Wer alle erreichen will, muss alles bieten. VW baut den Crafter daher als Pritsche, Van und Doppelkabine. Mit Front-, Heck- und Allradantrieb. Und einer kleinen Revolution.
Wien, St. Margarethen - Ich bin zu feige für den VW Crafter. „Sind sie von der Baufirma?“, fragt der ruppige Polizist an der Einfahrt zur Baustelle. Ein kurzes, verlegenes „ja, ja“ würde mir viel Umweg ersparen: Ein paar hundert Meter den aufgerissenen Asphalt entlang anstelle einer großräumigen Umleitung über Stock und Stein. Mir fehlt der Mut, denn aufgeflogen wäre ich mit diesem Auto garantiert nicht. Bis vor Kurzem hätte man im größten Volkswagen-Nutzfahrzeug bestenfalls den Lieferanten mimen können, vielleicht noch den Servicetechniker mit der Ersatzwaschmaschine. Schließlich kam der Crafter II bisher ausschließlich als Van. Für den Job beim Straßenbau qualifiziert er sich erst jetzt so richtig: Volkswagen reicht den Pritschenwagen nach. Und noch einiges mehr. Nahe am PKWZur Wahl steht die Einzelkabine in den Längen 5,9 Meter, 6,8 Meter und 7,4 Meter. Mit Doppelkabine und bis zu sieben Sitzen entfällt die längste Variante. Generell gilt: Wer schon an der Fastfoodtheke Entscheidungsschwierigkeiten hat, muss beim Crafterkauf Zeit einplanen. Vor allem, wenn es die klassische Van-Variante sein soll: Die kommt in den genannten Längen sowie wahlweise mit 2,3 Metern, 2,6 Metern oder 2,8 Metern Fahrzeughöhe. Mit Ladefläche oder bis zu acht Sitzplätzen. Nicht jede Kombination ist möglich, aber sehr viele. Die Very-special-interest-Ausführungen Koffer (Klein-Lkw) und Kipper lassen wir hier aus, sonst entstünde ein Text im Stile des Telefonbuchs von Regelsbrunn. Dem Ort jenseits der Baustelle, den man nun über eine geringfügig schmalere asphaltierte Straße durch die Weinberge erreicht. Oder über einen engen Trampelpfad durch den Dreck. Ich wähle Letzteres. Schlamm, enge Kehren, Gegenverkehr, und das alles mit einem 6,8 Meter langen Pritschenwagen mit Frontantrieb. Außerdem drängt die Zeit. Klar, das stresst. Aber es ist ein guter Test für den Crafter fürs Grobe. Wenn es schwierig wird, kommt dem Fahrer dessen größte Stärke entgegen: Er ist dem Pkw gefühlt sehr nah. Die Höhe der Stühle, die mangelhafte Geräuschdämmung mit dem hörbaren Rasseln des Diesels - all das schreit zwar: Nutzfahrzeug! Die Sitzposition kontert aber: Ein ganz normaler Volkswagen. Man sitzt hinter dem Lenkrad, nicht darüber. Und entwickelt recht bald ein Gefühl dafür, wo der Koloss endet. Selbst hinten, sofern die Ladebordwand aufgestellt und sichtbar bleibt. Beim klassischen Kastenwagen wird es ohne Kamera und Sensoren dagegen spannend. Der zweiradgetriebene Crafter bewältigt den aufgeweichten Schotterweg ohne Probleme. Irgendwann ist das ersehnte Ortsgebiet da. Recht bald dahinter beginnen die einsamen, flachen Landstraßen des Burgenlandes. Und irgendwie macht der Crafter hier - huch - sogar Spaß. Natürlich könnte die Lenkung direkter sein, klar knickt das Fahrzeug vorne ein, fühlt sich an der mit Blattfedern bestückten Hinterachse reichlich eckig an. Aber für ein Nutzfahrzeug mit hohem Schwerpunkt geht das absolut in Ordnung. Motoren: Vier Diesel - und 200 StromerVolkswagen bietet im Crafter aktuell ausschließlich mit 2,0-Liter Diesel-Motoren an. Die auf der IAA gezeigte Elektro-Version kommt nur in einer Kleinserie von rund 200 Fahrzeugen. Bei den Verbrennern bilden ein 102-PS-Motor sowie ein 122-PS-Aggregat den Einstieg. Häufiger werden die Kunden stärkere Varianten wählen: 140 PS oder 177 PS, darüber gibt es nichts mehr. Ich probiere beide: Der Unterschied fällt in der Praxis geringer aus, es als die Datenblätter vermuten ließen. Beide fühlen sich im Bereich zwischen 2.000 und etwa 3.300 Umdrehungen am wohlsten . Wer es mit Zuladung und Anhängelast wirklich ernst meint, sollte dennoch zum Topmotor greifen. Die kleineren Crafter-Varianten könnten jedoch mit 140 PS auskommen. In jedem Fall: Wer den Crafter tritt, muss mit Verbräuchen im Bereich der 9 Liter rechnen. Die für den Topmotor kolportierten 6,7 Liter verlangen nach einem Zen-Meister am Gaspedal und nach gähnender Leere auf der Ladefläche. Auch wenn Volkswagen bei der Entwicklung viel Wert auf die Aerodynamik legte: Der Crafter bleibt ein Kastenwagen. Innenraum: Hemdsärmelig, aber nicht ungehobeltUnd er bleibt ein Arbeiter. Entsprechend hemdsärmelig der Innenraum, wenn auch nicht ungehobelt. Armaturenbrett und Seitenverkleidung aus Hartplastik wirken solide. Nichts klappert, nichts gibt nach. Komfort ja, Luxus nein. Wünschenswert wäre rutschfestes Material in den zahlreichen Ablageflächen. Und in der Doppelkabinen-Variante: gute Freunde als Sitznachbarn. Oder Kollegen auf Diät: Mit vier Sitzen in einer Reihe kann es ganz schön eng werden. Die meisten Crafter werden wohl mit drei Stühlen in der ersten Reihe bestellt. Hier sind optional Schwingsitze mit dem AGR-Zertifikat ("Aktion Gesunder Rücken") erhältlich. Perfekt, wenn die Fahrt zur Baustelle über Schlaglöcher führt. Ansonsten: Geschmacksache, ob man sich so ein wenig Lkw- und Linienbus-Feeling in den Pkw-nahen Transporter holen möchte. Wandler statt DSGDie echten Revolutionen passieren oft unbemerkt. Bisher galt bei Volkswagen für den europäischen Markt: In einem Quermotor-Modell ohne Kupplungspedal sitzt ein Doppelkupplungsgetriebe. Wandler-Automaten gibt es nur bei Längsmotor - und das traf bei VW ausschließlich auf den Touareg zu. Seit dem Crafter ist damit Schluss: Frontgetriebene (und Quermotor-bestückte) Crafter können mit einer Achtgang-Wandlerautomatik bestellt werden, künftig soll das Getriebe in weiteren Motor- und Antriebsvarianten zum Einsatz kommen. Warum verzichtet ausgerechnet Volkswagen auf das DSG? Die Wandler-Automatik habe sich weiterentwickelt, heißt es lapidar. Außerdem gäbe es beim DSG im Nutzfahrzeug-Bereich weniger Erfahrungswerte, erklären die Nutzfahrzeug-Techniker. Im Test leistet sich die Automatik keine gravierenden Schwächen. Doch gefühlt verpufft beim Hochschalten etwas mehr Kraft als bei einem Doppelkupplungsgetriebe. Crafter mit sämtlichen AntriebsvariantenDennoch: VW streicht die acht Untersetzungen als Alleinstellungsmerkmal am Nutzfahrzeug-Sektor heraus. Bei einem Doppelkupplungsgetriebe wären acht Gänge wohl schwerer zu verwirklichen gewesen. Andererseits: Das Fahrzeug hat schon unabhängig vom Getriebe seinen USP. Es ist in sämtlichen Antriebsvarianten verfügbar – also neben Frontantrieb auch mit Heck- oder Allradantrieb. (In heckgetriebenen VW Crafter ist das Triebwerk der Länge nach verbaut.) Das kann der Ford Transit zwar auch, allerdings nicht in den lang gestreckten Varianten. Der eng mit dem Mercedes Sprinter verwandte Crafter I war nicht mit Frontantrieb verfügbar. Volkswagen geht es weniger um die technische Fingerübung als um Marktsegmentierung: Der Frontantriebs-Crafter ist der Raumkönig im Portfolio und bietet hinten am meisten Platz und eine um 15 Zentimeter niedrigere Ladekante. Rund 18 Kubikmeter passen in Van-Form hinein. Der Heckantrieb soll Kunden ansprechen, die eher schwer zuladen als viel einladen möchten: Die längste Variante mit Zwillingsreifen an der Hinterachse ist auf bis zu 5.000 Kilogramm Gesamtgewicht zugelassen. Bei so viel Last im Heck hätte der Frontantrieb längst Traktionsprobleme. Auf der Testfahrt gefällt am Hecktriebler auch der geringere Wendekreis. Schließlich mussten die Ingenieure beim maximal zulässigen Lenkeinschlag nicht an vordere Antriebswellen denken. Auf der Testfahrt blieben Überraschungen aus. Selbst wenn man die Hinterachse auf nasser Fahrbahn ein wenig ärgern will: Länge läuft eben – und zwischen vorderer und hinterer Radnabe liegen bis zu 4,5 Meter. Der Allrad-Crafter soll land- und forstwirtschaftliche Betriebe ansprechen. In bergigen Regionen und hohen Lagen dürfte der größte Anteil auf den 4-Motion fallen. Am Gesamtmarkt rechnet Volkswagen mit rund 50 Prozent verkauften Frontantrieb-Varianten. Technische Infos Volkswagen Crafter
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