Tue Jun 18 20:30:18 CEST 2024 | Dynamix | Kommentare (6) | Stichworte: Motorrad
Zum 16 jährigen MT-Jubiläum gibt es heute den nächsten Testbericht von meiner letzten Probefahrtaktion
Die Tuono war Nummer 2 auf meiner Probefahrtliste. Nicht das Sie dort tatsächlich draufgestanden hätte, aber da die nächste Maschine auf der Liste erst in 1,5 Stunden frei gewesen wäre und die Tuono gerade so einsam auf dem Parkplatz stant, konnte ich so die Wartezeit mit etwas sinnvollem überbrücken
Was haben wir hier? Die Tuono ist quasi die nackte Variante der RS660. In meinem Falle haben wir es hier mit der Factory Variante zutun in welcher der Motor die vollen 100 PS leisten darf. Dazu gibt es so Features wie ein höherwertiges Fahrwerk, 2 kg weniger Gewicht (LiFePO-Akku) und mehr Ausstattung. In Ihrer klasse gilt die Tuono als überdurchschnittlich sportlicher Ableger, womit Sie aus der Klasse der nackten Mittelklässler hervorsticht. Und ja, sprechen wir über den Elefanten im Raum! Die Aprilia kommt für eine Nackte schon stark verkleidet daher, in die Supersportlerecke würde ich Sie trotzdem nicht stecken. Im Grunde kommt die Tuono schon mit dem ganzen Verkleidungsgeraffel (Stichwort Bugspoiler) daher was sich viele Biker eh irgendwann nachträglich ans Bike fummeln. Für mich ist Sie mehr Naked-Bike.
Soviel kann ich jetzt schon sagen: Die Tuono hat mich positiv überrascht! Vielleicht auch weil ich vor der Probefahrt keinerlei Erwartungshaltungen hatte.
Technische Daten
Marke: Aprilia Modell: Tuono 660 Factory Modelljahr: 2024 Motor: Paralleltwin 4V Hubraum: 659 cm³ Leistung: 100 PS @ 10.500 u/min Drehmoment: 67 NM @ 8.500 u/min Gewicht: 181 kg (fahrfertig) Farbe: Toofast
Motor & Antrieb
Angetrieben wird die Tuono von einem in dieser Klasse sehr beliebten 270° Paralleltwin mit knapp 660 cm³. Damit gehört die Tuono zu den Mittelklassebikes. In der Factory Variante darf der Motor seine vollen 100 PS leisten, in der Basisausführung fehlen 5 PS. Ich muss gestehen das die Tuono für mich wohl die Überraschung des Tages war. Da wäre zum einen der Motor. Untenrum zieht er ausreichend und auch kultiviert genug das man damit gut im Verkehr zurechtkommt, lässt man Ihn aber über 7.000 u/min laufen drückt er auch ordentlich und dreht dabei freudig in den 5-stelligen Bereich hoch. Ein Aggregat also was auch im Stadtverkehr noch manierlich funktioniert und auf der Landstraße trotzdem genügend Power bietet. Die Tuono kann also beides, Country und Western
Apropos Musik, auch der Klang hat mir außerordentlich gut gefallen. Der Motor hat so etwas knurriges, brabbelndes. Ein bisschen wie ein Muscle Car auf zwei Rädern. Von der Lautstärke nicht aufdringlich, trotzdem mit einem kraftvollen Klang. Macht schon Spaß das Triebwerk Klanglich mein Favorit dieses Tages! Meinen Eindruck bestätigen auch diverse Testberichte welche dem Motor eine schöne Stimme bescheinigen. Kann ich nach meiner Probefahrt absolut nicht widersprechen! Für einen Paralleltwin in der Klasse, welche immer als langweilig gescholten werden, bietet der Motor schon genügend von allem um Spaß zu machen. Gute Leistung, genug Drehfreudigkeit, bäriger Sound, alles da was ein Motorradfahrer mit Hang zum hemmungslosen Hedonismus sucht
Das Getriebe funktioniert tadellos und die Gänge rasten mit so einem netten, unaufdringlichen Klacken ein. Lediglich der Platz für den Fuß ist dann doch etwas begrenzt. Für die Tuono müsste ich meine Halbstiefel wohl gegen italienische Slipper eintauschen damit ich ordentlich unter den Schalthebel komme Die Tuono ist ein spaßiges Paket was niemanden ernsthaft überfordert. In meinen Augen ist die Tuono schön zugänglich und das macht Sie aus meiner Sicht durchaus anfängertauglich! Leistung hab ich auf der Tuono nicht vermisst was auch an dem niedrigen Gewicht von gerade mal 181 kg liegt. Und so liegen auch die Fahrleistungen auf einem guten Niveau. Der Geschwindigkeitsrausch endet erst bei 230 km/h was für eine Naked mehr als ausreichend ist. Der Standardsprint ist in 3,9 Sekunden erledigt. Damit liegt die Tuono von den Papierwerten nah an meiner ZRX, wobei die ZRX durch das dicke Hubraumplus und die damit früher anliegende Leistung den Standardsprint in einer guten halben Sekunde weniger absolviert. Das sind aber akademische Werte die im Alltag nicht ernsthaft ins Gewicht fallen.
Der Tank ist mit 15 Liter jetzt nicht riesig, sollte aber aufgrund des genügsamen Charakters des Twins für gut 300 km reichen. Testberichte sprechen von unter 5 Litern im Schnitt und nachdem was der BC während der Probefahrt so ausgespuckt hat sehe ich das als realistisch an.
Ergonomie
Hier hat mich die Tuono beim ersten Aufsitzen überrascht! Die Maschine ist kein typisches Naked-Bike, zumindest was die Ergonomie angeht. Hier spürt man die Verwandtschaft zur RS660. Man sitzt für eine Nackte doch sehr sportlich und das Bein muss sich schon ordentlich nach oben schwingen um über die gestufte Sitzbank zu kommen. Man sitzt dann entsprechend vorderradorientiert und vor allem hoch, auch wenn die Sitzhöhe mit 820mm nicht mal übertrieben hoch ist! Auch die Fußrasten sind entsprechend sportlicher positioniert als auf der Konkurrenz. Hätte ich so einem zierlichen Bike gar nicht zugetraut.
Allerdings ist die Sitzhaltung noch nicht so extrem wie auf einem aufgewachsenen Supersportler. Das liegt auch daran das hier keine Stummellenker zum Einsatz kommen. In der Hinsicht ist die Tuono weder Fisch (dem Spitznamen zum Trotz ) noch Fleisch. Kein gemütliches Rumlümmeln wie klassenüblich, aber auch keine gebückte Hardcore-Haltung wie auf einem Supersportler. Eben irgendwo dazwischen, was es auch schwierig macht die Tuono da eindeutig in eine Schublade zu stecken. Die Sitzhaltung kommt sportlichen Fahrern definitiv entgegen, ist aber eben auch nicht so kompromisslos. Muss man einfach mal ausprobiert haben! Ich für meinen Teil hab es auf der kurzen Probefahrt noch ganz gut ausgehalten. Wie es dann nach einer dreistündigen Tour aussieht müsste man sehen.
Handling
Hier kommen wir dann auch endlich zur größten Stärke der kleinen Tuono und meinem Highlicht der Probefahrt. Durch die sportliche Auslegung, die hochwertigen Fahrwerkskomponenten und das niedrige Gewicht fährt sich die Tuono auf der Landstraße wirklich handlich und vor allem agil! Selbst bei Landstraßentempo lässt sich die Tuono noch willig und einfach in Schräglage legen, Wechselkurven nimmt man mit Leichtigkeit. Hier merkt man das Aprilia es mit der Sportlichkeit durchaus ernst meint. Landstraßen, vielleicht sogar die Rennstrecke, sind das bevorzugte Revier der Tuono. Dieses Fahrwerk gehört einfach ins kurvige Geläuf! Hier kann man mit der Tuono richtig schön spielen
Die Factory kommt ab Werk mit einer 41mm Kayaba Upside Down Gabel, selbstverständlich voll einstellbar. Am Heck darf ein Piggyback-Monofederbein von Sachs die Radführung übernehmen. Auch hier natürlich wieder ganz nach Gusto des Fahrers einstellbar! Für mich hat die Werkseinstellung schon ganz gut gepasst und das obwohl ich kein Idealgewicht habe. Wer sich da reinfuchst, kann da schon viel rumspielen
Auch im Bremsenkapitel lässt die Tuono nichts anbrennen. Die radial montierten Brembo 4-Kolben Sättel verbeißen sich in 320 mm Scheiben. Hinten darf ein 2-Kolbensattel in eine 220mm Scheibe greifen. Die Bremse fügt sich wunderbar ins Gesamtkonzept ein. Bei Bedarf packt die Bremse richtig gut zu, ist aber so gut dosierbar das Sie dabei nicht giftig wirkt. Dadurch passt die Bremse gut zum Fahrwerk! Gut zugänglich und bei Bedarf mit ordentlich Verzögerungskraft gesegnet. Vorder- und Hinterradbremse haben dazu einen schönen Druckpunkt. Gefällt mir richtig gut! Im Handlingkapitel sammelt die Tuono also fleißig Punkte. Damit könnte ich den ganzen Tag über kurvige Landstraßen fahren und hätte den Spaß meines Lebens!
Ausstattung
Die Factory bringt im Grunde alles mit was das Herz sportlich orientierter Fahrer höher schlagen lässt. 6-Achsen IMU, verschiedene Motor-Mappings, Motorbremsassistent, Kurven ABS mit Stoppie Control, Traktionskontrolle, Wheeliekontrolle, 5 Fahrmodi, darunter einer frei konfigurierbar, Quick Shifter, Stahlflexleitungen usw. Ehrensache das die Factory neben einem Tempomaten auch LED-Beleuchtung mit Tagfahrlicht und Kurvenlicht auffährt. Eine weitere Besonderheit zum Standardmodell ist das kürzere Ritzel vorne für mehr Durchzug. Dazu gibt es ein gut ablesbares 4,3" Digitaldisplay welches alle wichtigen Informationen auf einen Schlag bereitstellt. Alles drin was Sportfahrer lieben und was von modernen Bikes in Sachen Elektronik erwartet wird.
Fazit
Hach, dass war mal eine schöne Probefahrt und eine echte Überraschung. Da hat Aprilia was richtig tolles auf die Räder gestellt! Wer in der Klasse was leichtfüßiges mit dem gewissen Pepp sucht, muss gar nicht weiter suchen. Hier bekommt man ein für die Mittelklasse sehr erwachsenes Paket. Hat die Tuono denn auch irgendeine Schwäche? Nun, die größte Schwäche ist sicherlich das Preisschild. 10.599€ ruft Aprilia in der Basis auf. Da ist die Konkurrenz zum Teil deutlich günstiger unterwegs.
Wo ordnet sich die kleine Tuono im Vergleich mit der Konkurrenz ein? Eine Z650 gäbe es schon für 7.300€, eine CB 650R kostet einen guten 1000er weniger, die neue Hornet 750 kommt auf 8.200€, eine GSX-8S käme auf gut 9.000€. Wie man sieht, die Konkurrenz aus Japan ist durch die Bank deutlich günstiger. Fairerweise muss man sagen das die Aprilia da auch sicherlich mehr bietet als die Konkurrenz. Ob das den Aufpreis rechtfertigt? Das muss wohl jeder für sich entscheiden und an den Vorlieben festmachen. Wer den gewissen Schuss mehr Sportlichkeit sucht und italophil ist wird den Aufpreis wohl gerne zahlen.
Und wer sich jetzt fragt ob es die Factory sein muss oder ob es die Standardversion auch tut:
Für lächerliche 400€ Aufpreis bekommt man schon die Factory. In Anbetracht der ganzen Upgrades die man da bekommt, erübrigt sich für mich die Frage danach welches Modell man nehmen soll. 400€ sind für die Mehrleistung, die kürzere Übersetzung, das bessere Fahrwerk und die bessere Ausstattung ein echt fairer Aufpreis. Ich gehe soweit das Ganze schon günstig zu nennen. Die Factory fällt nur für diejenigen raus die was A2-kompatibles brauchen. In dem Falle wäre die Factory wegen der 100 PS raus. Alle anderen greifen ohne nachzudenken zur Factory!
So teuer die Tuono sein mag, eins steht fest:
Für sein Geld bekommt man spaßmäßig durchaus was geboten! Von meiner Seite aus gibt es hier eine klare Probefahrtempfehlung |
Thu Jun 20 08:26:24 CEST 2024 | GaryK
Hm, da ich nach 20 Jahren was neues suche (mit Sport- & KurvenABS), vielleicht sollte ich auf die noch einen zweiten Blick werfen. Aktuell ist mein Favorit die Ducati 950S - Heisst "Supersport", ist allerdings eher ein sehr sportlicher Tourer mit guter Ergonomie. 939 ccm, 115PS - also von der Leistung her sehr vergleichbar zur Aprilia, wenn auch mit weniger Drehzahl. Fünfstellige RPM macht die Duc definitiv nicht.
Allerdings ist da das Preisschild noch fetter - unter 13K leidlich jung gebraucht" nicht wirklich zu bekommen.
Thu Jun 20 09:08:58 CEST 2024 | Dynamix
Als tourig würde ich die Tuono nicht beschreiben. Da liegt der Fokus schon wirklich mehr in Richtung sportliche Ergonomie. Ist halt wegen dem breiten Lenker angenehmer als ein reiner Supersportler. Fahr Sie aber ruhig mal, ich fand das Rezept wie gesagt sehr zugänglich und spaßig. Kurven machen Spaß, Leistung reicht aufgrund des niedrigen Gewichts und in Sachen Ausstattung ist da eh alles drin was der Sportfahrer begehrt.
Sun Jun 23 08:45:51 CEST 2024 | GaryK
Wenn ich was mit "Segelstange" fahre, dann fühle ich mich mindestens so alt wie ich bin. Oh, warte.... Ich schau mal, wo ich eine wenigstens probesitzen kann. Weil die Ergonomie tatsächich wichtig ist - mit meiner ehemaligen Supersport (ne Thundercat, heute eher als Sporttourer bezeichnet) bin ich in 3 Wochen nach Schottland, dann quer und einmal um Irland drumrum. Ein Reifensatz wars
Mit meiner GSXR würde mich vermutlich mein Hintern oder der Kniewinkel töten....
Sun Jun 23 08:49:44 CEST 2024 | Dynamix
Ich finde so einen klassischen breiten Lenker halt bequemer als die sportlichen Stummel. Auch der Grund warum meine ZZR mir so gut passt. Da hat der Vorbesitzer den Superbike-Umbau schon gemacht. Wenn ich mir anschaue wo normalerweise die Stummel sitzen würden und vor allem wie tief würde ich da im Originalzustand noch deutlich gebeugter sitzen.
Wie gesagt, schau dir das Teil mal an Wenn du das sportliche Feeling brauchst, warte bis du das Bein über die Sitzbank schwingen musst
Sun Jun 23 11:20:09 CEST 2024 | Badland
Von den hier vorgestellten Bikes, wäre die Tuono noch am ehesten die Maschine die ich mir kaufen würde, wenn ich sie denn fahren könnte.
Wed Jun 26 06:57:05 CEST 2024 | Dynamix
Ich denke du würdest es zumindest nicht bereuen
Deine Antwort auf "Ride out: Aprilia Tuono 660 Factory"