VW hätte Aufbruchsstimmung nötig, hat aber richtig miese Presse. 30.000 Jobs weg, kein Respekt für Kunden und Mitarbeiter? Ein kommunikativer Gau für Wolfsburg.
Ein Kommentar von MOTOR-TALK Redakteur Björn Tolksdorf Berlin - Man möchte es Herrn Müller ja erklären. Vielleicht so: Herr Müller, wenn ich ein Bio-Steak kaufe, kostet es zwar mehr als ein normales Steak, bringt aber den gleichen Nutzwert – und gelingt sogar oft zarter. Ein E-Golf fährt nur ein Drittel so weit wie ein Golf, muss dann Stunden an der Steckdose stehen und kostet das Doppelte. Hinzu kommt: Ein deutsches Durchschnittsgehalt von 2.700 Euro (Brutto, 2015; würde ein VW-Vorstand dafür auch nur blinzeln?) bezahlt viele Bio-Steaks, aber nur ein Bruchteil E-Golf. Warum ich das erklären möchte? An diesem Wochenende lieferte VW-Chef Matthias Müller ein Paradebeispiel für eine kommunikative Katastrophe. Direkt nachdem VW seinen „Zukunftspakt“ vorgestellt hatte, den größten Unternehmensumbau der letzten 20 Jahre, gab der VW-Chef ein Interview. Und erntete seitenweise miserable Presse für seinen Konzern. „Auf der einen Seite denken und handeln viele Deutsche im Alltag grün, wenn es aber um E-Mobilität geht, haben wir als Verbraucher spitze Finger. So ganz habe ich dieses paradoxe Phänomen noch nicht verstanden“, sagte der Vorstandschef im Gespräch mit der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Man fragt sich, wie VWs Kommunikationsprofis dieses Gespräch freigeben konnten. Denn was hängenbleibt, ist das: Der VW-Chef verachte die Verbraucher, schreibt die Zeitung „Die Welt“. Matthias Müller gibt den Verbrauchern die Schuld daran, dass die E-Mobilität nicht so richtig zündet. Stellenabbau statt ZukunftspaktWar der „Zukunftspakt“ nicht Kommunikations-Katastrophe genug? Matthias Müller mag ein guter Automobilmanager sein, ein exzellenter Politiker wird er vermutlich nicht mehr. Die größte Krise des VW-Konzerns hatte ihn mitten in den Sturm gespült. Müller, daran muss man sich erinnern, rückte aus dem vergleichsweise beschaulichen Porsche-Chefsessel nach ganz oben. In Zuffenhausen lief alles prima: Schöne Sportwagen bauen, Geld drucken. In Wolfsburg sieht das anders aus. Müllers Plan war gut: Den Dieselskandal nutzen, um VW fit für die Zukunft zu machen. Wenn der Patient ohnehin drei schmerzhafte Wurzelbehandlungen ertragen muss, warum nicht gleich den Weisheitszahn mitoperieren. Nun, der Weisheitszahn beißt zurück. Das ist, zugegeben, eine miese Formulierung. Aber sie passt zu dem miesen Bild, das VW an diesem Wochenende abgab. Denn das Wort „Zukunftspakt“ stand in keiner einzigen Schlagzeile zum VW-Umbau. Stattdessen stand überall: „VW streicht 30.000 Stellen“. Eine Katastrophe für jede Stadt, in der ein VW-Werk steht. Eine Steilvorlage für schlechte Presse. Sofort ist die Boni-Debatte wiedereröffnet: „VW streicht 30.000 Jobs. Doch die Chefs sahnen ab!“, schreibt die Bild-Zeitung. Die kleinen Angestellten müssen ausbaden, was die Bosse verbockt haben. „Die besten Mitarbeiter nehmen die Abfindung“, lautet eine weitere Bild-Schlagzeile vom Wochenende. Wer mag schon FettIn diese Stimmung hinein platzte Müllers Interview. Darin äußert er sich auch zum Stellenabbau: „Der Volkswagen-Konzern hat Fett angesetzt. Deshalb braucht es eine Schlankheitskur“, stand da zu lesen. Das mag der Sache nach richtig sein. VW sitzt auf Überkapazitäten und leidet unter mangelnder Produktivität. Aber wir reden hier nicht über schwabbelige Fettzellen (wer mag die schon!), sondern über Arbeitsplätze und Menschen. Auch wenn VW betriebsbedingte Kündigungen ausschließt: Tausende VW-Mitarbeiter werden die Aufgaben von frühverrenteten oder per Abfindung hinfort rationalisierten Kollegen mit übernehmen. Sie werden den grundlegenden Wandel des Konzerns im Würgegriff von Einstellungsstopps und gestrafften Budgets gestalten. Dafür verdienen sie es nicht, mit einem Schmerbauch verglichen zu werden. Zumutungen gegenüber seinen gut bezahlten Mitarbeitern mag VW für akzeptabel, ja unumgänglich erachten. Wie Müller aber für neuen Technologien Aufbruchsstimmung erzeugen will, indem er Kunden Doppelmoral vorwirft, bleibt sein Geheimnis. Die Industrie „hat da nichts verschlafen“? Arrogant, frech, peinlichDas Knallbonbon erlaubte der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) eine schöne Nachdrehe. Deprimierend und peinlich, frech und arrogant – so bewerteten Leser der Zeitung Müllers Aussagen. Auch die Wirtschaftspresse lädt durch: „Jetzt gehen einem wirklich so langsam die Adjektive aus, um die Äußerungen der Vorstandsetage zu beschreiben: Arrogant, absurd, frech, realitätsfremd? Alles Volltreffer!“, befindet Alfred Maydorn im „Aktionär“. Bei n-tv kommen namenlose Börsenprofis zu Wort: „Schwer erträgliche Arroganz“, und „Bärendienst“. Vermutlich wollte Müller den großen Stellenabbau einordnen – VW hätte sonst eine harte Zukunft, und das würde noch mehr Jobs kosten. Vielleicht wollte er den Deutschen Mut machen, oder sogar Lust auf die Elektromobilität. Das ging nach hinten los, und zwar gründlich. Nicht der erste schwere PR-Schnitzer des VW-Chefs. Im Januar ging bereits in Detroit ein Radio-Interview gründlich daneben. |