Auf der Suche nach dem umweltfreundlichen Automobil der Zukunft setzen große Teile der Industrie derzeit vor allem auf das Elektroauto, sei es als Hybridantrieb oder als reines Elektrofahrzeug. Für die Industrie sind es derzeit vor allem strategische Fragen, in welche Technologien investiert wird und welche Infrastrukturen mittelfristig ausgebaut werden müssen. Geht man nur danach, wie die Angebotssituation für Elektroautos am Markt aktuell und in naher Zukunft aussieht, dann kann man den Eindruck gewinnen, dass deutsche Hersteller derzeit etwas hintendran sind. Japanische Anbieter wie Nissan mit dem Leaf und Mitsubishi mit dem i-MiEV sind bereits auf vielen Märkten vertreten. Auch Renault kündigte für kommendes Jahr mehrere reine Elektroautos in verschiedenen Fahrzeugklassen an, die PSA-Marken Citroen und Peugeot setzen ebenfalls vorerst auf den i-MIEV. Als einziger deutscher Hersteller wird Mercedes-Benz mit der A-Klasse e-Cell kurzfristig an den Markt gehen, der Wagen wird vorerst aber nicht im freien Verkauf zu haben sein. Bei Prototypen, Forschungsprojekten und Ankündigungen sind die deutschen Hersteller aber nicht zurückhaltender als die ausländische Konkurrenz; nur mit Markteinführungen scheint man derzeit noch etwas vorsichtig zu sein. Akzeptanz muss erst wachsen Die Vorsicht könnte daher rühren, dass die Zukunftsperspektive von Elektrofahrzeugen hierzulande noch nicht so klar ist, wie sie in mancher Pressemeldung der vorpreschenden japanischen und französischen Hersteller erscheint. Die Infrastruktur (Ladestationen, Wartungsleistungen) steckt vielerorts noch in den Kinderschuhen, die derzeit erzielbaren Reichweiten stagnieren bei rund 150 km, die Fahrzeuge müssen lange an der Steckdose hängen. Die ersten Modelle sind eher klein und die Zuladungen niedrig. Vor allem aber kostet ein Elektroauto derzeit noch ca. doppelt so viel wie ein vergleichbar großes, konventionelles Kraftfahrzeug mit modernster Spritspar-Technik. Diese Punkte sind aber mit entscheidend für die Akzeptanz am Markt – ein neues Auto muss in erster Linie bezahlbar, alltagstauglich und konkurrenzfähig sein, um als Massenprodukt eine Chance zu haben. Da gibt es noch beträchtliche Fragezeichen. Widersprüchliche Erwartungen der Konsumenten? Diese Erwartung der Konsumenten drückt sich auch in Umfragen aus, die der VDE (Verband der Elektrotechnik Elektronik und Informationstechnik) und - im Rahmen des Automobilwoche-Kongresses 2010 - der Consulting-Verbund Deloitte veröffentlicht haben. Der VDE, als Lobbyverband der Elektroindustrie, lässt wissen, dass 64 Prozent der Bundesbürger ein Elektroauto kaufen würden. Gar 80 Prozent der Deutschen sehen für deutsche Hersteller große Chancen am Markt, würden sie denn mit entsprechenden Fahrzeugen an den Markt gehen. Andererseits bekunden laut einer ebenso aktuellen -Umfrage des Deloitte Verbunds 70 Prozent der Befragten Skepsis, ob sich Elektro-Autos mittelfristig am Markt durchsetzen. Das passt auf den ersten Blick nicht zusammen. Warum ist das so? Vermuten darf man ohne Weiteres, dass die Autokäufer zunehmend ökologische Fahrzeuge von den Anbietern erwarten. Dabei geben die Käufer aber keiner bestimmten Technologie den Vorzug. Wie auch wenn sich Industrie und Politik in Deutschland ebenfalls noch nicht klar positioniert haben, welche Technologie in der nahen Zukunft als förderungsfähig und –würdig eingestuft werden wird. Steuervorteile beim Kauf von Elektrofahrzeugen gibt es beispielsweise in Deutschland bisher nicht. Mit Flüssiggas oder Biodiesel stehen preislich attraktive Alternativen schon heute zur Verfügung. Und: Die Potenziale der klassischen Benzin- und Dieselantriebe sind ebenfalls noch nicht ausgereizt. Weiter sind auch aus ökologischer Sicht noch viele Fragen bei Elektroautos ungeklärt. Was passiert mit den teuren und mit hohem Energieaufwand hergestellten Batterien, wenn sie verbraucht sind? Woher kommt der Strom? Von umweltfreundlichem Antrieb kann man sicher nur sprechen, wenn sich der Energiemix der Bundesrepublik weiter ökologisiert und gleichzeitig der Mehrbedarf, der heute in Verbrennungsmotoren konsumiert wird, gedeckt werden kann. Andernfalls entsteht der Dreck eben nur woanders. Was müssen Politik und Industrie leisten? In Wirtschaftskreisen scheint man sich derzeit noch nicht einmal sicher zu sein, ob man überhaupt wirklich konsequent auf das Pferd nachhaltige Antriebskonzepte setzen kann. So wurde auf dem Automobilwoche-Kongress auch die Frage aufgeworfen, ob „grüne“ Mobilität überhaupt ein unumkehrbarer Trend ist, oder ob sich die Nachhaltigkeitsdebatte auch wieder „beruhigen“ könne. Glaubt man der Umfrage, die der VDE unter seinen Mitgliedsunternehmen durchführte, ist allerdings nicht mehr die Frage, ob Elektromobilität künftig ein tragender Teil des Verkehrs sein wird – auch wenn vielleicht daneben andere Technologien wie Brennstoffzelle und hocheffiziente Verbrennungsmotoren stehen. Die Frage ist vielmehr, ob Deutschland seine gegenwärtige Spitzenposition im Autobau auf diesem Markt halten können wird. In China beispielsweise scheint man erkannt zu haben, dass der Technologierückstand bei klassischen Automobilen nur schwer aufholbar ist. Dort konzentrieren sich staatliche Förderung, Forschung und Industrie derzeit vor allem auf Elektroautos. Bis 2015 werden in China 3,3 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung im Bereich E-Mobility investiert werden, ein Vielfaches dessen, was in Deutschland bereit steht. Zudem verfügt China auch über die notwendigen Rohstoffe, wie beispielsweise Lithium. Neun von zehn der VDE-Mitgliedsunternehmen und Hochschulen halten daher verstärkte staatliche Fördermaßnahmen, Pilotprojekte und Feldversuche für eine schnelle Marktdurchdringung von Elektroautos für notwendig, um sowohl die Forschung zu intensivieren als auch die Fahrzeuge preislich interessanter zu machen. Auch die Infrastruktur muss sich stark entwickeln: Durch die Elektromobilität werden künftig Verkehrs-, Strom- und Kommunikationsnetze mit dem Elektroauto zu einem neuen System zusammenwachsen. Dies wird ebenfalls nicht ohne Fördergelder und Forschungsaufwand abgehen. Speichermedien, einheitliche Schnittstellen, Ausbau der Stromnetze und passende Tarife sind ebenso Stichworte wie die bereits angesprochene Frage, wie umweltfreundlich sich große zusätzliche Mengen an Strom überhaupt in absehbarer Zeit erzeugen lassen. Am Ende entscheidet der Preis Unabhängig von diesen Herausforderungen an Politik, Industrie und Forschung zählt für den Kunden am Ende das Produkt. Und da zeigen die Umfragen klar die Schwächen der bisherigen Produkte auf. Fast 60 Prozent der Befragten, die an der Umfrage des VDE teilnahmen, erwarten beispielsweise eine Ladezeit von unter 4 Stunden auch am heimischen Stromnetz. 53 Prozent erwarten eine Reichweite von mindestens 300 km, 30 Prozent eine Reichweite von mindestens 450 km. Ebenfalls über 50 Prozent der Befragten würden erst dann ein Elektroauto kaufen, wenn es preislich konkurrenzfähig zu herkömmlichen Autos ist. Die gleiche Zahl würde damit ebenfalls warten, bis eine flächendeckende Infrastruktur zur Verfügung steht. Batterietauschstationen, Ladesäulen sowie ein breites Angebot an technischen Dienstleistungen, aber auch Versicherungsleistungen kann man sich hierunter vorstellen. Eben eine Infrastruktur, wie es sie heute für Benzin- und Dieselfahrzeuge gibt. Bis Elektroautos für den breiten Markt eine ernsthafte Alternative sind, ist es also womöglich noch ein weiter Weg. In anderen Ländern wie den USA als einem der wichtigsten Märkte, aber auch Frankreich, Irland oder Griechenland, sind zumindest steuerliche Voraussetzungen bereits geschaffen. Welche Technologie sich am Ende durchsetzt, entscheidet schließlich nicht nur der Kunde, sondern auch die Politik. Es wäre aus industriepolitischer wie aus umweltpolitischer Sicht sinnvoll, mit entsprechenden Weichenstellungen nicht so lange zu warten, bis andere Märkte Fakten geschaffen und sich große Vorsprünge erarbeitet haben. Anderenfalls könnte es der deutschen Industrie mit den neuen Automobilen im schlimmsten Fall in einigen Jahrzehnten so ergehen wie mit Unterhaltungselektronik – Die Musik kann man vielleicht noch mitspielen, aber der Takt wird woanders vorgegeben. Von Björn Tolksdorf
Quelle: MOTOR-TALK |
verfasst am 08.11.2010
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