Eine der längsten Eisstraßen der Welt taut ab: Die Tuktoyaktuk Winter Road im Norden Kanadas wird geschlossen. Ein letzter Ritt auf Eis, nördlich des Polarkreises.
Tuktoyaktuk – Der Fahrertürgriff des Mercedes GLE ist festgefroren. Irgendwie muss Wasser in die Mechanik gekommen sein. Jetzt, bei etwa minus 25 Grad, bewegt sich nichts. Nur der Kofferraum öffnet sich nach ein paar Versuchen knirschend. Also krabbele ich von hinten nach vorne und starte den Motor. Kratzen wäre umweltfreundlicher. Aber so weit im Norden ist das fast nicht machbar. Mit der Motorwärme geht es zumindest nachhaltig. Bis die Scheiben frei sind und das Eis taut, vergehen ein paar Minuten. Zeit, um gedanklich die kommende Route auf der Tuktoyaktuk Winter Road in Kanada abzufahren. Tuktoyaktuk Winter Road: Von Inuvik nach Tuk Das Eis hat null Grip, nur ein bisschen Schnee darauf lässt uns nicht sofort wegrutschen. Peitschender Wind drückt gegen den Mercedes GLE, schiebt ihn Richtung Fahrbahnmitte. Das Fahren auf dieser Eisstraße ist gewöhnungsbedürftig und gefährlich. Unter den Reifen liegen 80 Zentimeter bis 1,5 Meter Eis. Darunter: Wasser. Kracht es, sinken wir bis zu 1.100 Meter durch tiefe Dunkelheit auf den Grund. Keine schöne Vorstellung. Doch genau dieser Nervenkitzel zog bisher Abenteurer und Naturliebhaber an. Die meisten nahmen die lange Fahrt über den Dempster-Highway bis nach Inuvik auf sich. Von dort bis nach Vancouver sind es schon rund 4.000 Kilometer. Das kleine Nest Inuvik selbst ist mit rund 3.400 Einwohnern zwar die größte Stadt in Kanada nördlich des Polarkreises – aber nicht die Reise wert. Der Ort bietet bis auf ein heruntergekommenes kleines Einkaufszentrum, ein paar schäbige Cafés und Kneipen wenig touristische Höhepunkte. Die meiste Zeit des Jahres ist es hier windig und kalt. Anfang Januar sinkt das Thermometer auf minus 50 Grad. Die Durchschnittstemperatur liegt von Dezember bis Februar bei minus 30 Grad. 180 Kilometer über die Winter Road Der GLE schiebt sich langsam über den Schnee aufs Eis, unter den Reifen knirscht es leise. Ein gefährliches Knacken hören wir zum Glück nicht. Mit Allrad und 333 PS könnten wir jetzt in sechs Sekunden auf 100 km/h sprinten, bis zu 247 km/h schnell fahren. Wenn, ja, wenn der Straßenbelag griffig genug wäre. Doch die niedrigen Reibewerte des Eises lassen die Traktionskontrolle sofort eingreifen. Schon nach einem zarten Gasstoß blinkt die ESP-Lampe auf. So eingebremst lässt es sich kaum fahren. Ich schalte das System ab und fahre mit viel Gefühl im Fuß. Das Eis muss glatt sein „Wenn auf dem Eis zu viel Druck entsteht, bricht das Eis an manchen Stellen auf. Auf der Fahrbahn kann das die Reifen zerfetzen“, sagt Polizist Nic Brame. Und einen Reifen bei minus 40 Grad zu wechseln, mache keinen Spaß. Ihm passierte das ausgerechnet an Weihnachten. Die Reifen unseres Mercedes sind deshalb extra dick. Keine Winterreifen, sondern kleine, aber festere Lkw-Reifen. Spikes sind auf der Straße übrigens verboten, die würden die Straße zerstören. Trotz des robusten Gummis fahre ich vorsichtig, streichele das Gaspedal, lupfe lieber lange vor einer Kurve als zu bremsen, lenke geschmeidig statt ruckartig. Denn auch mit ABS steht der GLE 400 erst nach etwa 100 Metern. Auf dem Mackenzie-Fluss ist das aber kein Problem – hier herrscht meist freie Bahn. Erst nach einer knappen Stunde Fahrt kommt mir das erste Auto entgegen. Nach guten drei Stunden endet die Ice Road in Tuk. Es geht um den Weg, nicht um Tuk Mit der Abgeschiedenheit wird es bald vorbei sein. Zwischen 2014 und Ende 2017 baute die Regierung für 300 Millionen kanadische Dollar (knapp 200 Millionen Euro) eine ganzjährig befahrbare Straße inklusive acht Brücken von Inuvik nach Tuk. Die Straße war notwendig: Die Klimaerwärmung knabbert am Eis, die feste Schicht wird dünner. Außerdem hatte sich ein internationales Konsortium um Bohrlizenzen vor der Küste beworben, um Gasfelder zu erschließen. Die ersten Bohrungen waren für 2020 geplant. Ein Moratorium der Regierung hat das allerdings vorerst untersagt. Offiziell wird deshalb die Eisroute geschlossen, zumindest die lange Strecke nach Tuk. Der Weg über den gefrorenen Mackenzie-Fluss ins nicht minder verschlafene Nest Aklavik auf der Hälfte der Strecke bleibt weiter bestehen. Für Abenteurer, die gerne mal auf einer richtigen Eisstraße fahren wollen. ***** In eigener Sache: Wir verschicken unsere besten News einmal am Tag (Montag bis Freitag) über Whatsapp und Insta. Klingt gut? Dann lies hier, wie Du Dich anmelden kannst. Es dauert nur 2 Minuten. |
