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Oldtimer-Rallye Hamburg-Berlin Klassik 2016 - 740 Kilometer im "Damensitz"

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36 Grad im Schatten und ein 40 Jahre altes Auto ohne Klima oder Fenster. Dazu Fahrprüfungen, die kein Mensch auf Anhieb versteht. So genial ist eine Oldtimer-Rallye.

Oldtimer-Rallye Hamburg-Berlin Klassik (HBK) 2016: Unser Autor berichtet von der dreitägigen Ausfahrt zwischen Berlin und Hamburg, bei der es immer wieder um Sekundenbruchteile geht Oldtimer-Rallye Hamburg-Berlin Klassik (HBK) 2016: Unser Autor berichtet von der dreitägigen Ausfahrt zwischen Berlin und Hamburg, bei der es immer wieder um Sekundenbruchteile geht Quelle: HBK

Von Joachim Walther

Von Hamburg nach Berlin in drei Tagen? Ach ja - so ein Auto hatte ich auch mal ... Der alte Witz gilt in diesem Fall nicht, denn wir fahren Rallye. Das ist ja noch schlimmer, werdet Ihr jetzt sagen - Rallye und dann so langsam! Auch falsch, denn wir fahren eine Oldtimer-Rallye, die Hamburg-Berlin Klassik. Sie führt auf 740 Kilometern mit vielen Schleifen und Kringeln über Stock und Stein in drei Tagesetappen von der Elbe an die Spree. Übrigens über Rom und Troja. Quer durch Mecklenburg-Vorpommern, denn dort liegen diese beiden geschichtsträchtigen Orte.

Wären da nicht 20 Wertungsprüfungen, ginge es natürlich deutlich schneller. Ich sitze als Copilot und Franzer (Navigator) neben dem siebenfachen deutschen Rallyemeister Matthias Kahle (47). Unser Auto ist Rallye-erprobt und Kummer auf unwegsamem Terrain gewohnt: ein Skoda 130 RS. Ohne mich wäre der Wagen ein Leichtgewicht: etwa 850 Kilogramm. Seine 90 PS reichen für Tempo 160.

Unser Autor Joachim Walther (l.) mit dem Rallye-Fahrer Matthias Kahle Unser Autor Joachim Walther (l.) mit dem Rallye-Fahrer Matthias Kahle Quelle: HBK Radio, Klima, Schiebedach, ABS, ESP, Abstandsradar - das klingt gut, oder? Hat der Skoda aber nicht. Komfort bietet das heckgetriebene Sportgerät mit seinen engen Schalensitzen ebenfalls nicht. Außer nacktem Blech und Lärm gibt's innen nur einen Überrollkäfig und den sogenannten Tripmaster, einen Streckenzähler für Rallyes.

Und einen roten Hebel mit der "angelsächsischen" Aufschrift "Dound Dadsch" - also Finger weg. Womöglich ist das der Hebel für den Schleudersitz. Aber schick ist er trotzdem, dieser Porsche des Ostens. Auch nach 40 Jahren wirkt die Form absolut zeitgemäß.

Der Einstieg ist nichts für XL-Typen

Jetzt wird auch von mir Stil gefordert. Die erste Aufgabe stellt sich schon vor dem Start im Hamburger Hafen: einsteigen. Einfädeln trifft es besser, denn die Luke ist nicht für XL-Typen wie mich gebaut. Der Überrollkäfig halbiert den Türausschnitt. Ist man erst mal drin, wartet der Schalensitz. Gefertigt nach den Maßen asiatischer Pony-Jockeys, wie es scheint. Meine Hüftknochen knirschen, während die Hosenträgergurte den Oberkörper am Sitz fixieren.

Matthias Kahle neben mir ist da deutlich geschmeidiger. Die Hitze im Cockpit macht aber auch ihm zu schaffen. Bei 36 Grad Außentemperatur ist es im Rallye-Skoda etwa doppelt so warm. Die Öltemperatur-Anzeige könnte man für ein Innenraumthermometer halten. Fensteröffnen geht auch nicht, denn die sind aus Kunststoff und haben nur eine kleine Schiebeöffnung. Da hilft nur das Öffnen der Türen wann immer möglich. In der ersten Rallyepause baut unser Service-Team eine Seitenscheibe komplett aus. Danke - das hilft.

Zu dem Zeitpunkt habe ich längst das nächste Problem diagnostiziert. An irgendeiner Stelle klemmt der Sitz das Blut im Bein ab. Nicht so schlimm, das vergisst man während der Fahrt. Der Körper erinnert einen allerdings mit "einem Schlag" beim Aussteigen. Da fällt man mit einem tauben Bein nämlich einfach um.

Höchste Zeit für eine neue Sitztechnik: leicht schräg mit übergeschlagenen Beinen. Sieht aus wie bei den Damen, die in der Hamburger Herbertstraße grazil auf Barhockern ihrem Business nachgehen. Sieben Stunden lang strengt auch diese grazile Sitzposition mächtig an, aber so falle ich beim Aussteigen wenigstens nicht um.

Elektronik mit heiserer Frauenstimme

Der nackten Mechanik im Skoda setzen wir iPad-Elektronik entgegen. Es gibt Apps, in die man die Wertungsprüfungen eintragen kann. Typische Aufgabe: die ersten 20 Meter in 9 Sekunden fahren, die ersten 60 Meter in 22 Sekunden, die ersten 150 Meter in 50 Sekunden und die letzten 40 Meter in 15 Sekunden. Wobei die letzte Zeit erst startet, wenn man die ersten 150 Meter geschafft hat.

Klingt kompliziert, ist es auch. Aber unsere App kann das. Zehn Sekunden vor jedem Etappenziel zählt eine heisere Frauenstimme runter: 10 - 9 - 8 - das ist ja einfach. Aber die Schwierigkeit besteht darin, den Strahl der Lichtschranken bei Start und Ziel möglichst zeitgenau zu unterbrechen. Über die Haube zu peilen und einzuschätzen, wann das vorderste Teil der Karosserie die tief stehende Lichtschranke auslöst.

Drei bis fünf Zehntelsekunden Abweichung reichen schon, und man kann man sich auf den Plätzen 70 bis 100 im Ranking suchen. Von 180 Teilnehmern. Die Besten schaffen null bis drei. Nicht Zehntel-, sondern Hundertstelsekunden Abweichung.

Der Skoda-Rallye-Haudegen hält durch

Prominenz gehört dazu: DDR-Eislaufstar Katarina Witt bei der Hamburg-Berlin Klassik 2016 Prominenz gehört dazu: DDR-Eislaufstar Katarina Witt bei der Hamburg-Berlin Klassik 2016 Quelle: HBK

Bei uns läuft es am ersten Tag eher mittelprächtig. Dennoch führt uns die Gesamtwertung auf Platz 28. Ob das noch besser geht? Ja. An Tag zwei fahren wir vor bis auf Rang 16. Auch, weil einige ältere Fahrzeuge der Konkurrenz bei der Affenhitze kollabieren. Unser Rallye-Haudegen hält durch. Sorry, aber wir müssen die Temperaturen auch aushalten.

Bei der Sitztechnik bleibe ich auch am dritten Tag. Mein Orthopäde wird mich lynchen. Egal, der Erfolg zählt. Und der wiederholt sich. Wir rücken auf Platz zwölf im Gesamtklassement vor. Zum Glück, denn einen siebenfachen Rallyemeister darf man als "Franzer" natürlich nicht enttäuschen.

Wir ziehen den Hut vor dem Siegerteam Dirk Hattenhauer/Tim Lücke aus Oelde-Stromberg im VW-Bus T1. Nach 48 Messfahrten in 19 Prüfungen haben sie nur 822 Strafpunkte gesammelt (bei drei Streichergebnissen). Das sind 18 Strafpunkte pro Messung - in Sekunden umgerechnet heißt das, dass sie durchschnittlich in jeder Prüfung nicht einmal zwei Zehntelsekunden neben der Sollzeit lagen.

So funktioniert eine Oldtimer-Rallye

Wer Rallye hört, denkt an Dakar oder Rallye Monte Carlo. Oldtimerrallyes sind anders, heißen deshalb auch Zuverlässigkeits- oder Gleichmäßigkeitsfahrt. Hier geht es nicht um die schnellste Start-Ziel-Zeit. Zwar müssen auch bei Klassik-Rallyes Zeiten auf vorgegebenen Strecken eingehalten werden. Aber diese Vorgaben sind so großzügig bemessen, dass mancher sie auch mit dem E-Bike schaffen würde.

Wenn die Oldtimer, wie bei der Hamburg-Berlin Klassik, um die Wette fahren, sind andere Fähigkeiten gefragt. Erstens muss der exakt richtige Weg gefahren werden. Und zweitens kommt es in Sonderprüfungen auf Zehntel- und Hundertstelsekunden an.

Die Vorgabe heißt beispielsweise: "Fahren Sie 50 Meter in 9 Sekunden". Beginn und Ende der Strecke sind markiert, gemessen wird per Lichtschranke oder indem bei Start und Ziel ein Gummischlauch überfahren wird, der die Zeit startet bzw. stoppt. Klingt leicht, ist aber sehr schwer. Weil man im Auto sitzend nicht gut sehen kann, wann genau der Vorderwagen die Lichtschranke auslöst. Etwas leichter ist die Übung mit dem Gummischlauch, weil man das Überfahren im Auto spürt und in dem Moment die Zeit per Stoppuhr starten kann.

Experten der Szene treffen die Vorgabe mit etwa ein bis zwei Zehntelsekunden Abweichung. Mit etwas Glück sogar auf die Hundertstelsekunde genau. Dafür üben sie im Winter intensiv in Tiefgaragen oder großen Hallen.

Damit es nicht zu einfach wird, müssen in einigen Sonderprüfungen zwei, drei oder mehr Strecken hintereinander gefahren werden. Das heißt, es laufen mehrere Stoppuhren gleichzeitig oder müssen in der Prüfung zusätzlich gestartet werden. Der Beifahrer darf mit der Uhrensammlung nicht durcheinander kommen, wenn er kurz vor der jeweiligen Zieldurchfahrt die Sekunden für den Piloten herunter zählt: - 5 - 4 - 3 - 2 - 1 - 0.

Darum sind 3,30 Minuten nur 3:18 Minuten

Ein BMW 328 Roadster bei der Hamburg-Berlin Klassik 2016 Ein BMW 328 Roadster bei der Hamburg-Berlin Klassik 2016 Quelle: HBK

Die vermeintlich gemütliche Ausfahrt hat noch mehr Tücken. Anfänger fallen gern auf folgende Gemeinheit in der Übungsbeschreibung herein: "Fahren Sie 2,22 Kilometer in 3,30 Minuten". Wer jetzt nach 3 Minuten und 30 Sekunden das Ziel durchfährt, hat schon verloren, Warum? Weil 3,30 Minuten 3 Minuten und 18 Sekunden (0,3 Minuten = 18 Sekunden) sind. Für 3 Minuten und 30 Sekunden lautet die Angabe 3:30 Minuten.

In andere Wertungsprüfungen fährt man hinein und erfährt erst nach Start der Zeit, welche Strecke in welcher Zeit gefordert ist. Vor allem bei Neulingen hagelt es dann Strafpunkte. Jede Hundertstelsekunde Abweichung von der Sollzeit ist ein Strafpunkt. Zusätzliche 200 Minuspunkte gibt es, wenn jemand in der Sonderprüfung zum Stehen kommt. Die Räder müssen immer rollen.

Wer eine Prüfung auslässt, weil sie vielleicht nicht offensichtlich im Roadbook eingetragen ist, kassiert 400 Strafpunkte. Die Liste der möglichen Verstöße ist länger als der Flensburger Bußgeldkatalog. Auch ein Wertungsausschluss ist möglich. Zum Beispiel dann, wenn unterwegs eine Geschwindigkeitsüberschreitung von mehr als 50 Prozent gemessen wird. Das wäre schon Tempo 45,01 km/h in der Tempo-30-Zone. Aber all das macht die Rallyes für Old- und Youngtimer sympathisch - es kommt halt nicht auf Höchstgeschwindigkeit an.

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