Classic Driving News

Zum Niederknien: Lambo No 2

verfasst am Thu Dec 15 19:26:16 CET 2011

Noch heute erweckt das Karosserie-Design des Lamborghini 400 GT gemischte Gefühle. Die exponiert im Froschaugen-Stil platzierten und oval umrahmten Doppelscheinwerfer erinnern an den Heckmotorrenner NSU TT. Und wie das im Stil des Porsche 911 geformte Fastback-Dach in einen extrem breiten, kantigen Kofferkasten absäuft - puuhh, das ist schon, sagen wir mal, sehr, sehr eigenartig. Oder besser: eigenwillig.

Sein Ferrari war nicht gut genug

Weil seine Ferrari den Ansprüchen nicht genügten, baut Ferrucio einen eigenen Sportwagen. Aber so war er nun einmal, der Ferrucio Lamborghini, ein italienischer Großindustrieller, der Anfang der 60er Jahre viel Geld mit Traktoren, Ölbrennern, Klimaanlagen, Hydrauliksystemen und sogar Kühlschränken verdiente. Seine technischen Kenntnisse für den Bau von Traktoren eignete er sich übrigens als Kriegsgefangener bei den Briten auf Rhodos an, wo er Flugzeug-Schlepper reparierte.

Der spätere, autobegeisterte Unternehmer besaß einen Fuhrpark aktueller Sportwagen von Alfa Romeo, Aston Martin, Jaguar und Ferrari, die ihn nicht im vollen Maße befriedigten: Er fand in diesen - besonders bei Ferrari - immer wieder Bauteile, die seiner Ansicht nach dem hohen technischen Anspruch der berühmten Sportwagen-Marke nicht gerecht wurden. Also entschloss sich Lamborghini dazu, selbst einen GT-Sportwagen nach seinen Vorstellungen bauen zu lassen.

Der erste Lamborghini mit dem schlichten Namen 350 GTV wird im November 1963 den staunenden Besuchern des Turiner Automobilsalons präsentiert. Das gewagte, fast schon futuristische Design mit dem betont kantig gestylten Heck stammte von Franco Scaglione. Dennoch erlaubte der Firmenchef für das 1964 vorgestellte Serienmodell Lamborghini 350/400 GT, dessen Karosserie bei Touring entstand, nur wenige Abweichungen: keine Klappscheinwerfer, eine schlankere C-Säule und ein etwas weniger kantiges Heck.

Geblieben sind beim Lamborghini 400 GT dagegen viele kostspielige Details, die wohl jeden Produktionschef in eine Art Schockzustand versetzt hätten: Die in der Mitte flugzeuggleich sich nach vorn wölbende Windschutzscheibe, der charakteristische Knick in der A-Säule und der - von oben betrachtet - konsequent bis zu den Seitenscheiben oval geformte Dachaufbau wurden praktisch unverändert übernommen und verursachten allein durch die extrem gebogenen Scheiben sehr hohe Kosten.

Radikale Sportwagen: Lamborghini scheut keine Mühen und Kosten

Gleiches gilt für Motor und Chassis des Lamborghini 400 GT. Hier akzeptierte Lamborghini nur die besten technischen Lösungen, die damals bei Ferrari (noch) nicht zu bekommen waren: 3,5 Liter großer V12-Motor mit vier obenliegenden Nockenwellen und sechs Doppelvergasern, rundum Einzelradaufhängung an Trapez-Dreiecksquerlenkern. Zwei italienische Großmeister der Automobilbaukunst, Giotto Bizzarini und Giampaolo Dallara, taten ihr Bestes.

Während das Äußere des 1965 präsentierten Lamborghini 400 GT mit Vier-Liter-V12, der sich optisch vom 350 GT nur durch vier Rundscheinwerfer unterscheidet, doch einiger Erklärungen bedarf, überzeugt das Interieur auf Anhieb. Es ist schlicht und funktional gestaltet und gefällt mit den großen, bequemen Sitzen sowie der hochwertigen Lederausstattung. Geradezu himmlisch entrückt fühlen sich die Passagiere durch das fast grenzenlose Raumgefühl. Dank der riesigen, weit vorn beginnenden und weit ins Dach reichenden Windschutzscheibe, der fast ebenso großen Heckscheibe und den generell sehr dünnen Dachpfosten glaubt man, im Cockpit eines geräumigen Düsenjets zu sitzen.

Auch Max Theiler, der Besitzer des Lamborghini 400 GT, oder genauer: dessen Gattin Claudia, unterlag der Faszination dieser außergewöhnlichen Karosserie bei der ersten Begegnung im Jahr 2005. Theiler berichtet: "Während eines Besuchs des Renn- und Sportwagenhändlers Jean Guikas in Marseille bemerkte sie, dass ich mehr oder weniger alles, was dort herumstand, kannte oder sogar selbst besaß." Deshalb sollte Ehemann Max ein elegantes, dunkelgrünes Coupé in der Ecke mal genauer betrachten. "Und da stand der Lamborghini", erinnert sich Theiler, "ein wahrer Diamant". Der Blick auf die Vergaser-Batterie und eine Sitzprobe im himmlisch-hellen Cockpit gaben den letzten, revolutionären Impuls: Der eingeschworene Pferde-Kenner erstand erstmals einen Stier.

Lamborghini-V12: Pure Souveränität und Geschmeidigkeit

Theiler ist Gründungs- und Ehrenpräsident des Ferrari Club Switzerland und hat deshalb auch einige rare Maranello-Pferde im Stall: 308 GTB von 1977, 360 Spider von 2001, ein 575 M Superamerica von 2002 und last but not least ein hochwertiger Nachbau des 330 P4 Rennsportwagen von 1967. Und jetzt, nach gut 30 Jahren Ferrari-Leidenschaft, gehört der Lamborghini 400 GT - sein erster Lamborghini-Klassiker zum Fuhrpark, mit dem wir gerade eine Ausfahrt rund um den Zürichsee unternehmen.

Das große Lenkrad des Lamborghini 400 GT ist angenehm hoch platziert und benötigt ein gewisses Maß an Muskelkraft, lässt andererseits zielgenaue und exakte Fahrmanöver zu. Auch das Fünfgang- Schaltgetriebe erfordert einen beherzten Zugriff, während der gewaltige V12 einem sozusagen aus der Hand frisst. Er wirkt tatsächlich durch seinen seidenweichen, vibrationsarmen Lauf und durch den langen Gaspedalweg fast schon zahm und setzt den mit zwei Passagieren besetzten 1,5-Tonner behutsam ab Leerlaufdrehzahl in Bewegung. Wer es nicht eilig hat, der wechselt bei 3.000/min die Gänge und kommt noch immer flott voran. Das entspricht auch der von Besitzer Theiler bevorzugten Gangart: "Mir gefallen vor allem die Souveränität und die Geschmeidigkeit, die den Lamborghini- Zwölfzylinder auszeichnen."

Wer hingegen bei Bummeltempo 40 den Stier im Lamborghini 400 GT weckt, das Gaspedal fast flach legt und die Drehzahlmessernadel bis an das rote Spinnennetz treibt, der sitzt plötzlich inmitten eines röhrenden Infernos und spürt die druckvolle Kraft von 330 PS, die den Fahrer in den Ledersessel presst. Die brachiale Gewalt des Lambo-V12 verdeutlichen die Beschleunigungs- Messwerte, welche 1966 die Motor Revue ermittelte: Der bis zu 250 km/h schnelle 400 GT benötigte von null auf 100 km/h sieben und - noch viel beeindruckender - von 100 auf 180 km/h nur 13 Sekunden. Ein zum Vergleich herangezogener Mercedes 230 SL war in dieser Disziplin dagegen endlos lange 45 Sekunden unterwegs.

Nach mehreren Enttäuschungen eine dicke positive Überraschung

Endlos lange dauerte auch die Überführungsfahrt des neu erworbenen Lamborghini 400 GT von Marseille bis nach Altendorf am Zürichsee. Händler Guikas ( www.guikasgtc.fr ) versicherte zwar, das Auto sei im Zustand 1 und deshalb auch absolut fahrbar, doch die Realität sah anders aus. Theiler war schon vor der Abfahrt etwas alarmiert: "Ich wollte nach dem Reserverad schauen. Der Reifen war zwar da, aber die Felge fehlte." Man versicherte ihm, die Felge nachzuschicken, weil sie im Lager zugestapelt sei.

Die Rückfahrt verlief schließlich mit Tempo 60 bis 70, weil der Lamborghini 400 GT nicht geradeaus fuhr und die Bremsen keinen Biss hatten. In der heimischen Werkstatt stellte man fest, "dass alle Bremsscheiben praktisch zerbrochen waren und nur noch durch die Schrauben zusammenhielten". Auch die Lenkungsköpfe waren zu ersetzen.

Trotzdem ließ sich Ferrari- Fan Theiler den Spaß an seinem Lamborghini 400 GT nicht nehmen, obwohl bei ihm nie eine Borrani-Felge ankam. Man hatte in Marseille übersehen, dass das Coupé eine Superleggera- Karosserie mit Türen und Hauben aus Aluminium besaß. Nur drei von insgesamt 21 gebauten Lamborghini 400 GT waren damit ausgestattet. Und diese Rarität gab es für Theiler umsonst.

 

Quelle: Motor Klassik