Fast 16 Millionen Rückrufe weltweit: GM ist neuer Rückruf-Weltmeister. Neben den Rückrufkosten drohen dem Konzern astronomische Schadensersatzforderungen
Quelle: General Motors/MT
Detroit – Als Mary Barra am 15. Januar ihren neuen Posten als Chefin des größten Autokonzerns der USA antrat, ahnte sie nicht, wie schnell sie Industriegeschichte schreiben würde. Doch unter ihrer Leitung musste General Motors mehr Autos innerhalb weniger Monate in die Werkstätten rufen als je ein Hersteller zuvor. Damit ist GM neuer Rückruf-Weltmeister.
Zwischen dem 13. Februar und dem 21. Mai 2014 rief der Konzern fast 16 Millionen Autos zurück und toppte damit nicht nur die eigene Marke von 10,7 Millionen im Jahr 2004. Auch den bisherigen Rückruf-Rekordhalter Toyota (14 Millionen, 2009-2010) übertrifft GM nun deutlich.
Das liegt vor allem daran, dass Barra die Flucht nach vorn antritt: GM will um jeden Preis den Eindruck vermeiden, man kümmere sich nicht. Das Ergebnis ist eine beispiellose Rückrufwelle, bei der GM eine hohe Wette eingeht. Belohnt der Markt den Aufwand, den GM treibt? Oder zieht der Kunde seine Schlüsse und verbindet den Konzern aus Detroit künftig mit 16 Millionen Qualitätsproblemen?
Chronik: GM-Rückrufe 2014
- 13. Februar: GM ruft in Nordamerika die ersten 778.000 Autos wegen Problemen mit den Zündschlössern zurück. Der Schlüssel kann bei voller Fahrt in die „Aus“-Position zurückspringen. GM berichtet von sechs Toten bei Unfällen. Betroffen sind: Pontiac G5 von 2007 und Chevrolet Cobalt der Baujahre 2005 bis 2007.
- 25. Februar: GM weitet den Rückruf auf weltweit 1,6 Millionen Autos aus. Der Rückruf betrifft nun folgende Modelle: Chevrolet Cobalt (2005-2007) und HHR (2006-2007), Saturn Sky (2006-2007) und Ion (2003-2007), Pontiac Solstice Modelljahre 2006-2007, Pontiac G5 (2005-2007) sowie den nur in Kanada verkauften Pontiac Pursuit.
- In Europa ist vom Rückruf der Roadster Opel GT betroffen. GM räumt erstmals Versäumnisse ein. Die Tageszeitung "Detroit News" schreibt, bereits 2005 habe GM seine Händler informiert. Diese sollten ihre Kunden bitten, keine schweren Schlüsselanhänger zu verwenden. Nun ist die Rede von 13 Unfalltoten.
- 05. März: Mary Barra befürchtet ein Imagedesaster und kündigt an, die Rückruf-Abwicklung persönlich zu überwachen.
- 12. März: Aus internen Vermerken geht hervor, dass GM-Ingenieure schon 2001 während der Fahrzeugentwicklung über Probleme mit den Zündschlössern berichteten. Mary Barra kündigt an, dass der Konzern seine Nachforschungen zum Thema Qualität erheblich ausweiten will.Eine Verbraucherschutz-Organisation spricht von 303 Todesopfern.
- 2015 GMC Acadia Quelle: General Motors
17. März: GM ruft 1,5 Millionen Fahrzeuge in drei Einzelrückrufen zurück. Diesmal geht es um neu entdeckte mögliche Probleme: Beim Chevrolet Express und GMC Savannah will GM die Oberfläche des Armaturenbretts tauschen. Beim Cadillac XTS der Modelljahre 2013-2014 befürchten die Techniker eine Brandgefahr im Motorraum. Und bei 1,18 Millionen Buick Enclave und GMC Acadia von 2008 bis 2013, Chevrolet Traverse von 2009 bis 2013 und Saturn Outlook von 2008 bis 2010 soll die Airbag-Steuerung nachgebessert werden.
- Wegen der Zündschlösser gehen die ersten Klagen von Unfallopfern und Autobesitzern ein, die den Wert ihrer Wagen geschmälert sehen.
- 29. März: GM weitet den Rückruf wegen Zündschlössern um eine Million neuere Fahrzeuge aus: 2008-2010 Chevrolet Cobalt, 2008-2011 Chevrolet HHR, 2008-2010 Pontiac Solstice, 2008-2010 Pontiac G5, 2008-2010 Saturn Sky. Damit steigt die Gesamtzahl für diesen Defekt auf 2,6 Millionen.
- Opel weitet seinen Rückruf auf 7.450 Opel GT aus.
- 30. März: Bei 490.000 Autos aktueller Produktion kann Öl auf heiße Oberflächen tropfen und brennen, gibt GM bekannt. Zusätzlich ruft GM 172.000 Chevrolet Cruze Modelljahre 2013-2014 wegen möglicher Probleme an der Vorderachse zurück.
- 31. März: Mary Barra muss vor einem Untersuchungsausschuss des US-Kongresses aussagen. Ausschussleiter Fred Upton (Republikaner) baut politischen Druck auf: „Bei der Produktsicherheit von Autos geht es um Leben und Tod. Es gibt keinen Spielraum für Fehler“.
- 31. März: GM ruft 1,3 Millionen Fahrzeuge wegen eines möglichen Ausfalls der Servolenkung zurück. Betroffen sind: Chevrolet Malibu der Modelljahre 2004-2009, HHR (2009-2010), Cobalt (2010), Saturn Aura (2008, 2009), Saturn Ion (2005-2006), Pontiac G6 (2005-2009).
- 10. April: GM beurlaubt zwei Ingenieure wegen der Zündschlösser. Zwei Wochen später wird die Entwicklungsabteilung umgebaut und deren Chef scheidet aus. In der Zwischenzeit gehen auch die Personalchefin und der Kommunikationschef.
- 11. April: GM erweitert den Rückruf wegen fehlerhafter Zündschlösser: Neben dem Schalter soll nun auch der Schließzylinder gewechselrt werden. Die Zahl der insgesamt zurückgerufenen Autos steigt auf 9,6 Millionen.
- 2008 Saturn Aura Quelle: General Motors
15. Mai: Wegen neuer Erkenntnisse ruft GM 2,7 Millionen Autos zurück: 2,44 Millionen Chevrolet Malibu der Modelljahre 2004-2012, 2004-2007 Chevrolet Malibu Maxx, 2005-2010 Pontiac G6 und 2007-2010 Saturn Aura wegen der Bremsleuchtenverkabelung, 111.000 Corvette der Baujahre 2005 bis 2007 wegen möglicher Fehlfunktionen der Abblendlichter, 140.000 Chevrolet Malibu wegen Störungen beim Bremskraftverstärker. Beim Cadillac CTS der Modelljahre 2013-2014 gibt es Probleme mit den Scheibenwischern, bei verschiedenen Pick-ups müssen außerdem Schrauben an den Spurstangen überprüft werden.
- 16. Mai: General Motors muss 35 Millionen Dollar Strafe zahlen. Die Verkehrssicherheitsbehörde sieht es als erwiesen an, dass der Autobauer sie zu spät über die Zündschloss-Probleme informiert hat. GM meldet: Die Produktion der benötigten Ersatzteile läuft an sieben Tagen in der Woche.
- 20. Mai: GM ruft in vier separaten Rückrufen 2,42 Millionen Fahrzeuge zurück: Bei 1,3 Mio. Buick Enclave, Chevrolet Traverse, GMC Acadia und Saturn Outlook wegen der Sicherheitsgurte, eine Mio. Chevrolet Malibu (2004-2008) und Pontiac G6 wegen Fehlern in der Viergang-Automatik. Bei 1.400 Cadillac Escalade befürchten die Ingenieure außerdem ein versehentliches Auslösen des Airbags, bei 58 aktuellen Chevrolet Silverado und GMC Sierra ein Feuer am Sicherungsblock.
- 21. Mai: GM hat aufgrund hausinterner Untersuchungen bislang 29 Einzelrückrufe in diesem Jahr gestartet. Rückruf Nummer 30 betrifft 218.000 Chevrolet Aveo der Modelljahre 2004-2008.
- 22. Mai: GM meldet: Die Rückrufwelle kann sich im Sommer fortsetzen, da der Konzern weiterhin mögliche Sicherheitsmängel untersucht. Insgesamt hat GM in den USA 13,6 Millionen Fahrzeuge zurückgerufen. Weltweit sind es fast 16 Millionen.
Wie geht es weiter?
GM kalkuliert aktuell mit Rückrufkosten von über 1,7 Milliarden US-Dollar. Hinzu kommt eine Strafe in Höhe von 35 Millionen US-Dollar an die Verkehrssicherheitsbehörde NHTSA. Das sind keine Kleinigkeiten, aber wenig im Vergleich zu dem, was noch kommen könnte.
US-weit liegen 79 Klagen gegen GM vor, Schadensersatzforderungen von Fahrzeughaltern. 10 Milliarden US-Dollar könnte das den Konzern kosten, der im abgelaufenen Geschäftsjahr 3,8 Milliarden US-Dollar verdiente.
GM will die Klagen wegen gesunkenen Wiederverkaufswerts abschmettern: Nach der Insolvenz 2009 habe sich die Rechtskörperschaft geändert. Das neue GM sei nicht haftbar für Fehler des „alten“ GM. Ob sich die Richter darauf einlassen, ist fraglich.
Die Konkurrenz befürchtet, dass GMs Beispiel Schule machen könnte. Fiat-Chrysler-Chef Sergio Marchionne warnt: „Wenn die Frequenz, in der GM Fahrzeuge zurückruft, zur Norm wird, werden die Kosten an den Kunden weitergegeben“. Chrysler bemerke in den Autohäusern ein gestiegenes Misstrauen der Kunden.
Ob die Rückrufwelle nach Europa herüberschwappt? Im Moment sieht es nicht so aus. Außer dem in den USA produzierten GT sei nach aktueller Kenntnis kein Opel-Produkt betroffen, sagte ein GM-Sprecher in Detroit auf Nachfrage gegenüber MOTOR-TALK. Chevrolet Europa prüfe derzeit die Sachlage.
In Deutschland kann das Kraftfahrtbundesamt (KBA) Rückrufe anordnen, wenn eine "ernste Gefährdung" vorliegt und der Hersteller das Problem nicht allein löst.
Quelle: m. Material v. dpa |