Nirgendwo auf der Welt wird teures Blech genüsslicher über Gebühr strapaziert als beim Goodwood Festival of Speed. Doch was als spaßige PS-Sause begann, mutiert langsam zur perfiden Marketing-Show.
Von MOTOR-TALK-Autor Jim Meininghaus Goodwood - Dem Earl of March, Charles Gordon-Lennox, wird nachgesagt, dass er ein ausgezeichnetes Gehör habe. Das verwundert ein wenig, denn der Earl lauscht am liebsten dem Klang von Motoren. Und zwar solchen, deren Sound jedem TÜV-Prüfer die Tränen aus den Säcken treibt. Also Ottomotoren mit offenen Lufttrichtern, Fächerkrümmern oder möglichst kurzer Auspuffanlage. Der W12 des Napier-Railton Special ist so einer: Baujahr 1933. Beachtliche 47 Weltrekorde fuhr das Fahrzeug bis 1937. Seine zwölf Zylinder fassen 23,9 Liter. Bei kurzen Gasstößen bebt hier nicht nur der Boden, es zittern auch die Fußsohlen der Schaulustigen. Adel mit Benzin im BlutDer Earl gilt als Connaisseur der Benzin-Kraft. In dieser Eigenschaft lädt er seit 21 Jahren zum „Festival of Speed“ auf sein Anwesen nach Goodwood ein. Platz gibt es da genug, so dass die Rennstrecke von 1,86 Kilometer Länge nur ein Stück des Geländes beansprucht. Auslaufzonen gibt es kaum, aber Rennrekorde werden hier eh nicht mehr erzielt. Das war mal anders. Der Großvater des heutigen Earls veranstaltete 1936 das erste private Bergrennen vor seiner Burg. Zwischen 1948 und 1966 fanden auf dem nahegelegenen Rundkurs verschiedene motorsportliche Wettbewerbe statt, manche mit Formel-1-Autos. Als Nick Heidfeld mal schlecht zuhörteSo ein Auto ist auch für die aktuelle Bestzeit auf dem Kurz-Kurs verantwortlich. 1999 deutete Nick Heidfeld die Ansage seines Teamchefs falsch und schoss in seinem McLaren-Mercedes MP4/13 in 41,6 Sekunden den Berg hinauf. So schnell fährt in diesen Tagen zwar keiner mehr, aber rasend sind die Piloten in ihren Kisten immer noch unterwegs. Von Vorkriegsfahrzeugen wie dem Mercedes 60 HP von 1903 bis zum aktuellen Formel-1 Red Bull-Renault RB10 quetschen die Fahrer zumindest akustisch das Letzte aus den Zylindern. Quelle: Fabian Hoberg Dabei sind viele PS-Helden am Start: Jackie Stewart, Karl Wendlinger, Jochen Mass, Björn Waldgaard, Sebastian Loeb, Jenson Button, Kimi Räikkönen fetzen mit gestrecktem Gasfuß an jubelnden Menschen vorbei. Berühmter sind in Goodwood nur die Autos; darunter allein 16 Le Mans Gewinner-Fahrzeuge. Der Earl lässt die Fahrzeuge in 30 Klassen einordnen: neben den Le Mans-Klassikern unter anderem in die Pionier-Giganten mit Mercedes Grand Prix von 1914 oder Sunbeam V12 350 HP von 1920. Bei den Klassik-Tourenwagen-Ikonen laufen Rover SD1 Vitesse, Alfa Romeo GTA 1300 Junior und Ford Capri 3.0 RS Cologne nacheinander zur Startaufstellung. Die Motor-Wunderwelt ist in GefahrIn der Kategorie „Ultimate Rally Cars“ sind Peugeot 208 T16 Pikes Peak, Lancia Deta S4 und Ford RS200 Pikes Peak dabei. Dazu kommen die Rennwagen aus der Nascar-Serie, Nachkriegs-Renner, die erfolgreichsten Cosworth-Rennwagen, Motorrad-Klassiker und die Legenden der Gruppe C und Gruppe B. So kommen über hundert Renn- und Sportwagen aller Epochen in Goodwood zusammen, alle fahrbereit. Der Gang durch die provisorischen Fahrerlager ist eine Zeitreise durch die Geschichte des Motorsports. Fast alle Rennserien sind vertreten. Mehr Autohistorie und Motorsport in Bild und Wort gibt es nirgendwo. Es ist eine Wunderwelt für Autofans. Doch wie jede Wunderwelt ist auch diese in Gefahr. Quelle: Fabian Hoberg Die droht ausgerechnet von Autoherstellern. Diese fangen an, die Wunderwelt als Marketingplattform zu missbrauchen. Logisch, denn nirgends treffen sich mehr „Petrolheads“ pro Quadratmeter als in Goodwood. Wenn die V12 übertönt werdenIm Hintergrund ballert ein Jaguar XJR9LM mit 7,0-Liter-V12 die Strecke hinauf. Das Donnern seines Herzens wird übertönt von hämmernden Pop-Beats aus gigantischen Lautsprechern. Sie stehen vor den mobilen Palästen und Super-Zelten der Hersteller. Dabei scheint folgende Regel zu gelten: je weniger Goodwood-Historie, desto mehr Beats. Ein paar Hostessen preisen das Skoda Yeti Xtreme Concept Car an. Und da schleicht sich ein Gefühl der Beklemmung in die Magengrube. Ist das hier das Paradies. Oder nur noch sein Notausgang. Ist es ein Jahrmarkt oder die feinste Oldtimerveranstaltung Englands. Noch machen sich die Hersteller nur an der Strecke breit, verköstigen dort Händler und VIPs mit Tee und Champagner. Dort, wo vor zehn Jahren noch Besucher zwischen Ständen der lokalen Anbieter schlenderten, in Büchern stöberten, alte Plakate suchten oder eine Lederjacke aus den 40ern anprobierten. Supersportwagen, Prototypen und Kutschen für den PöbelDem Earl mag das recht sein, seine Kasse klingelt. Aktuelle Supersportwagen und Prototypen kamen schon vor 15 Jahren zum Festival. So lange die Leistung unter der Haube stimmt, haben sie ihre Berechtigung. Doch dieses Jahr war es des Guten schon zu viel: McLaren GT und Bespoke 650S, Infiniti Q50 Eau Rouge, Jaguar F-Type Project 7, Bentley GT3-R, Aston Martin DP-100 und Lexus RC F. Dazu der neue Ford Focus ST, der neue Ford Mustang, das Nissan Concept 2020, der Range Rover Sport SVR-Prototyp. Und nicht zuletzt die Kutschen, die wir uns leisten können, die aber genau aus diesem Grunde nichts in diesem Umfeld zu suchen haben. Wie der Mazda MX5 Edition Goodwood, der Peugeot 208 GTi 30th und vor allem ein Skoda Yeti Extreme. Was haben die am Ende dieses Textes noch mit dem Festival of Speed zu tun? Nichts. Die schönsten Bilder seht Ihr in unserer Big-Picture-Galerie. |