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Classic Driving News

22 Jahre und 207.000 km mit einem Ferrari

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Seine Formel für ein langes, gesundes Ferrari-Leben heißt nicht Q10, sondern 30 mal 3.000. Kai Jacobsen dreht den imposanten Vierventil-V8 die ersten 30 Kilometer nur bis 3.000 Touren. Danach haben sich die neun Liter Agip Sint 2000 auf wohlige 90 Grad erwärmt, und der stimmgewaltige Achtzylinder darf seiner Drehfreude bis weit über 5.000 Touren freien Lauf lassen.

Standhafter Ferrari: Motor, Getriebe und Differential noch ungeöffnet

Die Nähe des roten Bereichs, der bei 7.500 beginnt, bleibt trotzdem tabu. Schließlich ist der Vollblut-Rappe aus Maranello nicht mehr der Jüngste. 22 Jahre hat der Ferrari 308 GTS auf dem wohl geformten Pininfarina-Rücken. Die attraktiv gestylten 16-Zoll-Campagnolo-Leichtmetallräder rollen nun schon 207.562 Kilometer mit Pirelli-Reifen über europäische Straßen. Dieser Ferrari 308 GTS hat noch den ersten Motor, das erste Getriebe, das erste Differenzial - alles blieb bisher zu. Bis aufs Einstellen der Ventile und Wechseln der Zahnriemen natürlich. Leider verschweigt der lediglich fünfstellige Tacho die ganze verblüffende Wahrheit.

Sie allein verbrennt die Vorurteile vom anfälligen und kurzlebigen Ferrari so rasch und rückstandlos wie der Dreiliter-V8 des Ferrari 308 GTS fein zerstäubtes Shell V-Power in seinen Brennräumen. Ferrari glaubt offenbar selbst nicht an die Langlebigkeit seiner Automobile: "Das Wartungsheft reicht nur bis 100.000. Eine Fortsetzung ist offiziell nicht lieferbar, und ein zweites wollten sie mir auch nicht geben", stellt Kai Jacobsen nüchtern, aber doch ein wenig enttäuscht fest.

Untypischer Ferrari-Fan

Der 48-jährige profunde Autokenner und Mitarbeiter des BMW-Konzernarchivs teilt immerhin mehr als sein halbes Leben mit dem schwarzen Ferrari 308 GTS Quattrovalvole. Der sympathische, eloquente Jacobsen entspricht so gar nicht dem Halbwelt-Typ des muskulösen, sonnengebräunten Goldkettchenträgers, der sich mit ein paar Bündeln Bares mal eben einen Vierthand-Ferrari rauslässt.

Schon mit 29, nach einer kaufmännischen Lehre bei Auto-König und ein paar Jahren Agenturpraxis im Marketing, erfüllte sich der Wahl-Münchener und leidenschaftliche Autoprospekte-Sammler einen Traum. Ging das Risiko ein, sich für viel, viel Geld einen gebrauchten Ferrari 308 GTS zu kaufen.

"Die aufregende Form, die hochkarätige Technik, der stimulierende Sound, die Exklusivität, das alles spricht mich auch heute noch sehr an", bekennt Jacobsen. Im Alltag fährt er gern BMW, lange einen M5 Touring, jetzt ein 3er-Cabriolet 318 Ci. Indessen blättert er in seinen Unterlagen und zieht den alten Ferrari 308 GTS-Kaufvertrag über 78.000 Mark aus der Mappe. Schon vier Monate nach dem Kauf schlug die erste Inspektion mit 3.500 Mark zu Buche.

Alte Farbfotos zeigen, dass sich beide, Fan und Ferrari 308 GTS, so gut wie nicht verändert haben. Jacobsen kann sich ein Leben ohne ihn, das dankbare und gutmütige Vollblut, nicht vorstellen. Handwäsche und -Trocknen sorgen für den guten Lackzustand

Nur in der Makroeinstellung des kritischen Beobachters offenbart der Ferrari 308 GTS eine feine Patina aus zwei Jahrzehnten. Die winzigen Lacknarben auf der aerodynamischen Frontpartie, groß wie Stecknadelköpfe, das leicht verblichene und unten herum etwas angerußte Orange der markanten runden Rückleuchten, die deutlichen Knautschfalten im cremefarbenen Connolly-Leder des Fahrersitzes. Doch nichts an seinem Ferrari 308 GTS wirkt vernachlässigt oder gar verwohnt.

Ein winziges Lackbläschen am rechten Radlauf entdeckte der große schlanke Mann mit dem jungenhaften Lächeln neulich bei der letzten Handwäsche. Es wären sicher mehr, wenn er nicht jedesmal im Anschluss die Kanten von Hauben und Türen des Ferrari 308 GTS behutsam mit einem Lappen trocknen würde. In Jacobsens Besitz hat der Ferrari 308 GTS noch keinen Winter gesehen, im Brief wimmelt es vor Abmeldestempeln.

Zum Service nach Bozen

Neu hat der Ferrari 308 GTS Quattrovalvole 1985 genau 105.400 Mark gekostet. Die mitgelieferten Extras wie Klimaanlage, Becker-Mexico-Radio, den gottlob recht unauffälligen Spoilersatz sowie die teuren Pirelli-P7-Reifen - serienmäßig waren damals Michelin TRX -, nicht mitgerechnet. Jacobsen weiß natürlich, dass ein Rennpferd nie genügsam wie ein Ackergaul sein kann. Einmal, als ziemlich viel zusammen kam, schockierte eine fünfstellige Rechnung in Mark. "Dafür hätte ich ein ganzes Auto bekommen, das habe ich erst verarbeiten müssen". Trotzdem bemüht sich Jacobsen die Wartungsvorschriften einzuhalten, gerade für einen Ferrari ist das lebenswichtig. Nach einem enttäuschenden Erlebnis in München fährt er mit seinem Ferrari 308 GTS alle 10.000 Kilometer zum Service in seine rührige Stammwerkstatt nach Bozen, Ineco - ein Geheimtipp für Ferraristi.

Lediglich beim Zahnriemenwechsel leistet er sich eine winzige Nonchalance. Nur alle drei statt wie empfohlen zwei Jahre oder 40.000 km leistet sich Jacobsen dieses kostspielige Ritual für seinen Ferrari 308 GTS, das mit etwa 2.500 Euro zu Buche schlägt. Dank des Agip-Hochleistungsöls und seiner vorsichtigen Fahrweise lassen sich auch die Ölwechselintervalle von 5.000 auf 10.000 Kilometer verdoppeln.

308 nach 207.000 km: Mit Patina, aber keineswegs verwohnt

Ein sonniger Frühlingstag am Stadtrand von München. Die bürgerliche Eigenheimsiedlung schmückt sich mit blühenden Gärten und dem frischen, schier explodierendem Grün der Saison. Zwischen Normgaragen und Mittelklasse-Kombis parkt ein sprungbereiter schwarzer Panter - geduckt, die Nase tief am Boden. Ein Ferrari 308 GTS ist eben schon im Stand sauschnell. Letzte Wolken verziehen sich, Kai Jacobsen nimmt das Dach ab und verstaut es hinter den Lehnen der Vordersitze. Wir nehmen Platz in seinem Ferrari 308 GTS, fädeln uns in seine Sitznischen. Der Copilot will herausfinden, wie sich so ein Auto nach 207.562 Kilometern anfühlt.

Das Fauchen des Ferrari 308 GTS-Achtzylinders nach dem Start hat nichts von seiner Gänsehaut-Wirkung eingebüßt. Blaue Wolken oder beißender Ölgeruch? Fehlanzeige. Entschlossen, aber behutsam, führt Jacobsen den Schalthebel durch die Kulisse, erster Gang links unten, wie es sich für einen Sportwagen gehört. Kräftig zieht der Dreiliter-V8 aus dem Drehzahlkeller.

Wir nehmen Kurs auf München, Alltagssituationen sollen das Leben mit dem Ferrari 308 GTS illustrieren. Der kleine Umweg über Dachau beschert uns nette Begleitung. Enkelin Sarah, 10, möchte von der Schule abgeholt werden. Sichtlich genießt sie beim Einsteigen den sehnsüchtigen Blick des Jungen, der stehen bleibt und wartet, bis der Achtzylinder sein übermütiges Lebenszeichen in die Welt hinausposaunt.

Typisch München: Artgenossen auf der Prinzregentenstraße

Erstes Ziel ist Ferrari-Händler Auto-König am Schatzbogen im Münchener Osten. Wir folgen dem Auto mit Kai und Sarah an Bord über den Autobahnring, wundern uns, warum sich die schwarze Pininfarina-Skulptur mit Tempo 110 lang gezogene Überholduelle mit Lastwagen liefert, bis wir uns ans strenge 3.000er-Limit erinnern. Ein Werkstattfoto mit dem Ferrari 308 GTS bei Auto-König, der ersten beruflichen Station von Kai Jacobsen, wäre nicht schlecht, doch Verkaufsberater Rolf Butler winkt ab: "zu spontan und zu voll". Drei Testarossa teilen sich den knappen Raum, flankiert von einem 456 GT, blockiert von einem 550 Maranello. Fasziniert schauen wir dem Treiben der Mechaniker zu, so einen Raubtierzoo sieht man nicht alle Tage. Im Showroom entdeckt Sarah den Ferrari Formel-1-Renntransporter als opulenten Lego-Bausatz - und kann ihm nicht widerstehen. Nach einer kurzen Diskussion über angewandte Pädagogik legen wir zusammen. Sarahs trotzige Miene verwandelt sich in ein strahlendes Lächeln, der Nachmittag ist gerettet.

Weiter geht es Richtung Bogenhausen, der Ferrari 308 GTS flaniert die Prinzregentenstraße entlang, umrundet den Friedensengel und trifft im Gegenverkehr bisweilen auf modernere Artgenossen. Rot und auffällig glänzen sie in der Nachmittagssonne, ihr heiseres Röhren ist stets präsent. Der Ferrari 308 GTS raucht immer noch nicht, selbst sein Ölkreislauf gerät nicht ins Schwitzen.

Die engen Straßen des Lehel mit ihren hohen Patrizierhäusern verstärken die sonore Melodie des zweiflutigen Doppelrohrauspuffs. Wir biegen rechts in die Maximilianstraße ein, um wenigstens zum Schluss ein Ferrari-Klischee heftig zu bedienen. Hier zwischen Cartier, Gucci, Prada und dem Hotel Vier Jahreszeiten soll ja sein natürliches Revier sein. Junge schöne Frauen an der Seite älterer Männer blicken ihm nach, wenn er vorbeifährt. Schon sein Motorenklang ist ein Lockruf der Eitelkeit. Ein Ferrari bleibt eben ein Ferrari - auch nach 22 Jahren und 207.000 Kilometern.

 

Quelle: Motor Klassik

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