Ensenada/Mexiko - Diesen Fernsehabend im Jahr 2006 wird Jim Graham wohl nie vergessen. Denn hätte er nicht die Dokumentation „Dust to Glory“ entdeckt, hätte er jetzt wahrscheinlich immer noch einen langweiligen Schreibtischjob. Und er würde die TV-Übertragung der Indy 500 für den Höhepunkt des Motorsports halten. Doch Graham war sofort begeistert vom legendären Wüstenrennen an den Stränden der mexikanischen Pazifikküste.
Von Autos und Motorsport hatte er bis dahin keine Ahnung. Trotzdem: „Noch bevor ich den Fernseher ausgeschaltet habe und ins Bett gegangen bin, habe ich gewusst: Da muss ich mitmachen.“ Elf Monate später standen Auto und Team bereit. Graham startete bei der Baja.
Jim Graham und sein 1969er-Baja-Käfer Quelle: Benjamin Bessinger/SP-X
Mit 54 PS zwischen High-Tech-Teams
Wo Profis mit 800 PS starken Hightech-Rennwagen und riesigen Budgets antraten, startete Grahams Team in einem alten VW Käfer. Den Wagen hat er noch heute. Das hat zum einen etwas mit Tradition zu tun, sagt der Amerikaner. Der Baja-Bug war schließlich bei der ersten Auflage des Rennens im Jahr 1967 am Start. Aber es hat vor allem pragmatische Gründe. Denn einen konkurrenzfähigen Baja-Bug gibt es als guten Gebrauchten schon ab 7.000 US-Dollar.
Ein neu aufgebauter Renner kostet kaum das Doppelte, erzählt Graham. Und wo die PS-Profis teure Lizenzen brauchen, zahlt man in seiner Klasse ein Startgeld von 100 Dollar. Vier Fahrer und ein Auto genügen. „Unter dem Strich kostet so ein Rennen weniger als ein paar Tage Urlaub“, sagt Graham. Nun ja, sein Baja-Budget liegt dann doch im hohen vierstelligen Bereich, aber immerhin deutlich unter 10.000 Dollar. Und er sagt über das Rennen: „Klar, es ist nicht ganz so erholsam, aber es macht dafür höllisch viel Spaß.“
Es gibt noch einen weiteren Grund, weshalb Graham so gern mit dem Käfer durch die Wüste pflügt: Das Auto lässt sich problemlos zum Rallye-Wagen umrüsten. Wenn eins kaputt geht, gibt es Nachschub ohne Ende. Deshalb schont Graham seinen Wagen nicht. Während andere einen 69er-Käfer nur behutsam tätscheln, repariert er ihn mit dem Holzhammer. Original ist ohnehin nur noch der Motor: Das Fahrwerk aufgebockt, die Kabine leergeräumt, die Seitenscheiben durch Netze ersetzt und hinter dem nackten Armaturenbrett zwei Schalensitze mit Hosenträger-Gurten unter einem Überrollkäfig – mehr braucht man nicht im Baja-Käfer.
Mit dem Baja-Bug ins Gelände
Das Wasser kommt im Innenraum an und vermischt sich mit Sand, Schlamm und Öl Quelle: Benjamin Bessinger/SP-X
Graham legt unter dem Armaturenbrett einen Schalter um und lässt den kleinen Boxer an. „Immer schön Gas geben“, ruft er, bevor seine Stimme vom lauten Dröhnen verschluckt wird. Sein Baja-Bug macht Krach wie ein großer - keine Dämmung, nacktes Blech und ein 1.600er bei 5.000 Touren. Die grobstolligen Reifen schmeißen mit jeder Umdrehung einen Eimer Kiesel gegen die hohlen Kotflügel. Der Käfer hört sich an wie eine Dose, in der jemand die letzten Kekse zu Krümeln schüttelt.
Im Gelände wird der Baja-Bug buchstäblich zu einer Dreckskarre. Der Schlamm spritzt meterhoch, durch die offenen Bodenbleche schwappt eine undefinierbare Brühe aus Motoröl und Wasser. Kaum hat der Käfer ein paar Pirouetten gedreht, versinkt die Gegend in einem undurchdringlichen Nebel aus Sand, Steinen und Staub.
Dabei heizt sich die Kabine auf wie ein Backofen, nach 5 Minuten dröhnen die Trommelfelle. Grahams Teammitglieder fahren im Rennen mit gekühlten Helmen und werden wie Kampfpiloten über den Kopfschutz direkt mit Sauerstoff versorgt.
Es geht ums Ankommen
Natürlich sind 54 PS mickrig. Die Testfahrt fühlt sich eher nach Oldtimer-Tour an als als nach einem Rennfahrer-Training. Von 0 auf 100 braucht der Baja-Bug bald 20 Sekunden. Mehr als 120 Sachen sind selbst mit Rückenwind und Gefälle nicht drin. „Aber erstens fühlt sich das in der Wüste ganz anders an“, brüllt er in den Lärm des Boxer-Motors. „Und zweitens ist das Tempo in unserer Klasse Nebensache“, lacht er über einen Schnitt von weniger als 40 km/h. „Bei uns geht es vor allem ums Durchhalten. Wer heil im Ziel ankommt, der hat beste Chancen auf den Sieg.“
Grahams Team fährt mit zwei identischen Käfern regelmäßig aufs Podium. Nur bei der Baja hat es noch nicht geklappt Quelle: Benjamin Bessinger/SP-X
Grahams Team war das bei seinem ersten Rennen nicht vergönnt. „Nach kaum mehr als 150 Meilen ist uns der gesamte Motor aus dem Heck geflogen. Wir mussten unseren Traum erst einmal begraben“, erinnert sich der Baja-Beginner. Aber Graham hat die nächsten zwölf Monate am Auto geschraubt und es im Jahr darauf wieder probiert. Und wieder und wieder und wieder.
Kein Geld, aber ein guter Name
Was 2006 als Liebelei begonnen hat, ist für Graham mittlerweile ein kleines Business geworden. Zwar fürchtet er stets die peinliche Frage seiner Frau, wie viel Geld sein Hobby denn schon verschlungen habe. Von einer Refinanzierung ist er all den Sponsorenaufklebern zum Trotz noch weit entfernt. Doch immerhin betreibt er heute mit seinem „Desert-Dingo-Racing-Team“ einen kleinen Rennstall, tritt mit zwei identischen Käfern in verschiedenen Serien an und gehört zu den Stammgästen auf dem Podium.
Doch ganz gleich ob in Mexiko, Kalifornien oder Nevada – all diese Siege zählen nicht so richtig für Jim Graham. Denn ausgerechnet auf der Baja California hat es für ihn noch nie zum ersten Platz gereicht. Deshalb kann und will der Mittfünfziger auch nicht ans Aufhören denken: „Bevor ich dort nicht gewonnen habe, stelle ich meinen Baja-Bug ganz sicher nicht ab.“