Klaus Westrup erinnert sich an einen ganz besonderen Citroën, den SM. Der damals schnellste Wagen mit Vorderradantrieb wurde nur 12.920 Mal gebaut und vereinte komplexe Technik mit zeitlosem Design. Ein Sommertag auf Sylt, Anfang der achtziger Jahre. Auf der Insel der Auto-Eitlen rollen die Porsche und Ferrari zum Showdown, ein um Aufmerksamkeit bemühter Jaguar XJ-Fahrer hat seinen bunt gefiederten Papagei auf der Rücksitzlehne des Beifahrersitzes postiert. Auf der langen Geraden zwischen Westerland und Kampen cruist ein alter Mann, hakennasig, tief gebräunt, eine Schauermütze über den Kopf gezogen. Das Auto, mit dem er die Sylter Seeluft sanft zerteilt, ist nicht nur auf der Insel einzigartig, sondern auch im Rest der Republik. Den Citroën SM gibt es zu diesem Zeitpunkt zwar schon über ein Jahrzehnt, aber man bekommt ihn praktisch nie zu Gesicht. Die Fan-Gemeinde, die sich auf diese teure, verrückte Maschine einlässt, ist sehr klein und will es bleiben. Maserati-Motor unter der Haube Der Testwagen für eine ausführliche Erprobung kommt erst gut ein Jahr nach der Präsentation, im Herbst 1971. Schon in den sechziger Jahren ist die italienische Sportwagenfirma Maserati in den Besitz von Citroën übergegangen, und insofern ist es nicht verwunderlich, dass das skurril geformte neue Flaggschiff Citroen SM einen Maserati-Motor bekommen hat. Das Triebwerk ist das eigentlich Besondere am Citroen SM - ein 2,7 Liter großer Sechszylinder in V-Formation, der mit seinen insgesamt vier obenliegenden Nockenwellen 170 PS bei 5500 Umdrehungen abgibt und gut sein soll für die Prestige heischende Höchstgeschwindigkeit von fast 220 km/h. Dieses Prachtstück von einem italienischen Reißbrett möchte man natürlich nicht nur erleben, sondern auch sehen. Also Haube auf, dann große Enttäuschung. Man muss den V6 suchen, er sitzt weit nach hinten gerückt vor der Spritzwand, streckt vorne eine lange Welle heraus, mit der Lichtmaschine, Hydraulikpumpe und Klima-Kompressor betrieben werden. Davor und überhaupt ein wildes Durcheinander von Schläuchen, Leitungen und Aggregaten - Horrorszenario für jeden Mechaniker. Drei Weber Fallstrom-Vergaser versorgen den kurzhubig ausgelegten Sechszylinder, sieben Liter Öl zirkulieren im Nass-Sumpf, ein Fünfganggetriebe, damals noch keine Selbstverständlichkeit, ist serienmäßig, ebenso wie die hydropneumatische Federung, die Citroën seit dem Debüt des legendären DS in allen Spitzenmodellen zum Einsatz bringt. Auch sie mit ihrem ganz speziellen Fahrgefühl macht den Citroen SM einzigartig, die größere Neugier gilt natürlich dem Maserati-Motor. Wie wird er laufen, hat dieses neue Spitzen-Automobil eine Sensation oder gar Revolution unter der langen Haube? V6 mit nur wenig Laufkultur Ganz und gar nicht. Der V6 des Citroen SM arbeitet, vor allem gemessen an den einstigen BMW Reihensechszylindern oder dem kleinen V8 des Mercedes 350 SLC, rau und lautstark. Laufkultur sieht anders aus und hört sich auch anders an - immerhin wirkt die Aussprache des vermeintlichen Rasse-Triebwerks einzigartig und bestärkt seinen Beschleuniger in der Annahme, nicht nur mit Karosse und Fahrwerk außergewöhnliche Rezepturen gewählt zu haben. Kraft genug hat der Poltergeist, auch wenn er die Werksangaben ein wenig verfehlt. Mit einer Beschleunigung von gut zehn Sekunden auf Tempo 100 und einer Spitze von exakt 217 km/h gehört der Citroen SM zu den ganz Schnellen im Lande. Citroën hat sich bei der Gestaltung der Karosse nicht nur mit kleinen Lufteinlässen vorne und Radabdeckungen hinten um gute Aerodynamik bemüht, was zusammen mit dem bis 180 km/h reichenden vierten Gang für hohe Autobahntauglichkeit sorgt. Wie rasch die 200 km/h-Grenze erreicht wird, überrascht immer wieder - und das mit einer Maximalleistung, die immerhin 30 PS unter der eines Mercedes 350 SL liegt. Vorsprung durch Technik Die Leichtigkeit, mit der hohe Tempi realisiert werden, ist nur die eine Seite des Autobahn-Vergnügens. Die andere zeigt sich durch einen geradezu stoischen Geradeauslauf, der das Auto wie von der Schnur gezogen seine Bahn ziehen lässt, ohne die geringste Beeinflussung von seitlichen Winden oder Unebenheiten. Das macht das zügige Reisen mühelos ? ebenso wie der hoch liegende Komfortpegel. Die Federung ist kaum härter als bei den bekannt sänftenhaft auffahrenden DS-Modellen. Speziell in diesem Bereich bewegt man sich per SM auf einem absoluten Höhepunkt der Automobil- Entwicklung, im heutigen Sprachgebrauch wäre wohl auch der selbstherrliche Audi-Slogan vom Vorsprung durch Technik präsent gewesen. Doch nicht alles im Fahrwerksbereich ist wirklich gut. Die ungewöhnlich direkt agierende Servolenkung verlangt jedem Citroen SM-Novizen ein Höchstmaß an Konzentration ab. Die Tatsache, dass mit zunehmender Geschwindigkeit die unterstützende Wirkung abnimmt, hilft in der Lenk-Praxis nicht wirklich, denn man muss sich immer wieder neu darauf einstellen. Geradezu blamabel gestaltet sich der erste SM-Kontakt, wenn gleich nach dem Losfahren eine Kurve zu bewältigen ist. Kaum einer fährt sie auf Anhieb sauber und ohne Schlangenlinien, Zuschauer kommen kaum umhin, an Trunkenheit zu denken. Die Bremsanlage mit vier Scheiben zählt wiederum zum Besten, was der SM in seinem opulenten Technik- Menü aufzubieten hat, mit sehr guten Verzögerungswerten und einer Spurtreue bei hohen Geschwindigkeiten, die im exklusiven Zirkel der Teuren und Schnellen nicht selbstverständlich ist. Ein Ford Capri RS kostet gerade mal die Hälfte Kein Zweifel, teuer ist er wirklich. Fast 34.000 Mark notiert die Preisliste Anfang der Siebziger für den Citroen SM, alle direkten Konkurrenten sind billiger - das BMW 3.0 CS Coupé fast 6.000 Mark, der Mercedes 350 SL runde 4.000, der in den Fahrleistungen deutlich überlegene Porsche 911 S immerhin noch 3.000. Und der Ford Capri RS, ebenfalls ein 200 km/h-Auto? Er kostet gerade mal die Hälfte. Beim Schau-Laufen auf Sylt spielt man mit ihm allerdings keine Rolle. Der alte Mann mit der Wollmütze ist dagegen bis heute in Erinnerung geblieben. An der Kopfbedeckung hat es nicht gelegen, sondern am Auto, dem verwegensten Citroën aller Zeiten.
Quelle: Motor Klassik |
verfasst am 14.10.2011
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