Von Ralf Bielefeldt Sozius auf einem richtig schnellen Motorrad – darauf würden sich „echte“ Biker niemals einlassen. Pah, Memmen! Ich habe es getan. Zweisitzer(mit)fahrt beim Renntraining Ducati 4U. Matthias Neukirchen ist einer von diesen Typen, die Modell gestanden haben müssen, als einteilige Lederkombis für Rennfahrer entworfen wurden. Knieschleifer, Protektoren, Schritt – sitzt alles da, wo es augenscheinlich hingehört. So sehen Helden auf zwei Rädern aus, keine Frage. Hockt sich der Mittvierziger dann noch auf ein Superbike wie die knallrote Ducati 1199 Panigale S, ist die Verschmelzung Mensch/Maschine perfekt. Rahmenprogramm für Unerschrockene In wenigen Augenblicken werde ich Teil davon sein. Als Sozius. Beifahrer auf einer Rennmaschine, die locker 300 Sachen macht, brutal beschleunigt und noch brutaler bremst. „Halt dich einfach da fest“, sagt Matthias entspannt. Er zeigt auf zwei Metallbügel, die rechts und links auf den Tank geschweißt wurden. Immerhin etwas. Ich bin bei Ducati 4 U, dem legendären Fahrertraining der italienischen Kultmarke. Freies Blasen auf der Rennstrecke steht auf dem Programm, in meinem Fall auf dem Kurs der Motorsport Arena Oschersleben. Rahmenprogramm für Unerschrockene: die Zweisitzerfahrt. Nichts für gestandene Biker „Greif unter meinen Armen durch und lass mir ein bisserl Platz zum Arbeiten.“ Matthias zwinkert konspirativ. Ich nicke ergeben. Drei Runden sind ausgemacht. Die Haltung, die man hinter ihm einnimmt, erinnert stark an ein übergewichtiges Huhn in Begattungsstarre. Echte Biker lehnen meist dankend ab, legt man ihnen die 60 Euro teure Mutprobe nahe. „Ich bin doch nicht verrückt!“, greinen gestandene Kerle in Leder und Boots. Ich bin dann mal so frei. Neukirchen ist zweifacher Internationaler Deutscher Meister in der 250-ccm-Klasse, dazu dutzendfach Deutscher, Bayrischer und Hessischer Meister im Trial. Der wird schon wissen, was er tut. Wenn meine Frau das jemals rauskriegt, dreht sie mir den Hals um. Himmelfahrtskommando in 3+1 Runden Runde 1 Fußballen auf die grotesk hoch angebrachten Fußrasten, Hände an die Metallbügel, kurz warten. Erst mal geht neben uns die rote Gruppe auf die Strecke. Das sind die ganz harten Hunde, „schnelle Sportfahrer“ mit Rennerfahrung, auf Ducati 1098, Kawasaki ZZR1400, BMW 1000 RR und ähnlichen Höllenhobeln. „Die machen wir nass“, verspricht Matthias. Mir schwant Böses. Mein Visier beschlägt. Ich öffne es leicht. Ein Fehler. Bis zum Ende dieses Tripps in die Grenzwelt der Fahrphysik schaffe ich es nicht, eine Hand vom Haltegriff zu nehmen, um es wieder zu schließen. Raus aus der Boxengasse, rauf auf die Strecke. Gut, dass ich hier eben noch selbst gefahren bin, die Nase am Hinterreifen meines Instruktors. Ich bilde mir ein, die Strecke zu kennen. Gewiss ein Vorteil, wenn es darum geht, mich mit in die Kurven zu legen – wenn dazu denn überhaupt Zeit wäre! Die Panigale beschleunigt wie eine Cruise Missile. Keine Ahnung, in welchem Gang wir gerade sind, das Vorderrad geht in einer Tour hoch, wenn Neukirchen schaltet. Ich habe das Gefühl, mein Hintern hängt in der Luft, so reißt es mich nach hinten. Und – SHIT – genau das tut er auch! Dann die erste Vollbremsung. Ich schnelle nach vorn, mein rechter Fuß rutscht von der Fußraste. Wir klappen nach links ab, irgendwie bugsiere ich meinen Stiefel wieder dahin, wo er hingehört. Nächste enge Links-, dann eine langgezogene Rechtskurve. Rausbeschleunigen, Vorderrad hoch, diesmal weiß ich, was kommt. Geht doch! Was für ein Ritt! Runde 2 Start-Ziel, das erste Mal. Matthias beschleunigt, als gäbe es die Linkskurve am Ende der Geraden nicht. Gut 270 km/h werden die Bikes hier schnell, erfahre ich später. Wer jemals bei diesem Tempo extrem in die Eisen gestiegen ist, egal ob auf der Autobahn oder auf einer Rennstrecke, der weiß, welchen Tritt in den Rücken du dir dabei einfängst – schon auf vier Rädern. Aber, hey, das ist NICHTS im Vergleich zu dem Verzögerungsmoment auf einem Motorrad. Und absolut ganz und gar rein überhaupt GAR NICHTS im Vergleich zu dem, was abgeht, wenn du nicht selbst bremst, sondern hinten drauf hockst! Das reißt dich nach vorn, als zöge dich die Titanic in die Tiefe! Wie ein nasses Handtuch schlingt mich das Bremsmanöver um Matthias. Den kümmert das nicht die Bohne. Vehement stemmt er mich nach hinten weg, zurück auf mein Plätzchen. Gut, dass wir Start-Ziel nur zweimal passieren, denke ich beim Schnappatmen: Die Einfahrt in die Boxengasse ist kurz vor der Rechtskurve auf die Zielgerade. Runde 3 Mir geht die Kraft aus. Das ewige Beschleunigen und Bremsen wringt meine Tastaturmuskulatur aus. Vor jeder Kurve stöhne ich laut auf, bei jedem Gasgeben presse ich mich ächzend an den Rücken unter mir. Mein Folterknecht sitzt in einer tief ausgeschnittenen Sitzmulde, die Beine eng an die Karosserie der 205 PS starken Renn-Panigale gepresst. Meine stehen vermutlich bizarr ab. Matthias vernascht eine Maschine nach der anderen. Wie die ABC-Schützen stehen sie stramm, taucht der Zweisitzer im Rückspiegel auf. Trotz des Zementsacks auf seinem Rücken schmeißt sich Neukirchen in die Kurven, als ginge es um seine dritte IDM-Trophäe. Geschätzte zehn Zentimeter unter meiner luftgekühlten Nase lauern die Curbs. Mir geht jetzt echt die Muffe, ich gebe es zu. Ich kann mich kaum noch halten, fühle mich aber in meinem Stolz gepackt und verkneife mir den hysterischen LANG-SAAAA-MER-Schrei, den meine Lippen bereits formen. Noch fünf Kurven bis zur Boxeneinfahrt, noch vier, noch drei. Ächz, uff, stöhn. Zwei noch. Wird schon. Eine. Jetzt nicht aufgeben. Nur einmal hart bremsen noch. Stöööhhhn. Geschafft. Ich juchze matt. Matthias streckt die linke Faust zur Seite und zeigt mir den Daumen. Gut gemacht, heißt das bestimmt. Ich löse leicht die linke Kaltgussform vom Tank, die einst meine Hand war. Daumen, toll, danke. Rund 3+1 FEHLER! NEIN, NEIN, NEIN! Mutter, hilf Das war kein Lob, das war die Frage: Noch eine Runde? Und ich Plumpssack gebe ihm den Daumen! Mein verzweifelter Schrei geht im Mördersound der Panigale unter. Gang drei, vier, fünf, sechs. Vmax! Da, die Kurve, Ende Start-Ziel. Jetzt bloß nicht einnässen. Fieberhaft überlege ich: Wie hoch sind meine Überlebenschancen, wenn ich einfach loslasse, wenn er bremst? Wenn es mir gelingt, ein kleines bisschen Restkörperspannung aufzubauen, hebe ich vielleicht so flach ab, dass ich bäuchlings im Kiesbett lande. Vermutlich tauche ich dann Kopf voran bis zur Hüfte ein. Vier bis sechs Rippen dürften im A... ...aaaarrrggghhhh – Kurväää! Brrremmmmsääänn!
Links runterklappen, rääääächts runterklappen, Vollgaaaaas. Keine Zeit zum Atmen. Ich weiß es: Gleich lösen sich meine Finger. Wie damals beim Wundsurfen vor Den Helder, als ich den einen entscheidenden Schlag zu viel raus gefahren bin. Die Kralle des Todes. Krampf, keine Kraft mehr, die Finger zur Faust zu schließen. Wie einst die Hand im Moor bei Edgar Wallace. Das war es dann. Goodbye, Leben. Adieu, geliebte Frau. Lebt wohl, begabte Töchter. Begrabt mich am Eingang der Boxengasse. Boxengasse?! Da. Ja! Nur noch wenige Kurven. Ich entkrampfe. Matthias macht langsamer. Kann der auch nicht mehr? Noch einmal rechts den Asphalt anhauchen. Nur einmal noch. Ja. Ja. Ja. Nachspiel Das Gefühl, dem Tod entronnen zu sein, ist unbeschreiblich. Ich könnte heulen vor Erleichterung, vor Glück, vor Demut. Wir stehen. Mit weichen Knien gleite ich von meinem Schleudersitz. Helm ab, ich brauche Luft. Und Wasser. Gebt mir Wasser. Was für ein Trip. Die nächsten Termine: 24.-25. Juli 2012, Sachsenring. 15.-16. August 2012, Hockenheimring, 15.-16. September, Eurospeedway Lausitzring.
Quelle: MOTOR-TALK |
verfasst am 13.07.2012
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