Mercedes IAA Concept: Sitzprobe
Weniger Verbrauch durch mehr Länge
Am Vorabend der IAA zeigte Mercedes erste Bilder des „Intelligent Aerodynamic Automobil“. Auf der Messe zog Daimler dann das Tuch - und wir haben uns reingesetzt.
Frankfurt am Main – Leise surrend fährt das Heck aus. Wie ein überdimensionierter Trichter schieben sich die Bleche an den Rückleuchten vorbei, verlängern die Mercedes-Studie namens IAA Concept um 39 Zentimeter auf 5,43 Meter. IAA steht bei Mercedes für „Intelligent Aerodynamic Automobil“ und damit für eine möglichst windschnittige Karosserie - und für die ist nicht nur der vordere Teil des Autos verantwortlich. „Der Luftwiderstand wird neben der Stirnfläche zum größten Teil am Heck entschieden“, sagt Mercedes-Designer Steffen Köhl.
Zehn Monate Arbeit stecken drin
Um den Kraftstoffverbrauch von künftigen Autos weiter zu senken, müssen Ingenieure sparsame Motoren entwickeln, das Gewicht des Fahrzeugs verringern und die Karosserie möglichst aerodynamisch gestalten. Deshalb entwickelten die Teams um Designer Steffen Köhl und den Leiter „Aerodynamik“, Teddy Woll, die transformierbare Studie „IAA“. Zehn Monate Arbeiten stecken in dem Konzeptfahrzeug.
Für die Reduzierung des cW-Werts sorgen acht bewegliche Karosserie-Bauteile. Zusätzlich zur Heckverlängerung fahren Frontlaps 2,5 Zentimeter aus den vorderen Stoßfängern und die Spoilerlippe wandert sechs Zentimeter nach hinten. Dadurch soll die Umströmung des Autos verbessert werden. Der Unterboden ist komplett eben.
Die Felgen ändern bei höheren Geschwindigkeiten durch Fliehkraft ihre Form – von einem tiefen Fünfspeichen-Rad zur flachen Scheibe. Die ist fein perforiert, damit die Wärme der von innen gekühlten Bremsen besser abströmen kann. „Mit den sportlichen und änderungsfähigen Rädern wird der Luftwiderstand deutlich verringert“, sagt Teddy Woll.
Ab 80 km/h wird der Mercedes länger
Mit den veränderbaren Bauteilen schießt der Mercedes ab 80 km/h wie ein Pfeil durch die Luft. Liegt der cW-Wert bei der Standardkonfiguration bei 0,25, reduziert sich der Wert ab 80 km/h auf 0,19. An die Mercedes Studie C111-III von 1978 (0,183) und den VW XL1 (0,159) kommt das IAA-Concept zwar nicht ran. Das Konzeptauto bietet dafür aber vier Türen und vier Sitzplätze.
Der Antrieb hilft ebenfalls beim Sparen, ist jedoch keine Neuheit mehr: Unter der langen Haube sitzen Otto- und Elektromotor. Gemeinsam kommen sie auf 279 PS Leistung. Damit soll die Studie bis zu 250 km/h schnell fahren. Tatsächlich begrenzt Mercedes das Einzelstück auf rund 100 km/h. Im normalen Modus fährt die Studie 62 Kilometer rein elektrisch, in der langen Aerodynamik-Version 66 Kilometer. Den CO2-Ausstoß gibt Mercedes mit 31 g/km bzw. 28 g/km an. Das entspricht ungefähr 1,3 Litern bzw. 1,2 Litern auf 100 Kilometern. Durch das elektrische Fahren wird die Angabe zum Benzinverbrauch allerdings verzerrt.
Kleine Touchpads am Lenkrad
Die Tür springt mit einem Fingertipp auf – klassische Türöffner gibt es nicht. Der Innenraum orientiert sich an der aktuellen S-Klasse: viel Platz, viel weißes Leder, bequeme Sessel. Das Kombiinstrument besteht aus zwei nebeneinander angeordneten, jeweils 12,3 Zoll großen Bildschirmen.
Mit den zwei kleinen Touchpads am Lenkrad bedienen die Daumen das Menü von Bordcomputer, Assistenzsystemen, Navi und Infotainmentsystem. Mercedes nennt das „Optical Finger Navigation“ (OFN). Dazu kommt ein großes Glasfeld in der Mittelkonsole. Das könnte künftig den Dreh-Drück-Knopf ersetzen. Zumindest die Touchpads am Lenkrad soll schon in die nächste E-Klasse kommen.
Um die Zahl der Unfälle zu reduzieren, kommuniziert der IAA mit anderen Fahrzeugen. Dabei erkennt der Mercedes über Sensoren kritische Situationen wie Pannen, Unfälle, Starkregen, Nebel und Schleuderunfälle. Auch diese Technik hat Daimler bereits für die nächste E-Klasse, die im Frühjahr 2016 auf den Markt kommt, angekündigt.
Lüftungsdüsen von Swarovski
Bei Studien dürfen sich Designer traditionell austoben. Das gilt auch für den IAA. Die Mittelkonsole besitzt ein Zierelement aus gebogenem Glas, in das ein Touchdisplay integriert ist. Die acht Lüftungsdüsen steuerte Swarovski bei. Das gläserne Innenleben strahlt aus der Tiefe heraus wie ein Hologramm, je nach eingestellter Temperatur in Rot oder Blau. Eine nette optische Spielerei?
„Reine Fingerübung gibt es bei uns nicht, wir zeigen in den Studien immer Ideen, die wir umsetzen können“, sagt Steffen Köhl. Die diesjährige Studie soll zeigen, wie eine Limousine allein durch geschicktes Design Sprit sparen soll. Bauteile wie die Fliehkraft-Felgen und die Car-to-X-Kommunikation können bald schon Serie werden. Ein paar davon sehen wir in der nächsten E-Klasse, auch wenn das der Designer nicht bestätigen möchte.
...sprachlos... in jeder Hinsicht +/-
Eine gelungene Studie mit seriennahem E-Klasse (W213) Cockpit.
Also auf deutsch, wir machen alles, was seit 100 Jahren in den Lehrbüchern zur Aerodynamik steht, aus verschiedenen Gründen aber im Normalfall immer weggelassen wird...ganz großes Kino.
Die Ausfahrbare Heckverkleidung würde sich übrigens auch sehr gut für LKW eignen, da ist aber der Gesetzgeber vor...Höchstlänge.
(die Luftwirbel im Heckbereich entstehen dadurch weiter von eigentlich Heck entfernt. Dadurch weniger Unterdruck, der die Kiste bremst)
Die Rumpfform von Schiffen sieht auch nicht zum Spaß seit Jahrhunderten so aus, wie sie aussieht...Stichwort boat tailing.
Ist eine klevere Idee das Heck ab 80 zu verlängern, bei der Geschwindigkeit wird ja wohl kein wildgewordener Radler mehr hinten drauf brummen und sich die Beine amputieren
dachte zuerst, jason statham fährt neuerdings mercedes ...
Ich bin ja fast sicher, dass die Abstandssensoren (die garantiert vorhanden sind) vorher checken, ob der Bereich frei ist. 😉
hey die 50iger kommen wieder... Nur, warum ist da kein kleiner Atomreaktor im Kofferraum??? Das war doch damals die Zukunftsvision...
wenn man einmal die Damenbinde in den Sitzen gesehen hat kann man das Fahrzeug nichtmehr ernst nehmen. Schade, das war echt ein fauxpas!
Naja, weiß man's? Die Fahrradindustrie schläft auch nicht. 😆
Da fehlen noch Heckflossen.
Länge läuft, das kennt man vom Segeln. Ein schwereres Boot braucht keine Steigungen zu bewältigen. Ein längeres und damit schwereres Auto schon. Was durch den verbesserten cW-Wert an Verbrauchseinsparung gewonnen wird, kann durch das höhere Gewicht verloren gehen.
Coole Kiste, das sollte in Serie gehen. Das Design sticht aus der Masse heraus. Wie hoch ist der eigentlich? 1250 mm? Und trotzdem hat man anscheinend noch genug Kopffreiheit.
Stimmt, Stefan.
Das wusste man schon vor 200 Jahren: "Länge läuft"
Ein Grund, weshalb die 1869 gebaute "Cutty Sark" lange der schnellste Segler der Welt war. Der Clipper war fast 70 m lang, für die kleine schottische Werft, die das Schiff anfangs gebaut hat, eine Nummer zu groß. Die ging pleite.
Ich kenne mich in der Aerodynamik nicht aus. Bei einem Verdränger lautet die grobe Formel für die maximale Rumpfgeschwindigkeit (in kn): 2,4 x Wurzel aus LWL. Die Länge der Wasserlinie (in m) ist also entscheidend.
Aber es verhält sich bei dieser Mercedes - Studie wie bei Rennseglern mit steilem Bug und angepapptem Heck: Sie sehen einfach scheiße aus.
Gottseidank nur ein "Concept-Car"