Im April zeigte Maybach in Peking diese Studie. Tenor: Karikatur eines Luxus-SUV. Nun durfte sie einmal kurz auf die Straße. Danach geht es in Daimlers Asservatenkammer.
Valencia - Morgens um sieben ist die Mine von Bernd Stoehrer entspannt. Einmal nickt der Techniker kurz, dann rollt aus dem weißen Frachtcontainer geräuschlos ein Auto, das wirkt wie eine Fata Morgana. Vorhang auf für die Vision Mercedes-Maybach Ultimate Luxury. Der rote Riese macht einen Zwischenstopp in der Realität des spanischen Straßenverkehrs- gute drei Monate nach der Weltpremiere auf der Motorshow in Peking und kurz bevor die Studie wohl auf Nimmerwiedersehen in der Asservatenkammer der geplatzten Träume verschwindet. Leider führt Daimler die SUV-Studie nicht in China aus, wo sie entworfen wurde. Wo Mercedes mittlerweile die meisten Maybach-Modelle verkauft, man einen entspannten Umgang mit Glanz und Glamour pflegt und seinen Reichtum ohne Scham zur Schau stellt. Nein, es geht nach Europa. Deshalb schütteln die neugierigen Passanten die Köpfe über das Bambus-Bäumchen zwischen den Sitzen, wenn sie sich sehr zum Unbill von Aufpasser Bernd die Nase an den Fenstern plattdrücken. Quelle: Daimler Woher sollen sie wissen, dass dies die chinesische Nationalpflanze ist. Sie haben auch keinen Sinn für das handgefertigte Teeservice, das in der exakt auf 85 Grad temperierten Mittelkonsole den grünen Tee für den nächsten Stau bereit hält. Und dass der rote Lack den gleichen Ton hat wie die Flagge Chinas, erschließt sich ihnen auch nicht. SUV, SUS, SUL?Seine Wirkung verfehlt der Riese trotzdem nicht. Von vorn mag das SUV entfernt an Bentley Bentayga und Rolls-Royce Cullinan erinnern. Genauso wuchtig, genauso protzig, genauso klotzig. Doch weil Daimler ein bisschen spät dran ist, haben die Schwaben das Rad etwas weitergedreht und das Luxus-SUV neu erfunden. Zumindest das Heck, denn der Maybach trägt Stufenheck. Damit kombiniere er nicht nur die zwei erfolgreichsten Karosserievarianten auf dem Weltmarkt, sagt Mercedes-Designchef Gorden Wagener. Die Stufe steht auch für Status, und davon bietet der Maybach mit seinem Lametta und den wie Turbinen geformten 24-Zoll-Felgen reichlich. Auch innen ist das Auto, für das Daimler noch keinen richtigen Namen gefunden hat - und deshalb immer wieder Sport Utiltity Sedan (SUS) oder Sport Utility Limousine (SUL) sagt - ein buchstäbliches Prunkstück. Denn mit dem auf Hochglanz polierten Rosé-Gold funkelt es in der luxuriösen Lounge aus weißem Leder wie in Ali Babas Schatzkammer. Die Reflektionen in den riesigen Konsolen wiederholen sich bis ins Unendliche. Während man hinten in weichen Loungeliegen lümmelt und sich einen halben Meter über dem Boden der Welt entrückt fühlt, ist der Umgang mit der Studie hinter dem Steuer ziemlich schweißtreibend. Und zwar nicht nur, weil es draußen langsam heiß wird und das Einzelstück zwar ein riesiges Glasdach, aber keine Klimaanlage hat. Sondern weil Techniker Bernd Stoehrer einem dabei kritischer auf die Finger schaut als jeder Fahrlehrer. 750 PS - in der TheorieQuelle: DaimlerIn der Serie mögen SUV ja robust sein. Selbst der Maybach würde sich in der Theorie in den Matsch oder den Wüstensand wagen, wozu hat er schließlich vier Elektromotoren mit zusammen 750 PS, die nicht nur für 250 km/h gut sind, sondern auch für einen elektronisch geregelten Allradantrieb, der feinfühliger auf die Fahrbahn reagieren kann als jedes mechanische System. Aber so ein Motor steckt nicht im Messemodell. Dieses Auto fährt nur gehobenes Schritttempo. Bei jeder Fuge in der Fahrbahn knarzt die Karosse so laut, dass nur Bernds Schnappatmung dies übertönt. Dieses Einzelstück sollte entsprechend nur mit Samthandschuhen angefasst werden, geben einem die Techniker zu verstehen – und zumindest Bernd nimmt das sogar wörtlich und stülpt sich weiße Fingerlinge über, als er wieder ins Steuer greift. Drei Stunden dauert der Ausflug in die Wirklichkeit, dann muss die Studie in den Schatten. Dem Wagen wird es zu heiß, der Lack könnte Blasen werfen. Innen würde sich das Leder lösen. Wie lange bei den Temperaturen die Kunststoffscheiben halten, weiß so recht auch keiner. „Das wird mir zu heiß,“ sagt Bernd und gönnt dem Millionending eine Pause im Schatten – zumal nach den paar Kilometern auch langsam die Akkus leer sind. Schließlich sind die 80 kWh genauso theoretisch wie die 500 Kilometer Normreichweite oder die fünf Minuten Ladezeit für 100 Kilometer. Ein Fall für die SchubladeDummerweise ist der Mechaniker nicht der einzige im Maybach-Team mit einem empfindlichen Temperatursinn. Den haben zum Leidwesen der superreichen potenziellen Käufer so eines Gefährts auch die Produktplaner, nach dem desaströsen Maybach-Comeback mit dem 57er und dem 62er. Noch einmal einen dreistelligen Millionenbetrag in die Marke zu stecken und wirklich ein eigenes Modell zu entwickeln, das ist den Strategen zu heiß. Alternativ entschied sich Daimler, Maybach als edle Ausstattungsvariante mit mäßiger Individualisierung zu etablieren. Das Konzept ging bei der S-Klasse voll auf. Nicht umsonst werden allein in China davon jeden Monat mehrere hundert Exemplare verkauft. So sehr sich also Designchef Gorden Wagener und sein Team einen eigenen Maybach wünschen und so neidisch sie zu den singulären AMG-Modellen GT und GT Viertürer schauen, wird es deshalb beim Einzelstück bleiben, genau wie bei Coupé und Roadster aus Pebble Beach. Schade für die Scheichs, die Oligarchen und die superreichen Chinesen. Aber schön für Fahrer und Zuschauer hier und heute an der Nahtstelle zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Denn so bleibt die Stippvisite in der Realität ein buchstäblich einmaliges Erlebnis.
Quelle: SP-X (Benjamin Bessinger)
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