Wenn der Schwabe an alles denkt, wird es kompliziert: Daimler will Elektro-Transporter als Gesamtlösung aus einer Hand vermarkten. Preislich auf Augenhöhe mit dem Diesel.
Berlin – Will ihn denn keiner verstehen? „Es geht hier bei Weitem nicht nur um das Auto“, wiederholt Daimlers Van-Chef Volker Mornhinweg bei der Präsentation seines neuen Autos. Im Sommer 2018 startet Mercedes-Benz Vans die Auslieferung des „eVito“. Der elektrische Eintonnen-Lieferwagen soll das Transportwesen in den verstopften und abgasgeplagten Innenstädten grundlegend verändern – und Daimler legt Wert darauf, dass das Auto dies nicht allein schaffen kann. Bisher spielen elektrische Transporter wie Nissan E-NV200 oder Renault Kangoo Z.E. nur eine Nischenrolle im Automarkt. So nischig, dass die Post ihren „Streetscooter“ lieber selbst baut, als ihn bei einem großen Autohersteller in Auftrag zu geben. Daimler hat beim eVito einen ähnlichen Ansatz verfolgt: Im Mittelpunkt der Entwicklung stand der spätere Use-Case. Die technischen Spezifikationen des Elektro-Transporters haben Kunden den Ingenieuren in den Block diktiert. Wie schnell und wie weit muss der Transporter fahren, was darf er kosten, welche Nutzlast braucht er: All das hat Mercedes' Van-Sparte gemeinsam mit dem Paketlieferdienst Hermes ermittelt. Hermes kauft 1.500 eVitoDabei kam heraus: Der Paketlieferwagen soll im Stadtverkehr mindestens 100 Kilometer mit einer Batterieladung schaffen. Daimler baut daher ein aus drei Modulen bestehendes Akku-Modul ein, das im WLTP-Zyklus für 150 Kilometer Normreichweite gut ist. Auf Kundenwunsch erreicht das Fahrzeug 120 km/h Höchstgeschwindigkeit, kann jedoch werksseitig auf 80 km/h gedrosselt werden – für den reinen Stadteinsatz. Quelle: Daimler „Co-Creation“ nennt Daimler das. Der Ansatz firmiert unter der Bezeichnung "Advance" (oder: "@Vans") und beschränkt sich nicht aufs Auto. 1.500 Elektro-Vito nimmt Hermes bis 2020 ab, und erhält zusätzlich eine komplette Infrastruktur rund ums Auto. An den Stationen entstehen modulare Ladesysteme, die den Akku in 6 Stunden bei 7,2 kW Ladeleistung füllen können. Bei Hermes stünden die Autos in der Regel 12 Stunden, sagt Daimler – daher lasse sich das Aufladen der lokalen Flotten zumeist ohne Netzausbau realisieren. Werden mehr Fahrzeuge benötigt, etwa im Weihnachtsgeschäft, lassen sich diese bei Daimler kurzfristig anmieten. Zum „Ökosystem“ elektrische Liefermobilität gehört aber auch eine umfangreiche Vernetzung. In der Erprobung sind Logistiksysteme, die die Lieferroute automatisch anhand der Ziele der geladenen Pakete (und der Verkehrslage) berechnen. Mit den ausgewerteten Fahrdaten lassen sich zum Beispiel „Stromspar-Wettbewerbe“ unter den Fahrern realisieren. Beim Thema „E-Mobilität als Gesamtlösung“ hat Daimler also versucht, jede Eventualität abzudecken. Wenn der Schwabe an alles gedacht hat, wird es eben manchmal kompliziert. Daimler gibt zu: Diese richtet sich im ersten Schritt vor allem an große Kunden, die das auch bezahlen können. Ob E-Mobilität für sie in Frage kommt, können aber schon bald alle Gewerbetreibenden mit einer App in Echtzeit prüfen. In Zukunft will Daimler maßgeschneiderte Lösungen für weitere Branchen anbieten. Elektro für kühle RechnerMehr als eine konventionelle Vito-Flotte darf so eine Elektroflotte trotzdem nicht kosten. „Wir könnten mehr Leistung einbauen oder mehr Reichweite als nötig. Aber es muss sich ja rechnen für den Kunden“, sagt Volker Mornhinweg. Schwaben können rechnen, und E-Mobilität muss sich rechnen. Der Kunde muss schließlich Geld verdienen mit den Autos. Bei Mercedes glauben sie, das hinbekommen zu haben. In der Anschaffung ist der eVito teurer als ein Diesel, klar. Insgesamt sei er aber mit dem Diesel auf Augenhöhe – über deutliche Einsparungen bei Kraftstoff, Steuern und Wartung. Die Rechnung basiere auf der Annahme von 4.000 Euro Elektro-Bonus, 3 Jahren Haltedauer, 25.000 Kilometern im Jahr und 15 Cent Stromkosten pro kWh (Industriestrom) gegenüber einem Netto-Dieselpreis von 1 Euro pro Liter. Daimler hat viel dafür getan, den elektrischen Transporter in großen Stückzahlen bauen zu können – falls die Nachfrage da ist. So sollen die Produktionskosten im Rahmen bleiben. Die Akkus stammen von der Tochter Accumotive, der Motor mit 84 kW (114 PS) aus dem GLC F-Cell. In einem Rahmen mit Übersetzung und Hilfsaggregaten vormontiert, könne er mit sehr ähnlichen Handgriffen wie ein Diesel auf dem gleichen Band montiert werden, freuen sich die schwäbischen Ingenieure. So fährt der Mercedes eVitoDie Akkus befinden sich unter dem Fahrzeugboden. Gegenüber einem Diesel-Vito wiegt der eVito rund 200 Kilo mehr. Zum Ausgleich erhöhten die Ingenieure die Nutzlast – der Elektro-Vito soll das Gleiche können wie ein Diesel. Das zusätzliche Gewicht markiert beim Fahren den wesentlichen spürbaren Unterschied zum Standardmodell, gemeinsam mit dem tieferen Schwerpunkt. Im Cockpit trifft graues Hartplastik auf mehr graues Hartplastik. Das wirkt nüchtern und nützlich, hier sieht nichts wirklich nach Zukunft aus. Auch nicht die Rekuperationsanzeige, die Daimler statt des Drehzahlmessers einbaut. Wesentlicher Unterschied in der Handhabung: Eine Gangschaltung entfällt. Über Schaltwippen kann der Fahrer stattdessen drei Rekuperatiosstufen steuern. Quelle: Daimler In „Plus“ rollt das Auto fast ungebremst, nimmt man den Fuß vom Gas. In „Normal“ bremst der Elektromotor etwas ab. Die stärkste Rekuperationsstufe soll beinahe bremsfreies „Ein-Pedal-Fahren“ ermöglichen. Das erfordert allerdings eine vorausschauende Fahrweise, die in der Stadt nicht immer möglich ist. Bei unserer ersten Proberunde im Vorserienfahrzeug wirkt das Auto im Antritt eher zäh, aber man soll sich nicht täuschen: Vom Ampelstopp bis 50 km/h wird dieser Laster keine Probleme haben, zu den Schnelleren zu gehören. Echte Zahlen gibt es noch nicht. Worauf sich Lieferfahrer verlassen können: Im Vergleich zum Diesel entfallen Vibrationen und Motorlärm, auch nach dem passenden Gang muss nicht gesucht werden. So ein Elektro-Transporter fährt schlicht stressfreier. Bald alle Daimler-Vans unter StromMit dem „holistischen“ Ansatz, ausgehend von den Ansprüchen der Flottenbetreiber, sieht sich Daimler auf dem richtigen Weg und glaubt: Elektromobilität wird im Nutzfahrzeugmarkt schon bald unverzichtbar. Mitte 2018 werden die ersten eVito ausgeliefert, ein Jahr später folgt der elektrische Sprinter. Auch der Citan erhält, wie sein Schwestermodell Renault Kangoo, einen Elektro-Ableger. Und sogar ein bisschen Spaß darf sein: In den Prototypen eines elektrischen Vito Pkw bauten die Ingenieure eine 140-kW-Maschine ein. „So viel kriegt er in der Serie nicht“, sagt ein Entwickler. Und schaut etwas traurig. Technische Daten: Mercedes-Benz eVito
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