Santa Barbara/USA – Will Morgan fährt am liebsten selbst. Der US-Amerikaner legt als Chauffeur, Stunt-Pilot und Off-Road-Fahrlehrer jährlich gut 100.000 Kilometer zurück. Für MOTOR-TALK zieht er heute seine weißen Stoffhandschuhe aus und lehrt uns vom Beifahrersitz eines neuen Maybach S600 aus das Chauffieren.
Mercedes-Maybach S600: Mehr S-Klasse
Der Mercedes-Maybach S600 misst 5,45 Meter Quelle: Daimler
Daimler-Chef Dieter Zetsche stellte Ende 2012 das erste Maybach-Projekt unter Mercedes-Flagge ein. Die veredelte S-Klasse zum doppelten Bentley-Flying-Spur-Preis verkaufte sich schlecht, im letzten Verkaufsjahr rund 200 Mal. Jetzt startet der Konzern einen neuen Versuch. Die Sub-Marke Mercedes-Maybach soll (ab sofort) Limousinen und (langfristig) SUVs an Superreiche verkaufen.
Der Mercedes-Maybach S600 unterscheidet sich optisch kaum von der normalen S-Klasse. Experten erkennen einen modifizierten Kühlergrill, eine breite C-Säule, eine andere Dachwölbung und 20 Zentimeter mehr Radstand als beim langen S. Alle anderen sehen einen großen Mercedes. Das haben die Kunden so gewollt, erklärt Daimler-Strategie-Leiter Wilko Stark. Sie wollen „den Nerz nach innen tragen“. Also eine Art VW Phaeton unter den Super-Limousinen.
54.000 Euro Aufpreis für V12-Laufruhe
Wills erste Lektion ist deshalb Zurückhaltung. Vollbremsungen oder –gas seien zu vermeiden, solange es die Situation nicht unbedingt erfordert. Ein guter Chauffeur habe seinen Fahrgast immer im Blick, lasse ihn aber Mercedes-Maybach S600: Constantin genießt die großzügige Beinfreiheit Quelle: Daimler
stets in Ruhe. Kein Smalltalk, keine Unruhe. Das personifizierte, autonome Fahren. Wer den Maybach also tatsächlich in fünf Sekunden auf Tempo 100 wuchten will, der sollte das allein tun – obwohl die Limousine erstaunlich unspektakulär beschleunigt.
Gegen die Höchstgeschwindigkeit von 250 km/h spreche hingegen nichts – solange sich der Fahrgast bei hohem Tempo wohlfühlt und der Verkehr es zulässt. Der 530 PS starke 6,0-Liter-V12 des S600 soll vor allem Souveränität vermitteln. Sinnvoll sein muss er nicht: Der Maybach S500 (V8, 455 PS) fährt und beschleunigt (auf 100 km/h) gleich schnell, kostet aber knapp 54.000 Euro weniger. Zudem spart er fast drei Liter Sprit pro 100 Kilometer.
Entspannt gewinnt
Wenn Geld keine Rolle spielt, dann zählen eben Details. Zum Beispiel, dass das heisere Fauchen des Zwölfenders sogar vom Gleiten der Massage-Stempel in den Fond-Sitzen übertönt wird. Plötzlich wirkt das Ticken des Blinker-Relais wie Lärmbelästigung. Mercedes sagt, der Maybach S600 sei die leiseste Serienlimousine der Welt. Und die gemütlichste.
Damit der Passagier hinten entspannt lümmeln und die Designer-Frisur an das Kopfstützenkissen schmiegen kann, fährt Will, als würde Mutti zugucken. Zeitverluste durch Polizeikontrollen sind nicht erlaubt. Er Mercedes-Maybach S600: Der Zwölfzylinder Quelle: Daimler
übertrete die Geschwindigkeitsbegrenzungen deshalb nur, um den Verkehrsfluss nicht zu behindern. Als Schleicher werde man geschnitten – ein paar Miles per Hour mehr sind also drin. Und das ist gut so, denn Pünktlichkeit ist eine der wichtigsten Chauffeurs-Tugenden.
20 Zentimeter für 23.000 Euro
Eine andere wichtige Tugend dieses Berufsstandes: Bescheidenheit. Denn weiß-behandschuhte Maybach-Piloten profitieren im Vergleich zur S-Klasse nicht von dem neuen Luxus. Wer viel Geld für mehr Platz bezahlt, der möchte den schließlich selbst genießen.
Im Vergleich zum S600 mit langen Radstand beträgt der Aufpreis knapp 23.000 Euro für 21 Zentimeter mehr Länge. Diesen zusätzlichen Raum füllen zwei elektrisch verstellbare Liegesessel mit Fußstützen (und Isofix!), klimatisierte und beheizte Getränkehalter, ein Kühlfach (1.309 Euro) mit Champagnerkelchen (3.808 Euro) und ein belederter Dachhimmel mit Panorama-Glasdach. Leider sind Klima-Bedienelemente und Getränkehalter nicht in unmittelbarer Reichweite der Fond-Passagiere.
Ein Maybach zum halben Maybach-Preis
Der Zwölfzylinder-Maybach ist die Spitze des Daimler-Luxus. Die Spitze der Preisliste ist er nicht. Für zwölf Zylinder und den großen Namen zahlen die Kunden mindestens 187.841,50 Euro. Damit kostet er 4.000 Euro weniger als ein Bentley Flying Spur und rund 47.000 Euro weniger als ein 65 AMG V12. Und: Er nicht einmal halb so teuer wie im Jahr 2012 ein Maybach 62, für den Daimler mindestens 473.858 Euro verlangte.
Neben dem Schriftzug gibt es von außen nur wenig, was den Maybach von der normalen S-Klasse unterscheidet Quelle: Daimler
Trotzdem wird der Edel-S nicht zum Schnäppchen. Mit Bildschirmen im Fond (2.856 Euro), 3-D-Sound (6.307 Euro), Klapptischen (2.142 Euro) und der erwähnten Minibar kostet der S600 deutlich mehr als 200.000 Euro. Immerhin: Das Gleit-Fahrwerk mit „Magic Body Control“ gibt es serienmäßig.
Eine Neungang-Automatik für den Zwölfzylinder ist nicht geplant. Eine Auslegung auf 830 Newtonmeter würde sich kaum rentieren, erklärt S-Klasse-Projektleiter Herman-Josef Storp. Der luxuriöseste Mercedes schaltet durch sieben Gänge. Im Laufe des Jahres wird Daimler die beiden letzten S-Klasse-Derivate vorstellen: Der längere Pullmann kommt im ersten Halbjahr 2015, das Cabriolet in der zweiten Hälfte.
Und die Fahrschule? Abgesehen von einem „Beschleunigungs-Ausrutscher“ bei der Auffahrt auf einem Freeway ist Will zufrieden. Den Fauxpas übersieht er großzügig – schnelle Autos müsse man schließlich ausfahren.
Mercedes-Maybach S600: Technische Daten
- Motor: V12-Bi-Turbo-Benziner
- Getriebe: Siebengang-Automatik, Heckantrieb
- Hubraum: 5.980 cm3
- Leistung: 530 PS
- Max. Drehmoment: 830 Nm
- Verbrauch: 11,7 l/100 km (Super Plus, laut NEFZ)
- CO2: 274 g/km
- 0 - 100 km/h: 5,0 s
- Höchstgeschwindigkeit: 250 km/h (elektronisch begrenzt)
- Länge x Breite x Höhe in m: 5,45 x 1,90 x 1,56
- Preis: 187.841,50 Euro