Umwelt- gegen Autoverband: Streitgespräch über Abgas-Tests
Zwischen Realität und Gesetz
Der Abgas-Affäre bei VW hat die Debatte um das Messverfahren NEFZ neu entfacht. Versprechen RDE-Tests und WLTP-Zyklus wirklich eine Verbesserung? Ein Streitgespräch.
Berlin/Hamburg - Der neue europäische Fahrzyklus, kurz NEFZ, steht seit längerem in der Kritik. Auch schon vor dem Abgas-Skandal bei VW. Zu realitätsfern die Prüfung, zu weltfremd die Test-Verbräuche und zu hoch die tatsächlich ausgestoßenen Abgase.
Im Interview diskutieren Dr. Kay Lindemann vom Verband der Automobilindustrie (VDA) und Daniel Moser, verantwortlich für Mobilität und Transport bei Greenpeace, die Themen Verbrauch, Abgase und Messzyklen kontrovers.
Frage: Woher kommen die hohen Abweichungen zwischen den auf dem Prüfstand gemessenen Abgaswerten und der Realität auf der Straße?
Lindemann (VDA): Abweichungen liegen in der Natur der Sache. Die offiziellen Werte werden unter streng genormten, nahezu klinischen Bedingungen im Labor ermittelt. Demgegenüber unterliegen die Werte auf der Straße Einflüssen wie der Fahrweise, Verkehrslage und Witterung. Es kann nicht überraschen, dass ein sportlicher Fahrer in den bayerischen Bergen andere Verbrauchswerte hat als ein defensiver Fahrer in der niedersächsischen Tiefebene.
Moser (Greenpeace): Diese Erklärung greift nicht. Es ist noch nie ein Straßentest bekannt geworden, dessen Ergebnis unter dem Laborwert liegt. Die Abweichungen steigen seit Jahren. Hier müssen Autohersteller, aber auch die Politik in die Pflicht genommen werden, damit Abgastests realistischer werden und Manipulation - egal ob legal oder illegal - unterbunden wird.
Frage: Was meinen Sie mit "legal" oder "illegal"?
Moser: Bei der illegalen Manipulation im VW-Abgas-Skandal sorgt eine Software dafür, dass Autos auf dem Prüfstand die Grenzwerte einhalten, auf der Straße aber um ein Vielfaches darüber liegen. Die offiziellen Abgastests sind zwar legal, aber sie haben nichts mit der Realität auf der Straße zu tun. Das ist eine Manipulation, die suggerieren will, dass Autos weniger Schadstoffe ausstoßen. Dabei reden wir nicht über Lappalien: Durch Stickstoffdioxid etwa sterben allein in Deutschland 10.000 Menschen im Jahr.
Lindemann: Darf ich an der Stelle einhaken? Konkrete Berechnungen zu einer erhöhten Sterblichkeit durch Stickoxide aus dem Straßenverkehr gibt es nicht. Daten des Umweltbundesamts zeigen, dass die Gesamtemissionen in Deutschland seit 1990 um mehr als die Hälfte zurückgegangen sind.
Es ist aus unserer Sicht ein Scheinargument zu behaupten, dass der offizielle Verbrauchswert mit der Realität nicht übereinstimmt. Der Prüfzyklus soll den Verbrauch unterschiedlicher Pkw transparent machen, unter reproduzierbaren Bedingungen. So müssen die Hersteller etwa das Tagfahrlicht anschalten und Sommerreifen verwenden. Obwohl der Test veraltet ist, kann man die Werte mit einer sehr defensiven Fahrweise unterschreiten.
Frage: "Veraltet" soll konkret heißen?
Lindemann: Der Test wurde vor über 30 Jahren entwickelt. Die Durchschnittsgeschwindigkeit ist zu niedrig. Außerdem ist das Verhältnis von Stadtfahrten und Überlandfahrten nicht mehr zeitgemäß und vieles mehr. Trotz aller Kritik, das Messverfahren ist geltendes Recht. Ich kann auch einer Fußballmannschaft nicht vorwerfen, dass sie ihr Spiel innerhalb gezogener Grenzen gestaltet.
Frage: Herr Moser, halten Sie das Ganze für Verbrauchertäuschung?
Moser: Die Kunden müssen wissen, dass diese Tests nicht die Realität abbilden. Und die Politik darf die Prüfverfahren nicht weiter vom kontinuierlichen Lobbyismus der Autoindustrie verwässern lassen.
Lindemann: Verbrauchertäuschung liegt vor, wenn Recht und Gesetz missachtet werden. Das ist im Fall von Volkswagen geschehen. Wir bestreiten nicht, dass es Unterschiede gibt. Im Gegenteil: wir haben selbst ein Interesse an realistischeren Messverfahren und unterstützen alles, was die Integrität des Systems stärkt. Der Ball liegt beim Gesetzgeber.
Frage: Der neue WLTP-Messzyklus ("Worldwide Harmonized Light-Duty Test Procedure") löst das bisherige Verfahren NEFZ 2017 ab, dazu kommen realistischere "Real Driving Emissions"-Tests (RDE) für Dieselautos. Welche Verbesserung bringt das?
Lindemann: Wir werden beim Übergang vom NEFZ zum WLTP eine Verringerung der Abweichungen sehen, weil die Bedingungen realistischer sind. Es werden höhere Geschwindigkeiten gefahren und stärker beschleunigt. Das Verhältnis zwischen kurzen und langen Fahrten wird austariert. Nach bisheriger Gesetzeslage gibt es keine Grenzwerte für die Messung von Emissionen auf der Straße. Das ändert sich 2017 mit RDE.
Moser: Die neuen Testmethoden enthalten weiter Schlupflöcher für die Industrie. Sie schützen weder die Verbraucher noch die Umwelt. Ein Beispiel sind so genannte Abschalt-Einrichtungen, die bislang von der Politik akzeptiert werden. Es ist ein Skandal, dass Hersteller mit Verweis auf Motorschutz die Abgasreinigung ausschalten dürfen. Da könnte man ja auch sagen: Um die Beläge zu schonen, schalte ich jetzt mal die Bremse ab!
Frage: Aber das Herunterregeln der Abgas-Nachbereitung bei kälteren Temperaturen zum Schutz von Bauteilen bewegt sich doch im Legalen?
Moser: "Kältere Temperaturen" fangen bei Daimler bei 10 Grad plus an. Wenn die Motorbauteile bei Temperaturen geschützt werden müssen, die in Deutschland in sechs Monaten im Jahr herrschen, dann ist der Motor eine Fehlkonstruktion. Es kann nicht darum gehen, minderwertige Motorentechnik zu schützen, sondern die Menschen vor giftigen Abgasen.
Frage: Wird man denn nach der Einführung von WLTP und RDE weiter über erhöhte Abgaswerte diskutieren müssen?
Lindemann: Unterschiede zwischen Labor und Straße wird es auch künftig geben. Die Werte auf der Straße können nie eindeutig bestimmt werden, denn jede Fahrt, selbst mit dem gleichen Modell auf der gleichen Strecke, ist anders.
In den nächsten Jahren kommen viele sogenannte Plug-in-Hybride auf den Markt. Wenn Sie viel in der Stadt fahren, verbrauchen Sie weniger. Nutzen Sie den Elektromotor kaum, weil Sie Langstrecke fahren, steigt der Verbrauch. Eine einzige offizielle Verbrauchsangabe kann den Einzelfall nie vollständig berücksichtigen.
Moser: Viele deutsche Städte bekommen ihre Luftqualitätsprobleme nicht in den Griff, deshalb hat die EU ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Dieses Problem muss die Politik lösen. Wir brauchen unangekündigte Stichproben von wechselnden, unabhängigen Prüfern. Wenn die Autoindustrie sich weiterhin gegen den Wunsch der Menschen nach einer nachhaltigen und sauberen Mobilität sperrt, wird sie ein Problem kriegen. Wir sind nicht mehr weit entfernt von dem Tag, an dem einzelne Autos nicht mehr in große Städte fahren dürfen.
Zu den Personen: Dr. Kay Lindemann ist einer von drei Geschäftsführern des Verbands der Automobilindustrie (VDA). Er ist unter anderem zuständig für die Wirtschafts- und Europapolitik und vertritt den VDA im europäischen Verband ACEA. Daniel Moser ist bei Greenpeace verantwortlich für die Themen Mobilität und Transport.
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Mittlerweile sollte doch auch der letzte Autokäufer mitbekommen haben, dass von den Autoherstellern proklamierte Verbrauch nichts mit der Realität zu tun hat. Ob sich das in Anbetracht des politischen Machteinflusses der Branche ändern wird, wage ich zu bezweifeln. Jetzt allerdings gleich nach E-Bikes und Hybrid-Autos zu schreien, halte ich für übertrieben.
Die von den "naturbewussten Autofahrern" proklamierte Hybrid- oder Elektrotechnik hat nicht nur Vorteile. Es gibt sehr interessante Untersuchungen zum Thema Lebenszeitemmission bei Fahrzeugen. Ein zusätzlicher Batterieblock muss erst einmal hergestellt werden, bevor er im Auto verbaut wird. Und nach dem Ableben des Fahrzeugs muss dieser auch wieder entsorgt werden Die reine Haltbarkeit der komplexen Technik scheint zumindest bei den Marktführern allerdings gut (subjektiver Eindruck).
Thema Lebenszeitemmission bei Fahrzeugen; Es freut wahrscheinlich die Autohersteller, wenn sie häufiger Ihre überzüchteten Mini-Motoren dem Kunden verkaufen (verkürzte Lebensdauer) oder diese Fahrzeuge reparieren dürfen (Zusatzeinnahme für Händler). Was das aber mit Umweltbewusstsein zu tun hat, erschließt sich mir nicht. ...stimmt, der neue Wagen verbraucht dann 0,5l auf 100km weniger als der bisherige. Dafür gibt es dann einen neuen Turbolader, der sich aus umwelttechnischer Sicht völlig emmsionsfrei produzieren und transportieren lässt... *ironie off*
Ich werde wohl nie zu einem Öko, aber es ist immer wieder amüsant zu lesen, wie kurzsichtig bestimmte Argumente von bestimmten Interessengruppen proklamiert werden. - dies aber nur am Rande
Genießt das sonnige Wochenende :-)
Sagen wir es mal so: Wenn das Thema "Lebenszeitemmission" ein Pro für den Kauf eines neuen Autos wäre, dann würde man damit ständig und überall zugetextet werden, dass es doch ab einem Alter von x Jahren viel umweltfreundlicher wäre ein neues Auto zu kaufen, statt ein Altes mit 0,5l Mehrverbrauch weiter zu benutzen.
Da das aber nicht passiert, kann man sich ungefähr vorstellen, wie viel umweltfreundlicher das Halten eines Altwagens sein muss, wenn man die Lebenszeitemmission betrachtet, auch wenn der alte nur Euro4 kann statt Euro27.
Als ich das Foto von dem Greenpeace-Typen mit seinem penetranten Mess-Anhänger gesehen habe, hatte ich mir meine Meinung eigentlich schon gebildet ... aber "leider" finde ich seine Argumente besser/realer/richtiger als die von Lindemann, der sich in meinen Augen mit diesem Satz disqualifiziert:
"Es ist aus unserer Sicht ein Scheinargument zu behaupten, dass der offizielle Verbrauchswert mit der Realität nicht übereinstimmt. "
nach mm hat greenpeace mit umweltschutz garnicht zu tun das sind spendensammler.
die debatte ist und bleibt völlig falsch.
wenn man testen und vergleichen will, muß ein standard festgelegt werden auf den sich bezogen wird , alles andere ist sinnloses labern.
es ist nicht schwer die grünen nicht zu mögen, auch weil sie gerne und oft lügen.
In den Prospekten steht das ja ganz klar drin, zumal logisch ist, dass es eben nicht _den_ Test gibt der die Realität gut abbildet, weil die Fahrer- und Beladungs-/Anhängelast-Streuung extrem hoch ist.
Full ACK.
notting
Achja: Großstädte ausdünnen bzw. auch die Firmen besser auf die Fläche verteilen bzw. auch häufiger kleinere Städte mit guter Verkehrsanbindung nutzen!
notting
Damit würde man den Flächenverbrauch und damit die Flächenversiegelung exorbitant in die Höhe treiben. Das kann also IMHO auch keine Lösung darstellen.
- Schon mal was von Dachbegrünung gehört?! Und hab ich geschrieben, dass Grünflächen dazwischen verboten sind?! -> Nein!
- Schon mal dran gedacht, dass im Falle eines Falles wie z. B. einer Bombenentschärfung (was in D öfters vorkommt) es viel aufwändiger ist, die Leute zu evakuieren, weil halt alles dichter wohnt/arbeitet, auch so von wg. Staus drumherum? War kürzlich z. B. genau zu so einem "Bombenstimmungstag" in FR, der Hbf. lag am Rad des Evakuierungsgebiets, Staus ohne Ende in der ganzen Stadt (nicht dass es sonst keine Staus gäbe, aber schlimmer als wenn ich sonst dort bin).
- Wenn das mit dem Flächenverbrauch ein Argument wäre, würde man neue Schienentrassen verbieten, zumindest wenn sie nicht von Einsatzfahrzeugen befahrbar sind.
- Zudem erhöht eh der ÖPNV die Flächenversiegelung unnötig -> in den meisten Städten fahren die die meiste Zeit leer (und deswegen meist auch nicht mehr spät abends weswegen man spätestens da was anderes braucht) und Busse und Züge kann man zum Parken nicht mal eben stapeln wie man es von PKW kennt (z. B. Parkhäuser direkt unter dem jew. Gebäude)...
Von den ganzen Fällen wo selbst in Großstädten der ÖPNV unbrauchbar ist (hatte das erst in einer Ruhrpott-Großstadt -> das wg. dem Preis genehmigte Hotel war mit dem ÖPNV ca. 3/4h entfernt, mit dem Auto ca. 10min - praktisch vllt. 15min) oder wg. zu transportierender Sachen.
Zumal: Der Flächenverbrauch eines Gebäudes ist gleich unabh. davon zu welchem Ort es gehört. Und wie gesagt, die Parkplätze können ja auch im selben Gebäude sein. Über die Straße wo die Autos fahren kann man ggf. auch Busse fahren lassen, wenn's Sinn macht.
notting
Das die Großstätte die Luftqualität nicht in den Griff kriegen , muß nicht an den Autos liegen und vor allem das neue Messverfahren verbessern erstmal noch nicht die Luft .
Die offenen Kamine , die man in letzter Zeit in meist neue Häuser und Dachterrassenwohnungen einbaut , die alten Ofenheizungen und die Unsitte Laub wegzupusten verursacht nach meinem persönlichen Empfinden mehr schlechte Luft .
mfG
Was für ein "Wunsch der Menschen"? Diese Realitätsverweigerer von Greenpeace & Co bringen einen doch echt immer wieder auf die Palme. In Stuttgart hat man gesehen dass Abgaswerte keine Sau interessieren. Und zu Recht. Wir leben heute länger als jemals zu vor, also wo ist das Problem wenn man mit 77 statt mit 80 den Löffel reicht? Ganz zu schweigen davon, dass dies nirgendswo bewiesener Maßen mit Autoabgasen in Verbindung steht. Da gibts ganz andere Faktoren (Ernährung, Bewegung, genetische Veranlagung usw..) Zudem lässt man hierbei anderen Faktoren (Schwerindustrie, Kamine etc) völlig außer Acht.
Ich wohne glaub ich in einer der "schmutzigsten" Gegenden in Deutschland (Rhein Ruhr Region), und hier interessieren Abgaswerte nun wirklich keinen. Die Hälfte meiner Belegschaft tritt sich in der Pause vor der Tür die Füße platt beim Rauchen.
Also Greenpeace, kümmert Euch um irgend nen Koala oder Panda, und lasst die Leute Auto fahren. Und ja, jede Autobahn muss sein, egal welche geringelten Sumpfkröten irgendwo wohnen.
Wer es noch nicht kapiert hat, die realitätsfernen Tests sind ziemlich gut, nämlich für unseren Geldbeutel. Wenn man sich überlegt was die Kisten noch in den 70ern und 80ern rausgeblasen haben, da sind wir heute schon ein ganzes Stück weiter.
Alleine die zulässigen Methoden der NEFZ Verbrauchsmessung entlarven diesen als legalen, aber organisierten Betrug.
Man darf (unter vielen anderen Beispielen)
-die Lichtmaschine vom Motor abklemmen
-Alle Spalte mit Tesafilm abkleben
-Änderung der Bremsanlage ggü. Serienzustand vornehmen
usw. usf.
In so ein Auto könnte ein Fahrer
a) nicht mal mehr ein- oder aussteigen
b) würde er nach einigen Kilometern wegen leerer Batterie liegen bleiben.
Es werden also nicht gebrauchstaugliche und nicht fahrbereite Autos getestet.
Da kann der VDA Vertreter reden, so lange er will. Der NEFZ ist Nepp.
Und die Politik hat das gedeckt.
Von diesen Akteuren ist nichts positives mehr zu erwarten.
Ich erinnere mich hier an einen Test der neuen E-Klasse, in dem ein Mehrverbrauch von 70% attestiert wurde.
Man kann nur noch auf bessere Angebote warten, wie Tesla z.b. und hoffen, dass diese den Turnaround schaffen.
Vom WLTP erwarte ich nichts. Wenn man sich ehrlich machen wöllte, würde man einen Zyklus entwickeln, der den Realwerten entspricht. Werten, die der normale 08/15 Autofahrer erzielt, wie man es z.b. auf Spritmonitor nachlesen kann. Man könnnte auch in diese Richtung "optimieren".
Statt dessen haben wir Luxuslimousinen, die auf dem Papier weniger verbrauchen als ein Kleinstwagen, in der Realität aber so viel saufen wie eine Rennsemmel auf der Rennstrecke, während teilweise 17 Jahre alte Uralt-Modelle an erster Stelle der Realverbrauches stehen. Die Situation ist vollkommen absurd und es wird sich nichts ändern.
Aha, und beim Batterie-Auto kann man nicht genau so bescheissen?
Naja in New York geht das der Busbahnhof ist da der Hammer Mehrstöckig. ^^
Erstens bezahlt Tesla für den Strom und zweitens sind die Kosten pro Kilometer was die Energie angeht, nahezu zu vernachlässigen ggü. einem Verbrennungsmotor.