Wäre der Brabus 190 E 3.6S nicht rot, käme er fast unscheinbar daher. Doch unter der flachen Haube pocht ein riesiges Sechszylinderherz, das mehr Drehmoment als der 4,2-Liter-V8 des Mercedes-Benz 420 SE entwickelt. Der Brabus 190 E 3.6S von 1989 geht wie ein Porsche 911. Jetzt ganz cool bleiben, obwohl es nicht leicht fällt. Da steht ein roter Mercedes 190, der auf den ersten Blick wie ein Tuning-Auto mit Zubehör aus dem Versandhandel wirkt. Der Blick auf die Schriftzüge am Heck entlarvt den Mittelklassewagen als Brabus 190 E 3.6S. Tempo 270: Der Brabus-Baby-Benz fährt Porsche 911 und BMW M3 davon Ganz nett gemacht, denkt man, vielleicht ein bisschen zu grell das Ganze. Doch der Anblick von geöffnetem Motor- und Kofferraum des Brabus 190 E 3.6S verschlägt dem sportbegeisterten Autofan die Sprache: Vorn zwängt sich ein mächtiger, rotlackierter Zylinderkopf zwischen Spritzwand und Kühler, vor dem zwei Zusatzkühler für Motor und Getriebe sitzen. Sechs Krümmerrohre quellen wie eine fette Boa neben der Kerzensteckerreihe aus der dunklen Tiefe des Motorraums nach oben. Silbern glänzende Stahlflexleitungen durchlaufen den auf Hochglanz gewienerten Kraftraum. Im Kofferraum dagegen gähnende Leere mit Ausnahme zweier frei schwebender Stahlflexleitungen. Sie beliefern den im Heckspoiler integrierten Hinterachskühler mit heißem Öl. Das entsteht, wenn der rote Renner mal längere Zeit mit Tacho 270 über die Autobahn brettert. Dann aktiviert der Temperatursensor die Ölpumpe für die Hinterachse, deren Öl durch den Kühler im Heckspoiler fließt. Drei Zusatzinstrumente auf der Mittelkonsole informieren über das stets gesunde Klima in Motor, Getriebe und Hinterachse. So erhält der Brabus 190 E 3.6S-Pilot die beruhigende Gewissheit, dass der Gasfuß unten bleiben darf - und er den nervigen Porsche 911 oder BMW M3 im Rückspiegel endgültig abschütteln kann. Ganz ohne Schaden für Mensch und Maschine, wie es sich für einen echten, leistungsgesteigerten Mercedes von Brabus gehört. Red-Hot-Porsche-Killer mit 272 PS Exakt 272 PS waren Anfang 1989 nötig, um aus einem braven Mercedes 190 E 2.6 einen Red-Hot-Porsche-Killer zu machen. Die Basis für das Triebwerk im Brabus 190 E 3.6S lieferte der M 103.980-Sechszylinder aus der E-Klasse (W 124) mit drei Liter Hubraum und 180 Kat-PS. Dank einer neu entwickelten, aus dem Vollen gefrästen Kurbelwelle wuchs der Hub von 80,25 auf beachtlich 90 Millimeter, während sich die Zylinderbohrung von 88,5 auf 92 Millimeter vergrößerte. Dieser 3,6 Liter große Sechszylinder-Dampfhammer liefert bei 1.500/ min bereits mehr Drehmoment als der Seriendreiliter bei Nenndrehzahl, nämlich 272 anstatt 255 Newtonmeter, die in stämmigen 365 Newtonmeter bei 4.800/min gipfeln. Damit übertrifft der Brabus-Sechszylinder sogar den Serien-Achtzylinder aus dem 420 SE, der sich mit 325 Newtonmeter bei 4.000/min begnügen muss. Doch das Staunen geht weiter. Im Innenraum des Brabus 190 E 3.6S erwarten Fahrer und Beifahrer zwei hochwangige Recaro-Sportsitze aus Kohlefaser, die jeweils nur 2,5 Kilogramm wiegen. Die Rücksitzbank wich einem massiven Überrollbügel mit Querverstrebungen, der jetzt über das Wohl der beiden Insassen wacht. Zusammen mit dem Entfernen von Dämmstoffen aus Koffer- und Inneraum blieb das Leergewicht trotz Zusatzkühlern, größerer Maschine und Bremsen auf dem Serienniveau des Mercedes-Benz 190E 2.6 stehen: 1.340 Kilogramm Gewicht und 272 PS versprechen ein kurzweiliges Fahrvergnügen. Im Brabus sitzt man wie festgeschraubt Der Einstieg wird durch den Recaro-Schalensitz etwas erschwert: Zwischen dessen hochragender Seitenwange und dem wie in jedem 190er tief angebrachten Lenkrad bleibt nur wenig Platz für die durchrutschenden Oberschenkel. Dann sitzt man wie festgeschraubt im roten Blitzen-Benz; die roten Hosenträgergurte dienen als zusätzlicher Sicherungssplint. Schön, mal wieder von innen und oben herab auf eine flache Motorhaube zu blicken, was moderne Autos einem heute grundsätzlich verwehren. Der bereits warm gefahrene Sechszylinder des Brabus 190 E 3.6S startet sofort mit etwas Gas und läuft dann völlig vibrationsfrei, von hinten mit einem dezenten Auspuffbrummen begleitet. Das serienmäßige Fünfganggetriebe zeigt die altbekannten Mercedes-Untugenden wie lange Schaltwege und knorpeliges Einrasten der Gänge. Im innerstädtischen Verkehr bewegt man sich dank des Bullen-Drehmoments zum Glück nur im zweiten und dritten Gang, der dank langer Hinterachsuntersetzung sogar bis 171 km/h drinbleiben könnte, wovon in der Stadt selbstredend abzuraten ist. Der Brabus düst in 6,3 Sekunden von Null auf 100 Dann rauf die Autobahn. Wir beschleunigen den Brabus 190 E 3.6S sanft im zweiten Gang auf der brezelförmigen Zufahrt, halten mit dem Gasfuß das Wagenheck bis an die Haftgrenze der Reifen sicher unter Kontrolle, gehen auf der Einfädelspur in den Dritten und treten bei gerade mal 3.500/ min voll durch. Der Bullenmotor schiebt so vehement an, dass es die Insassen wie die Besatzung einer Apollo-Rakete beim Start in die harten Sitze presst. In gerade mal zwei Sekunden erreichen wir das Tempo der linken Autobahnspur und finden nur mit Mühe eine Lücke zwischen den dahinziehenden Lastwagen, die den Eindruck erwecken, sie würden am Straßenrand parken. Das Ganze geht ohne Kreischen, Brüllen und Vibrieren über die Bühne. Der große Reihensechszylinder arbeitet so effizient und diskret wie ein gut trainierter Gurkha-Einzelkämpfer. Fast schon ist man angesichts des rennmäßigen Interieurs etwas enttäuscht, dass nichts röhrt, rumpelt oder vibriert. Der Brabus ist auch bei höherem Tempo durch und durch Mercedes. Nur die deutlich vernehmbaren Windgeräusche an der A-Säule verraten, dass wir in einem 20 Jahre alten Wagen unterwegs sind. Wer es weniger eilig hat, der legt bei 120 den Fünften ein und schwimmt mit etwas mehr als Standgas flüssig mit. Dazu die Zahlen. Das Fachmagazin sport auto ermittelte im Testbericht Anfang 1989 für den Brabus 190 E 3.6 eine Beschleunigung von null auf 100 km/h in 6,3 und auf 200 km/h in 24,2 Sekunden. Gemessener Topspeed: 258 km/h. Zum Vergleich: Ein BMW M3 Evolution, der ohne Katalysator 220 PS leistete, benötigte für die gleichen Disziplinen 7,2 beziehungsweise 33,8 Sekunden und lief 244 km/h. Der Porsche 911 3.2 mit 217 Kat-PS machte damals eine etwas bessere Figur, fiel aber im oberen Tempobereich gegenüber dem hubraumstarken Brabus-Brummer zurück: null bis 100 km/h in 6,2, null bis 200 km/h in 27 Sekunden, 245 km/h Spitze. 126 673 Mark für den Helden aus Bottrop Und Mercedes? War der seit 1987 angebotene 190 E 2.5-16 nicht auch ein heißes Sportgerät, das immerhin 195 Kat-PS leistete? Im Prinzip, ja. Aber auch das Basisfahrzeug für den Motorsport, mit dessen Evolutionsmodell Klaus Ludwig 1992 endlich den DTM-Meistertitel gewann, machte gegen den Brabus-190er keinen Stich. Die Fahrleistungen wirken im Vergleich sogar ziemlich beschaulich. Der 2.5-16 durcheilte im sport auto-Test erst nach 7,5 Sekunden die Hunderter-Marke, machte aber dann noch etwas an Boden gut und erreichte 200 km/h nach 28,6 Sekunden. Der Topspeed lag bei gemütlichen 237 km/h. Wer also damals in einem 190er flott unterwegs sein wollte, der wurde in Bottrop mit dem Brabus 190 E 3.6S besser bedient als in Sindelfingen, denn an der bullenstarken Leichtbau-Limousine führte kein Weg vorbei. Das einzige Hindernis waren 126 673 Mark, die Brabus für den roten Renner einforderte. Für rund 50.000 Mark weniger gab es bereits den 2.5-16. Aber der konsequente Motorumbau, der allein 30.730 Mark verschlang, und die rigorose optische Aufwertung der Karosserie trieben den Preis in die Regionen eines Ferrari 328. So sind die Kunststoffpaneele an den Flanken und der Kühler in Wagenfarbe, Türgriffe und Scheibenwischerarme in Schwarz lackiert. Wir fahren jetzt von unserer morbiden Foto-Location zurück nach Bottrop und verlassen das ehemalige Hüttenwerk des Landschaftspark Duisburg Nord. Es regnet wieder in Strömen, der Himmel ist grau verhangen, Asphalt- und Pflasterstraßen glänzen im tiefen Dunkelblau. Umso mehr fällt unser roter Brabus 190 E 3.6S im Verkehrsgewühl auf. In den erstaunten Gesichtern liest man auch etwas Mitleid um den schönen Wagen. Stimmt! Wir sollten ihn wirklich bei Regen in der Garage lassen - es ist ja kein Ferrari. Brabus - seit 1977 schnellere Mercedes Als Bodo Buschmann seinen Job in der Mercedes-Vertretung seine Vaters antrat, musste er auch privat die Marke mit dem Stern fahren. Da ihm die meisten Modelle zu unsportlich erschienen, baute er für sich eine Strich-Acht-Limousine mit Frontspoiler, Leichtmetallfelgen und mehr Leistung, die auch der Kundschaft im Autohaus gut gefiel und für Nachfrage sorgte. Zusammen mit seinem Studienkollege Klaus Brackmann gründete Buschmann 1977 die Brabus GmbH. Buschmann erweiterte die Tuning-Aktivitäten für nahezu alle Mercedes-Modelle und widmete sich auch der Aufwertung der Interieurs unter anderem mit hochwertigen Musikanlagen. So entstand auch der Firmenname Brabus: Bra plus Bus aus den Anfangssilben der Familiennamen. Brackmann war jedoch am operativen Geschäft nie beteiligt und schied früh aus. Durch Extremumbauten wie 1984 Mercedes 190 E mit Fünfliter-V8 oder 1996 Mercedes E V12 auf Basis des W 124 mit 7,3 Liter großem und 509 PS starken Zwölfzylindermotor erlangte Brabus den Status eines Fahrzeugherstellers. 2005 zeigte Brabus mit dem CLS V12S Rocket ein echtes Monster auf Rädern: 730 PS und 1.320 Newtonmeter Drehmoment waren ein neue Messlatte Neben der Leistungs-Optimierung von AMG-Modellen bietet Brabus auch einzelne Komponenten wie Felgen, Fahrwerk-Kits und Motorsteuergeräte an. Die Brabus-Tochter Startech widmet sich dem Tuning von Chrysler- und Dodge-Fahrzeugen. Außerdem ist Brabus für die technische Entwicklung und Fertigung der sportlichen Smart-Varianten verantwortlich.
Quelle: Motor Klassik |
verfasst am 19.01.2012
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