleine Autos. Vor einem Kauf sollten die Sitze jedoch zur Probe eingebaut werden.
Warum schneiden Reboarder in Tests nicht besser ab?
Obwohl die Reboard-Sitze sicherer sind, schneiden sie in Tests von ADAC oder Stiftung Warentest nicht eindeutig besser ab. Das hängt mit einem ihrer Nachteile zusammen. Dem Einbau. Er ist komplizierter als bei einem normalen Kindersitz. Vor allem, wenn das Fahrzeug nicht über eine Isofix-Vorrichtung verfügt und mit Zusatz-Gurten gearbeitet werden muss.
Neben der Unfallsicherheit (50% Gewichtung für Gesamturteil) bewertet der ADAC auch die Bedienung und Ergonomie (50% Gewichtung), Reinigung und Verarbeitung sowie den Schadstoffgehalt.ADAC-Kindersitz-Experte Andreas Ratzek sagt zu MOTOR-TALK: „Einbaufehler beeinträchtigen die Sicherheit. Die Bewertung beim Kindersitztest stützt sich deshalb hauptsächlich auf die Punkte Sicherheit sowie Bedienung/Fehlbedienungsmöglichkeit.“
Zum Verhängnis wird den Reboardern außerdem, dass sie fast alle auch vorwärts genutzt werden können. Da der ADAC nur den schlechtesten Testwert in die Wertung einfließen lässt, können die rückwärtsgewandten Sitze ihre Stärke kaum ausspielen. Sie rutschen so in der Wertung nach unten, obwohl sie für Kleinkinder viel sicherer wären. Im Kindersitz-Test 2013 erhalten die vier getesteten Reboarder Cybex Sirona, Maxi Cosi Milofix, Concord Ultimax und Takata Midi in der Kategorie Sicherheit "nur" die Bewertung "gut". Andere vorwärtsgerichtete Sitze schneiden mit "sehr gut" ab. Testsieger (ohne Babyschalen) ist der Kiddy Phoenixfix Pro 2, ein System mit Fangtisch.
Schritt nach vorne – Die i-Size-Regelung?
Der Einbau bleibt – neben dem Preis - das größte Problem der Reboarder. Das bestätigt auch Michael Neumann, Geschäftsführer von Maxi Cosi Deutschland, im Gespräch mit MOTOR-TALK: „Ein Sicherheitssystem ist auch immer nur so gut, wie es am Ende von den Eltern eingesetzt wird. Aus Gesprächen mit Eltern weiß ich, dass der Einbau immer ein Problem war. i-Size soll vor allem einen Vorteil für die Installation der Sitze durch die Eltern bringen.“
Welche Verbesserungen die zum 9. Juli dieses Jahres in Kraft getretene i-Size-Regelung (ECE-R 129) wirklich bringt, was sich mit ihr ändern soll und warum so viele Eltern Probleme haben, den richtigen Sitz zu finden, erklären wir im zweiten Teil unseres Artikels.
"Darum sind in Schweden rückwärtsgerichtete Kindersitze Standard. Und darum sterben in Schweden nahezu überhaupt keine Kleinkinder bei einem Autounfall"
Das eine hat nicht zwingend was mit dem anderen zu tun !
Verkehrsaufkommen/dichte/struktur etc. sind auch noch so ein paar Faktoren.
Allerdings hätte ich das Prinzip auch um so länger gern angewendet - aus genannten Vorteilen, bzw. nicht unbek. Erkenntnissen hinsichtlich Anatomie etc.
ABER, wo + welche Sitze (Hersteller ? Modelle ??) findet man hierzulande, um sie entsprechend länger anzuwenden ?!?
Nicht allein die 13 kg gerade auch das immense, schnell Wachstum lassen die Kleinsten mitunter sehr zeitig aus allem herauswachsen !
Bei meinen eigenen 1.98m wundert es freilich wenig, was da nachfolgt...;o)
Und was, wenn mir einer mit 60 oder mehr ins Heck donnert? Dann wäre der Sitz auch wieder falsch rum. Wie wäre es denn mit einem Gurt, der um die Stirn gelegt wird, der sich ebenfalls bei einem Unfall strafft und den Kopf des Kindes fixiert. So wäre es egal, in welche Richtung der Sitz angebracht ist.
Wie der Vorredner schon schrieb, das Problem ist nicht das Gewicht, sondern die Größe der Kinder: Der Kopf ragt i.d.R. nach 9 Monaten über den Rand der Schale, die Füßchen und Beinchen müssen in die Schale "gequetscht" werden, da auch sie weit über den Rand ragen würden, wenn nicht die Rücksitzlehne im Weg wäre. (Wobei ich jetzt nicht weiß, ob die Isofix-Schalen einen größeren Abstand zur Lehne haben, wir hatten damals weder so eine Schale, geschweige denn ein Auto mit Isofix.)
Ein weiterer Punkt ist, dass das Kind dann irgendwann nicht mehr die Heckscheibe anstarren will, sondern lieber schauen, was die Eltern da vorne so treiben. Und Eltern können mir das bestätigen, wenn das Kind auf der Rücksitzbank schlechte Laune bekommt, wird der Rest der Fahrt zum absoluten Horrortrip. Speziell für den Fahrer, da er komplett hilflos ist. Unsere Fahrten sind angenehmer geworden, als unser Sohn "richtig rum" saß.
... so ist es auch bei uns, er nimmt nun am Geschehem teil und liebt Auto fahren sehr. Mein Sohn fährt seit er 14 Monate ist, nicht mehr in der Babyschale, er war seit diesem Zeitpunkt viel zu groß. Reboard Kindersitze habe ich hierzulande noch nicht im Handel gesehen.
Wir haben uns nach der Babyschale auch für einen Reboard-Kindersitz entschieden, nachdem wir uns eingehend informiert hatten. Leider hat die Kleine ab ca. 1,5 Jahren das rückwärtsgerichtete Fahren einfach nichtmehr akzeptiert (die Monate davor gings noch halbwegs mit Ablenken), und permanentes Brüllen ist weder meiner Konzentration zuträglich, noch kann es der Kleinen gut tun, so dass wir den Sitz dann doch irgendwann in Fahrtrichtung montiert haben.
Mir wäre es andersrum klar lieber, aber wenns nicht geht, gehts eben nicht...
Wir hatten auch den MaxiCosi Cabriofix bis knapp über ein Jahr, danach wurd er auch zu groß.
Wie einer der Vorredner schon sagte, mein Sohn wollte auch nicht mehr verkehrtherum sitzen.
Aber die Cabriofix Schale mit Isofix ist super komfortabel! Einfach einklicken, losfahren. Keine Tüddellei mit dem Gurt. Und wenns mal ne ordentliche Querbeschleunigung gibt beim Aufprall, dann trau ich dem Isofix auch deutlich mehr zu, als dem Gurt.
Grüße
Das ist so nicht richtig. Es ist sehr vereinfacht geschrieben und daher eigentlich sachlich falsch. Richtig ist, dass es vom Kindersitz abhängig ist, ob das Kind ab 9kg rückwärts gerichtet transportiert werden muss. Wenn die Eltern einen derzeit aktuellen Sitz der Norm ECE 44/04 verwenden, dann bleibt es Ihnen weiterhin erlaubt, diesen auch weiterhin zu benutzen und das Kind vorwärts gerichtet zu befördern. Die alten Kindersitze verlieren nicht ihre Zulassung. Beim ADAC ist dazu auch Folgendes zu lesen:
Alle Kinder müssen bis 15 Monate gegen die Fahrtrichtung transportiert werden (das gilt nur für Kindersitze, die nach der neuen Richtlinie zugelassen sind – nicht für Produkte mit ECE-R 44-Zulassung).[...]Die bereits vorhandenen Kindersitze dürfen selbstverständlich unverändert weiterverwendet werden. Ein Verwendungsverbot von Kindersitzen, die nach ECE-R 44 zugelassen sind, ist derzeit nicht geplant.
Weiterhin:Eltern, die einen neuen Kindersitz benötigen, können ebenfalls noch Produkte kaufen, die eine ECE-R 44 Zulassung haben. Sie müssen nicht befürchten, dass sie diese schon bald nicht mehr nutzen dürfen.
Quelle : ADAC (Internetauftritt)
Wir "betreiben" zur Zeit für unseren 4-Jährigen je einen Klasse-1-Sitz der alten Norm ECE 44/04 pro Fahrzeug. Unsere Jüngste, derzeit im Altern von 10 Monaten wird diese Sitze übernehmen. Die Entscheidung, keine neuen Sitze für unsere Tochter anzuschaffen, hat dabei mehrere Gründe:
- Finanzielle Gründe. Klasse-1-Sitze der ECE44/04 gehören zu den teuersten, im Vergleich zu den anderen Klassen. Für einen neuen Sitz mit Isofix kann man zwischen 250 und 400 Euro ausgeben, sofern es sich um ein gut getestetes Markenprodukt handelt.
- Emotionale Gründe des Kindes. Meiner Meinung nach wird die psychologische Situation des Kindes zu wenig in der Diskussion berücksichtigt. Die Kinder wollen irgendwann nach vorne schauen. Die Unsicherheit im Straßenverkehr, die entsteht, wenn ein schreiendes Kind, das sich nicht wohlfühlt, im Auto transportiert wird, kann sich jeder gut vorstellen: Der Stress beim Fahrer steigt. Die Ablenkung nimmt zu, mit den potentiell entsprechenden Folgen eines Unfalls.
@Ben58644:
Der Hinweis, dass die alten Richtlinien weiterhin ihre Gültigkeit haben wird erst im zweiten Teil des Berichtes gegeben, aber er ist enthalten.
Deine Argumente kann ich sehr gut nachvollziehen, ich würde es auch so machen.
Schließlich sind die guten Sitze - auch wenn sie nach vorne gerichtet sind - durch die neue Richtlinie ja nicht auf einmal das schlechteste was es gibt! Auch wenn das in dem Artikel so suggeriert wird...
[...] In Deutschland entscheiden sich viele Eltern für einen in Fahrtrichtung gewandten Sitz. Der erste große Fehler. Denn weitaus sicherer ist für ein Kind in diesem Alter/mit diesem Gewicht ein rückwärtsgerichteter Sitz. [...]
[...] Das gefährliche Vorwärtsfahren bleibt für Sitze ohne Isofix weiterhin möglich [...]
Du mußt aber etwas genauer lesen, denn in deinem letzten Zitat hast du das eigentlich wichtigste nicht markiert. Und wer mal nen Isofixsitz benutzt hat und sich leihweise mal eines anderen oder sich eines Autos ohne Isofix bedienen durfte, weiß was ich meine: Mit der Zeit lassen z. B. die Gurtklemmen an den Klasse-1-Sitzen nach und die Sitze werden im Notfall nicht mehr festgehalten, sondern fliegen etwas gebremst nach vorne. Für mich aber schlimmer: Beim Kurvenfahren, und dazu muss die Kurve nichtmal schnell gefahren werden, kippen z. B. die Klasse-2/3-Sitze, in denen die Kinder mit dem Fahrzeuggurt gesichert werden, einfach um. Die Kinder haben Mühe sich schnell genug irgendwo festzuhalten bzw. gar keine Chance sicheren Halt zu finden.
btw: Wer ist hier eigentlich für die Bilder verantwortlich? Gerade bei diesen Themen, wo es um (Kinder)Sicherheit geht, sollten auch die Bilder das Optimum zeigen und nicht schlampig angeschnallte Kinder im vermeintlich sichersten Sitz(system).😱😤
Habe ich bewusst nicht markiert, weil es sehr gute - auch als sehr gut getestete - Sitze ind der GRuppe I gibt, die keine Isofix benötigen. Ich habe selber den HTS BeSafe iZi im Auto gehabt für mein Kind. Den hast Du nicht dazu gebracht, sich auch nur ein klein bißchen in irgendeine Richtung zu bewegen.
Bei Gruppe II/III gebe ich Dir allerdings recht, da geht nichts über Isofix.
Meine Erfahrung bezogen sich auf ältere Gruppe-1-Sitze, bei denen der Gurt zwischen zwei "Raspelplatten" eingeklemmt wird und ggfs. der Gurt durch eine weitere Vorrichtung beim Zurückklappen des Sitzes zusätzlich gespannt wird, damit der Sitz fest und sicher auf dem Sitz steht. NUR, und da ist das Problem, mit dem Alter läßt die "Bißwirkung" der Rasterplatten bzw. deren Verschlußmechanismus nach und dann rutscht der Gurt allmählich durch und der Sitz ist nicht mehr fest.
Es gibt ja wie gesagt verschiedene Befestigungssysteme. Ich stand 2007 vor der Wahl, den IzI oder den Römer mit Isofix. Abgesehen davon, das der Römer fast 100,-€ teurer war, hat uns das Befestigungssystem absolut überzeugt.
Bei dem wird nämlich der Gurt erst manuell durch 2 Kurtklemmer befestigt und danach über einen Hebel zusätzlich gespannt. Danach konntest Du das Auto damit schieben, aber bewegt hat sich der Sitz im Auto nicht mehr - auch nicht nach einem Monat.
Hallo PIPD black,
da hast Du vollkommen Recht.
Wir ändern die Darstellung.
Vielen Dank