IAV mit Stammsitz in Berlin ist eines der größten externen Entwicklungsunternehmen in der Automobilbranche. Wir sprachen mit dem Fachbereichsleiter Getriebe und Hybridantriebe, Prof. Dr. Burghard Voß. Die IAV GmbH wurde 1983 als Ausgründung der TU Berlin gegründet, unter 50-prozentiger Beteiligung der Volkswagen AG. Weitere Anteilseigner sind heute u.a. Schaeffler und Continental. Unter dem Motto „Kompetenz fürs ganze Fahrzeug“ bietet das Unternehmen seine Entwicklungsdienstleistungen in der gesamten Automobilindustrie an: IAV-Entwicklungen stecken nicht nur in Volkswagen-Fahrzeugen, sondern auch in Produkten von beispielsweise BMW, Ford, GM, Chrysler, Toyota und ZF Friedrichshafen. Das Unternehmen unterhält heute Entwicklungszentren und Büros in der ganzen Welt und beschäftigt über 4.500 Entwickler. MOTOR-TALK: Her Voß, was wäre eine IAV-Entwicklung im Getriebebereich, die jeder kennt, aber unter anderem Namen vermarktet wird? Burghard Voß: Als Entwicklungspartner arbeiten wir ja im Auftrag der Autoindustrie, die als Auftraggeber ihren wesentlichen Anteil an den meisten Komponenten hat. Die Hersteller sind natürlich auch daran interessiert, Knowhow im Haus zu behalten. In meinem Fachgebiet darf man z.B. an das Volkswagen Doppelkupplungsgetriebe (DSG) denken, dessen Entwicklung wir seit 10 Jahren begleiten. Derzeit arbeiten ca. 50 unserer Getriebeentwickler am Volkswagen Doppelkupplungsgetriebe. MOTOR-TALK: Arbeiten Sie eher auf dem Prüfstand, oder auf der Teststrecke? Burghard Voß: Wir müssen uns, aus Kostengründen, immer fragen, ob wir bestimmte Dinge nicht auf dem Prüfstand oder vorgelagert in einer Simulation erledigen können. Trotzdem: Eine neue Entwicklung muss in kaltem Klima, warmem Klima, am Berg und in der Ebene getestet werden, und zwar aus Zeitgründen oft gleichzeitig. Dann fliegen Sie eben vier Fahrzeuge für je 25.000 Euro in je einen unterschiedlichen Winkel der Erde, weil es nicht anders geht. Die wichtigsten Trends im Bereich Getriebe MOTOR-TALK: Was sind derzeit die wichtigsten Trends in der Getriebeentwicklung? Burghard Voß: Das Doppelkupplungsgetriebe ist sicher ein großes Thema. Doch die Bauarten Doppelkupplungs- und Planetenradgetriebe konkurrieren durchaus noch. Derzeit sind Doppelkupplungsgetriebe noch etwas teurer als Planetengetriebe mit Wandler. Der Wandler ist eben sehr günstig und wird in großen Stückzahlen gebaut. Allerdings wird er in vielen Getrieben sowieso nur noch zum Anfahren benötigt und steht deshalb durchaus in Frage, denn er produziert eben immer, wenn er nicht überbrückt wird, Planschverluste. Ein wichtiger zweiter Trend ist auch deshalb die Elektrifizierung, bzw. Hybridisierung. Verbaut man im herkömmlichen Wandlergetriebe statt des Wandlers einen Elektromotor, ergeben sich zum einen Verbrauchsvorteile, denn die typischen Verluste des Wandlers entfallen. Zum anderen bedeutet es für externe Entwickler eine Portfolioerweiterung: Automobilhersteller sind nach wie vor Hersteller von Verbrennungsmotoren. Getriebe werden oftmals, wenn auch nicht immer, zugekauft. Indem Zulieferer ihre Getriebe elektrifizieren, können sie dem Autobauer ein Produkt anbieten, das dessen Verbrennungsantrieb zum Hybriden macht. Das hat nicht zuletzt Marketingvorteile für beide Seiten. Auch mehr Gänge sind im Getriebe ein Trend, der weitergehen wird. Es werden zunehmend 8- und 9 gängige Getriebe auf den Markt kommen. Ich kann mir auch einen zehnten Gang vorstellen. Viel mehr wird es dann aber vermutlich nicht mehr werden. Ziel ist ja, den Motor immer in günstigen Kennfeldbereichen zu bewegen. Der beste Wirkungsgrad liegt bei etwa 2.000 U/min an, sowie bei etwa ¾ des maximalen Motormoments. In den Geschwindigkeiten, in denen man sich bewegt, machen wesentlich mehr Gänge dann irgendwann keinen Sinn mehr, zumal jeder Gangwechsel mit Komfort- und Performanceproblemen ebenso verbunden ist wie mit Wirkungsgradverlusten. Bei Schaltgetrieben wird zusätzlich die Bedienbarkeit unübersichtlich, wobei es Siebengang-Getriebe ja schon gibt. Der letzte zentrale Trend ist die Effizienzsteigerung. Da geht es sowohl um Kostensenkung, um auf dem Markt attraktiver zu sein. Aber natürlich auch um Gewichtseinsparung und Reduzierung von Wirkungsgradverlusten, mit dem Ziel optimaler Kraftstoffeffizienz. Schon heute erreichen Doppelkupplungsgetriebe sehr gute Verbrauchswerte. Allerdings profitieren sie auch von der Gesetzgebung: Im NEFZ sind für das Handschaltgetriebe feste Schaltpunkte vorgeschrieben, bei Automatikgetrieben gibt es solche Vorschriften nicht. Man kann ein Automatikgetriebe also sehr exakt auf den Zyklus abstimmen. MOTOR-TALK: Sehen Sie in Ihrer Arbeit kulturelle Unterschiede zwischen den einzelnen Märkten? Burghard Voß: Der amerikanische Markt ist sehr Automatik-affin, was uns entgegenkommt, aber er ist auch sehr komfortbetont. Dort wird es schwer werden, Wandler durch Doppelkupplungsgetriebe abzulösen. Allerdings steigen auch in den USA die Spritpreise, und dann werden moderne Getriebe interessant, weil sie viel effizienter sind. In den USA wird ja oft noch mit Viergang-Automatik mit offenem Wandler ohne Überbrückung gefahren, teilweise findet man am Markt sogar noch Dreigang-Automaten. In Frankreich und Japan ist das CVT-Getriebe ein wichtiges Thema. Diese Getriebe sind sehr komfortabel und haben große Vorteile im Stop&Go. Auch ein Elektromotor hat günstige und ungünstige Wirkungsgradpunkte MOTOR-TALK: Stichwort Elektroautos: Geht Ihnen nicht die Arbeit irgendwann aus? Elektroautos fahren ja mit nur einem Gang. Burghard Voß: Natürlich kann man sagen, wenn Elektrofahrzeuge sich durchsetzen, braucht man irgendwann keine Getriebe mehr. Allerdings: Deutschland verfolgt als politisches Ziel, bis 2020 eine Million Elektrofahrzeuge auf die Straße zu bringen. Ich persönlich bin skeptisch, ob das erreicht wird. Aber selbst wenn, ist das nur ein kleiner Prozentsatz der Autos, die bis dahin neu auf die Straße kommen. Der Verbrennungsmotor ist also noch lange nicht tot. Abgesehen davon: Auch ein Elektromotor hat günstige und ungünstige Wirkungsgradpunkte. Daher kann und wird man sich überlegen, ob man nicht auch beim Elektroauto mit einem Getriebe den Antriebsstrang optimaler gestalten kann. Im Hybridbereich, der in den nächsten Jahren immer wichtiger werden wird, braucht man außerdem besonders komplexe Getriebe mit ein bis zwei Elektromotoren. Daher gibt es noch genug zu tun für Getriebeentwickler. Wir haben keine Angst, dass uns die Arbeit ausgeht. Zur Person: Prof. Dr. Burghard Voß ist Fachbereichsleiter Getriebe sowie Sprecher Hybridsysteme bei IAV und beschäftigte sich in seiner Berufstätigkeit vornehmlich mit innovativen Antriebskonzepten. Er lehrt außerdem Fahrzeugtechnik mit Schwerpunkt alternative Antriebe an der TU Cottbus und hält Vorlesungen an der Otto von Guericke Universität Magdeburg. Quelle: MOTOR-TALK |
verfasst am 26.04.2012
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