Mercedes-Benz SL der 107er-Reihe: Träumen, was gefällt, sehen, was kommt und fahren, was geht. Gelegenheit macht Liebe. Ob Sechs- oder Achtzylinder, Roadster, Coupé oder SLC. Aber gibt es sie denn überhaupt noch gut und günstig? Das Hardtop heißt Coupédach. Im offiziellen Mercedes-Jargon, merkt es euch ein für allemal und sagt nie wieder Hardtop. Das war schon bei der Pagode so, und selbst beim 107er sieht es noch aus wie eine Pagode, so leicht konkav gewölbt. Gewöhnungsbedürftig: Das Bobby Ewing-Auto Mit aufgesetztem Coupédach wirkt der kurze 107er-Roadster einfach hinreißend maskulin, kraftvoll und charismatisch - eben wie ein richtiger Sportwagen. Das Verdeck mit der angedeuteten Panoramascheibe aus Plexiglas bringt es nicht. So markant modifiziert, ist er weit weg vom Prospekt-Klischee der Frau im Pelzmantel, die vor dem Bungalow hochhackig in den offenen 350 SL einsteigt. Claudio Schall aus Bietigheim findet das auch. Deshalb bleibt das Coupédach drauf, auch wegen der Waschstraße, die wir mit seinem 74er Mercedes-Benz 450 SL aufsuchen, damit der verstaubte Wagen wieder fotogen glänzt. Claudio Schall mag den 107er eigentlich nicht. Er hat ihn nur seiner Frau zuliebe gekauft und nennt ihn etwas verächtlich das "Bobby-Ewing-Auto". Der 44- jährige durchtrainierte Holzbauingenieur, der sich gern cool kleidet und nebenbei auch als Männer-Model arbeiten könnte, entpuppt sich im Gespräch als Ästhet in Sachen Automobil. "Die Sechziger, das war die große Zeit bei Mercedes - Pagode, Heckflosse, 111er, 108er, klassisch schöne Autos. Aber die Siebziger? Zu schwülstig, zu barock, zu schwer, der 107er wirkt überladen." Als wir uns trafen, stieg er barfuß und in Bermudas aus seinem schwarzen Mercedes-Benz 220 S, die Lässigkeit selbst. Er kommt aus dem Urlaub, vom Katamaran-Segeln. Nach der Intensivwäsche fällt auf, wie gut der 450 SL eigentlich ist. Er hält, was sein Kilometerstand von 64.000 verspricht. Keine Beulen, kein Rost, ungeschweißt, der appetitliche Innenraum ohne Risse im Instrumentenbrett in blauem Leder ausgeschlagen - oder ist es MB-Tex? Es kommen Zweifel auf. In den USA war wegen der zerstörerischen Strahlkraft der Sonne Kunstleder gefragt, also doch MB-Tex. Die Kopfstützen nicken dazu prall, als würden sie zustimmen. Dokumente gibt es reichlich, die Historie klärt Schall mit einem Stapel Unterlagen, inklusive Serviceheft und CH-Abgaskontrolle. Der Wagen wurde einst in die USA exportiert und kam dann über die Schweiz wieder zurück nach Deutschland. Deshalb trägt er noch die zierlichen Stoßstangenhörner, während klobige Sidemarkers und glotzäugige Sealed-Beam-Doppelscheinwerfer inzwischen verschwanden. Statussymbol der Siebziger Schall bedauert die lieblose Zweitlackierung, mit teils rauer Oberfläche und schlechten Übergängen. Es fällt allerdings nicht so auf, weil das harte frische Weiß im Mittagslicht alles überstrahlt. Sie ist das wohl einzige ernsthafte Manko des Wagens, der im schlichten Farbton und mit den unscheinbaren Blechradkappen auf eine besonders intensive Weise anziehend wirkt. Er spricht mit einem, er riecht so angenehm nach edlem altem Auto. Wenn man sich hinter das große, noch kräftig profilierte Lenkrad setzt und die Fahrstufe der Viergang-Automatik einlegt, langsam Gas gibt und das sehr unterschwellige Brabbeln des Achtzylinders hört, fühlt man sich auf seltsame Weise angekommen und sinniert: ein ehrliches Auto zu einem fairen Preis, ohne Wartungsstau, aber noch mit ein wenig Spielraum für Perfektionisten. Das milde Leistungsmanko der US-Modelle trübt den Fahrspaß kaum. Hinten hat er Kindersitze. Das sieht viel schöner aus als diese nackte Gepäckablage. So ein 107er, ob Roadster oder großes SLC-Coupé, war einst ein begehrenswertes Statussymbol. Das milde, verführerische Lächeln seines verchromten Kühlergrills mit dem großen Stern in der Mitte, die sorgfältig wie Edelsteine gesetzten Nebelscheinwerfer unter der Stoßstange üben eine anziehende Macht aus. Aber wir stehen aufrichtig zu seinen Schwächen, dem klobigen Instrumentenbrett, dem seltsamen Riffelblech an seinen Flanken oder den langen hinteren Überhang beim Roadster. Selbst Claudio Schall ist am Ende mit der 107er-Linie versöhnt: "Es stimmt, das schlichte Weiß und die einfachen Radkappen stehen ihm gut." Sportlich, sportlich - der SLC Der nächste Kandidat ist ein 350 SLC, Schaltgetriebe, astralsilber, schwarzes Leder, grün getöntes Glas. Eine klassische, zeitlose Kombination, Ästhetik punktet hier vor Zeitgeist. Die geforderten 10.800 Euro scheinen zunächst recht selbstbewusst, gleich daneben auf dem modernen Autohausgelände von Dieter Hagenbusch parkt ein Zwilling mit Automatik für gerade einmal 4.990 Euro. Auf den ersten Blick sieht er trotz seiner 248.000 Kilometer nicht viel schlechter aus als sein Nachbar. Er ist fahrbereit und technisch okay. Doch wer die 107er kennt, der weiß, dass der Rost oft im Verborgenen blüht. Der in vielen Details liebenswert patinierte Viergang-SLC entpuppt sich als sehr frühes Modell. Daraufhin deuten nicht nur die kleinen Außenspiegel und die VDO-Uhr in der Mitte, sondern auch vor allem das Lenkrad mit der Hupkontakt- Klaviatur entlarvt den Schaltgetriebe-Achtzylinder als echten 72er. Dieter Hagenbusch aus Schwabmünchen schildert den Schweiz-Import als rostfreies, ungeschweißtes Exemplar: "Der Wagen hat eine sehr gute Substanz und ist technisch in einem Topzustand, weil alle Verschleißteile erneuert wurden. Innen hat das Leder eine schöne Patina. Außerdem ist er einer der seltenen 350 SLC mit Schaltgetriebe, den kann man mit seinem hochdrehenden kleinen Achtzylinder richtig sportlich fahren", betont der ebenso verbindliche wie sachkundige Hagenbusch. Der stattliche Mann um die 50, Dreitagebart, Baseballcap, verkauft nicht nur Klassiker, sondern restauriert sie auch mit Sohn in der eigenen Werkstatt. Als wir mit David zur ausgiebigen Probefahrt starten, fällt der Blick durchs Tor auf ein seltenes Leichtbau-Coupé, ein 450 SLC 5.0, der nicht fahrbereit ist und für 6.900 Euro als Restaurierungsobjekt verkauft wird. Optisch und funktional wirkt der plumpe Faustkeil-Schalthebel mit der popeligen Gummimanschette auf der SLC-Mittelkonsole wie ein Fremdkörper, obwohl sich das Getriebe angenehm leichtgängig und exakt schalten lässt. Doch dann, gut warmgefahren, ermuntert mich David, die sprichwörtliche Drehfreude des Motors doch ein wenig auszunutzen - es geht behände vorwärts. Weniger aus dem Stand ist die Beschleunigung des schweren Luxusliners imposant als vielmehr im dritten Gang bei Tempo 80. Wer dann ordentlich drauftritt, hat im Nu 120, 130 km/h erreicht, und der Motor schreit dabei nicht nach dem erlösenden nächsten Gang, sondern lässt sich unter wildem Stakkato gerne noch weiter stimulieren. Dennoch ist so ein SLC im Grunde seiner verrippten Leichtmetall-Ölwanne eher ein Cruiser-Auto. Selbst die weniger geschmeidige 72er Ruckomatik mit Hydro-Kupplung statt Wandler passt besser zum Charakter des gepflegten Gran Turismo. Dessen neckische Lamellenharfe im Seitenfenster wirkt so sexy wie der Halsschmuck einer schönen Frau. Für Pragmatiker: der 280 SL mit Reihensechser Szenenwechsel in eine gediegene Mercedes-Benz-Vertretung nach Wasserburg am Inn. Ein vornehmer Glaspalast im Hangar-Look erwartet uns im Industriegebiet. Vor dem Autohaus AVG parkt schon weit sichtbar zwischen C-Klassen, 210ern und neuen E-Klassen ein aufreizend blauer 79er 280 SLC im Hochglanzformat. 10.990 Euro soll das gepflegte Auto kosten, inklusive einiger schöner Extras und moderater Laufleistung. Magnetitblau würde der Kenner tippen. Doch in der Annonce steht ausdrücklich, dass der Farbton, der so verführerisch in der Nachmittagssonne glänzt, keinen offiziellen DB-Code trägt. AVG-Verkäufer Karl-Heinz Eglmaier, so um die 50, knapp zwei Meter groß und seriös bis in die Haarspitzen, bietet das Auto im Kundenauftrag eines Zahnarztes an. Eglmaier präsentiert den 280 SLC mit offenen Türen und Hauben, ohne ihn anzupreisen. "Sie kennen sich sicher gut aus und sehen, dass neben der Farbe auch der Radlaufchrom, die Seitenwangen der Velourssitze und der Lederbezug des Lenkrads nicht original sind", stellt der oldtimeraffine Besitzer eines 250-Strichacht fest. Man erfährt, dass das Coupé aufwändig teilrestauriert wurde und auch technisch in einem sehr guten Zustand ist. Einsteigen, Schiebedach auf und losfahren, lautet die selbstgestellte Aufgabe. Die Fahrertür steht schon einladend offen. Da lässt man sich nicht zwei Mal bitten und dreht ein paar forsche Runden auf dem großen AVG-Betriebshof, der auch Mercedes-Schwerlastwagen betreut. Der Fahreindruck des dynamischen M 110-Doppelnockenwellen-Sechszylinders überzeugt selbst zusammen mit der Automatik. Spontane Gasannahme, müheloses Hochdrehen, alles bestens. Rational ist bis auf den viel satteren, angenehm stimulierenden Sound und den wuchtigen Antritt aus dem Drehzahlkeller kaum ein Unterschied zu den Achtzylindern zu spüren. Der M 110 macht seine Sache gut, aber mit wenig Pathos und Passion.
Quelle: Motor Klassik |
verfasst am 12.05.2011
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