Mit seinen großen Kulleraugen eroberte der kleine Twingo nicht nur die Herzen der Frauen. Auch Modeschöpfer ließen sich von der kleinsten Großraumlimousine inspirieren.
Köln - Ein Auto als Haustier und Frauenversteher? Aber klar doch, meinte Renault-Chefdesigner und Kleinwagen-Projektleiter Patrick Le Quément. Und zeigte im Herbst 1992 seine jüngste City-Car-Kreation. „Twingo wird für viele wie ein Haustier sein“, prognostizierte Le Quément damals. Er sollte Recht behalten. Quelle: Renault Vor allem die Herzen der Frauen flogen dem Renault Twingo zu. Seine Kulleraugen blicken niedlich wie ein Tierbaby - und machten ihn unwiderstehlich. Schwung und Spaß verhieß schon der klangvolle Kunst-Name des Minicars, den der deutsche Namens-Guru Manfred Gotta aus den Wörtern Twin, Twist und Tango komponiert hatte. Tatsächlich war der Twingo ein winziges Auto für Großstadtboulevards. Aber nicht nur. Der modisch bunt lackierte, 3,43 Meter kurze Mini War der erste Kleinstwagen im "Monospace"-Design. Also mit Motor-, Fahrgast- und Kofferraum als einer Einheit, ganz wie beim großen Bruder Espace. So bot er verblüffend viel Platz für Mensch und Gepäck. Das Twingo-Konzept war derart genial, dass der kleine Wagen bis Ende 2006 äußerlich nahezu unverändert 2,42 Millionen Mal vom Band lief. Heute ist bereits die dritte Twingo-Generation im Handel. Kultstatus genießt aber nur die Nummer eins. Klar, wegen des innovativen Konzepts und des originellen Designs. Vielleicht aber auch, weil dieser Twingo zu verrückten Showcars animierte. Zum Beispiel dem Düsen-Twingo, der mit Jettriebwerk über die Nordschleife flog. Oder dem Twingo Marine, der zwischen den millionenteuren Yachten vor Nizza und Cannes Wellen schlug. Den ersten Tango tanzte der Twingo in Paris„Die Neuerfindung des Kleinwagens“, jubelte Renault selbstsicher zur Premiere des Twingo. Der wurde von dem Hersteller bewusst auf dem Pariser Salon enthüllt statt wie ursprünglich geplant auf dem Genfer Salon. In Paris, dem weltweiten Machtzentrum der Mode waren die Menschen aufgeschlossener für Neues. Ganz besonders, wenn es aus Frankreich kam. So war es, als 1961 die kastenförmigen Raumkünstler vom Typ R4 auf den Champs-Élysées vorfuhren. Und so wiederholte es sich in den 1970er Jahren mit dem „Kleinen Freund“ vom Typ R5. Er machte graue Plastikstoßfänger und bunte Popart-Lackierungen zum Lifestyleschick. Quelle: Renault Nun wagte die Marke mit dem Rhombus den nächsten Schritt und transferierte das Großraumkonzept des Espace in das Einstiegsmodell des Renault-Programms. Dank 2,35 Meter Radstand und 1,43 Meter Bauhöhe bot das Mini-Auto sensationell viel Platz. Hinzu kamen ungewöhnlich breite Türen und um 17 Zentimeter verschiebbare Rücksitze. Sogar umzugs- und möbelhaustauglich wurde der Twingo durch das bis zu 955 Liter fassende Gepäckabteil. Der Franzose unverwechselbare Franzose trat an gegen Fiat Panda, Citroen AX, Seat Marbella, Lancia Y10 oder (Rover) Mini. Und er überraschte im Interieur durch weitere frische Ideen, die in anderen Neuwagen fehlten. Darunter ein minimalistisches, futuristisches Digitalinstrumentarium im Cockpit, türkisfarbene Bedienknöpfe, farbenfrohe Sitzbezüge und ein konkurrenzlos großes Faltschiebedach fürs Cabriogefühl. Der Kleine avancierte zum ShootingstarBei so viel Genialität sahen die Renault-Käufer sogar über Defizite hinweg. Zum Beispiel den uralten 55 PS-Vierzylinder. Auch der anfängliche Mangel an Individualisierungsmöglichkeiten störte niemanden, denn der Twingo machte den Minimalismus schick. So gab es den Renault über Jahre nur mit einem Motor und einer Ausstattung sowie zwei Extras. Beschränkt blieb auch die Zahl der Absatzmärkte. Machte dem Twingo nichts aus. Quelle: Renault Im Gegenteil. Aus einem kleinen Budget und einem verworfenen Prototyp des Renault-Designers Jean-Pierre Ploué entstand in nur 33 Monaten der Twingo - und er „machte die Welt verrückt“, wie es die Renault-Werbung formulierte. Schon bei der Pariser Premiere an der Porte Versailles standen tausende Besucher Schlange, um Kaufverträge zu unterschreiben. Ein Käuferansturm, der sich zum Marktstart wiederholte. Allein in Deutschland fand der Mini mehr als eine halbe Million Fans. Der Twingo funktionierte sofort. Sein freundliches Gesicht wurde geliebt wie sonst Fiat 500, Mini, Ente (Citroen 2 CV) oder der Renault 4. Und wie bei diesen Anti-Statussymbolen störte es auch die Twingo-Käufer kaum, dass der Kleine Nachteile hatte. Es mangelte bei Zuverlässigkeit und Materialien. Vieles in dem Auto fühlte sich so billig an, wie es war. Tatsächlich kostete der erste Twingo nur 16.000 Mark, fast 15 Jahre später waren es gerade einmal 9.200 Euro. Und selbst in dritter Generation zählt der Pfiffikus zu den preiswertesten am Markt. Er prägte nicht nur das StadtbildTrotzdes Low-Budget-Konzepts waren es kontinuierliche Aufwertungen, die den Twingo jung hielten. Etwa mit Aufrüstung der Sicherheitsausstattung, einen auf 60 PS erstarkten Basismotor (ab 1996), einen 75 PS-Vierzylinder (ab 2000) und Editionen prominenter Modecouturiers. Den Anfang machten Sonderserien von Kenzo, Benetton und Elite. Quelle: Renault 1999 kleidete die Abschlussklasse der berühmten Pariser Designschule „École Supérieure des Arts et Technique de la Mode“ (ESMOD) zwar nicht den Twingo ein, aber sie ließ sich durch dessen Farben und Formen zu femininen Partykleidern inspirieren. Gleichzeitig gab es ab 1998 Luxus und Lifestyle in Großserie mit der Nobel-Version Twingo Initiale. Feines Leder und kostspielige Navigation in der Einsteigerklasse, das war typischer Twingo-Mut. Auch abseits der Boulevards sorgte der Twingo für Furore. Es gab Umbauten zu Showcars wie Pick-ups, Landaulet-Cabriolets oder Feuerwehrfahrzeuge. Aber auch 160 PS starke Rallye-Twingo, Drag Racer und Lowrider. Hinzu kamen Klassensiege bei der berüchtigten Eisrennserie „Trophée Andros“, der über 300 km/h flotte Twingo-Jet und der 30 Knoten schnelle, hochseetaugliche Twingo-Katamaran. An dieser Faszination fehlte es der zweiten Twingo-Generation, die 2007 aus slowenischer Produktion auf den Markt kam. Ein ultimatives Trendmobil wie der Ur-Twingo war der Nachfolger nicht mehr, dafür geräumiger, genauso variabel und technisch solider. Zumindest im Süden und Westen Europas erzielte er große Erfolge. Gleiches gilt für die dritte Twingo-Generation, die 2014 als viertüriges Heckmotormodell an den Start ging. Die Abkehr von "Monospace" und verschiebbarer Rückbank, aber ebenfalls ein sehr variables, kleines Auto. Technisch gleicht es dem Smart Forfour von Kooperationspartner Daimler. Trotz fröhlicher Scheinwerfer und lächelndem Kühlergrill: Kult ist nur Twingo Nummer eins.
Chronik:
Quelle: SP-X (Wolfram Nickel) |