Sind mit der neuen Abgasnorm Euro 6 nun alle Diesel sauber? Leider nicht. Eine Untersuchung des ICCT zeigt: Viele EU-6-Diesel schaffen den Grenzwert für NOx nur im Labor.
Brüssel – Seit dem ersten September 2015 müssen alle neu zugelassenen Pkw die Euro-6-Norm erfüllen, die einen Stickstoffoxid-Grenzwert von 80 Milligramm pro Kilometer vorsieht. Insbesondere Dieselfahrzeuge wiesen bisher praktisch durchgängig höhere Emissionen des Schadstoffs auf. Sind moderne Diesel-Pkw unter dem neuen Regelwerk nun „sauber“? Leider nicht. Viele, vor allem kleinere Dieselfahrzeuge mit einer günstigen Abgasreinigung, erfüllen die Euro-6-Schadstoffnorm nur unter bestimmten Laborbedingungen. Das zeigt eine Studie der Umweltorganisation International Council on Clean Transportation (ICCT) auf Basis von ADAC-Testergebnissen. Im „ADAC Ecotest“ untersucht der Autoclub den Schadstoffausstoß einmal im aktuell gültigen Meßzyklus NEFZ und zum Vergleich in der zweiten Fassung des WLTP-Zyklus. Der WLTP soll ab 2017 in Europa schrittweise eingeführt werden und den NEFZ ersetzen. Das traurige Ergebnis: Von 32 getesteten Fahrzeugen erfüllten im neuen Verfahren nur zehn die Schadstoffvorgaben. Im bei der Zulassung neuer Fahrzeugtypen aktuell noch maßgeblichen NEFZ-Test schnitten alle Diesel-Pkw bei den Stickstoffoxid-Emissionen gut ab. Im künftig geltenden WLTP-Zyklus fielen dagegen 22 Modelle durch. Auf den NEFZ-Zyklus optimiertDas Ergebnis erstaunt, denn dass der neue Zyklus kommt, ist lange bekannt. Die Industrie selbst hat am neuen Zyklus intensiv mitgewirkt. Nach Ansicht des ICCT liegt der Verdacht nahe, dass die Abgasreinigungstechnik der Fahrzeuge auf den aktuell gültigen NEFZ optimiert worden sei und dass im täglichen Straßenverkehr der Schadstoffausstoß weit höher liege. Dies sei besonders erstaunlich, da der ADAC den WLTP-Zyklus mit Warmstarts teste. Mit Kaltstart wären die Resultate noch schlechter gewesen. Wie die Ergebnisse zustande kommen, erklärt zum Teil ein Blick auf die in den Fahrzeugen verwendete Abgas-Reinigungstechnik. 16 der getesteten Fahrzeuge verfügten über eine „Lean NOx Trap“ (LNT). Das System kommt vor allem bei kleineren Fahrzeugen mit weniger als zwei Litern Hubraum zum Einsatz. Für diese Motoren schätzt das ICCT die Systemkosten der Abgasreinigung auf rund 287 Euro. Demgegenüber kostet ein SCR-System (selektive katalytische Reduktion) nach ICCT-Angaben rund 375 Euro. 11 Fahrzeuge waren damit ausgestattet. Bei diesem System muss außerdem die Substanz Adblue nachgefüllt werden. Es wird eher bei größeren Motoren verwendet, wobei einzelne Hersteller wie PSA sich entschieden haben, durchgängig SCR-Systeme einzusetzen. SCR effektiver als LNTDie nicht repräsentative Auswertung zeigt, dass im Schnitt größere Pkw sowie Pkw mit SCR-System bessere Schadstoffwerte unter WLTP-Bedingungen erzielen. Zwar nennt das ICCT die konkreten Modelle nicht. Ein Pkw von Volvo lag 15-fach über dem Grenzwert, ein Renault-Fahrzeug überschritt ihn 9-fach und ein Hyundai-Pkw 7-fach. Ein Audi emittierte das Dreifache des Grenzwerts, ein getesteter Opel war kaum besser. Mehrere Pkw von Mercedes verfehlten dagegen den Grenzwert nur knapp, BMW erreichte mit allen getesteten Modellen die Vorgaben. Das Ergebnis zeigt nach Einschätzung des ICCT: Einige Hersteller setzen die Abgasreinigungstechnik wirkungsvoll ein, andere fokussieren sich auf die Grenzwerte im derzeit gültigen NEFZ-Zyklus. Diese These wird gestützt mit einem Blick in die USA: Dort gelten sowohl strengere Grenzwerte als auch härtere Testverfahren, und dort sind die Diesel sauberer. Denn in den USA setzen die meisten Hersteller auf eine Kombination von LNT- und SCR-Technik, was zu deutlich besseren Abgaswerten führt. So schreibt das ICCT: Alle Diesel-Pkw, die BMW 2014 in den USA verkaufte, verfügten über ein kombiniertes LNT- und SCR-Abgasreinigungssystem. In Europa verfügten dagegen 71 Prozent der BMW-Modelle ausschließlich über ein LNT-System und 29 Prozent nur über ein SCR-System. Die gleichen Modelle sind in den USA also sauberer. Keine Zukunft unter RDEDie komplexeren Abgas-Reinigungssysteme für den US-Markt verteuern die Produktion der Fahrzeuge. Das ist für die Hersteller bisher kein großes Problem, denn die Stückzahlen sind gering. Der US-Dieselanteil beträgt nur 0,8 Prozent. In Europa sind 53 Prozent aller verkauften Pkw Diesel. Bräuchten sie alle ein komplexeres Schadstofffiltersystem, würden Diesel-Fahrzeuge noch teurer. Die Wirtschaftlichkeit würde damit weiter sinken. Hoffnungen setzt das ICCT auf den so genannten RDE-Test, der ab Ende 2016 schrittweise Teil der Homologation (Typprüfung für neue Fahrzeugmodelle) werden soll. RDE bedeutet „Real Driving Emissions“, also „reale Fahremissionen“. Dabei wird mit einem mobilen, am Fahrzeug befestigten Messgerät der Schadstoffausstoß im Verkehr überprüft. Experten erwarten hohe Abweichungen zu den bisherigen Werten – obwohl extreme Bedingungen wie Kaltstarts und hohe Zuladung nicht erfasst werden. Die gemessenen Werte im Straßenverkehr dürfen den Laborwert nur um einen bestimmten Faktor übersteigen. Wie hoch der sein soll, wird noch diskutiert - im Gespräch ist beispielsweise eine 100-Prozent-Überschreitung. Einige der vom ADAC getesteten Fahrzeuge, so das ICCT, hätten dabei trotz Toleranz keine Chance. Daher erhofft sich das Institut vom RDE-Test eine merkliche Verbesserung der Luftqualität in Ballungsräumen.
Quelle: mit Material von SP-X; ICCT |